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Nehmen wir an, sagte ich mir, die Menschen hätten früher einmal auf diesem Planeten geherrscht. Nehmen wir an, es habe vor mehr als zehntausend Jahren eine der unseren ähnliche, menschliche Zivilisation auf Soror existiert…

Das ist jetzt keine aus der Luft gegriffene Theorie mehr – im Gegenteil. Kaum habe ich sie formuliert, da ergreift mich jenes Hochgefühl, den einzigen Ausweg aus dem Irrgarten gefunden zu haben. In dieser Richtung, das weiß ich jetzt, liegt die Lösung des beklemmenden Affenrätsels. Und ich muss mir eingestehen, dass ich mir unbewusst immer eine Erklärung dieser Art erhofft habe.

Ich befinde mich im Flugzeug, das mich in die Hauptstadt zurückbringt, begleitet von einem von Cornelius' Assistenten, einem wortkargen Schimpansen. Ich habe allerdings selbst keine große Lust, mich mit ihm zu unterhalten. Flugreisen stimmen mich immer nachdenklich, und außerdem werde ich so bald keine bessere Gelegenheit finden, um meine Gedanken zu ordnen.

Nehmen wir also an, es habe einmal eine der unseren vergleichbare menschliche Zivilisation auf dem Planeten Soror existiert. Ist es möglich, dass Wesen ohne schöpferischen Verstand diese Zivilisation einfach durch Nachahmung weitergeführt haben? Die Antwort auf diese Frage erscheint mir gewagt, doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Argumente kommen zusammen, und schließlich ist sie gar nicht mehr so abwegig. Die Ansicht, perfektionierte Maschinen könnten uns eines Tages ablösen, ist, wenn ich mich recht erinnere, auf der Erde weit verbreitet, und zwar nicht nur bei Schriftstellern, sondern in allen Schichten der Gesellschaft. Vielleicht wird diese Idee gerade wegen ihrer Popularität von den Gelehrten mit Misstrauen zur Kenntnis genommen. Und vielleicht enthält sie aus demselben Grund auch ein Körnchen Wahrheit – ein Körnchen wohlgemerkt: Maschinen bleiben immer Maschinen, der ausgeklügeltste Roboter bleibt immer ein Roboter. Aber gesetzt den Fall, es handelt sich um Lebewesen, die bis zu einem gewissen Grad beseelt sind, wie die Affen? Und ausgerechnet den Affen ist ein starker Nachahmungstrieb eigen …

Ich schließe die Augen und lasse mich vom Brummen der Motoren einlullen. Ich muss noch schärfer nachdenken, um meine These zu präzisieren.

Wodurch wird eine Zivilisation geprägt? Durch Genies? Nein, durch das tägliche Leben … Bestimmen wir also den Anteil des Geistes. Damit meine ich vor allem die Künste und an erster Stelle die Literatur. Angenommen, unsere großen Menschenaffen besäßen die Fähigkeit, Wörter aneinander zu reihen. Wäre dann die Literatur wirklich außerhalb ihrer Reichweite? Woraus besteht Literatur? Aus Meisterwerken? Keineswegs. Sobald – und das geschieht allenfalls ein- oder zweimal in einem Jahrhundert – ein wirklich originelles Buch geschrieben wird, wird es auch gleich imitiert, und so entstehen Unmengen von Variationen desselben Themas, die sich nur geringfügig, etwa in Titel und Aufbau, voneinander unterscheiden. Das sollten die Affen als geborene Nachahmer doch wohl zustande bringen können, vorausgesetzt, wie gesagt, dass sie über eine Sprache verfügen.

Der einzige stichhaltige Einwand ist also das Problem der Sprache. Doch eigentlich ist es nicht unbedingt notwendig, dass die Affen das, was sie kopieren, auch verstehen, um nach dem Vorbild eines einzelnen Buches eine Unzahl von Texten zu produzieren. Das ist bei ihnen ebenso wenig erforderlich wie bei uns. Es genügt, wenn sie, genau wie wir, Gehörtes nachplappern können. Im übrigen erfolgt die literarische Produktion rein mechanisch. Und an diesem Punkt kommt die Ansicht einiger Biologen in vollem Umfang zur Geltung: Nichts hindert den Affen ihrer Meinung nach anatomisch gesehen daran zu sprechen; was fehlt, sei allein der Wille. Man kann sich nun ohne weiteres vorstellen, dass dieser Wille eines Tages, womöglich aufgrund einer Mutation, erwacht ist.

Eine Weiterführung der Literatur durch sprechende Affen erscheint also durchaus vorstellbar. Und ebenso wäre es möglich, dass sich einige Affenliteraten Schritt für Schritt über das allgemeine intellektuelle Niveau erhoben haben. Wie mein Freund Cornelius sagte: Die Tat – in diesem Fall der Umgang mit dem Wort – erzeugt den Geist. So konnten auch in der schönen neuen Affenwelt originelle Ideen entstehen, etwa eine pro Jahrhundert – wie bei uns.

Diese Gedanken munter weiterspinnend, gelangte ich bald zu der Überzeugung, dass gut dressierte Tiere ohne weiteres die Gemälde und Skulpturen angefertigt haben konnten, die ich in den Museen der Hauptstadt bewundert hatte. Ebenso konnten sie auch in allen anderen Künsten der Menschen, die Filmkunst nicht ausgenommen, ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt haben. Nachdem ich die höheren Regionen geistiger Betätigung betrachtet hatte, fiel es mir leicht, meine Theorie auf andere Gebiete anzuwenden. Die Industrie stellte kein Problem dar – ganz offensichtlich benötigte sie keinerlei geistige Initiative, um durch die Zeiten fortzubestehen. Auf der untersten Stufe erforderte sie Arbeiter, die stets nur eine Reihe gleich bleibender Handgriffe auszuführen hatten, was auch von Affen besorgt werden konnte. Auf der nächsthöheren Stufe waren Leute vonnÖten, die Berichte abfassen und unter bestimmten Umständen bestimmte Wörter von sich geben konnten – das ließ sich durch bedingte Reflexe erreichen. Und auf der höchsten Stufe, im Bereich der Verwaltung, erschien mir die Nachäfferei am leichtesten vorstellbar. Um unser System fortzuführen, brauchten sich die Gorillas lediglich gewisse Gebärden und Redensarten anzueignen, die sich allesamt vom selben Modell ableiten ließen.

Auf diese Weise sah ich mir die verschiedensten irdischen Tätigkeiten durch eine neue Brille an und stellte mir vor, sie würden von Affen verrichtet. Das machte durchaus Spaß, denn es erforderte keinerlei geistige Anstrengung mehr. Ich rief mir etliche politische Kundgebungen ins Gedächtnis zurück, an denen ich als Journalist teilgenommen hatte, und dann das leere Geschwätz der Prominenten, die ich interviewt hatte. Besonders lebhaft erinnerte ich mich an einen Sensationsprozess, den ich vor einigen Jahren verfolgt hatte. Der Verteidiger war ein in seinem Fachbereich sehr berühmter Mann. Warum sah ich ihn auf einmal in der Gestalt eines wütenden Gorillas vor mir? Und den nicht weniger berühmten Staatsanwalt ebenfalls? Warum empfand ich ihre Gesten, ihre Bemerkungen auf einmal als bedingte Reflexe, als das Ergebnis einer sorgfältigen Dressur? Warum verwandelte sich der Richter plötzlich in einen würdevollen Orang-Utan, der mit auswendig gelernten Phrasen wie ein Automat auf die ebenfalls einstudierten Zeugenaussagen und das Gemurmel der Zuschauermenge reagierte?

Mit solchen Assoziationsspielereien verbrachte ich den Rest der Reise. Als ich mich in die Welt der Ökonomie und der Finanzen versetzte, entstand vor meinem geistigen Auge ein Bild, wie ich es zuletzt tatsächlich auf Soror gesehen hatte, und zwar anlässlich eines Besuches der Börse, wohin mich ein Freund von Cornelius mitgenommen hatte, denn die Börse war eine der Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt.

Diese Börse war ein ziemlich großes Bauwerk, und schon von weitem hörte man aufgeregtes Gemurmel, das an Lautstärke zunahm, je näher man kam, bis es schließlich zu einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll. Wir traten ein und befanden uns sogleich am Ursprungsort des Tumultes. Ich lehnte mich an eine Säule. Einzelne Affen war ich gewohnt, doch die geballte Masse um mich herum verursachte mir wieder einmal Beklemmung. Es ging noch hektischer zu als damals beim Kongress der Wissenschaftler. Man stelle sich einen ungeheuer großen und hohen Raum vor, voll gestopft mit Affen, kreischenden, gestikulierenden, durcheinander rennenden, von Hysterie befallenen Affen, die sich nicht nur am Boden schoben und drängten, sondern den Raum bis zur Decke bevölkerten, deren Höhe mich schwindelig machte. Und von wo Strickleitern, Trapeze und Taue herunterhingen, mittels derer sich die Affen von Ort zu Ort bewegten. Auf diese Weise füllten sie sämtliche Dimensionen des Raumes, der auf mich wirkte wie ein gigantischer, mit allen möglichen Geräten für die Turnübungen der Vierhänder ausgestatteter Käfig.

Die Affen flogen buchstäblich durch die Luft, und immer wenn ich meinte, sie würden abstürzen, klammerten sie sich irgendwo fest. Dazu herrschte ein Höllenlärm, bestehend aus Rufen, Anfragen, Schreien und sonstigen Lauten, die an keine zivilisierte Sprache erinnerten. Es gab dort Affen, die kläfften – ganz richtig, sie kläfften, und zwar ohne ersichtlichen Grund, während sie an einem langen Seil von einem Ende des Saales zum anderen pendelten.

»Haben Sie jemals etwas Ähnliches gesehen?«, fragte mich Cornelius' Freund voll Stolz.

Ich verneinte. Nur mit Hilfe all meiner bisherigen Erfahrungen mit den Affen konnte ich mich dazu durchringen, die Anwesenden für vernunftbegabt zu halten, denn jedes halbwegs normale Geschöpf, das man mit diesem Zirkus konfrontierte, musste zur Überzeugung gelangen, dass hier Irre oder wütende Bestien ihr Unwesen trieben. Kein Funken von Intelligenz strahlte aus ihren Augen, und ich vermochte den einen nicht vom anderen zu unterscheiden – alle waren sie gleich gekleidet, und in ihren verzerrten Zügen lag Wahnsinn.

Das Beunruhigende an dem Bild, das ich heraufbeschworen hatte, war jedoch folgendes: Während ich gerade eben noch die handelnden Personen einer irdischen Szene unwillkürlich mit Gorillas und Orang-Utans vertauscht hatte, standen nun wie unter einem Zwang die Teilnehmer an diesem Hexensabbat in Menschengestalt vor mir. Menschen waren es, die ich kreischen und kläffen hörte und die an Seilen schwangen, um so schnell wie möglich ihr Ziel zu erreichen. Mich packte das Verlangen, mir noch andere Einzelheiten dieses Schauspiels ins Gedächtnis zu rufen. Nach langem Beobachten war mir damals einiges aufgefallen, was darauf hinwies, dass diese brodelnde Masse vielleicht doch Teil einer zivilisierten Gemeinschaft war. So vernahm man gelegentlich ein verständliches Wort in dem tierischen Geschrei, und ein Gorilla, in Schwindel erregender Höhe auf einem Gerüst hockend, ergriff, während er weiter mit den Händen fuchtelte, mit seinem Fuß ein Stück Kreide und schrieb eine vermutlich bedeutungsvolle Zahl an eine Tafel. Auch an diesem Gorilla glaubte ich menschliche Züge zu erkennen. Von diesen Visionen konnte ich mich erst befreien, als ich wieder zu meiner Theorie über den Ursprung der Affenzivilisation zurückkehrte. Mein geistiger Ausflug in die Finanzwelt hatte mir neue Argumente zugunsten dieser Theorie geliefert.

Das Flugzeug setzte zur Landung an – ich war wieder in der Hauptstadt. Zira erwartete mich am Flughafen, und schon von weitem erblickte ich voll Freude ihre Kappe. Als ich ihr dann nach Erledigung der Zollformalitäten endlich gegenüberstand, musste ich mich zurückhalten, sie nicht in die Arme zu schließen.