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Es ist geglückt. Ich schwebe erneut im All, an Bord unseres Schiffes, das wie ein Komet auf das Sonnensystem zurast, mit einer Geschwindigkeit, die von Sekunde zu Sekunde zunimmt.

Ich bin nicht allein. Nova ist bei mir und auch Sirius, unser Sohn. Er kann schon Papa und Mama und noch ein paar andere Worte sagen. Wir haben auch Hühner und Kaninchen, sowie einige Samensorten an Bord, die uns die Wissenschaftler in den Satelliten mitgegeben hatten zur Erforschung des Strahleneinflusses auf die verschiedensten Organismen. All das kommt uns jetzt zugute.

Cornelius' Plan hat funktioniert. Es ist ohne Probleme gelungen, uns mit dem eigentlich vorgesehenen Trio zu vertauschen. Die Frau hat Novas Platz im Institut eingenommen, und das Kind wird man Zaius übergeben, damit er beweisen kann, dass es unfähig ist, zu sprechen, und nicht mehr als ein Tier ist. Vielleicht wird man dann auch mich nicht mehr für gefährlich halten und den Mann am Leben lassen, der an meine Stelle getreten ist und nie ein Wort sprechen wird. Vermutlich wird man den Betrug nie aufdecken. Wie bereits erwähnt, können die Orang-Utans den einen Menschen nicht vom anderen unterscheiden. Zaius wird triumphieren, Cornelius vielleicht einige Unannehmlichkeiten haben, aber alles wird schnell vergessen sein … Nein, es ist längst vergessen, denn Jahrzehnte sind dort vergangen während der wenigen Monate, die wir unterwegs sind. Meine Erinnerungen verschwimmen und nehmen in demselben Maß ab wie die ungeheure Masse des Beteigeuze in unserem Sichtfeld: Das Riesengestirn ist erst zu einem kleinen Ballon, dann zu einer Orange zusammengeschrumpft. Nun ist es wieder ein kleiner, funkelnder Punkt am Firmament – und so geht es mir auch mit den Erinnerungen an den Planeten Soror.

Ich müsste verrückt sein, wollte ich mir Vorwürfe machen. Diejenigen, die mir wichtig sind, habe ich gerettet. Wer sonst sollte mir dort Leid tun? Zira? Ja, Zira. Doch für das zwischen uns entstandene Gefühl gibt es keinen Namen, nicht auf der Erde und nicht sonst wo im Universum. Die Trennung war unvermeidlich. Ganz sicher hat sie in ihrer Ehe mit Cornelius, in der Erziehung ihrer Kinder ihren Frieden wiedergefunden. Professor Antelle? Zum Teufel mit ihm! Ich konnte nichts mehr für ihn tun, und offenbar hatte er sich mit seinem Dasein abgefunden. Mich fröstelt hin und wieder, wenn ich daran denke, dass mir, in der gleichen Situation und ohne Zira, nur allzu leicht dasselbe Schicksal hätte widerfahren können.

Das Umsteigen in unser Raumschiff verlief ohne Komplikationen. Durch geschicktes Manövrieren gelang es mir, dem Schiff mit dem Satelliten langsam näher zu kommen und schließlich die für die Aufnahme bestimmte Öffnung zu erreichen. Dann traten die selbsttätigen Vorrichtungen in Aktion und machten die Luken wieder dicht. Wir befanden uns an Bord. Die Maschinen waren unversehrt, und der Computer erledigte alle zur Abreise nötigen Vorkehrungen, während unsere Verbündeten auf Soror vorgaben, der Satellit sei während des Fluges beschädigt worden und habe nicht auf seine Umlaufbahn gebracht werden können.

Nach unserer Zeitrechnung sind wir nun schon über ein Jahr unterwegs. Wir haben bis auf einen minimalen Bruchteil Lichtgeschwindigkeit erreicht, binnen kürzester Zeit eine ungeheure Strecke zurückgelegt und befinden uns bereits in der Abbremsphase, die ein weiteres Jahr dauern wird. Die ganze Zeit über werde ich nicht müde, mich an meiner neuen Familie zu erfreuen. Nova erträgt die Reise recht gut. Und sie wird immer klüger. Die Rolle als Mutter hat sie verändert. Sie bringt ganze Stunden damit zu, ihren Sohn zufrieden zu betrachten, der ein besserer Lehrer für sie ist als ich. Sie spricht beinahe fehlerfrei die Worte nach, die er ihr vorsagt. Mit mir redet sie zwar noch nicht, doch wir haben uns auf eine Zeichensprache geeinigt, die zur Verständigung ausreicht. Mir ist, als hätte ich schon immer mit ihr zusammengelebt. Und Sirius – nun, er übertrifft alle Erwartungen. Er ist jetzt eineinhalb Jahre alt, läuft trotz der ungewöhnlichen Schwerkraftverhältnisse an Bord fröhlich herum und plappert ohne Unterlass. Ich kann es kaum erwarten, ihn auf der Erde zu präsentieren …

Wer kann die Gefühle beschreiben, die mich befielen, als ich an diesem Morgen feststellte, dass unsere Sonne allmählich wieder wahrnehmbare Dimensionen annimmt – nun erscheint sie uns schon in der Größe einer Billardkugel. Ich zeige sie Nova und Sirius und erkläre ihnen, was diese neue Welt für sie bedeutet – und sie verstehen mich. Sirius spricht inzwischen fließend, Nova annähernd. Sie hat es gleichzeitig mit ihm gelernt. Alle Sorormenschen habe ich ihrem unwürdigen Schicksal nicht entreißen können, doch bei Nova ist es mir geglückt!

Die Sonne wird größer und größer, und ich versuche, die Planeten auszumachen. Die Orientierung fällt mir nicht schwer. Ich entdecke Jupiter, Saturn, Mars und – die Erde. Die Erde! Tränen steigen mir in die Augen. Man muss wohl länger als ein Jahr auf einem von Affen bevölkerten Planeten gelebt haben, um meine Gefühle zu verstehen … Ich weiß, nach siebenhundert Jahren werde ich weder Verwandte noch Freunde vorfinden, doch ich sehne mich danach, wieder richtige Menschen zu treffen.

An die Aussichtsluken gedrückt, beobachten wir, wie die Erde näher kommt. Man kann bereits die Kontinente erkennen. Schließlich kreisen wir wie ein Satellit um meinen Heimatplaneten, und ich sehe Australien vorbeiziehen, Amerika und Frankreich. Ja, da ist Frankreich! Schluchzend fallen wir drei uns um den Hals.

Dann besteigen wir das zweite Beiboot des Raumschiffs und tauchen in die Atmosphäre ein. Die Bremsraketen treten in Aktion. Nova sieht mich lächelnd an – sie hat zu lächeln und zu weinen gelernt. Mein Sohn breitet die Arme aus und reißt staunend die Augen auf. Unter uns liegt Paris. Der Eiffelturm steht noch.

Ich habe selbst die Steuerung übernommen und nach siebenhundert Jahren Abwesenheit lande ich am Flughafen Orly, der sich kaum verändert hat. Wir setzen am Rande der Rollbahn auf, weit weg von den Terminals. Bestimmt hat man uns bemerkt, wir brauchen bloß zu warten. Es scheint nicht viel Luftverkehr zu herrschen. Ist der Flughafen etwa außer Betrieb? Nein, da ist ein Flugzeug. Es gleicht in jeder Hinsicht den zu meiner Zeit gebräuchlichen Maschinen.

Schließlich kommt ein Fahrzeug auf uns zu. Aufgeregt schalte ich die Antriebsaggregate aus. Was werde ich den Menschen nicht alles erzählen können! Vielleicht wird man mir zunächst gar nicht glauben, doch ich habe Beweise. Ich habe Nova – und ich habe meinen Sohn.

Das Fahrzeug ist ein Kombi uralter Bauart, vier Räder und ein Verbrennungsmotor. Ich hätte gedacht, solche Vehikel fände man nur noch in Museen. Außerdem habe ich mir einen etwas feierlicheren Empfang erträumt. Das Begrüßungskomitee ist nicht sehr groß, nur zwei Männer, wie mir scheint. Aber natürlich haben sie keine Ahnung. Wenn sie wüssten …

Es sind tatsächlich zwei. Ich kann sie nur schlecht erkennen wegen der untergehenden Sonne, deren Strahlen von der schmutzigen Scheibe reflektiert werden. Zwei Leute, einer davon in Uniform. Ein Offizier, ich habe seine Orden glänzen sehen. Vermutlich der Kommandant des Flughafens. Die anderen werden wohl noch kommen.

Der Wagen bleibt in etwa fünfzig Metern Entfernung stehen. Ich nehme meinen Sohn auf den Arm und verlasse das Beiboot. Nova folgt uns nur zögerlich. Sie blickt ein wenig ängstlich drein, doch das wird schnell vergehen.

Dann steigt der Fahrer aus. Er dreht mir den Rücken zu, und zur Hälfte ist er hinter hohen Sträuchern verborgen, die zwischen mir und dem Fahrzeug wachsen. Er öffnet dem Beifahrer die Tür. Ich habe mich nicht getäuscht, es ist ein Offizier von hohem Rang, nach den vielen funkelnden Orden zu schließen. Er macht ein paar Schritte in unsere Richtung, tritt aus dem Gebüsch – und ist endlich zu erkennen. Nova schreit markerschütternd auf, entreißt mir den Kleinen, flüchtet mit ihm in den Schutz des Beibootes, während ich wie festgenagelt dastehe, zu keinem Wort und keiner Bewegung fähig.

Es ist ein Gorilla.