Neun


 

 

Tag einundzwanzig brach an. Über Parry sickerten die Nachrichten zu Svetlana durch. Janus hatte weiter die Beschleunigung verringert, worauf Bella das Triebwerk auf ein Zehntel Ge heruntergedrosselt hatte. Die Rockhopper befand sich nun in der letzten Anflugphase und näherte sich der vorgesehenen Beobachtungsposition zehntausend Kilometer hinter Janus.

Wenn sich der Verzögerungstrend des ehemaligen Mondes fortsetzte, würde er sich bald mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. Der Plan sah vor, einen Tag lang auf zehntausend Kilometer Abstand zu bleiben und dann stückweise näher heranzurücken, bis auf eintausend Kilometer über der Oberfläche. Wenn Janus die Annäherung duldete, würden sie noch weiter herangehen. Am dritten Tag des fünftägigen Rendezvous sollten Roboter und unbemannte autonome Gefährte auf dem Artefakt landen. Wenn ihnen der Zugang erlaubt wurde, sollten Menschen folgen. Am vierten Tag würde man sich mit passiven Untersuchungen der Oberfläche begnügen. Wenn es bis dahin keine Probleme gab, würde man versuchen, eine Probe der Maschinerie zu bergen. Man würde mit mikroskopischen Materialproben beginnen, die einzeln zur Rockhopper gebracht wurden, die sich zu diesem Zeitpunkt auf eine sichere Entfernung zurückgezogen hätte. Wenn die Sammlung der kleinen Proben erfolgreich verlief, wollte man zu größeren Stücken übergehen. Am Tag sechs würde die Rockhopper den Rückflug antreten, worauf Janus die lange Reise durch die Nacht Richtung Spica fortsetzen konnte.

Es gab immer noch keine Nachrichten von der Erde.

Das Technikerteam hatte bereits seit neunzehn Stunden am Problem gearbeitet, doch bislang – wie sie von ihrem Informanten erfuhr – war es einer Lösung des Rätsels kein Stück näher gekommen.

Parry reichte ihr einen Flextop. »Bella kocht langsam über. Andernfalls hätte sie sich niemals damit einverstanden erklärt.«

»Sie möchte, dass ich mir die Sache ansehe?«

»Sie sagt, sie würde sich freuen, wenn du etwas findest.«

Als Svetlanas Hände die hautartige Oberfläche der Bildfläche berührten, konnte sie sich ungehindert durchs Schiffsnetz bewegen.

»Wie viel Zeit gibt sie mir?«

»So viel, wie du brauchst«, sagte Parry. »In deinem Posteingang findest du eine technische Datei mit allem, was sie bisher ausprobiert haben. Vielleicht kannst du irgendwo anknüpfen. Versuch lieber erst gar nicht, das Schiff zu verlangsamen oder zu stoppen, soll ich dir von Bella sagen. Sobald du in die Nähe eines kritischen Systems kommst, fliegst du sofort raus.«

»Wer hat das Reparaturteam geleitet?«

»Belinda Pagis und Mengcheng Yang. Sie haben rund um die Uhr gearbeitet.«

Sie nickte, denn es waren dieselben Namen, die sie mit dieser Aufgabe betraut hätte. »War jemand draußen?«

»Nein. Zu gefährlich, während wir beschleunigen. Zumindest für einen Spaziergang zur Antenne. Ich würde jedenfalls keinen meiner Leute hinausschicken.«

Damit hatte sie gerechnet. »Roboter?«

»Wir haben Jens Fletterick beauftragt, sich die Sache mit einem ferngesteuerten Flugroboter anzusehen. In der technischen Datei findest du den Videoclip. Es scheint keine äußere Beschädigung der Antenne vorzuliegen, keine durchgebrannten Systeme oder so, aber vielleicht fällt dir etwas auf, was alle anderen übersehen haben.«

»Ich schaue es mir an«, sagte sie zweifelnd. »Ist Jens noch im Dienst?«

Parry blickte auf seine große Vielzweck-Taucheruhr. »Ich glaube, seine Schicht ist zu Ende. Wahrscheinlich holt er gerade etwas Schlaf nach. Warum?«

»Ich würde gerne mit ihm sprechen. Oder mit jemand anderem aus Sauls Robotikteam.«

»Da müsstest du zuerst Bella fragen, fürchte ich. Was hast du im Sinn?«

»Etwas, das wir ausprobieren sollten«, sagte sie.

 

Janus stand genauso groß wie der Vollmond in einer Erdennacht im Himmel vor der Rockhopper, eine geballte Faust mit winzigen Eisinseln in einem Meer aus dunkel glitzernden mechanischen Elementen.

Die Rockhopper war jetzt unglaublich nahe, nur noch zwanzigtausend Kilometer von der maschinenübersäten Oberfläche entfernt. Bald würden sie diese Strecke behutsam halbieren und relativ zum Mond die Fahrt stoppen. Bisher hatte es kein Anzeichen einer Reaktion vom Artefakt gegeben, keine Warnung, dass sie auf Abstand bleiben sollten. Andersherum hatte es – abgesehen von der Verlangsamung des Mondes – auch keine Aufforderung zum Näherkommen gegeben.

Bella drückte ihre Zigarette aus, als eine Krankenpflegerin mit Svetlana eintraf. Es gab keinen Körperkontakt zwischen den beiden, aber Judy Sugimoto entfernte sich nie weiter als einen Meter von ihrer Schutzbefohlenen. Unauffällig, aber auffällig genug, um von Svetlana bemerkt zu werden, trug Sugimoto eine Betäubungsspritze bei sich, die sie der Frau sofort in den Arm stoßen würde, sollte sie Schwierigkeiten machen.

»Du hättest dir nicht solche Umstände machen müssen«, sagte Svetlana. »Wir hätten uns in meinem Zimmer treffen können.«

»Wenn die Sache unter uns geblieben wäre, hätte es vielleicht funktioniert«, sagte Bella. »Offensichtlich war das nicht machbar.«

Craig Schrope ließ seinen Kugelschreiber klicken. Er saß zurückgelehnt hinter Bellas Schreibtisch. »Parry sagte, du hättest vielleicht eine Idee zum Antennenproblem.«

»Ich hatte um Saul Regis’ Anwesenheit gebeten.«

»Saul ist unterwegs. Bis er hier ist, würden wir gerne wissen, warum du glaubst, dass er dabei helfen könnte. Wir haben die Antenne bereits von einem Roboter untersuchen lassen, und es gibt kein Anzeichen einer Beschädigung. Die Diagnosesoftware hat keinen mechanischen Defekt gemeldet.« Er rieb sich über das glatt rasierte Kinn. »Worum geht es also, Barseghian? Könnte ein Roboter uns helfen, oder hast du nur etwas Neues ausgeheckt, um die Mission zu sabotieren?«

Er hatte ihren Nachnamen mit übertriebener Genauigkeit ausgesprochen, als würde jeder andere es falsch machen. Svetlana trat verärgert einen Schritt auf Schrope zu. »Ich versuche zu helfen, du scheinheiliges Arschloch.«

»Sachte«, sagte Schrope und schnippte mit den Fingern in Judy Sugimotos Richtung. Die Pflegerin griff vorsichtig nach Svetlana und zog sie zurück.

»Ich bin dir sehr dankbar für dein Hilfsangebot«, sagte Bella, die ihre Worte mit diplomatischer Bedachtsamkeit wählte. »Ich habe dich vom Dienst suspendiert und unter Arrest gestellt. Damit bist du mir eigentlich zu nichts mehr verpflichtet.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Svetlana.

»Ich will damit nur sagen, dass ich keinen Augenblick von dir enttäuscht war. Ganz gleich, was zwischen uns geschehen ist, ich bin immer noch stolz darauf, dass wir Freundinnen waren. Ich stelle mir sogar vor, dass wir eines Tages in der Lage sein werden …«

»Hast du dir das Video angesehen?«, wollte Schrope von Svetlana wissen und schnitt Bella das Wort ab.

»Ja.«

»Hast du irgendetwas gesehen, was mit dem Antennensystem nicht in Ordnung sein könnte?«

»Nichts«, sagte Svetlana, die mehr in Bellas als in Schropes Richtung sprach. »Das System sieht einwandfrei aus, von außen wie von innen. Deshalb wollte ich Saul ins Spiel bringen. Ich habe eine andere Idee. Auf diese Weise können wir vielleicht etwas ausschließen.«

»Sprich dich aus«, sagte Craig Schrope.

Doch Bella ergriff das Wort, bevor Svetlana dazu kam. »Parry hat gesagt, dass du mit Saul darüber reden willst, ob man einen Flugroboter ausschleusen und hinter das Schiff zurückfallen lassen kann, möglicherweise bis zu einer Entfernung, bei der wir riskieren, den Roboter zu verlieren. Stimmt das?«

»Es muss nicht unbedingt ein Roboter sein, falls wir ein Instrumentenpaket zusammenbauen können. Aber mit einem Roboter würde es schneller gehen.«

»Was willst du damit erreichen?«

»Ich werde es dir sagen. Aber zuerst möchte ich verhandeln.«

Schrope nickte Sugimoto zu. »Bring sie weg. Ich habe genug.«

Sugimoto ging mit einem bedauernden Achselzucken auf Svetlana zu, als Bella eine Hand hob. »Ich kann dich nicht freilassen. Das müsste dir klar sein.«

»Mir ist genauso klar, dass du das Schiff nicht wenden wirst. Zumindest nicht, bevor du dir Janus aus der Nähe ansehen konntest. Also arbeite ich mit dem, was auf dem Tisch liegt. Ich werde dir mit der Antenne helfen, wenn du dich mit einer Forderung einverstanden erklärst.«

Bella wartete. Sie hob die Hand zu einer auffordernden Geste. »Ich höre.«

»Du verringerst die Zeit, die wir bei Janus bleiben. Von fünf Tage auf einen. Wir verbringen nur vierundzwanzig Stunden am ersten Beobachtungspunkt.«

»Völlig inakzeptabel«, sagte Schrope.

»Hört mich zuerst an«, sagte Svetlana. »Auch unter den Bedingungen meines Vorschlages bekommen wir brauchbare wissenschaftliche Ergebnisse. Selbst wenn wir keine Menschen auf Janus absetzen, können wir immer noch Roboter losschicken. Wir können es uns sogar leisten, sie dort zurückzulassen. Wir können ferngesteuert mit ihnen arbeiten, bis die Zeitverzögerung zu groß wird. Selbst dann können wir noch Befehlssequenzen senden. Ihr könnt mit der Erkundung von Janus weitermachen, während wir schon wieder auf dem Heimweg sind.«

»Das war sowieso geplant«, sagte Schrope. »Du bietest uns nichts, was wir nicht längst haben.«

»Ich biete euch eine funktionierende Antenne.«

»Falls du sie reparieren kannst. Für mich sieht das alles sehr nach einem Bluff aus.«

»Ich kann deine Forderung nicht erfüllen«, sagte Bella kopfschüttelnd. »Ich kann nicht den weiten Weg zurücklegen, in Vertretung der gesamten Menschheit, und dann sagen, dass wir gleich nach der Ankunft wieder umgekehrt sind.«

»Ich spreche von vierundzwanzig Stunden, Bella. Das ist immer noch eine Menge Zeit. Wirf einen Teil Vorsicht über Bord, dann kannst du bestimmt die meisten der Erkundungsziele erreichen.«

»Schau dir das verdammte Ding an«, sagte Bella und zeigte auf das Bild von Janus. »Schau es dir an und sag mir, dass es nicht mindestens ein Jahrhundert dauern würde, es einigermaßen zu erforschen.«

»Dann werden auch fünf Tage viel zu wenig sein«, sagte Svetlana. »Vor diesem Hintergrund ist der Unterschied zwischen einem und fünf Tagen gar nicht mehr so groß.«

Bella schloss die Augen und fragte sich, wie sich die Lage so sehr hatte zuspitzen können. Sie hätte am liebsten ihr Büro verlassen und Urlaub genommen, um anschließend zu genau diesem Punkt des Gesprächs zurückzukehren und es mit geschärftem Verstand fortzusetzen.

»Ich kann dir etwas entgegenkommen«, sagte sie, »aber nicht deine Maximalforderungen erfüllen. Ich würde mich auf drei Tage einlassen.«

»Immer noch inakzeptabel«, sagte Schrope.

»Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich mit Craig einer Meinung«, sagte Svetlana mit einer Spur aufrichtigen Bedauerns. »Drei Tage sind zu lang.«

»Das ist mein letztes Angebot«, sagte Bella.

Es klopfte an der Tür. Saul Regis trat ein und musterte die Anwesenden mit seinem üblichen reptilienhaften Gleichmut. Er zeigte weder Überraschung noch irgendeine Spur von Interesse.

»Du hattest eine Chance, dich zu rehabilitieren«, sagte Schrope zu Svetlana, »und du hast sie verspielt. Aber das spielt letztlich sowieso keine Rolle. Ich glaube, ich weiß auch so, was du dir ausgedacht hast.«

»Bitte, Svetlana«, sagte Bella. »Ich gebe dir noch eine letzte Chance. Hilf uns. Hilf uns, und danach können wir vielleicht wieder miteinander reden.«

»Tut mir leid«, erwiderte sie. »Vorher will ich handfeste Garantien. Auf weniger werde ich mich nicht einlassen.«

Schrope klatschte in die Hände. »Gut, damit scheint dieser Punkt erledigt zu sein. Saul, kannst du einen Flugroboter erübrigen? Ich gehe jede Wette ein, dass Svetlana vorhatte, einen Roboter auszusetzen, der mit einem Radiosender ausgerüstet ist, der genau auf die Frequenz und Stärke des Signals von der Erde konfiguriert ist. Habe ich recht?« Er sah sie einen Moment lang an, dann wandte er sich wieder an Regis. »Sie glaubt, dass die Verbindungsantenne vielleicht tadellos funktioniert und es in Wirklichkeit ein Problem mit dem Signal geben könnte.«

»Was für ein Problem?«, fragte Bella und wandte sich instinktiv an Svetlana.

Zu ihrer Überraschung antwortete Svetlana sogar. Vielleicht war ihr klar geworden, dass sie mit Schweigen überhaupt nichts erreichte. »Das Antennensystem arbeitet völlig normal«, sagte sie und klang, als hätte sie sich geschlagen gegeben. »Das Problem liegt nicht bei uns.«

»Etwa auf der Erde?«

»Das ist der springende Punkt«, sagte Schrope. »Aber wir wissen es erst, wenn wir die Sache überprüfen.«

Bella schüttelte den Kopf, da sie diese Möglichkeit einfach nicht akzeptieren wollte. »Die Verbindung zur Erde ist schon ein paarmal ausgefallen«, sagte sie, »aber immer nur für ein paar Minuten, wenn etwas mit der Ausrichtung nicht stimmte. Diesmal herrscht schon seit dreiundzwanzig Stunden Funkstille.«

Schrope zuckte die Achseln. »Dann ist es mehr als nur eine kleine Panne.«

»Dann hätte man doch schon längst eine Ersatzschüssel auf uns ausgerichtet.«

»Falls sie das Problem überhaupt bemerkt haben. Vielleicht sieht auf ihrer Seite alles tadellos aus. Wir sind jetzt dreizehn Stunden entfernt. Wir senden Fehlersignale zur Erde, seit wir die Verbindung verloren haben, aber selbst wenn sie sofort darauf reagiert haben, werden wir es erst in drei Stunden erfahren.«

Bella verarbeitete die Informationen und rief ein mentales Bild des Funknetzes im Sonnensystem auf. Die Telekommunikation rund um die Sonne war bis an die Grenzen der effizienten Datenkompression hochgeschraubt, was bedeutete, dass energiereiche Signale in bleistiftdünne Richtstrahlen gepresst wurden, die vom Sender zum Empfänger liefen. Nur ein einziger Sender war der Rockhopper zugewiesen worden, und über diese Verbindung kam jedes Informationsbyte, mit dem das Schiff gespeist wurde, von privaten Mails bis zum Datenstrom der globalen Nachrichtensender. Die Rockhopper war viel zu weit draußen, um noch Botschaften empfangen zu können, die nicht gezielt auf das Schiff gerichtet waren.

»Gibt es nichts anderes, was wir anzapfen könnten?«, fragte Bella. »Irgendwelche ungerichteten Signale?«

»Zu schwach«, sagte Schrope. »Alle gelisteten Funkfeuer sind zu weit weg, um sie von hier aus empfangen zu können.«

»Alle? Was ist mit dem Funkfeuer, das wir zurückgelassen haben – das wir am Massentreiber angebracht haben, den wir im letzten Kometen installieren wollten?«

»Von dort haben wir uns schon sehr weit entfernt.«

»Aber er ist näher als alles andere. Hat jemand schon nach diesem Signal gesucht?«

»Ich werde das technische Team fragen«, sagte Schrope.

»Braucht ihr meinen Flugroboter trotzdem?«, fragte Saul Regis, der wie gewohnt mit schleppender Stimme wie ein Schlafwandler sprach.

»Sobald du ihn vorbereitet hast«, sagte Bella. »Ich möchte, dass er auf die Frequenz und Stärke des Signals von der Erde eingestellt wird. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Dopplerverschiebung.«

»Selbstverständlich«, sagte Saul Regis lakonisch.

»Kein Problem?«

»Kein Problem. Ich kann den Flugroboter in einer Stunde draußen haben.«

»Dann mach es«, sagte Bella. »Danach wissen wir vielleicht schon mehr. Es gefällt mir nicht, so lange von allem abgeschnitten zu sein. Es macht mich nervös.« Sie wandte sich wieder Svetlana zu. »Es tut mir leid. Ich wäre gerne mit dir zu einer Einigung gekommen. Aber du hast deine Chance gehabt.«

»Du auch«, sagte Svetlana.

 

Bella sah zu, wie die drei Robotiktechniker ihre Vorbereitungen abschlossen. Jens Fletterick und Eva Hinks standen nebeneinander in der Frachtluftschleuse und verglichen die Anzeigen ihrer Flextops, die durch Datenkabel mit Ports im chromgelben röhrenförmigen Gehäuse des Roboters verbunden waren.

Saul Regis stand hinter ihnen und sagte nichts. Er beobachtete alles mit konzentriertem Blick und war zum Eingreifen bereit, falls er irgendwo einen Fehler bemerkte. Alle Anwesenden hatten die etwas unnatürliche Haltung von Menschen, die mit Haftsohlen an den Schuhen in der Schwerelosigkeit standen.

Das schrankgroße Ding als Roboter zu bezeichnen war etwas weit hergeholt, dachte Bella. Die Flugeinheit bestand hauptsächlich aus einem Treibstofftank, der einen kleinen Gyro-Raketenmotor mit nuklearer Unterstützung speiste. Bei einem Viertel Ge konnte der Flugroboter der Rockhopper sechs Stunden lang folgen, bevor er wieder aufgetankt werden musste. Doch dieses Problem hatte sich erledigt, da das Schiff den ersten Beobachtungspunkt erreicht hatte und sich im freien Fall befand, abgesehen von kleinen Korrekturmanövern, um eine konstante Entfernung zu Janus zu halten. Die Techniker hatten Bella versichert, dass sich der Flugroboter ein gutes Stück von der Rockhopper entfernen musste, bis die Funksignale eine realistische Entsprechung des Verbindungssignals mit der Erde erreichten. Und Bella wollte nicht, dass der Roboter bei möglichst geringem Treibstoffverbrauch im Schneckentempo auf die vorgesehene Position zuflog.

Regis wandte sich ihr zu. »Wir sind bereit. Es hat etwas länger als erwartet gedauert, weil wir neue Software installieren mussten, um die Zeitverzögerung am Ende der Schubphase zu berücksichtigen.«

Bella sah auf ihre Uhr. Nach ihrer Schätzung lag Regis immer noch eine Minute unter dem versprochenen Fertigstellungszeitraum. »Dir ist klar, dass du diese Maschine nicht zurückbekommst? Ich meine, wenn sie irgendetwas Wertvolles an Bord hat …«

»Wir haben alles ausgebaut, war für diese Mission nicht erforderlich ist«, sagte Regis und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine kleine Ansammlung von Prozessorplatinen, die auf Augenhöhe neben Hinks schwebten. »Und du willst die Aktion trotzdem durchführen, ja?«

»Mit dem Empfang ungerichteter Funksignale hatten wir keinen Erfolg«, sagte Bella.

»Bedeutet das nicht, dass das Problem doch auf unserer Seite liegen muss?«

»Nicht zwangsläufig. Die Empfangswahrscheinlichkeit war ohnehin minimal, und es kann sein, dass wir nicht ganz exakt in die richtige Richtung gehorcht haben oder dass die Funkfeuer ausgefallen sind oder sie sich jemand anderer unter den Nagel gerissen hat. Ich gebe zu, dass es in der Tat äußerst rätselhaft ist, aber aus genau diesem Grund müssen wir dieses Experiment durchführen.«

Fünf Minuten später hatten sie die Luftschleuse geräumt und die Atmosphäre abgepumpt, sodass die große Außentür zum Weltraum geöffnet werden konnte. Fletterick hatte sich auf der Fernsteuerungsliege in der Marionettenkabine angeschnallt und ließ den Flugroboter bereits mit Mikroschüben aus den chemischen Steuerdüsen von der Palette abheben. Flextops an den Wänden zeigten Kamerabilder des Roboters aus unterschiedlichen Winkeln, während er sich entlang der Längsachse um neunzig Grad drehte. Im Dröhnen der Pumpen hörte Bella, wie Fletterick »Stop« sagte.

Er klappte das Visier des Steuerhelms auf. »Alle Systeme okay. Die Astroorientierung läuft nicht, aber wir müssten mit dem Trägheitsgyro klarkommen.«

»Die Astroorientierung läuft nicht?«, fragte Bella verwundert.

»Hinks scheint die falsche Platine ausgebaut zu haben.«

»He, gib mir nicht die Schuld!«, protestierte sie. »Ich habe nur das ausgebaut, worauf wir uns geeinigt hatten.«

»Wir kommen ohne Astroorientierung zurecht«, sagte Bella. »Bringt das Ding einfach auf eine stabile Bahn und zündet dann das Haupttriebwerk.«

Fletterick schob sich das Visier übers Gesicht und tauchte wieder in die Telepräsenz des Roboters ein. »Start«, sagte er und gab dann eine Reihe von exakt formulierten verbalen Befehlen.

Die Kameras zeigten, wie der Roboter von der Rockhopper wegtrieb, bis er eine sichere Entfernung erreicht hatte und das Raketentriebwerk gezündet wurde. Dann stürzte er schnell mit einem Ge davon, als hätte man ihn auf der Erde von einem hohen Gebäude geworfen. Die Nuklearrakete würde neunzig Minuten lang brennen, bis der Treibstoff verbraucht war. Dann wäre der Flugroboter eine halbe Lichtsekunde vom Schiff entfernt, was mehr als eine Sekunde Zeitverzögerung für den Mann an der Fernbedienung bedeutete. Seine Endgeschwindigkeit würde dann relativ zu seiner derzeitigen Bewegung über fünfzig Kilometer pro Sekunde betragen.

Das klang sehr schnell, und für sich genommen war es das auch, aber die Rockhopper – und das außerirdische Gefährt, das sie verfolgte – bewegten sich achtzehnmal schneller. Wenn die Brennphase endete, würde der Flugroboter immer noch genauso wie beide Gefährte in den interstellaren Raum hinausrasen, nur ein wenig langsamer.

Immer noch mit Kurs auf Spica.

Bella kehrte zu ihrem Quartier in der Zentrifugensektion zurück und wartete auf Neuigkeiten. Sie beschäftigte sich mit ihren Fischen. Nach zehn Minuten erfuhr sie, dass die Verbindungsantenne der Rockhopper erfolgreich das Testsignal vom Flugroboter empfing. Nichts deutete auf irgendwelche Anomalien hin.

Die Erde aber schwieg immer noch.

Nach dreißig Minuten rief sie Belinda Pagis an. Die Frau wirkte erschöpft. »Es wird nur das bestätigt, was wir bereits wussten«, sagte sie. »Die Antenne funktioniert bestens. Das hat sich bei jedem Test gezeigt, den wir durchgeführt haben.«

»Aber man kann die Empfindlichkeit nicht an unserem Ende testen«, sagte Bella und zog einen Ausdruck des technischen Berichts hervor. »Nicht ohne etwas wie den Flugroboter.«

»Stimmt. Aber es gibt keinen Grund, von einem Problem mit der Empfindlichkeit auszugehen. Das Verbindungssignal müsste sich deutlich von unserem Hintergrundrauschen absetzen.«

»Dann muss von irgendwo zusätzliches Rauschen kommen.« Bella starrte den Bericht an, der vor ihren Augen abwechselnd scharf und unscharf wurde, wie ein Fisch unter Wasser. »Habt ihr euch das Kühlsystem der Vorverstärkereinheit angesehen?«

»Ja«, sagte Pagis mit einem schweren Seufzer. »Das war sogar so ziemlich das Erste, was wir überprüft haben.«

»Tut mir leid, ich wollte nur helfen.«

»Der Vorschlag ist durchaus hilfreich«, sagte Pagis mit einer Spur von Reue. »Es ist nur so, dass wir schon längst alle offensichtlichen Möglichkeiten durchgegangen sind.«

»Versucht es weiter. In einer halben Stunde werden wir wenigstens wissen, ob das Problem etwas mit der Empfindlichkeit zu tun hat. Und das wäre doch sehr hilfreich, nicht wahr?«

»Ich vermute es«, sagte Pagis ohne große Begeisterung.

Bella ließ sie weitermachen. Die nächsten dreißig Minuten schleppten sich dahin. Durch die regelmäßigen Ansagen, dass die Sonde und das Schiff immer noch Kontakt hatten, schien die Zeit noch langsamer zu vergehen. Doch das Signal wurde allmählich schwächer. Das Nachlassen der Signalstärke verlief genau wie vorhergesagt, ohne dass es zu einem Verlust der Empfangseffizienz kam, die auf einen Fehler in der Antenne hingedeutet hätte.

Bella rief sich ins Gedächtnis, dass sie trotz allem ein Schiff zu führen hatte und dass Janus weiterhin auf die Erkundung wartete. In ihrem Posteingang lagen ein Dutzend Nachrichten von Nick Thale, die sie schnell überflog. Sie enthielten die Zusammenfassung der neuesten Ergebnisse der Fernbeobachtung. Im Gegensatz zum Antennenproblem funktionierte Nicks Ausrüstung völlig normal. In der jüngsten Nachricht bat Thale um Bellas offizielle Erlaubnis, einen Flugroboter zu starten, der auf einem pseudoorbitalen Kurs zur anderen Seite von Janus flog, zum »Bug«, den sie bislang noch nicht zu Gesicht bekommen hatten.

Bella erteilte die Erlaubnis ohne Zögern. Die technischen Aspekte dieser Mission waren längst abgesprochen. Der Flugroboter würde Janus nicht näher kommen als die Rockhopper. Also gingen sie damit kein zusätzliches Risiko ein.

Als noch fünf Minuten fehlten, bis Flettericks Flugroboter die Maximalgeschwindigkeit erreicht hätte, beschloss Bella, dass sie nicht mehr untätig abwarten wollte. Sie rief erneut Pagis an und bat sie, sich mit ihr an der Marionettenkabine zu treffen. Jens Fletterick lag immer noch auf der Liege und bewegte sich kaum. Nur gelegentlich flüsterte er der Maschine einen obskuren Befehl zu. Die Zeitverzögerung machte sich bereits erheblich bemerkbar.

»Ich habe hier etwas Seltsames«, sagte Hinks und zeigte ihr einen Plastikbeutel, in dem sie die ausgebauten Prozessorplatinen des Flugroboters gesammelt hatte. »Die Sache mit der Astroorientierung, die Jens mir in die Schuhe schieben wollte.«

Bella blinzelte und erinnerte sich an das Gespräch. »Ja?«, sagte sie mit einer unguten Vorahnung.

»Wir haben ein ähnliches Problem mit dem Flugroboter, den Nick Thale soeben gestartet hat. Aber ich bin überhaupt nicht in die Nähe des Astroorientierungssystems seiner Maschine gekommen.«

»Das ergibt keinen Sinn.«

Hinks nickte. »Wie so vieles.«

»Warte«, sagte Bella. »Das müssen wir klären. Ein ausgefallenes System kann ich noch verstehen, aber in zwei völlig unabhängigen Maschinen?«

Hinks sah Bella an, als würde ihr etwas dämmern. »Du glaubst, die zwei Fälle könnten irgendwie zusammenhängen?«

»Ich weiß nicht, was ich …« Doch dann hielt Bella inne, als sie sah, wie Jens Fletterick das Visier hochklappte.

»Der Flugroboter hat die Endgeschwindigkeit erreicht«, sagte er. »Alle Systeme funktionieren normal, einschließlich der Verbindungsantenne.«

Bella forderte Pagis mit einem stummen Blick zu einer Bestätigung auf. Pagis hatte sich einen Flextop auf den Unterarm gelegt und hantierte hektisch mit den Diagrammen, die in Primärfarben dargestellt waren. »Wir empfangen ihn immer noch«, sagte sie. »Und das Signal kommt genau aus der Richtung, aus der es kommen sollte. Der Dopplereffekt ist schwächer geworden, seit die Maschine nicht mehr beschleunigt.«

»Und es entspricht genau der Stärke des Signals von der Erde, wenn sie senden würde?«, fragte Bella.

»Innerhalb einer Toleranz von wenigen Prozent Abweichung zum durchschnittlichen Modulationswert.«

»Dann muss alles mit unseren Systemen in Ordnung sein«, sagte Bella.

Pagis nickte matt. »Wir werden weiter Daten sammeln, während sich der Flugroboter mit der nun erreichten Geschwindigkeit von uns entfernt, aber ich glaube nicht, dass wir dadurch etwas erfahren, was wir nicht bereits wissen.«

»Behaltet ihn trotzdem im Auge.«

»Liegt es an mir«, sagte Hinks, »oder wird die Sache allmählich völlig rätselhaft?«

»Es liegt nicht an dir«, sagte Bella.