DIE JUDEN UNTER DEN RÖMERN
Cäsars Verbündeter und späterer Rivale Pompejus hatte im Auftrag des Senats im Jahre 67 v. Chr. innerhalb weniger Monate in einer militärischen Polizeiaktion das Seeräuberunwesen im östlichen Mittelmeer beseitigt. Seither gehörten Kleinasien und Syrien zum Römischen Reich. Pompejus setzte 65 v. Chr. den letzten Seleukidenherrscher ab und eroberte 63 v. Chr. Jerusalem. Damit war auch Palästina ins Römische Reich eingegliedert. Wie in anderen Provinzen Roms amtierten in Judäa römische Statthalter (Präfekten).
37–4 v. Chr.
HERODES 37 v. Chr. wurde Herodes der Große von den Römern als König in ganz Palästina (Judäa, Galiläa, Samaria) eingesetzt: Er rottete die Hasmonäer aus, die den erfolgreichen Makkabäer-Aufstand angeführt hatten, und schaffte mit römischer Militärhilfe ein verhältnismäßig selbstständiges Staatsgebilde. Der römische Präfekt erweiterte den Tempel von Jerusalem so beträchtlich, dass dieser auch Tempel des Herodes genannt wird. Unter seiner Herrschaft erlebte Judäa eine glanzvolle Blüte mit dementsprechenden Dekadenzerscheinungen. Dieser Herodes der Große war ein skrupelloser Gewaltherrscher, von Juden wie später von den Christen gleichermaßen verabscheut. Aber der angebliche Kindermord im Neuen Testament ist nur im Matthäus-Evangelium erwähnt, sonst nicht historisch verbürgt.
DIE WEISEN AUS DEM MORGENLAND Die Weisen suchten nach dem Bericht des Evangeliums zunächst in Jerusalem nach dem »neugeborenen König der Juden«, denn sie hatten eine ungewöhnliche Himmelserscheinung beobachtet. Ob es sich dabei um den Halleyschen Kometen (12/11 v. Chr.) oder einen in chinesischen Chroniken für das Jahr 5/4 v. Chr. verzeichneten Kometen oder eine Nova oder um die dreimalige enge Jupiter/Saturn-Konstellation des Jahres 7/6 v. Chr. handelte, wird man kaum mehr exakt ermitteln können.
Die orientalischen Gelehrten waren jedenfalls seit Jahrtausenden daran gewöhnt, das Geschick der Welt aus den Sternen zu lesen. In Jerusalem erfuhren sie nun allerdings, dass man dort solche Dinge der prophetischen Überlieferung entnahm: Die heiligen Männer verkündeten bei den Juden die Worte und den Willen des Gottes. Im Beisein des Herodes verwiesen die jüdischen Schriftgelehrten ihre morgenländischen Kollegen daher nach Bethlehem. In der Stadt Davids erwartete man nach der prophetischen Überlieferung die Ankunft des Messias.
JESUS VON NAZARETH Jesus von Nazareth hatte, offenbar als erwachsener, ungefähr dreißigjähriger Mann, ein religiöses Erweckungserlebnis im Umfeld eines möglicherweise entfernt verwandten, etwa gleichaltrigen Wanderpredigers Johannes. Dieser war ein asketischer Reinheitsapostel, der eremitenhaft in der Wildnis am Ufer des Jordan lebte, zu Umkehr und Buße aufrief, um die Menschen angesichts der bedrückenden, zerrütteten sozialen und spirituellen Situation ihrer Zeit zu wahrer Gläubigkeit und Frömmigkeit aufzurütteln. Ein Mann wie Johannes stand in der langen jüdischen Tradition der Propheten. Viele fühlten angesichts der hanebüchenen Zustände, unter denen sie lebten, das Ende der Welt nahen, eine Idee, die von gewissen Glaubensvorstellungen des Judentums genährt wurde: Ein Retter und Erlöser würde als Gesalbter Gottes (hebräisch: messias) die vergangene Pracht und Herrlichkeit wiederherstellen. Die Salbung war der zentrale Bestandteil der jüdischen Königsweihe. Das Reich jenes Königs stellte man sich zunächst auch ganz irdisch vor; es verflüchtigte sich aber – erst recht nach der Niederwerfung des Jüdischen Aufstandes durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. – zunehmend ins Jenseits.
Jesus blieb nicht wie Johannes als Eremit in der Wüste, sondern trug seine Ideen von der Glaubensreinheit unter die Menschen in den Dörfern und Stadtgemeinden.
Einige dünne historische Andeutungen belegen in der Tat, dass Jesus, von der jüdischen Priesterschaft als Sektierer, von den Römern als hochverräterischer Aufwiegler angesehen, um das Jahr 30 n. Chr. mit der demütigenden, immer als Abschreckung gedachten römischen Folterstrafe der Kreuzigung hingerichtet wurde. Von der Hinrichtung des Jesus von Nazareth in dieser ausgesprochenen Unruheprovinz berichten außer dem Lukas-Evangelium auch Tacitus und Josephus Flavius. Pontius Pilatus war der fünfte Statthalter Roms in Judäa. Er amtierte unter Kaiser Tiberius 26 bis 36 n. Chr. Wenn es so war, handelte es sich zunächst um ein rein lokales Ereignis, von dem die Welt damals weiter keine Notiz nahm. Die Evangelien bezeugen nicht das Leben, umso mehr aber das Nachleben Jesu. Eine Biografie Jesu hätte kaum die christliche Religion begründet.
… SEIT CHRISTI GEBURT »Jetzt ist die letzte Zeit gekommen, es beginnt von Neuem der Zeiten geordnete Folge. Jetzt kehrt wieder die Jungfrau. Jetzt steigt nieder ein neues Geschlecht aus himmlischen Höhen. Blick auf des Knaben Geburt, welcher der Welt den Anfang der goldenen Zeit bringt, den Frieden.« Was hier ziemlich weihnachtlich tönt, stammt aus der Feder des römischen Staatsdichters Vergil aus dem Jahr 40 vor (!) Christus. Ein anderer römischer Poet dichtete: »Ihr meine Völker freuet euch! Ein goldenes Zeitalter mit Frieden wird wieder geboren. Seht ihr, wie hell schon der Himmel erstrahlet, ein Komet in sanftem Lichte leuchtend sich zeiget? … Ein Gott gab zu singen uns diese Verse. Sie wollen wir künden, auf der Hirtenflöte sie spielen.« Das stammt ungefähr aus dem Jahr 50 nach Christus, und dieser bukolische Hymnus verherrlichte Kaiser Nero.
Beide Gedichtzitate, die in ihren literarischen Zutaten an die Weihnachtslegende des Lukas-Evangeliums erinnern, spiegeln etwas von der Friedenssehnsucht jener Epoche wider, nicht nur im unruhigen Palästina, sondern generell im Römischen Reich. Umgekehrt bedienten sich die Evangelisten, gerade auch Lukas, solcher konventioneller literarischer Versatzstücke, um ihre »Frohe Botschaft« unter das Volk zu bringen.
Die Auffassung von einer neuen »christlichen Ära« wird erst im Mittelalter bei Männern wie dem Friesen-Apostel Willibrord und dem Gelehrten Beda Venerabilis (in seiner Kirchengeschichte) fassbar, die Zeitgenossen von Karl Martell, dem Großvater Karls des Großen, am Ende des 7. Jahrhunderts waren. Der römische Mönch Dionysos Exigius soll den Begriff der »christlichen Ära« auf seiner Ostertafel 532 erstmals in einem kalendarischen Sinne angewandt haben. Diese Gelehrten des frühen Mittelalters sehen in Christus den Weltenherrscher, dessen Herrschaft über die Menschheit im Jahr seiner Geburt begann und bis zum Jüngsten Tag dauern soll. Erst seit dieser Zeit bildete sich ein Begriff von christlicher Zeitrechnung seit der Geburt Jesu.