ENTDECKER UND SEEFAHRER
Die europäische Hochseeschifffahrt, die zum Zeitalter der Entdeckungen führte, ist nicht denkbar ohne die technische Entwicklung eines neuen Schiffstyps, der Karavelle. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung durch den großen Administrator der portugiesischen Seefahrt, Prinz Heinrich der Seefahrer (1394–1460). Portugal wurde zur führenden Seefahrtnation der europäischen Renaissance.
1341
WIEDERENTDECKUNG DER KANAREN Seit der Antike waren die Kanarischen Inseln aus dem Horizont der Europäer verschwunden, 1341 wurden sie wiederentdeckt. Das ist der Beginn des Zeitalters der Entdeckungen. 1419 und 1427 wurden die bereits den Phöniziern bekannten Inseln Madeira und die Azoren wiederentdeckt. Seit 1415 unternahmen die Portugiesen auf Heinrichs Initiative systematische Entdeckungsfahrten entlang der afrikanischen Küste. Sie befuhren den Senegal- und Gambia-Fluss und entdeckten 1456 die Kapverden.
SINDBAD DER SEEFAHRER Anfang des 15. Jahrhunderts ließ der Ming-Kaiser Yongle große Flotten ausrüsten, die unter Admiral Cheng Ho (1371–1433), einem zwei Meter großen Eunuchen des kaiserlichen Hofes, erstmals über das Südchinesische Meer hinaus in den Indischen Ozean fuhren. Die erste von Cheng Hos sieben Expeditionsreisen stach 1405 mit 62 Schiffen und 28000 Mann Besatzung in See. Man vermutet, dass Cheng Ho muslimischer Herkunft war, er könnte das Vorbild für den legendären Sindbad aus den Märchen aus Tausendundeiner Nacht sein. Seine Schiffe waren beladen mit Seide, Porzellan und anderem kostbaren Handelsgut. Die Flotte gelangte nach Indien, Arabien und bis an die Ostküste Afrikas.
China hatte bislang so gut wie nie Kontakt nach außen gehabt. Das Reich der Mitte hielt sich in der Tat für den Mittelpunkt der Welt. Cheng Hos Expedition erregte denn auch bald den Argwohn konservativer Hofkreise. Die Kosten der allein »staatlich« finanzierten Flotte erschienen zu hoch, die »Erträge« mager. Der Überseehandel und die Expeditionen wurden schnell wieder eingestellt, der kühne Vorstoß des chinesischen Admirals blieb eine Episode. 1551 wurden in China aufgrund kaiserlicher Verfügung alle Dschunken mit mehr als drei Masten zerstört – der Beginn einer erneuten außenpolitischen Isolierung des Reiches.
1471
GOLDKÜSTE Das Gold für die noch bis ins 19. Jahrhundert im Umlauf befindliche wichtigste Goldmünze Englands, die »Guinea«, stammt von der afrikanischen Westküste (aus Guinea). Hier errichteten die Portugiesen 1471 eine starke Festung – die erste der Europäer in Afrika. Die Portugiesen strebten danach, den westafrikanischen Goldhandel zu kontrollieren. Dies war der erste moderne koloniale Griff eines europäischen Landes nach einem anderen Kontinent. Durch päpstliche Bullen hatte sich Portugal bereits um 1450 das Monopol auf diesen Handel – nebst dem Sklavenhandel – sichern lassen. Die Engländer prägten ihre Münzen aus Guinea-Gold seit 1663.
1487/1488
KAP DER GUTEN HOFFNUNG Die Südspitze Afrikas wurde von dem portugiesischen Seefahrer Bartolomeu Diaz 1488 umrundet. Auf dem Weg nach Indien zwang ihn eine Meuterei vor der ostafrikanischen Küste zur Umkehr. Da entdeckte er die südwestlichste Spitze Afrikas und nannte sie Cabo das Tormentas (Sturmkap). Der außenpolitisch ebenfalls sehr an der »Entdeckungspolitik« interessierte portugiesische König Johann II. gab ihr nach Diaz’ Rückkehr den Namen Kap der Guten Hoffnung (Cabo de Boa Esperança). Die Hoffnung war darauf gerichtet, bald auf dem Seeweg um Afrika herum Indien zu erreichen.
1450–1506
KOLUMBUS Die Geschäftsidee, auf »direktem« Weg ohne Umschiffung Afrikas nach Indien zu gelangen, hatte Christoph Kolumbus (1450–1506) dem portugiesischen König Johann II. zweimal vorgetragen, 1484 und 1488. Jedes Mal war er abschlägig beschieden worden. Dass die Erde rund war, darüber herrschte längst Einigkeit. Umstritten war die Ausdehnung der Erde, die Größe der Kugel. Kolumbus ging – fälschlicherweise – von einer kleineren Kugel aus und berechnete die Fahrtdauer auf zehn bis zwölf Tage. Die portugiesischen Geografen, die ihren König berieten, gingen – richtigerweise – von einer viel größeren Erdkugel aus und erklärten das Vorhaben für undurchführbar. Johann II. setzte auf Diaz und die Afrika-Route. Es war eine Ironie der Geschichte, dass die Portugiesen nicht an das Kolumbus-Projekt glaubten und der Ruhm und Reichtum der Neuen Welt hauptsächlich den Spaniern zufiel.
Zu der Zeit, als der Genueser Kolumbus am portugiesischen Hof antichambrierte, arbeitete er in Lissabon als Kartenzeichner und hatte bereits 1482/1483 als Kapitän auf portugiesischen Afrika-Schiffen nautische Erfahrungen sammeln können. Aber auch von den spanischen Majestäten Isabella I. und Ferdinand II., bei denen er ebenfalls mehrmals vorsprach (1486, 1491), konnte er sich nicht die gewünschte Unterstützung sichern. Trotz lebhaften Interesses vertröstete man ihn auf die Zeit nach der Eroberung von Granada.
Die Hartnäckigkeit, mit der Kolumbus seine atlantische Indienfahrt betrieb, ist charakteristisch für ihn. Auch alle Schwierigkeiten der Seefahrt hat er so gemeistert: die Meutereien, die Probleme mit den havarierten Schiffen, das Navigieren in den unbekannten Gewässern der Karibik. Angesichts der epochalen Bedeutung seiner Ersttat, die erst später erkannt wurde, wird oft vergessen, dass er auf seinen weiteren drei Reisen praktisch auch die ganze übrige Karibik und Mittelamerika entdeckt (und erstmals kartografiert) hat. Seine größte Fähigkeit und Leistung ist die eines Navigators, und die eigentliche nautische Leistung von Kolumbus bestand in der sicheren Rückkehr nach Spanien. Wäre ihm das nicht gelungen, wäre ein verschollener Kolumbus sicher nur eine Fußnote der Geschichte.
In seinem ersten Vertrag mit der spanischen Krone ließ er sich klingende Titel garantieren: »Admiral des Weltmeers«, »Vizekönig« und den Löwenanteil an den erhofften Einkünften. Kolumbus hatte wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Als junger Kapitän hatte er in Westafrika gesehen, wie bereitwillig die dortigen Eingeborenen ihre wertvollsten Güter, auch Gold, buchstäblich gegen billige Glasperlen eintauschten, die man extra zu diesem Zweck mitgenommen hatte. So stellte er sich auch Indien vor. Die westindische Wirklichkeit, das Desaster des Scheiterns der ersten Kolonie La Isabela, das Töten und Versklaven sowie der wirtschaftliche Misserfolg sahen anders aus.
12. Oktober 1492
ENTDECKUNG AMERIKAS Abfahrt war am 3. August 1492 von Palos an der spanischen Atlantikküste mit drei Schiffen. Nach drei Tagen musste wegen Ruderbruchs der Pinta ein einmonatiger Reparaturaufenthalt auf den Kanaren in Kauf genommen werden. Die Weiterfahrt begann am 6. September. Von da an waren die Schiffe 33 Tage unterwegs – statt der von Kolumbus vorausgesagten zehn bis zwölf. Unterwegs hatte er mit Rebellion und Abweichung der Kompassnadel am Äquator zu kämpfen.
Dann kam Land in Sicht, und am 12. Oktober war die Ankunft auf einer Bahamas-Insel, von den Einheimischen Guanahani, von Kolumbus San Salvador genannt.
Bei der Weiterfahrt wurden Kuba und Hispaniola (heute Dominikanische Republik und Haiti) entdeckt, bald die Hauptorte der ersten spanischen Besiedlung. Die Santa Maria strandete am 25. Dezember in Hispaniola. Die Rückfahrt mit Niña und Pinta begann am 16. Januar 1493, teilweise in fürchterlichen Atlantikstürmen. Ankunft in Palos war am 15. März. Kolumbus zog im Triumphzug durch Spanien nach Barcelona zum Königspaar. Er erhielt die Bestätigung seiner Privilegien und den Auftrag für eine zweite Reise noch im gleichen Jahr (1493–1496). Die zweite Flotte bestand aus 17 Schiffen und 1500 Mann – Seeleute, Soldaten, Siedler und natürlich Missionare. Auf dieser Fahrt das Ziel ohne besondere Probleme wiederzufinden, zeugt von Kolumbus’ nautischem Können. 1496 wurde an der Südküste der Insel Hispaniola die erste europäische Siedlung in Amerika mit Namen La Isabela begründet, 1498 umbenannt in Santo Domingo.
1492
NEUE WELT Ganz zu Anfang, als man wirklich noch glaubte, in Indien gelandet zu sein, sprach man von Las Indias, dann von Nuovo Mondo. Immerhin haben die Ureinwohner davon bis heute ihre Bezeichnung »Indianer« beziehungsweise »Indios«. Der erste schriftliche Beleg für »Neue Welt« findet sich in dem Wappen, das König Ferdinand II. von Kastilien und Leon dem von seiner ersten Entdeckungsfahrt soeben heimgekehrten Kolumbus in Barcelona verlieh. Das Motto lautet: Por Castilla y por Leon / Nuebo mundo alló Colon (»Für Kastilien und Leon fand Kolumbus eine neue Welt«). Spanien erreichte umgehend die Anerkennung seiner Ansprüche durch Papst Alexander VI. Borgia, der im Jahr darauf auch die Teilung der Welt zwischen Spaniern und Portugiesen im Vertrag von Tordesillas vornahm. Spanier und Portugiesen einigten sich 1494 in Tordesillas auf eine Demarkationslinie 370 spanische Meilen (ca. 1170 Kilometer) westlich der Kapverden, die der Papst denn auch auf einer Karte mit einem Federstrich eintrug. Es war der erste derartige Federstrich auf einer Landkarte, der Welten teilte. Die Einigung besagte: Alle Gebiete östlich der Linie sind portugiesischer Einflussbereich, die Gebiete westlich davon stehen den Spaniern zu. Weil die Linie durch das damals noch unentdeckte Brasilien ging, fiel dieser Teil des südamerikanischen Kontinents an Portugal, alles andere wurde spanisch. Auch Nordamerika war jahrhundertelang spanischer Besitz.
1498
DER SEEWEG NACH INDIEN Vasco da Gama segelte wie Kolumbus ebenfalls mit drei Schiffen Anfang Juli 1497 von Lissabon ab. An Bord befanden sich die erfahrensten portugiesischen Seeleute in den afrikanisch-atlantischen Gewässern. Die kleine Flotte erreichte im April 1498 Mombasa, den damals arabisch dominierten Hafen am Indischen Ozean im heutigen Kenia. Die Araber waren alles andere als begeistert. Aber der Sultan der benachbarten Mombasa-Konkurrentin Malindi stellte da Gama einen Lotsen für die Überquerung des Indischen Ozeans zur Verfügung. Am 20. Mai 1498 landete der Portugiese nahe Kalikut im heutigen südindischen Bundesstaat Kerala. Kalikut war längst ein Hauptzentrum des chinesisch-indisch-arabischen Handels und eine kosmopolitische Metropole an der Malabarküste, der Pfefferküste, geworden.
Da Gama belud seine Schiffe mit Pfeffer, Zimt, Ingwer, Tamarinde, Teak- und Sandelholz. Im Herbst 1499 wurde ihm in Lissabon ein triumphaler Empfang bereitet. Ab 1502 durfte er sich »Admiral des Indischen Meeres« nennen. Eine zweite Reise Da Gamas nach Indien mit 21 schwer bewaffneten Schiffen folgte in diesem Jahr. Die Portugiesen brachen den Widerstand der Araber und lokaler indischer Fürsten, bauten ein Fort und sicherten sich über 100 Jahre lang das Monopol auf den Gewürzhandel und die Seemacht in diesem Bereich. Die Kenntnis des Seewegs nach Indien war sorgsam gehütetes Know-how der Portugiesen. Erst die Niederländer brachen mit militärischen Mitteln das Wissens- und Handelsmonopol.
Was danach geschah: Es schien nicht nur so: Die Portugiesen hatten den Wettlauf nach Indien doch gewonnen. Allerdings konnte man in diesen Jahren um 1500 noch nicht ermessen, was Kolumbus gewonnen hatte. Im Jahr 1500 entdeckte die zweite portugiesische Indienflotte unter dem Kommando von Pedro Àlvares Cabral Brasilien. Cabral hielt das Land zuerst für eine Insel. Auf der Weiterfahrt durch den Südatlantik gingen einige Karavellen im Südatlantik im Sturm unter. Dabei starb auch der Entdecker des Kaps der Guten Hoffnung, Bartolomeu Diaz. 1502 bis 1504 fuhr Kolumbus zum vierten und letzten Mal nach »Indien«.
1507
AMERIKA Die Waldseemüller-Karte von 1507 zeigt erstmals Umrisse des amerikanischen Kontinents – soweit damals bekannt. Es handelt sich um Küstenlinien Mittelamerikas und Südamerikas und einen ziemlich stumpfen Stummel von Florida. Der Florentiner Amerigo Vespucci, der sich in der damals üblichen Gelehrtensprache Latein Americus nannte, hatte von 1499 bis 1502 an mehreren Erkundungsreisen in das von Kolumbus entdeckte Seegebiet teilgenommen und erkannt, dass es sich bei den karibischen Inseln und dem umgebenden Festland am Golf von Mexiko um einen ganzen bisher unbekannten Kontinent handelt. Deshalb trugen Matthias Ringmann und Martin Waldseemüller 1507 in Lothringen Americus’ Namen auf der berühmten »Waldseemüller-Karte« ein. Sie gilt als die Taufurkunde Amerikas.
KANADA Nicht in die Karibik, sondern über den Nordatlantik fuhr der erste französische Amerika-Entdecker Jacques Cartier (1491–1557). Er reiste mit zwei Schiffen auf Anweisung von König Franz I. und erkundete 1534 bis 1536 den St.-Lorenz-Strom. Dort traf er auf Irokesen, die ihn in ihr canada führten. In der Irokesen-Sprache ist damit ihr Dorf, ihre Siedlung gemeint. Cartier übertrug das Wort auf das gesamte Gebiet nördlich des St. Lorenz, und unter dieser Bezeichnung taucht es in der folgenden Zeit großflächig auf Landkarten auf.
Was danach geschah: Die Entdeckung Amerikas war für alle Beteiligten auf beiden Seiten des Atlantiks ein umwälzendes Ereignis. Den Europäern brachte sie eine radikale Veränderung ihres geografischen Weltbildes. Aber nicht nur die Weltkarten wurden neu gezeichnet. Die Europäer wandten sich von nun an verstärkt allen »realen« Dingen dieser Welt zu. Das schlagartig einsetzende koloniale Zeitalter ist zugleich das erste wirklich globale Zeitalter. Die Verkehrsverdichtung auf den Seehandelsstraßen hatte eine ganz andere Qualität als auf der Seidenstraße oder sonstigen Handelswegen in Afrika, Asien und Europa. Weltweit wanderten wieder einmal ganze Völker – oder jedenfalls Bevölkerungsgruppen: zuerst die Sklaven aus Afrika, dann Auswanderer aus Europa auf alle Kontinente. Die Entdeckung Amerikas hatte aber auch aus amerikanisch-indianischer Sicht epochale Folgen: Ihre Kulturen und einige ihrer blühendsten Reiche wurden binnen kürzester Frist ausgelöscht. Der Sturm, der über sie hinwegfegte, war viel kürzer und sicherlich um ein Vielfaches heftiger als die germanische Völkerwanderung in der Spätantike und lässt sich wohl nur mit der eisenzeitlichen Wanderung um 1200 v. Chr. vergleichen, die Kulturen wie die Minoer, Mykener und Hethiter ebenfalls auslöschte und die altorientalischen Reiche der Ägypter und Altbabylonier in den Grundfesten erschütterte.