RENAISSANCE IN ITALIEN

Durch die Medici und andere Gönner, Förderer und Sponsoren, die den Kultur- und Kunstbetrieb in Florenz und anderen italienischen Städten teils aus persönlichem Interesse, teils aus Prestigegründen förderten, wurde die Toskana ein einzigartiger Hotspot der »Renaissance«, des zivilisatorischen Fortschritts, der das europäische wirtschaftlich frei handelnde und selbstbestimmte Individuum hervorbrachte. Cosimo de Medici stiftete das Kloster San Marco und die Biblioteca Laurenziana in Florenz und gab den Palazzo Medici in Auftrag, förderte Brunelleschi, Donatello, Fra Angelico und den einflussreichen »neuplatonischen« Philosophen Marsilio Ficino. Cosimos Sohn Piero war von 1464 bis 1469 praktisch Alleinherrscher von Florenz. Dessen Sohn Lorenzo, genannt il Magnifico (»der Prächtige«), holte den jungen Michelangelo nach Florenz und machte Botticelli zu seinem »Hofmaler«.

1393/1397

MEDICI-BANK    Eigentlich waren um 1300 die großen Marktanteile in der Finanzbranche in Europa bereits vergeben. Bankhäuser in Siena oder die florentinischen Bardi besaßen Filialen zum Beispiel in Brügge. Newcomer hatten wenig Chancen.

Nach 1345 kam es zum Zusammenbruch zahlreicher älterer Bankhäuser, weil der englische König Edward III. hohe Schulden aus dem Hundertjährigen Krieg nicht beglich – praktisch ein englischer Staatsbankrott. Die Medici waren durch Tuchfabrikation und Grundbesitz wohlhabend. In die Finanzbranche stiegen sie kurz vor 1400 ein. Durch persönliche Beziehungen wurde die Medici-Bank mitten in den letzten Wirren des Abendländischen Schismas 1413 Bankhaus des Papstes. Unter Cosimo de Medici (1389–1464) war seine Bank um 1450 das führende Geldhaus in Florenz. Durch die Vergabe von Krediten förderte Cosimo seine Freunde und ruinierte seine Feinde. Denn er spielte auch in der Regierung der Stadtrepublik eine führende Rolle. Das alles endete abrupt 1490 im Ruin, weil sich die Medici mit den Kreditvergaben übernommen hatten. 1494 folgte ihre Vertreibung aus Florenz durch den politisch einflussreichen Bußprediger Savonarola.

1439

KONZIL VON FLORENZ    Nach der Beilegung des Abendländischen Schismas in Konstanz mit der Wahl des von allen Seiten anerkannten Papstes Martin V. wäre es beinahe auch zur Beilegung des Morgenländischen Schismas mit Byzanz gekommen. Nach Konstanz kam es zu einem Geplänkel von Konzilien und Gegenkonzilien in Basel, Lausanne, Ferrara und Florenz. Das Konzil in Florenz nahm eine unerwartete Wendung, als dort 1439 der byzantinische Kaiser Johannes VIII. angesichts der unmittelbar bevorstehenden Eroberung von Konstantinopel in höchster Not die Unterordnung der orthodoxen Kirche unter den Primat von Rom und damit das Ende des Schismas anbot. Darüber wurde zwar in den Verhandlungen Einigkeit erzielt, aber die orthodoxen Bischöfe erkannten das nicht an. Sie konnten die Schmach der Eroberung und Schändung durch die »fränkischen« Kreuzritter im Vierten Kreuzzug nicht verwinden. Die Kirchenunion kam nicht zustande.

Viel wesentlicher für die Renaissance-Geschichte aber war die beflügelnde Wirkung dieses »Staatsbesuchs«, weil im Gefolge von Kaiser Johannes viele griechische Gelehrte anwesend waren.

ca. 1440

RENAISSANCE    Die Attraktion dieser griechischen Delegation muss der rund achtzigjährige Philosoph und Kaiserberater Georgios Gemistos gewesen sein, bekannt unter dem Namen Plethon (ca. 1360–1452). Plethon hielt nicht viel von Christentum oder Islam, sondern trat mit der Erläuterung zu chaldäischen Orakeln auf und propagierte ein ethisches Neuheidentum und einen neuen Platonismus. Damit elektrisierte er die Zuhörer, darunter Cosimo de Medici und Marsilio Ficino. Sein Auftritt führte zur Gründung der platonischen Akademie in Florenz.

Weniger spektakulär, aber fast noch nachhaltiger wirkte der Erwerb von 238 griechischen Kodizes durch den Süditaliener Giovanni Aurispa (1376–1459). Dieser hatte seit 1421 zwei Jahre lang in Konstantinopel beste Kontakte zum Kaiserhof geknüpft. Er brachte griechische Texte mit, Abschriften der Ilias und der Odyssee, von Thukydides, Herodot, Aristoteles und Platon. Das waren die Anfänge der griechischen Antikenbeschäftigung in Italien. Nach dem Fall von Konstantinopel verstärkte sich diese Tendenz kolossal, weil viele Gelehrte vor den Türken aus Konstantinopel nach Italien flohen und ihr Wissen und ihre Bücher mitbrachten. Der Besuch der griechischen Delegation traf den Nerv der Zeit, denn schon Petrarca und Boccaccio suchten systematisch nach antiken Manuskripten und lasen diese Autoren auf der Suche nach alternativen Denk- und Lebensformen im Kontrast zur spätmittelalterlich erstarrten geistigen und künstlerischen Welt, in der sie lebten. Das – unter anderem – bedeutete »Renaissance« (»Wiedergeburt«) der Antike.

RENAISSANCE-KUNST    Ein weiterer wichtiger Anstoß war die Wiederauffindung der Zehn Bücher über die Architektur des römischen Architekten Vitruv (1. Jahrhundert n. Chr.) im Jahr 1414. Es ist das einzige erhaltene architekturtheoretische Werk der Antike und wurde zur »Bibel« von Generationen von Architekten – bis in die Gegenwart.

Filippo Brunelleschi (1377–1446) – Erfinder der Renaissancearchitektur, Erbauer der Domkuppel von Florenz und der Pazzi-Kapelle – vermaß römische Ruinen, um Erkenntnisse über antike Bauweisen und Bautechniken zu gewinnen. Mit seiner ingenieurhaften Vorgehensweise gilt er auch als Erfinder der Zentralperspektive, die ja mathematisch konstruiert werden muss. Der Maler Masaccio (1401–1428) übertrug diese Erfindung auf die Malerei. Der Höhepunkt der Antikenbegeisterung war 1506 erreicht, als man in Weinbergen auf dem Esquilin, nahe den Ruinen des Sommerpalastes des Kaisers Nero, eine Skulpturengruppe dreier ineinander verschlungener, von Schlangen umwundener Gestalten fand, die bis dahin nur aus der Literatur bekannt war. Papst Julius II. schickte Michelangelo und den Architekten Sangallo los, die bestätigten: »Das ist der Laokoon, den Plinius erwähnt.« Der antike Schriftsteller Plinius, der 79 beim Ausbruch des Vesuvs umgekommen war, erwähnte das Kunstwerk in seiner Naturalis historia. Es stammt aus ähnlichen Werkstätten wie der Pergamonaltar in Berlin. Irgendein spätantiker Kunstkenner muss die Marmorgruppe in der Völkerwanderungszeit zum Schutz vor anrückenden Barbarenhorden in den gruftähnlichen Raum gebracht haben, wo sie bis zu ihrer Wiederentdeckung die Zeiten überdauerte. Sangallo erkannte das Kunstwerk, das er natürlich nie gesehen hatte, sofort nach der Beschreibung des Plinius. So war die Bildung in der Renaissance.

NEPOTISMUS    Bereits während ihrer »Babylonischen Gefangenschaft« in Avignon (1306–1367) pflegten die Päpste eine Hofhaltung, die viel Geld verschlang. Die »Finanzierungsmittel«: Ablass, Ämterverkauf, Nepotismus.

Nach der Rückkehr nach Rom wurde der Nepotismus, die »Neffen-« oder Vetternwirtschaft, geradezu zu einer Institution. Zu den »Nepoten« (lat. nepos = Neffe) zählten mitunter auch die unehelichen Söhne der Päpste. Die meisten bedeutenden Adelsfamilien in Italien gerieten in dieses System, und viele verdankten ihm ihren Aufstieg. Der bekannteste und berüchtigste Fall ist Cesare Borgia. Die Päpste waren eben seit dem Ende der Antike mit der Übernahme so vieler imperialer Elemente des Römischen Reiches und mit ihrem mittelalterlichen Machtanspruch immer eine Art inoffizieller Könige von Italien geblieben, mit allem, was »dazugehört«. Diese Verweltlichung der Kirche erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit der Renaissancepäpste.

1497

DAS FEGEFEUER DER EITELKEITEN    Wie anstößig das Treiben der weltlichen wie der geistlichen Oberschicht beim einfachen Volk selbst der nicht uneitlen Italiener wahrgenommen wurde, zeigt sich an dem Zulauf, den der Dominikanermönch und Bußprediger Girolamo Savonarola (1452–1498) verzeichnete. Als er 1492 das Sterbedatum von Papst Innozenz korrekt voraussagte, waren alle Dämme gebrochen. Die Woge der Volksbegeisterung für sein Wettern gegen die Reichen und Mächtigen trug ihn an die Spitze des florentinischen Stadtstaates (von 1494 bis 1498). Weder den Medici noch einem Machtpolitiker vom Kaliber Papst Alexanders VI. Borgia gelang es, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Die Medici vertrieb Savonarola 1494.

1497 stiftete Savonarola jugendliche Banden dazu an, »nutzlosen Tand« zu beschlagnahmen. Teure Kleider und Möbel, Musikinstrumente, Spielkarten, Schmuck, Kosmetika, Spiegel, Bücher und Kunstwerke wurden gesammelt und auf einem riesigen Scheiterhaufen auf der Piazza della Signoria verbrannt. Botticelli, der Hofmaler der Medici, warf eigene Gemälde in die Flammen. 1498 schlug die Stimmung aus politischen Gründen und auf päpstlichen Druck hin um. Der Bußprediger wurde aus seinem Kloster gezerrt und vor der riesigen Volksmenge an derselben Stelle, wo er im Jahr zuvor sein »Feuer der Eitelkeiten« veranstaltet hatte, verbrannt.

Spätestens nach diesen Ereignissen ging der inoffizielle Titel der Kulturhauptstadt der Renaissance von Florenz auf Rom über.

1527

SACCO DI ROMA    In der Periode der Hochrenaissance, als im blühenden und wohlhabenden Rom Michelangelo die Decke der Sixtinischen Kapelle bemalte (1508–1512) und Raffael den Petersdom baute, war in Deutschland die Reformation ausgebrochen (1517) und der junge Habsburger Karl V. zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden (1520). Sofort führte Karl mit seinem europäischen Rivalen König Franz I. von Frankreich Krieg um die Vorherrschaft im reichen Oberitalien.

Wegen eines zeitweiligen Kriegsstillstandes zogen die äußerst mangelhaft verpflegten und schlecht entlohnten deutschen und spanischen Landsknechtssöldner Karls nach Rom und eroberten die Stadt. Der Papst konnte sich im letzten Moment in der Engelsburg in Sicherheit bringen. Die Söldner des Kaisers brandschatzten, vergewaltigten und töteten die Hälfte der römischen Bevölkerung, erpressten die Reichen um enorme Lösegelder und raubten aus den Kirchen und Palästen fast alle Kunstschätze. Mit dieser Plünderung, dem Sacco di Roma, endete die Renaissance in Italien.

Wann tranken die Türken ihren Kaffee vor Wien?: Weltgeschichte - alles, was man wissen muss
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