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Die bittere Wahrheit
Octavia schleppte sich zu der Pension, von welcher man die Bucht überblickte, bezahlte bei der ältlichen Wirtin für das Zimmer und wandte sich gerade zur Treppe, um nach oben zu gehen, als ihr Blick auf den Kapitän der Hugo fiel, der im Salon mit einem Becher Kaffee am Feuer saß.
»Mrs Warkin, bitte nehmen Sie Platz«, begrüßte sie Goss.
Octavia ließ sich auf einen Sessel sinken. Es war die erste Verschnaufpause, die sie sich seit Verlassen des Schiffes gönnte. Goss schenkte ihr einen Becher Kaffee ein und reichte ihn ihr.
»Ihr Gepäck ist hier«, sagte der Kapitän. »Sie haben es auf dem Schiff zurückgelassen, Sie waren in solcher Eile. Ich befürchte, es ist Ihnen nicht gelungen, eine Rettungsmannschaft zu finden?«
»Niemand wagt es, in das Gebiet dort zu fahren!«
Er nickte. »Ich habe mit einigen anderen Kapitänen gesprochen und auch mit den Leuten von der Hafenbehörde. Viele Schiffe sind da draußen von etwas gerammt worden. Manche sind gesunken. Wir haben Glück, dass es uns nicht getroffen hat. Noch einmal mein Beileid zu Ihrem Verlust.«
Octavia erstarrte. »Beileid?«
»Also, ja. Es tut mir leid, dass Ihr Mann ums Leben gekommen ist.«
»Nein!« Sie konnte die Gefühle in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Nein, er hält sich immer noch an dem Fass fest.«
»Ich fahre seit meinem elften Lebensjahr zur See. Niemand kann länger als ein paar Stunden in dem kalten Wasser überleben.«
»Dann hat ihn ein Schiff aufgegriffen. Ich spüre das.«
»Kein Kapitän, der seine Heuer wert ist, würde in das Gebiet vorstoßen.« Seine Stimme wurde wieder sanft. »Ich weiß, die Wahrheit ist hart, aber es wäre besser für Sie, ihr ins Auge zu sehen.«
Octavia stellte ihren Becher ab und erhob sich. »Danke für den Kaffee, Kapitän Goss«, sagte sie noch, bevor sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging, wo sie auf dem Bett zusammenbrach, ohne auch nur die Schuhe auszuziehen.
Später in der Nacht hörte sie, wie etwas unter ihrer Tür hindurchgeschoben wurde. Als sie das Telegramm von Mr Socrates las, wusste sie nicht, was sie davon halten sollte. Glaubte er, dass Modo noch am Leben war, oder wollte er nur, dass sie die Leiche zurückbrachte? Doch so oder so würde sie am nächsten Morgen ein Schiff mieten müssen. Ein Funken Hoffnung flackerte in ihr auf. Dann erinnerte sie sich daran, was Goss gesagt hatte: Kein Kapitän, der seine Heuer wert ist, würde in das Gebiet vorstoßen.
Also galt es, nach einem Kapitän zu suchen, der seine Heuer nicht wert war.