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Ihre Aufgabe als Lernbegleiter
 
In diesem Kapitel
e9783527657599_triangle.jpg Begriffe klären: Trainer, Referent, Facilitator
e9783527657599_triangle.jpg Techniken kennen lernen, die erfolgreiche Trainer bei Präsentationen anwenden
e9783527657599_triangle.jpg Wie man Lernaktivitäten einführt, unterstützt und begleitet
e9783527657599_triangle.jpg Wie man die aktive Beteiligung der Teilnehmer fördert
Wenn Sie regelmäßig Fachzeitschriften für Training und Weiterbildung lesen, werden Sie festgestellt haben, dass in letzter Zeit ein subtiler semantischer Kampf um Begriff und Selbstdarstellung der Trainerbranche tobt. Aufbauend auf den Definitionen in Kapitel 2 möchte ich in diesem Kapitel die verschiedenen Berufsbezeichnungen weiter erhellen, damit Sie sich nicht allzu sehr in diesen Streit um Begriffe verwickeln lassen. Meiner Meinung nach geht es darum, was man tatsächlich tut, und nicht darum, welchen Namen man sich gibt. Es ist gleichgültig, ob Sie sich Trainer, Lernbegleiter, Facilitator, Teammoderator oder sonst wie nennen, solange Sie sich klar darüber sind, dass Ihr Gegenüber ein Lernender ist.
 
Ich bleibe beim Begriff »Trainer« und gebe in diesem Kapitel Antwort auf folgende Fragen: Was macht ein Trainer? Welche Kompetenzen zeichnen einen guten Trainer aus? Worauf muss ein Trainer achten, wenn er Lernaktivitäten anleitet? Wie kann man die aktive Mitwirkung der Teilnehmer, die für den Lernerfolg zentral ist, erfolgreich fördern?
Training, Moderation und Präsentation: Was ist der Unterschied?
Ich habe mal ein Seminar mit einem Co-Trainer durchgeführt, der ziemlich beleidigt war, als ich ihn als Trainer bezeichnete. Er selbst nannte sich Facilitator. Merkwürdiger Begriff, denn er tat dasselbe wie ich: Er gab Informationen in kleinen Portionen, moderierte die Diskussion, ermunterte die Teilnehmer, führte Kleingruppen- und Großgruppenaktivitäten durch und sorgte dafür, dass die Teilnehmer die geforderten Kenntnisse auch tatsächlich erwarben und die Anforderungen des Klienten erfüllten.
 
Man trifft eben manchmal Menschen wie diesen Herrn, die sich mit Titeln schmücken, statt sich einfach klarzumachen, welche Funktionen sie in ihrer Tätigkeit ausüben. Die Bedeutung mancher Wörter findet man nicht im Wörterbuch, sondern erst die Menschen erfüllen die Wörter mit Sinn. Ich vertrete, wenn es um Definitionen geht, also eine pragmatische Sichtweise und versuche, die Begriffe mit Sinn zu füllen.
 
Beachten Sie, dass sich dieses Kapitel besonders auf die Rolle eines Trainers als Lernbegleiter oder Facilitator bezieht.
Sind Sie Trainer oder Facilitator?
Junge Kollegen fragen manchmal nach dem Unterschied zwischen den Rollen eines Trainers und eines Facilitators. Julius E. Eitington definiert sie in seinem Buch The Winning Trainer folgendermaßen:
e9783527657599_coche.jpg  Trainer: Begriff zur Beschreibung eines Kurs- oder Seminarleiters, der eine aktive Rolle bei der Lernvermittlung einnimmt. Siehe auch Facilitator.
e9783527657599_coche.jpg  Facilitator: Ein Trainer, der seinen Teilnehmern die Freiheit lässt, selbst Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen. Der Begriff steht im Gegensatz zu einem eher klassischen, didaktisch orientierten Begriff des Lehrers, Dozenten oder Vortragenden.
Wie Sie sehen, hält Eitington die beiden Begriffe für austauschbar, weil die Aufgaben eines Trainers und Facilitators identisch sind. Dem schließe ich mich an. Doch ich möchte der Begriffsverwirrung noch ein wenig auf den Grund gehen.
 
Manche Leute sind sich nicht bewusst, dass der Begriff »Training« bereits die Definitionen der Theorie des Erwachsenenlernens in sich trägt. Er geht davon aus, dass ein guter und erfolgreicher Trainer über ein bestimmtes Wissen und eine Reihe von Fähigkeiten verfügt.
 
Vielleicht war es früher einmal so, dass Trainer vor allem »Vorleser« und reine Wissensvermittler waren und damit einem herkömmlichen didaktischen Lernmodell folgten. Doch mit Malcolm Knowles und der Andragogik begann sich in den 60er-Jahren das Bild zu verändern. Um noch mehr Verwirrung zu stiften, verwechseln manche den Unterricht und die Lehre an Akademien, Fachhochschulen und Hochschulen mit Training. Es mag zwar stimmen, dass viele Dozenten gut daran täten, ihren Unterricht mehr auf den Grundsätzen des Erwachsenenlernens aufzubauen, und dass es viele Trainer gibt, die sich an ihre Studienjahre nur zu gut erinnern können und ihre eigene berufliche Tätigkeit bewusst davon abgrenzen wollen. Deshalb entsteht vielleicht auch das Bedürfnis nach unterscheidenden Begriffen wie Facilitator. Doch ein Trainer ist ein Facilitator. Oder um genauer zu sein: Ein erfolgreicher Trainer ist ein Facilitator.
 
Ich füge noch eine weitere Dimension hinzu: Referent. In Kapitel 2 steht folgende Definition:
e9783527657599_coche.jpg  Referent: Bezeichnung für jemand, der auf Konferenzen oder vor größeren Gruppen einen Vortrag hält. Weniger auf Zwei-Wege-Kommunikation ausgerichtet.
Klingt wie ein nicht erfolgreicher Trainer. Doch, halt. Trainer referieren. Sie müssen neues Wissen und neue Informationen irgendwie vortragen oder präsentieren, oder was gäbe es sonst zu lernen? Begleiten Trainer nur die autonomen Lernprozesse der Teilnehmer? Nein.
 
Sie tun selbstverständlich beides: Sie begleiten die Lernaktivitäten und sie bieten Wissen an. Ein effektiver Trainer stellt sicher, dass seine Art der Präsentation kein trockenes Referat ist, sondern das Lernen erleichtert. Wer als Trainer vor einer Gruppe von Teilnehmern steht, muss mindestens zwei Schlüsselkompetenzen in sich vereinen:
e9783527657599_coche.jpg  Er begleitet den Gruppenprozess, moderiert Diskussionen und fördert das Lernen insgesamt.
e9783527657599_coche.jpg  Er präsentiert neue Daten und Informationen und vermittelt Wissen, kurz: Er lehrt.
Beide Anforderungen gehören zu dem Beruf.
 
Geheimnis gelüftet! Ein Trainer ist Facilitator und Referent. Ein erfolgreicher Trainer versteht sich auf beide Rollen und vereint beide Kompetenzen in sich. Wenn Sie als Trainer glauben, dass
e9783527657599_coche.jpg  die Lerntheorie für Erwachsene begründet ist
e9783527657599_coche.jpg  Erwachsene am besten lernen, wenn sie nicht zur Passivität verurteilt sind
e9783527657599_coche.jpg  Erwachsene am besten lernen, wenn sie herausgefordert und nicht nur berieselt werden
e9783527657599_coche.jpg  Erwachsene am besten lernen, wenn sie von Beobachtern zu Beteiligten werden
dann sind Sie höchstwahrscheinlich ein Befürworter partizipativer Lehrmethoden und setzen alles daran, Prozessbegleitung und Wissensvermittlung zu integrieren. Sie sind ein erfolgreicher Trainer.
Präsentationen lebendig gestalten
Als Trainer muss man Informationen präsentieren. Manchmal besteht die Präsentation in nichts anderem als dem Vortragen von Unterlagen, damit die Teilnehmer etwas lernen. Als guter Trainer muss man auch gut präsentieren können. Spezielle Präsentationstechniken wie Blickkontakt, gekonnte Rhetorik und Körpersprache werden im folgenden Kapitel näher erläutert. Doch denken Sie jetzt erst mal an die klassischste Lehrmethode, die Sie sich vorstellen können. Sie denken an ein Referat oder einen Vortrag? Genau!
 
Wie kann ein Trainer ein Referat halten und dabei gleichzeitig seine Kompetenzen als Facilitator einsetzen? Zuallererst, indem er sein Referat nicht Referat nennt! Nennen Sie es Kurzvortrag oder Impulsreferat. Auch wenn Sie das nicht für so wichtig halten, erinnert es Sie doch an die gebotene Kürze Ihres Lehrvortrags.
 
Abgesehen von der Kürze können Sie verschiedene Moderationstechniken einsetzen, um die Teilnehmer aktiv zu beteiligen. Probieren Sie folgende Vorschläge einmal aus:
e9783527657599_coche.jpg  Stellen Sie während Ihrer Präsentation Fragen.
 
e9783527657599_i0065.jpgSie wissen wahrscheinlich bereits, dass offene Fragen eher zum Dialog auffordern als geschlossene Fragen. Dennoch sollten Sie Ihren Fragestil überprüfen. »Haben Sie Ideen, wie wir vorankommen?«, klingt vielleicht zunächst wie eine offene Frage, doch sie ist es nicht. Besser ist es zu fragen: »Welche Ideen haben Sie, damit wir vorankommen?«
e9783527657599_coche.jpg  Klären Sie während Ihrer Präsentation Fragen.
e9783527657599_coche.jpg  Holen Sie reihum die Meinungen, Ideen, Vorschläge, Bedenken oder Fragen der Teilnehmer ein – zunächst jedoch, ohne zu diskutieren.
e9783527657599_coche.jpg  Bilden Sie Kleingruppen, in denen die präsentierten Inhalte diskutiert werden.
e9783527657599_coche.jpg  Unterbrechen Sie Ihre Präsentation für ein gemeinsames Lehrgespräch, um zu prüfen, ob alles verstanden wurde.
e9783527657599_coche.jpg  Würzen Sie Ihren Vortrag mit Humor, verwenden Sie lustige Beispiele und Visualisierungen.
e9783527657599_coche.jpg  Beteiligen Sie die Teilnehmer an der Entscheidung über den genauen Lernbedarf.
e9783527657599_coche.jpg  Bringen Sie die Ideen verschiedener Teilnehmer zusammen.
e9783527657599_coche.jpg  Vergleichen oder kontrastieren Sie die Ideen der Teilnehmer miteinander.
e9783527657599_coche.jpg  Schaffen Sie einen Platz für Fragen, die nicht sofort beantwortet werden können.
 
e9783527657599_i0066.jpgRichten Sie eine Art »Frageparkplatz« für die Fragen der Teilnehmer ein. Dort werden die Fragen »geparkt«, bis die Antworten sich aus dem Fortgang des Seminars von selbst ergeben. Sie können dafür zum Beispiel einen Flipchartbogen mit einer Zeichnung von geparkten Autos an die Wand hängen, an den die Teilnehmer ihre Fragen heften können.
e9783527657599_coche.jpg  Bilden Sie Kleingruppen (zwei bis drei Teilnehmer), in denen ein Thema in zwei Minuten kurz diskutiert wird.
e9783527657599_coche.jpg  Unterbrechen Sie nach der Hälfte des Vortrags und fragen Sie, ob Ihnen alle Teilnehmer folgen konnten.
e9783527657599_coche.jpg  Bestärken Sie diejenigen, die Fragen stellen, und auch diejenigen, die Antworten wissen.
e9783527657599_coche.jpg  Bauen Sie Ratespiele (Bingo, Kreuzworträtsel, Wortvervollständigung) in Ihre Präsentation ein.
e9783527657599_coche.jpg  Treten Sie in einen Dialog mit den Teilnehmern ein, statt einen Monolog zu halten.
e9783527657599_coche.jpg  Streuen Sie in Ihre Präsentation Aufgaben oder Vorführungen ein.
e9783527657599_coche.jpg  Entwerfen Sie Begleitunterlagen mit den zentralen Begriffen, zu denen sich die Teilnehmer weitere Notizen machen können.
e9783527657599_coche.jpg  Setzen Sie visuelle Medien ein, damit die Teilnehmer Ihren Ausführungen auch mit den Augen folgen können.
Es gibt also viele Möglichkeiten, eine Präsentation interessant und interaktiv zu gestalten. Stellen Sie sich darauf ein, auch bei einem Vortrag als Moderator zu agieren.
Erfolgreich trainieren und moderieren
Trainer bewegen sich auf einem schmalen Grat: Sie sind anpassungsfähig, behalten aber gleichzeitig die Tagesordnung im Blick, sie zeigen Initiative und gehen gleichzeitig auf die anderen ein, sie sind für die Inhalte und zugleich für den Gruppenprozess und den Diskussionsverlauf verantwortlich. Sie müssen sich den verschiedenen Lerntypen im Seminar anpassen und den verschiedenen Forderungen aller Teilnehmer gerecht werden. Wie schaffen sie das alles?
 
Den Teilnehmern das Lernen zu ermöglichen und das Curriculum den Teilnehmerbedürfnissen anzupassen, ist dabei sicher die Hauptaufgabe des Trainers. Ich betone in diesem Buch deshalb immer wieder, dass es beim Training vor allem um die Lernenden geht. Das Ziel besteht nicht darin, Aktivität und Beteiligung um ihrer selbst willen zu fördern. Aktive Lehrmethoden gibt es Hunderte (einige finden Sie in Kapitel 5). Oberstes Ziel ist vielmehr der Wissenserwerb und Kompetenzzuwachs der Teilnehmer zugunsten einer besseren Performance.
 
Für einen Trainer genügt es jedoch nicht, alle Inhalte bereitzustellen und die Beteiligung der Teilnehmer zu fördern. Wichtig ist, dass tatsächlich geübt und gelernt wird und vor allem, dass der Lerntransfer gesichert wird. Das Gelernte muss auch den Arbeitsplatz erreichen.
 
Dies wird durch einen empirischen Lernprozess meistens am besten gewährleistet. Die Teilnehmer lernen induktiv, das heißt, sie entdecken das Neue für sich, indem sie mittels Aktivitäten Erfahrungen machen. Andere Fachbegriffe dafür sind: Erfahrungslernen, Entdeckungslernen, Action Learning, interaktives Lernen.
 
Die wahren Geheimnisse erfolgreichen Trainings
Von Sivasailam »Thiagi« Thiagarajan
 
Vor 25 Jahren hatte ich eine Idee, mit der ich schnell reich werden wollte: Ich nehme die Verfolgreichsten Trainer und Seminarleiter auf Video auf, identifiziere allgemeingültige Verhaltensmuster und entwickle daraus ein Trainingsprogramm, das auf diesen unbeirrbaren Techniken beruht. Dann wollte ich mich auf einer wunderschönen Insel zur Ruhe setzen.
 
Ich führte das Projekt tatsächlich durch, schleppte eine schwere Videokamera mit mir herum und filmte zehn verschiedene Trainer. Es waren hervorragende Trainer, doch meine Analyse war enttäuschend: Ich fand einfach kein durchgängiges Verhaltensmuster. Es war sogar noch schlimmer: Ein und derselbe Trainer verhielt sich von einer zur anderen Sitzung völlig anders. Um die Geschichte abzukürzen: Ich wurde kein Millionär, doch dafür entdeckte ich die wahren Geheimnisse einer erfolgreichen Präsentation: Sei inkonsistent! Oder um es positiv auszudrücken: Sei abwechslungsreich, flexibel und anpassungsfähig!
 
Um das Geheimnis zu verstehen, sollte man sich vor Augen führen, dass der Erfolg oder Misserfolg einer Trainingsmoderation von sieben verschiedenen Dimensionen bestimmt wird. Ich nenne sie auch Spannungsfelder, weil es jeweils zwei extreme Ausprägungen davon gibt:
e9783527657599_cochegrise.jpg  Tempo: zu langsam ... zu schnell
e9783527657599_cochegrise.jpg  Interaktion: zu kollegial ... zu wettbewerbsorientiert
e9783527657599_cochegrise.jpg  Umgangston: zu ernst ... zu spielerisch
e9783527657599_cochegrise.jpg  Durchführung: zu straff ... zu locker
e9783527657599_cochegrise.jpg  Anteilnahme: zu aufdringlich ... zu zurückhaltend
e9783527657599_cochegrise.jpg  Schwerpunkt: rein ergebnisorientiert ... rein prozessorientiert
e9783527657599_cochegrise.jpg  Rücksicht: nur auf Einzelne ... nur auf die Gruppe
Ein erfolgreiches Training ist ein Balanceakt. Wenn mich ein angehender Facilitator fragt: »Soll ich diese Aktivität schnell oder langsam durchführen?«, antworte ich nur: »Ja.« Wo genau innerhalb der sieben Spannungsfelder man eine Aktivität ansetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: dem Aufbau und Zweck der Aktivität, der Zahl und der Art der Teilnehmer. Das Geheimnis liegt darin, das Gleichgewicht zwischen den Extremen zu finden. Ob ein »Gleichgewicht« besteht, entscheidet jedoch die Wahrnehmung der Beteiligten. Das Gleichgewicht zwischen Kollegialität und Konkurrenz mögen Menschen in einem Ashram ganz anders beurteilen als Börsenhändler.
 
Wie man Spannungskopfschmerzen vermeidet. Man kann verschiedene Taktiken anwenden, um Spannung aufzubauen oder zurückzunehmen. Um beispielsweise das Lerntempo zu erhöhen, kann man eine Aktivität schnell beginnen und zügig durchführen. Genaue Zeitvorgaben, die auch eingehalten werden, bringen ebenfalls Tempo. Wenn man eher Tempo herausnehmen will, verzichtet man auf Zeitvorgaben. Und wenn ein Team früher fertig ist, besteht man auf der Überprüfung der Arbeit. Führen Sie eine Art Qualitätskontrolle ein, die ein Team für nachlässige Arbeit abmahnt.
 
Sie können sich für die anderen Dimensionen eigene Techniken ausdenken. Beginnen Sie die Aktivitäten immer mit Zuversicht. Beobachten Sie die Teilnehmer bei ihrer Arbeit. Wenn die sieben Spannungsfelder optimal eingestellt sind, brauchen Sie den Fluss der Aktivität nicht zu stören. Wird es in einem Bereich auffällig, intervenieren Sie mit der richtigen Technik. Tun Sie das schnell und so unauffällig wie möglich. Beobachten Sie die Gruppe weiter und fahren Sie so fort.
 
Glauben Sie, ich könnte mit diesem flockigen, aber eindringlichen Rat doch noch meine Million verdienen?
Erfahrung ist der beste Lehrer
Empirisches Lernen findet statt, wenn der Teilnehmer eine Aktivität durchführt, diese noch einmal bespricht, das nützliche Wissen oder die neu erworbene Fähigkeit identifiziert und das Gelernte an seinem Arbeitsplatz anwendet. Der Baseballspieler Vernon Sanders hat dazu einmal gesagt: »Die Erfahrung ist ein harter Lehrmeister, denn zuerst kommt die Prüfung und dann erst der Unterricht.« So funktioniert auch der Lernprozess, den Sie Ihr Leben lang Tag für Tag durchlaufen. Was daraus folgt, ist – Lebenserfahrung.
 
Empirische Lernaktivitäten scheinen das, was die Lebenserfahrung ausmacht, zu wiederholen. Die Teilnehmer »erfahren«, was sie lernen werden, noch bevor sie darüber sprechen.
 
Empirische Lernaktivitäten beruhen auf folgenden Eigenschaften:
e9783527657599_coche.jpg  Sie richten sich auf ein bestimmtes Lernziel.
e9783527657599_coche.jpg  Sie sind strukturiert, das heißt, sie sind schrittweise aufgebaut und folgen einem logischen Plan, der befolgt werden muss, um Resultate zu erzielen.
e9783527657599_coche.jpg  Die Teilnehmer werden in hohem Maße einbezogen.
e9783527657599_coche.jpg  Sie generieren Daten und Informationen für die Teilnehmeranalyse.
e9783527657599_coche.jpg  Sie müssen nachbereitet werden, um den maximalen Lernerfolg zu erzielen.
Das Modell des empirischen Lernzyklus von W. Pfeiffer und J. E. Jones erklärt, welche Schritte eine Aktivität enthalten sollte, damit ein Maximum an Lernen ermöglicht wird. Die fünf Schritte sind: Erfahrung machen, Öffentlichkeit herstellen, Erfahrung weiterverarbeiten, Erfahrung verallgemeinern, Gelerntes anwenden.
Schritt 1. Erfahrung machen: Etwas tun
Das ist der erste Schritt, der in der Regel mit einem »Spiel« oder einer Lernerfahrung assoziiert wird. Die Teilnehmer sollen eine vorgegebene Aufgabe erfüllen. Wenn der Prozess hier bereits endet, wird eine Lernchance vergeben und der Trainer ist seiner Funktion nicht gerecht geworden.
Schritt 2. Öffentlichkeit herstellen: Beobachtungen mitteilen
Der zweite Schritt besteht darin, dem Lernenden die Chance zu geben, seine Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle mitzuteilen. Der Trainer kann diese Phase auf verschiedene Weise unterstützen: Sammlung der Daten in der Großgruppe, Austausch der Teilnehmer untereinander in Kleingruppen, gegenseitige Interviews, allgemeine Runde im Plenum.
e9783527657599_coche.jpg  Was ist passiert? Was haben Sie beobachtet?
e9783527657599_coche.jpg  Was ist während der Aktivität geschehen?
e9783527657599_coche.jpg  Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Der Trainer beginnt üblicherweise mit einer breit angelegten Frage und geht erst später ins Detail. Er untersucht vielleicht die Wendepunkte und Entscheidungen, die das Ergebnis beeinflusst haben. Diese Phase ist wichtig, weil sie den Teilnehmern erlaubt, ihre Eindrücke und Gefühle mitzuteilen, die wiederum dem Trainer wertvolle Rückschlüsse erlauben.
Schritt 3. Erfahrung weiterverarbeiten: Dynamik und Begriffe interpretieren
In diesem Schritt werden die Muster und Dynamiken diskutiert, die während einer Aktivität beobachtet wurden. Um diese Phase zu diskutieren, werden vielleicht Beobachter gebraucht. Als Trainer kann man Fragen stellen wie:
e9783527657599_coche.jpg  Warum glauben Sie, dass das passiert ist?
e9783527657599_coche.jpg  Was haben Sie über sich selbst gelernt?
e9783527657599_coche.jpg  Was nehmen Sie aus dem Training mit?
e9783527657599_coche.jpg  Welche Theorien oder Grundsätze decken sich mit Ihrer Erfahrung?
Der Trainer stellt zunächst wieder allgemeine Fragen und geht dann ins Detail. In dieser Phase können die Teilnehmer Hypothesen überprüfen und sich auf die Anwendung des Gelernten vorbereiten. So kann der Trainer kontrollieren, inwieweit die Teilnehmer etwas aus der Erfahrung gelernt haben.
Schritt 4. Erfahrung verallgemeinern: Mit der Realität in Verbindung bringen
Die Schlüsselfrage in dieser Phase lautet: »Und nun?« Die Teilnehmer werden dazu angeleitet, sich bewusst zu machen, welche Situationen denen der Erfahrungssituation ähneln. Damit wird die Aktivität in die Praxis überführt. Der Trainer fragt zum Beispiel:
e9783527657599_coche.jpg  Wie passt das zu ...?
e9783527657599_coche.jpg  Was haben Sie für sich selbst gelernt?
e9783527657599_coche.jpg  Was sagt Ihnen das in Bezug auf ...?
e9783527657599_coche.jpg  Wie hilft diese Erfahrung Ihnen dabei, ... zu verstehen?
e9783527657599_coche.jpg  Was ist, wenn ...?
Diese Phase sorgt dafür, dass die Teilnehmer begreifen, wofür der Lernprozess initiiert wurde. Die Frage »Was ist, wenn ...?«, leitet über zur letzten Phase, der Anwendung.
Schritt 5. Gelerntes anwenden: Effektive Veränderung planen
Der letzte Schritt zeigt, warum die Aktivität durchgeführt wurde: »Was jetzt?« Der Trainer hilft dabei, die Übertragung auf die aktuelle Situation und Generalisierung des Gelernten auch tatsächlich praktisch zu vollziehen. Die Gruppe kann dafür Ziele entwickeln, eine Art Anwendungsvertrag abschließen, Versprechen abgeben, mögliche Änderungen am Arbeitsplatz identifizieren oder andere Aktionen initiieren, die aus der Lernerfahrung resultieren. Die Fragen in dieser letzten Phase sind folgende:
e9783527657599_coche.jpg  Was werden Sie als Ergebnis dieser Erfahrung nun anders machen?
e9783527657599_coche.jpg  Wie werden Sie das Gelernte auf Ihren Berufsalltag übertragen?
e9783527657599_coche.jpg  Wie und wann werden Sie das Gelernte anwenden?
e9783527657599_coche.jpg  Inwiefern wird Ihnen das Gelernte in der Zukunft helfen?
e9783527657599_coche.jpg  Was geschieht als Nächstes?
Die Teilnehmer unternehmen diesen Schritt häufig mit einem Aktionsplan und reservieren zumindest einige Denkminuten dafür, sich zu überlegen, was aufgrund der Lernaktivität künftig anders sein wird.
 
Eine empirische Lernaktivität ist eine starke und eindringliche Trainingsmethode. Sie beansprucht viel Zeit und wird deshalb nur sparsam eingesetzt. Wenn Sie damit operieren, sollten Sie nicht versuchen, das Verfahren an irgendeiner Stelle abzukürzen. Der Wert einer empirischen Lernaktivität liegt wirklich in dem schrittweisen Lernprozess.
Tipps für die Moderation und Prozessbegleitung
Aktivitäten sind leistungsfähige und wirksame Tools, solange der Trainer gut vorbereitet ist und einige Ratschläge befolgt. Die folgenden Tipps helfen Ihnen in allen Phasen der Prozessbegleitung.
Aktivitäten einführen
Der Anfang entscheidet. Sorgen Sie dafür, dass die Aktivität effizient wird. Noch bevor die Teilnehmer beginnen, muss Folgendes geklärt sein:
e9783527657599_coche.jpg  Geben Sie kurze allgemeine Hinweise, ob Stifte oder sonstige Hilfsmittel benötigt werden.
e9783527657599_coche.jpg  Stellen Sie ein klares Ziel auf, das die Aktivität in den Kontext der Unterrichtseinheit oder der Sitzung stellt.
e9783527657599_coche.jpg  Geben Sie nicht zu viele Informationen, wenn Sie den Teilnehmern ein Aha-Erlebnis bereiten wollen.
e9783527657599_coche.jpg  Helfen Sie den Teilnehmern bei der Bildung von Kleingruppen. Tun Sie dies, bevor Sie andere Anweisungen geben. Sonst vergessen die Teilnehmer, was Sie ihnen zuvor gesagt haben.
e9783527657599_coche.jpg  Nachdem sich die Teilnehmer in den Arbeitsgruppen zusammengefunden haben, sichern Sie sich die Aufmerksamkeit und geben dann weitere Anweisungen.
e9783527657599_coche.jpg  Sagen Sie den Teilnehmern, wie viel Mitarbeit Sie von ihnen erwarten. Je nach Aktivität sollten Sie auch erläutern, was anschließend geschieht. Werden sie wieder ins Plenum zurückkehren oder weiter in der Kleingruppe arbeiten? Gibt es eine Plenumsdiskussion?
e9783527657599_coche.jpg  Verteilen Sie, wenn vorhanden, zusätzliches Material, und zeigen Sie alles, was für das weitere Vorgehen notwendig ist.
e9783527657599_coche.jpg  Teilen Sie mit, wie viel Zeit für die Aktivität vorgesehen ist. Praktisch ist es, die Zeit für alle sichtbar auf das Flipchart zu schreiben. Wenn die Aktivität in mehrere Teile gegliedert ist, ist vielleicht ein Zeitplan sinnvoll, auf dem die vorgesehene Dauer der einzelnen Teile vermerkt ist. Vergeben Sie verschiedene Aufgaben, damit die Aktivität reibungslos ablaufen kann: einen Sprecher, einen Zeitnehmer, einen Protokollanten.
e9783527657599_coche.jpg  Sorgen Sie dafür, dass jeder weiß, was er zu tun hat. Fragen Sie nach, ob alles klar ist.
e9783527657599_coche.jpg  Besuchen Sie abwechselnd die einzelnen Gruppen, um sich zu überzeugen, dass alles verstanden wurde.
Aktivitäten unterstützen
Als Trainer und Facilitator sind Sie ein stiller Begleiter, der dafür sorgt, dass die Teilnehmer die Aktivität erfolgreich selbstständig durchführen. Sie wandern zwischen den Gruppen hin und her, um den Prozess moderierend zu unterstützen. Dies entspricht Schritt 1 einer empirischen Lernaktivität.
e9783527657599_coche.jpg  Erinnern Sie die Teilnehmer, falls erforderlich, an die Regeln.
e9783527657599_coche.jpg  Geben Sie Zeitsignale: »Halbzeit!«, »Noch fünf Minuten«, »Noch eine Minute«. Ein allzu abruptes Schlusszeichen (»Die Zeit ist um!«) hindert die Teilnehmer vielleicht daran, ihr Ziel zu erreichen.
e9783527657599_coche.jpg  Vielleicht müssen Sie Verfahrensvorschläge machen. Achten Sie jedoch darauf, nicht die Antworten vorwegzunehmen. Es geht um Vorschläge, nicht um Anweisungen, die Teilnehmer sollten die Situation selbst beherrschen können.
e9783527657599_coche.jpg  Gehen Sie zwischen den Teilnehmern umher, um aufkommende Fragen, Probleme und Missverständnisse beheben zu können und den Fortschritt beziehungsweise verbleibenden Zeitbedarf festzustellen.
e9783527657599_coche.jpg  Passen Sie die Zeitdauer, falls erforderlich, an, doch nur, wenn alle Gruppen mehr oder weniger Zeit brauchen, als zunächst vorgesehen war. Anderen Gruppen noch mehr Zeit einzuräumen, wenn andere rechtzeitig fertig geworden sind, wird als unfair wahrgenommen.
e9783527657599_coche.jpg  Besprechen Sie die Aktivität im Anschluss.
Aktivitäten verarbeiten
Dies ist vielleicht der entscheidende Teil einer Aktivität. (Wenn Sie eine empirische Lernaktivität durchgeführt haben, gehen Sie entsprechend der vorhin erläuterten Schritte 2, 3, 4 und 5 vor.) Sie wollen die Lernenden darin unterstützen, die Implikationen dessen, was sie gerade gemacht haben, zu verstehen. Helfen Sie ihnen dabei, herauszuarbeiten, welche Relevanz die Aktivität für sie persönlich hat.
e9783527657599_coche.jpg  Vergleichen Sie die Aktivität mit früheren und auch mit künftigen Trainingsmodulen.
e9783527657599_coche.jpg  Bleiben Sie in Ihrer Moderatorenrolle, ohne die Erfahrungen der Teilnehmer zu übergehen. Wenn Sie zusätzliche Informationen geben, dann nur Tipps oder Techniken, die für die Teilnehmer in diesem Zusammenhang nützlich sind. Wenn Sie die Information auch noch zu einem anderen Zeitpunkt geben können, verschieben Sie es auf später.
e9783527657599_coche.jpg  Teilen Sie wichtige Beobachtungen mit, die Sie während der Übung gemacht haben.
e9783527657599_coche.jpg  Vermeiden Sie es, oberlehrerhaft zu wirken. Keine Predigten!
e9783527657599_coche.jpg  Betonen Sie die praktische Anwendung.
e9783527657599_coche.jpg  Korrigieren Sie nur, wenn die Teilnehmer offensichtlich zu falschen Schlussfolgerungen gelangt sind. Verwenden Sie dann eher Fragetechniken oder beziehen Sie Teilnehmer einer anderen Gruppe ein.
e9783527657599_coche.jpg  Eine Nachbesprechung ist wichtig, damit die Lernergebnisse diskutiert werden können.
e9783527657599_coche.jpg  Vertreter aus jeder Gruppe können die Nachbesprechung durchführen.
e9783527657599_coche.jpg  Auch wenn die Teilnehmer sich über das Ergebnis uneins sind, sollten Sie in der Gruppe ein gemeinsames Einverständnis über das bisherige Geschehen erzielen, bevor Sie weitergehen.
Das Erfolgsrezept zur Aktivierung der Teilnehmer: Langsam die Dosis erhöhen
Von der aktiven Mitwirkung und Beteiligung der Teilnehmer habe ich jetzt schon so viel erzählt, dass es Ihnen vielleicht so vorkommt, als hielte ich das für ein Allheilmittel. Vielleicht ist das auch tatsächlich so. Denn dass man einem Teilnehmer damit eine Überdosis verabreichen kann, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Nur wer mitspielt, lernt, wie es geht
In Kapitel 2 habe ich Sie gebeten, sich an etwas zu erinnern, was Sie in den vergangenen zwei Monaten gelernt und warum Sie es gelernt haben. Denken Sie jetzt bitte darüber nach, wie Sie es gelernt haben. Ich nehme mal an, Sie haben ein neues Spiel oder eine Sportart gelernt. Tennis zum Beispiel? Wenn Sie Tennis gelernt haben, waren wahrscheinlich einige der folgenden Lernaktivitäten am Lernprozess beteiligt:
e9783527657599_coche.jpg  Jemand hat Sie mit Wissen und Informationen versorgt und Sie haben gelernt:
• Tennisregeln
• wie man die Punkte berechnet
• welchen Tennisschläger Sie am besten kaufen
e9783527657599_coche.jpg  Sie haben ein Buch über Tennis gelesen und Sie haben gelernt:
• Geschichte des Tennisspiels
• wo die großen Turniere stattfinden
• einfache Schlagtechniken für den Anfang
e9783527657599_coche.jpg  Jemand hat Ihnen die Techniken demonstriert und Sie haben gelernt:
• wie man den Schläger richtig hält
• wie man aufschlägt
• wie man einen Volley schlägt
e9783527657599_coche.jpg  Sie haben mehrere Matches beobachtet und haben gelernt:
• wie ein Tennisplatz aussieht
• wo die Spieler aufschlagen
e9783527657599_coche.jpg  Sie haben an einer Wand geübt und gelernt:
• Auge-Hand-Koordination
• die richtige Körperhaltung und Beinstellung
• wie man den Ball in eine bestimmte Richtung schlägt
Sie haben verstanden, was ich damit sagen will. Sie haben Informationen verarbeitet und Fähigkeiten erworben, doch einen Ball gegen eine Wand schlagen zu können und die Tennisregeln zu beherrschen heißt noch nicht, dass man Tennis spielen kann. Sie müssen mit einem anderen Tennisspieler trainieren. Sie müssen den Ball über das Netz schlagen und spüren, wie das ist, wenn der Ball zurückkommt. Sie brauchen ein richtiges Match, um zu üben, was Sie gelernt haben. Sie müssen das Spiel spielen, um etwas leisten zu können.
 
Auf die Lernsituation in einem Seminar übertragen bedeutet dies, dass die Teilnehmer sich aktiv beteiligen müssen, um ihre Leistung zu steigern. Sie müssen mit den anderen interagieren und Feedback über ihr vermeintliches oder tatsächliches Wissen und Können erhalten. Fast immer ist es für den Lernerfolg das Beste, wenn die Teilnehmer sich am Spiel aktiv beteiligen.
Die Erwartungen der Teilnehmer
Die Teilnehmer erwarten, dass Sie als Trainer im Seminar zunächst die Führung übernehmen. Doch möglichst rasch sollten Sie von dieser Rolle weg hin zu einer Rolle als Facilitator gelangen. Wie schnell das geht, hängt von der Erfahrung und der Kommunikationsfähigkeit der Gruppenteilnehmer ab. Meistens ist die Gruppe in dieser Hinsicht gemischt. In der Regel lassen sich drei verschiedene Typen von Teilnehmern unterscheiden:
e9783527657599_coche.jpg  Manche sind gute Zuhörer und beanspruchen auch nicht ungebührlich viel Redezeit für sich selbst. Sie beteiligen sich aktiv, wenn sie wirklich etwas beizutragen haben. Solche Teilnehmer im Seminar zu haben, ist eine Freude.
e9783527657599_coche.jpg  Andere wiederum reden gern und ausgiebig und wiederholen manchmal nur, was der Vorgänger bereits gesagt hat. Manchmal fragt man sich, ob sie nur reden, weil sie sich gern selbst hören. Vielleicht sind sie es aber auch nicht gewohnt, vor einer Gruppe frei zu sprechen, oder sie sind einfach etwas weitschweifig. Unabhängig von den Gründen sind Sie in Ihrer Kompetenz als Moderator gefragt, um diese Teilnehmer etwas zu bremsen und sie mehr bei der Sache zu halten.
e9783527657599_coche.jpg  Der dritte Typ ist der stille, vorsichtige Teilnehmer, der sich nur ungern freiwillig meldet und aktiv mitmacht. Ich gehe mit diesen Teilnehmern im Allgemeinen eher zurückhaltend um. Ich plane Aktivitäten, die es ihnen ermöglichen, sich allmählich mehr nach vorne zu wagen. Ich fordere nur Stück für Stück etwas mehr von ihnen.
Die Beteiligung steigern – oder warum heißen Teilnehmer Teilnehmer?
Die Personen in einem Seminar nenne ich entweder »Lernende« oder »Teilnehmer«. Beide Begriffe sind austauschbar, Sie selbst werden wahrscheinlich den Begriff verwenden, der Ihnen am besten gefällt oder der in Ihrer Organisation gebräuchlich ist. Die Betonung liegt jedoch in jedem Fall auf »Beteiligung« beziehungsweise »Teilnahme«. Die Aufgabe eines Trainers ist, so viel Beteiligung und Mitwirkung wie möglich zu erreichen.
 
Manchmal stehen diesem Ziel gewisse Hindernisse entgegen, sei es Zeitdruck, mangelnde Ausstattung, Gruppengröße oder eine gegenläufige Unternehmenskultur. Doch wenn dem nicht so ist und Sie die aktive Beteiligung Ihrer Teilnehmer erhöhen möchten, sollten Sie Ihre Kompetenz in dieser Hinsicht überprüfen.
 
Vielleicht haben Sie eine perfekte empirische Lernaktivität entwickelt, doch Ihre Teilnehmer reagieren einfach nicht so, wie Sie sich dachten. Die folgende Aufstellung gibt Ihnen einige Hinweise darauf, woran es liegen mag, wenn die Teilnehmer nicht aktiviert werden, und wie Sie diese Hindernisse bewältigen können.
Kommunikation
Die soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit des Trainers ist der Schlüssel zur Aktivierung der Teilnehmer.
e9783527657599_coche.jpg  Gut zuhören. Das Zuhören steht auf der Liste der sozialen Kompetenzen ganz oben. Wenn Sie Beteiligung erwarten, sollten Sie das beherrschen. Sie wissen bereits, was dazu gehört: Zuhören kommt vor dem Verstehen, keine vorschnellen Urteile fällen, nicht unterbrechen, klärende Zwischenfragen stellen, sich auf die Absicht und den Inhalt konzentrierten.
e9783527657599_coche.jpg  Äußerungen anderer annehmen. Auch wenn Sie Vorschläge, Kommentare oder Antworten erhalten, die nicht ganz richtig sind, sollten Sie sie zunächst einmal annehmen, ohne gleich zu werten. Selbstverständlich werden Sie niemanden mit Falschinformationen aus dem Seminar entlassen, doch zunächst sollten Sie dem Teilnehmer danken und dann vielleicht die Gruppe fragen: »Was denken die anderen darüber?«
e9783527657599_coche.jpg  Durchsetzungsfähigkeit zeigen. Ein Trainer muss sich manchmal gegen einzelne Teilnehmer durchsetzen – zum Beispiel gegen störende oder streitlustige Teilnehmer –, damit die Gruppe als Ganzes korrekt informiert wird.
e9783527657599_coche.jpg  Fragen stellen. Fragen sind vermutlich die am meisten genutzte Methode zur Beteiligung der Teilnehmer. Es gibt geschlossene, offene und rhetorische Fragen. Sie können jemanden direkt ansprechen oder allgemein nach Freiwilligen fragen. Geben Sie den Teilnehmern die Chance, ihre eigenen Antworten zu finden, und akzeptieren Sie diese.
 
e9783527657599_i0067.jpgWenn Sie eine Frage stellen, sollten die Teilnehmer auch genügend Zeit haben, darauf eine Antwort zu finden. Begehen Sie nicht den Fehler, Ihre eigenen Fragen zu beantworten, weil Sie vielleicht mit der eventuellen Stille nicht umgehen können oder weil Sie glauben, dass sie die Antwort nicht kennen. Sonst sind am Ende Sie derjenige, der alle Fragen beantwortet.
e9783527657599_coche.jpg  Zu Fragen ermutigen. Wenn Sie fragen, ob es noch Fragen gibt, brauchen die Teilnehmer genügend Zeit, um diese zu formulieren. Und wenn Sie merken, dass die Teilnehmer zu häufig Fragen stellen, die Sie erst noch zurückstellen müssen, ist das ein Zeichen dafür, dass die Teilnehmer Ihnen gedanklich voraus sind. Dann stimmt mit Ihrem Seminarkonzept wahrscheinlich etwas nicht. Fragen zurückzustellen ist eines der größten Abschreckungsmittel, wenn man der aktiven Beteiligung der Teilnehmer den Garaus machen will. Den »Frageparkplatz« aus dem vorigen Abschnitt Präsentationen lebendig gestalten können Sie zwar gern verwenden, doch übertreiben Sie damit nicht.
e9783527657599_coche.jpg  Stille aushalten. Auch Schweigen ist eine Form der Kommunikation. Regelmäßige Pausen erlauben den Teilnehmern, Informationen zu verarbeiten und nachzudenken. Die anderen können erst sprechen, wenn Sie still sind.
Empathie und Verstehen
Auf einer anderen Ebene bedeutet Kommunikationsfähigkeit auch, in der Lage zu sein, nichtverbale Botschaften zu verstehen sowie den Inhalt und die Intention verbaler Botschaften deuten zu können. Für Lernende ist es wichtig, dass Sie als Trainer »kapieren«, worum es ihnen geht.
e9783527657599_coche.jpg  Auf die Situation eingehen. Die Fähigkeit zur Empathie schafft Vertrauen. Wenn die Teilnehmer spüren, dass Sie sich in sie hineinversetzen können, fühlen sie sich verstanden und engagieren sich entsprechend stärker.
e9783527657599_coche.jpg  Wunde Punkte spüren. Wenn Sie bei einem Teilnehmer einen wunden Punkt berühren, so gehen Sie dezent darüber hinweg, wenn es geht. Ist das nicht möglich, gestalten Sie Ihre Antwort so, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren.
e9783527657599_coche.jpg  Auf unausgesprochene Bedeutungen achten. Beobachten Sie die Teilnehmer und versuchen Sie zu verstehen, was sie in Wirklichkeit sagen wollen. Zögern Sie nicht nachzufragen, wenn Sie etwas nicht verstehen. Manchmal ist es allerdings besser, in einer Pause auf den Betreffenden zuzugehen, wenn die Gruppe nicht mithört.
e9783527657599_coche.jpg  Andere korrekt wiedergeben. Wenn Sie die Aussagen und Anregungen im Seminar korrekt wiedergeben und der Gruppe mitteilen oder auf ein Flipchart schreiben können, werden die Teilnehmer ermutigt, sich frei zu äußern.
Persönliche Eigenschaften
Ein Trainer sollte eine Reihe von Eigenschaften besitzen, die die Atmosphäre im Training positiv beeinflussen. Wenn sie fehlen, sinkt die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmer rapide.
e9783527657599_coche.jpg  Sinn für Humor: Mit Humor läuft es einfach besser. Lachen Sie über Fehler, lachen Sie über sich. Aber lachen Sie nie über die Teilnehmer.
e9783527657599_coche.jpg  Geduld: Geben Sie den Teilnehmern die Zeit, die sie zum Lernen und Üben brauchen. Dann wird sich der Erfolg auch einstellen.
e9783527657599_coche.jpg  Glaubwürdigkeit: Sagen Sie vorher, was Sie tun, und tun Sie es dann auch.
e9783527657599_coche.jpg  Offenheit: Seien Sie offen gegenüber Neuem, auch die wildesten Ideen sollten Sie zumindest anerkennen.
e9783527657599_coche.jpg  Aufrichtigkeit: Aufrichtigkeit ist vielleicht eine der wichtigsten Eigenschaften. Die Menschen spüren, ob Ihnen wirklich etwas daran liegt, dass sie aktiv beteiligt werden.
Beziehungsstil
Ihr ganz persönlicher Stil in zwischenmenschlichen Beziehungen wirkt auf das Verhalten der Teilnehmer. Die meisten erfolgreichen Trainer sind flexibel genug, um sich den Erfordernissen im Seminar anzupassen.
e9783527657599_coche.jpg  Beziehungsorientiert und ansprechbar sein: Ermuntern Sie die Teilnehmer, Fragen zu stellen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn Sie auch Dinge gefragt werden, die mit dem Seminar nichts zu tun haben. Das bedeutet, dass sie an Ihrer Meinung interessiert sind und Sie für leicht zugänglich halten. Lächeln Sie.
e9783527657599_coche.jpg  Etwas von sich mitteilen. Lassen Sie die Menschen wissen, wer Sie sind. Erzählen Sie etwas von sich. Teilen Sie Ihre Erfahrungen, Ihre Erfolge und Ihr Scheitern. Seien Sie echt. Im Gegenzug werden sich die Teilnehmer ebenfalls öffnen.
e9783527657599_coche.jpg  Gut organisiert sein. Wenn Sie einen gut vorbereiteten und organisierten Eindruck machen, werden die Teilnehmer darauf vertrauen, dass Sie jederzeit helfend eingreifen können. Das Seminar gut zu organisieren, bedeutet auch, ein Maximum an Zeit für die Teilnehmer zu haben.
e9783527657599_coche.jpg  Alle Meinungen respektieren. Trainer dürfen keine »Lieblinge« im Seminar haben. Sie brauchen nicht mit allen Meinungen übereinzustimmen, doch Sie sollten sie respektieren und zu verstehen versuchen.
Lehrmethoden
Hier kommen die didaktischen Fähigkeiten ins Spiel. Erinnern Sie sich daran, wie Sie Ihren Kindern oder jüngeren Geschwistern etwas beigebracht haben? Wahrscheinlich haben Sie dabei Techniken eingesetzt, die auch bei Erwachsenen funktionieren.
e9783527657599_coche.jpg  Klare Anweisungen geben. Damit man etwas korrekt tun kann, braucht man eine klare Anweisung. Machen Sie Ihre Teilnehmer nicht dafür verantwortlich, wenn Sie sich undeutlich ausgedrückt haben.
e9783527657599_coche.jpg  Positives Verhalten verstärken. Loben Sie die Teilnehmer, wenn sie Erfolg haben. Geben Sie zusätzlich positives Feedback, wenn sie freiwillig etwas zu dem Seminar beitragen. Bedanken Sie sich für das Engagement.
e9783527657599_coche.jpg  Den Lernprozess geschehen lassen. Auch wenn die Teilnehmer zu kämpfen haben, sollten Sie nicht voreilig eingreifen. Durchhalten und Lernen gehören zusammen.
e9783527657599_coche.jpg  Feedback geben. Geben Sie den Teilnehmern ehrliches Feedback über ihren Fortschritt.
e9783527657599_coche.jpg  Coaching. Üben Sie mit den Teilnehmern die erforderlichen Fähigkeiten ein und zeigen Sie ihnen auch, wie sie angemessen aktiv mitwirken können.
 
e9783527657599_i0068.jpgBei all diesen Techniken geht es darum, Lernen zu ermöglichen und zwar auf Basis der didaktischen Prinzipien des Erwachsenenlernens. Zerstören Sie das nicht um der »richtigen« Antwort willen. Wenn Sie zum Beispiel die Kleingruppen irgendeine Liste aufstellen lassen, sollten Sie danach nicht Ihre eigene »richtige« Liste austeilen. Diese Maßregelung werden Ihnen die Teilnehmer wahrscheinlich übel nehmen. Die einen werden denken, Sie hätten die Liste schon früher austeilen können, und die anderen – was noch verheerender ist – werden glauben, sie hätten etwas falsch gemacht.
Aufmerksamkeit
Die Kunst, Aufmerksamkeit zu zeigen, wird manchmal auch unter dem Stichwort Kommunikationsfähigkeit verbucht. Doch in einem Training bedeutet Aufmerksamkeit mehr, als nur einen offenen Kommunikationsstil zu pflegen. Sie zeigen damit vielmehr, dass Sie sich um die Teilnehmer kümmern und ihnen Erfolg wünschen. Das ist eine wichtige Botschaft an die Gruppe.
e9783527657599_coche.jpg  Blickkontakt halten. Sehen Sie die Teilnehmer richtig an und halten Sie wirklich Blickkontakt. (Schauen Sie nicht über die Augen hinweg auf den Scheitel.) Lernen Sie, gleichzeitig zu sprechen und rückwärtszugehen. Wenn Sie das können, haben Sie eine echte Trainerbegabung!
e9783527657599_coche.jpg  Blickkontakt ausbalancieren. Gehen Sie mit dem Blick regelmäßig die Reihen der Teilnehmer entlang. Dann erkennen Sie, ob jemand verwirrt, abgelenkt oder konzentriert ist.
 
e9783527657599_i0069.jpgTrainer neigen dazu, ihren Blick zu 75 Prozent auf eine Seite des Raumes zu richten und zwar auf ihre nichtdominante Seite. Um alle Teilnehmer zur Mitwirkung zu ermuntern, sollten Sie bewusst auch auf die andere Seite schauen.
e9783527657599_coche.jpg  Aufmerksam durch den Raum gehen. Gehen Sie durch den Raum, wenn Sie Diskussionen anregen wollen. Gehen Sie auf Einzelne zu, um sie zur aktiven Teilnahme zu ermuntern oder um zu signalisieren, dass Sie sie aufrufen werden.
e9783527657599_coche.jpg  Körpersprache einsetzen. Damit sind positive Signale wie Kopfnicken und Lächeln gemeint.
e9783527657599_coche.jpg  Engagiert bleiben. Wenn die Teilnehmer in Gruppen arbeiten oder mit einer Aktivität beschäftigt sind, bedeutet das nicht, dass Sie nun Pause haben und im Büro anrufen können oder Ähnliches. Gehen Sie zwischen den Gruppen umher, beantworten Sie Fragen und leisten Sie gegebenenfalls Unterstützung.
Den Gruppenprozess begleiten
Was Sie schließlich noch berücksichtigen sollten, ist das Gleichgewicht innerhalb der Gruppe. Wenn die Aktivitäten ungleich verteilt sind, werden dies die Teilnehmer als ungerechtfertigte Bevorzugung Einzelner oder als Vernachlässigung ruhigerer Teilnehmer interpretieren.
e9783527657599_coche.jpg  Mitwirkung ausbalancieren. Fördern Sie die ruhigen Teilnehmer, ohne die gesprächigen Teilnehmer auszubremsen. Loben Sie die richtige Antwort, ohne die falsche niederzumachen. Lassen Sie die Teilnehmer eigene Belange einbringen, ohne den Faden zu verlieren.
e9783527657599_coche.jpg  Den Kommunikationsfluss der Teilnehmer untereinander in Gang halten. Beobachten Sie, wer mit wem wie oft spricht. Ermuntern Sie die Teilnehmer, miteinander zu diskutieren, statt alle Gesprächsbeiträge über Sie zu leiten.
e9783527657599_coche.jpg  Mitwirkung schrittweise aufbauen. Überlegen Sie, wie Sie die Erwartungen methodisch höherschrauben. Vielleicht beginnen Sie mit einfachen Handzeichen, machen dann eine allgemeine Besprechungsrunde, wenden sich an bestimmte Teilnehmer, bitten Einzelne um eine Teilnahme in einer Kleingruppe und ermutigen schließlich jemanden, als Sprecher der Gruppe zu agieren.
e9783527657599_coche.jpg  Eine in sich geschlossene Atmosphäre schaffen. Wenn die Teilnehmer sich im Seminar sicher und aufgehoben fühlen, werden sie ein Teil der Gruppe sein wollen. Fordern Sie jeden zur aktiven Mitgestaltung auf, auch die stilleren Teilnehmer, und zeigen Sie jedem (nicht nur den stillen) deutlich, dass Sie jede Meinung und Anregung zu schätzen wissen.
Fazit: Auf die Lernenden eingehen
Es sind viele Dinge gleichzeitig, die Sie als Facilitator und Lernbegleiter zur erfolgreichen Aktivierung der Teilnehmer zu berücksichtigen haben. Doch das ist kein Grund zur Sorge. Vieles wird Ihnen ganz selbstverständlich werden, so wie Sie manches sicherlich von Natur aus richtig machen. Im Endeffekt kommt es darauf an, wie Sie auf die Lernenden und die Lernsituation eingehen. Merken Sie sich folgende Punkte, dann werden sich die Teilnehmer wohlfühlen und aktiv lernen:
e9783527657599_coche.jpg  eine entspannte und ungezwungene Atmosphäre herstellen
e9783527657599_coche.jpg  aktive Teilnahme befördern
e9783527657599_coche.jpg  die Menschen dort abholen, wo sie sind
e9783527657599_coche.jpg  eine offene, freundliche und ehrliche Kommunikation pflegen
e9783527657599_coche.jpg  Eigenverantwortung für das Lernen vermitteln
Ich wüsste zu gern, von wem das folgende Zitat stammt. Es spricht Bände darüber, warum manche Trainer erfolgreich sind und manche nicht. Gewidmet einem anonymen Autor: »Erwachsene möchten erst von Ihnen beachtet werden, bevor sie darauf achten, wie viel Sie wissen.«