23

 

Dunkelheit umgab George Slater, als er wieder zu Bewusstsein kam. In seiner Lendengegend brannte ein unerträglicher Schmerz. Sein Schädel pochte. Ihm war schwindlig, und alles wirkte verschwommen. Seine Beine. Sein Körper. Seine Erinnerung. Er versuchte sich daran zu erinnern, was geschehen war, doch sein Verstand kooperierte nicht.

Wo zum Teufel bin ich? 

Wie lange war ich bewusstlos? 

Wie bin ich hierhergekommen? 

Sehr langsam formten sich einzelne Erinnerungen. Das Klopfen an der Tür. Seine freudige Erregung, gleich Rafael wiederzusehen. Der seltsame Fremde vor der Tür der Mietwohnung. Der einseitige Kampf, seine Verwirrung, der Schmerz und dann – die Spritze.

Er fühlte sich schwach, alles drehte sich, er war hungrig, durstig und hatte Angst. Seine Hände ruhten über seiner Brust, waren aber nicht gefesselt. Als er sie bewegen wollte, merkte er, dass es nicht genügend Platz gab. Was sie berührten, fühlte sich an wie unpoliertes Holz, faserig und rau. Er versuchte zu schreien, doch der Knebel in seinem Mund hinderte ihn daran, auch nur einen Laut hervorzubringen.

Bei dem Versuch, seine Beine zu bewegen, stieß er auch dabei nach ein, zwei Zentimetern an eine Wand.

Eine Kiste. Ich bin in einer Holzkiste, durchfuhr es ihn, und im selben Moment erfasste ihn eine Welle von Panik.

Ich muss hier raus. 

Er versuchte, sich mit seiner ganzen Körperkraft von einer Seite zur anderen zu werfen, kratzte mit den Fingern an den Holzplanken, bis seine Nägel abbrachen, doch es half nichts. Er bekam Platzangst und wurde immer verzweifelter.

Ihm war klar, dass Panik alles nur noch schlimmer machte. Er musste jetzt logisch vorgehen, mit dem wenigen arbeiten, was er wusste. Also zwang er sich zur Ruhe, konzentrierte sich auf seinen Herzschlag und atmete tief ein und aus. Nach einer Weile wurde er tatsächlich etwas ruhiger. George zwang seinen Verstand zum Nachdenken. Versuchte, alles zusammenzutragen, was er an Informationen hatte: Er war überfallen, betäubt und in eine Art Holzkiste gesperrt worden. Er spürte, dass das Blut normal in seinem Körper zirkulierte, daraus schloss er, dass die Kiste offensichtlich nicht lag, sondern aufrecht stand. Der Gedanke erleichterte ihn ein wenig. Läge die Kiste, wäre er womöglich unter der Erde – lebendig begraben in einer Art Sarg. Allein die Vorstellung lähmte ihn vor Entsetzen. Schon als Kind hatte George unter Platzangst gelitten. Mit zehn hatte ihn seine Mutter einmal grün und blau geschlagen und dann zwölf Stunden lang ohne Essen und Trinken in einen Schrank gesperrt. Als Strafe dafür, dass er vom Fahrrad gefallen war und sich seine nagelneue Hose zerrissen hatte.

Er trat erneut mit den Füßen gegen das Holz. Es rührte sich keinen Millimeter, als wäre die Kiste von allen Seiten zugenagelt.

»Hör gefälligst auf, solchen Lärm zu machen.«

George erschrak. Da war noch jemand im Raum. Georges Herz fing an zu rasen. Er versuchte erneut, zu schreien, doch der Knebel in seinem Mund saß zu fest, und so brachte er nur einen erstickten Laut hervor.

»Es dauert nicht mehr lange.«

George spürte, wie die Panik zurückkam. Was dauerte nicht mehr lange? Bis er befreit wurde oder bis er starb? Er musste diesen Knebel loswerden. Wenn er reden könnte, würde er diese Person überzeugen können, wer immer es auch war. Das konnte er doch so gut – mit Leuten reden. Als Anwalt hatte er millionenschwere Deals ausgehandelt. Er hatte Geschworene und Richter davon überzeugt, dass seine Sicht der Dinge die richtige war. Wenn er nur die Chance zu sprechen bekäme, dann könnte er seinen Peiniger überzeugen. Wenn er doch nur reden könnte.

Erneut warf er sich mit aller Macht zur Seite, machte noch mehr Lärm. Allmählich breitete sich Hysterie in ihm aus.

»Das wird dir auch nicht helfen.«

Auf einmal erstarrte George. Er kannte diese Stimme. Ganz sicher, er hatte sie schon einmal gehört, aber wo? Er machte noch mehr Lärm.

»Nur zu, dann mach eben Lärm, wenn es dir Spaß macht.«

George hatte jetzt keinen Zweifel mehr. Er kannte diese Person. Er schloss die Augen, um sich ganz fest zu konzentrieren. Wo waren sie sich begegnet? In der Kanzlei? Im Gericht? Wo? George flehte sein Gedächtnis an, ihm zu helfen.

Heiliger Himmel! Zitternd schlug er die Augen auf. Es war auf einer Party gewesen, einer Sadomaso-Party. Mit einem Mal kam seine Erinnerung zurück: Er sah die Person ganz deutlich vor seinem inneren Auge.

Ich kenne dich. Ich weiß, wer du bist. 

Der Kruzifix-Killer
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