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Holly blieb im Korridor stehen. Lächelte. Die Frau hatte ihre Waffe vor der Tür an die Wand gelehnt und sie stehen lassen. Das war der Grund der Verzögerung gewesen. Sie hatte den Schlüssel ins Schloss gesteckt, das Tablett auf den Boden gestellt, die Waffe von der Schulter genommen, sie an die Wand gelehnt und dann das Tablett wieder aufgehoben, ehe sie die Tür aufgeschoben hatte.

Sie vertauschte das Eisenrohr gegen die Waffe. Keine Waffe, die sie schon einmal benutzt hatte. Auch keine, die sie jetzt benutzen wollte. Es war eine kleine Maschinenpistole. Eine Ingram MAC 10. Ein veraltetes Militärmodell. Aus gutem Grund veraltet. Hollys Klasse hatte sich im Unterricht in Quantico darüber lustig gemacht. Sie hatten sie die Telefonzellen-MP genannt, weil sie so ungenau war, dass man mit demjenigen, den man treffen wollte, zusammen in einer Telefonzelle stehen musste, um die Gewähr zu haben, ihn zu treffen. Ein makabrer Witz. Und sie feuerte auch viel zu schnell. Tausend Schuss pro Minute. Man brauchte bloß an den Abzug zu kommen, und schon war das Magazin leer.

Aber immerhin eine bessere Waffe als ein Teil von einer alten eisernen Bettstelle. Sie überprüfte das Magazin. Es war voll, dreißig Schuss. Der Mechanismus war gut geölt. Die MP funktionierte so sauber, wie sie das je tun würde. Sie klickte das Magazin wieder ein. Zog den Schulterriemen straff und hängte sie sich um. Brachte den Spannhebel in Schussposition und legte die Hand um den Griff. Schloss die andere Hand um den Griff ihrer Krücke und arbeitete sich zur Treppe vor.

Dort blieb sie stehen und wartete. Lauschte. Kein Laut zu hören. Sie ging die Treppe hinunter, langsam, Schritt für Schritt, die Ingram schussbereit vor sich. Unten angelangt, wartete sie und lauschte erneut. Kein Laut. Sie durchquerte den Vorraum und erreichte die Tür. Schob sie vorsichtig auf und sah hinaus.

Die Straße war verlassen. Aber sie war breit. Auf Holly wirkte sie wie ein großer städtischer Boulevard. Sie zu überqueren und auf der anderen Seite sichere Zuflucht zu finden würde Minuten kosten. Minuten im Freien, in voller Sicht der Berghänge darüber. Sie schätzte die Entfernung ab. Atmete tief durch und packte ihre Krücke fester. Stieß die Ingram nach vorn. Atmete noch einmal tief durch und hastete los, eine Art taumelnder Lauf, bei dem sie immer wieder die Krücke in den Boden stemmte, mit ihrem guten Bein einen Sprung nach vorn machte und die Waffe nach links und rechts schwang, um nach allen Seiten zu sichern.

Vor der Ruine des Bezirksbüros warf sie sich auf den kleinen Hügel. Kroch in nördlicher Richtung hinter dem Hügel herum und kämpfte sich durch Buschwerk, das an ihr zerrte. Drang in den Wald ein, parallel zum Weg, aber dreißig Meter davon entfernt. Stützte sich auf einen Baum und beugte sich nach vorn, vor Erschöpfung und Angst und zugleich einem Gefühl großer Befriedigung keuchend.

Jetzt wurde es ernst. Das war die Situation, auf die ihr ganzes Leben sie vorbereitet hatte. Sie konnte vor ihrem inneren Ohr die Geschichten hören, die ihr Vater ihr aus dem Krieg erzählt hatte. Der Dschungel von Vietnam. Die atemlose Angst bei dem Gefühl, im grünen Unterholz gejagt zu werden. Der Triumph eines jeden sicheren Schritts, eines jeden gewonnenen Meters. Sie sah die Gesichter der harten, stillen Männer, die sie als Kind auf den verschiedenen Militärstützpunkten gekannt hatte. Die Ausbilder in Quantico. Sie spürte die Enttäuschung, als man sie auf einen sicheren Schreibtischposten in Chicago versetzt hatte. Die ganze Ausbildung vergeudet, weil sie die war, die sie war. Jetzt war es anders. Sie richtete sich auf. Atmete tief durch. Dann ein zweitesmal. Sie spürte, wie ihre Gene im ganzen Körper sich förmlich aktivierten. Vorher hatten sie sich wie unerwünschte Eindringlinge angefühlt. Jetzt war das anders. Tochter ihres Vaters? Darauf können Sie Ihren Arsch verwetten!

 

Reacher wurde mit Handschellen um den Stamm einer dreißig Meter hohen Kiefer gefesselt. Man hatte ihn über den schmalen Weg zur Bastion gezerrt. Vor Wut kochend. Seit er ein Kind gewesen war, hatte er sich nicht mehr wehrlos so herumstoßen lassen. Die Wut verdrängte den Schmerz. Ließ sein Bewusstsein verschwimmen. Leben um Leben, hatte dieser fette Mistkerl gesagt. Reacher hatte sich auf dem Boden gekrümmt, und die Worte hatten ihm nichts bedeutet.

Aber jetzt bedeuteten sie etwas. Sie hatten sich wieder bei ihm eingestellt, als er an den Baum gefesselt dastand. Männer und Frauen waren herangeschlendert und hatten gelächelt, eine Art von Lächeln, wie er es schon früher gesehen hatte, vor langer Zeit. Das Lächeln gelangweilter Kinder, die irgendwo auf einem isolierten Stützpunkt lebten, das Lächeln, das sich bei ihnen einstellte, nachdem man ihnen gesagt hatte, dass der Zirkus in die Stadt kommen würde.

 

Sie dachte scharf nach, musste aber raten, wo er war. Und sie musste raten, wo der Exerzierplatz war. Sie musste einen Punkt auf halbem Weg zwischen diesen beiden unbekannten Orten erreichen und sich dort in einen Hinterhalt legen. Sie wusste, dass das Gelände steil zu der Lichtung mit den Hütten anstieg, und erinnerte sich auch daran, dass man sie hügelabwärts zum Gerichtsgebäude gebracht hatte. Vermutlich war der Exerzierplatz eine große ebene Fläche. Deshalb musste er ein gutes Stück hügelaufwärts im Nordwesten liegen, wo das Terrain in der Bergsenke flach wurde. Ein Stück hinter den Hütten. Sie machte sich hügelaufwärts durch den Wald auf den Weg.

Gleichzeitig versuchte sie sich ein Bild davon zu machen, wo der normale Weg verlief. Alle paar Meter blieb sie stehen und blickte nach Süden, drehte sich nach links und rechts, um die Lücken in dem Dach aus Ästen zu finden, wo man die Bäume gerodet hatte. Auf diese Weise konnte sie folgern, in welche Richtung der Weg verlief. Sie hielt sich parallel dazu, dreißig oder vierzig Meter nördlich, und arbeitete sich durch das dichte Gehölz und die jungen Schößlinge neben den Stämmen. Es ging die ganze Zeit steil bergauf, und es war harte Arbeit. Sie setzte ihre Krücke ein wie ein Bootsmann seine Stange benutzt, presste sie fest in den Boden und stieß sich dann nach oben ab.

In gewisser Weise war ihr Knie ihr dabei behilflich. Es zwang sie, langsam und vorsichtig zu klettern. Es zwang sie, leise zu sein. Und darauf verstand sie sich. Die alten Geschichten aus Vietnam hatten es sie gelehrt, nicht ihre Ausbildung in Quantico. Die Akademie hatte sich auf städtische Einsätze konzentriert. Das Büro hatte sie gelehrt, wie man sich durch eine Straße in einer Stadt oder ein dunkles Gebäude schleicht. Das Wissen darüber, wie man sich durch einen Wald schleicht, stammte aus einer weiter zurückliegenden Schicht ihrer Erinnerung.

 

Einige Leute schlenderten heran und dann wieder weg, aber manche blieben. Nach einer Viertelstunde gab es eine kleine Gruppe von vielleicht fünfzehn oder sechzehn Leuten, hauptsächlich Männern, die ziellos in einem weiten Halbkreis um ihn herum standen. Sie behielten ihren Abstand bei, wie Gaffer anlässlich eines Autounfalls hinter einer unsichtbaren Polizeiabsperrung. Sie starrten ihn stumm an, mit leeren Gesichtern. Er starrte zurück. Er ließ seinen Blick auf jedem einzelnen verweilen, ein paar Sekunden lang. Seine Arme hatte er, soweit ihm das möglich war, hochgezogen. Er wollte die Füße frei haben, um sie einsetzen zu können, falls jemand von denen auf die Idee kam, die Vorstellung ein wenig vor der Zeit zu beginnen.

 

Sie roch den ersten Posten, ehe sie ihn sah. Er bewegte sich gegen den Wind auf sie zu, rauchte. Der Geruch der Zigarette und der ungewaschenen Uniform wehte zu ihr hinunter, und sie bog lautlos nach rechts ab, schlug einen weiten Bogen um den Mann und wartete. Er ging weiter den Abhang hinunter und war kurz darauf verschwunden.

Der zweite Posten hörte sie. Sie spürte das. Spürte, wie er stehenblieb und lauschte. Sie stand reglos da. Dachte scharf nach. Sie wollte die Ingram nicht einsetzen. Dazu war sie zu ungenau. Und der Lärm konnte fatale Folgen haben. Also bückte sie sich und hob zwei kleine Steine auf. Ein alter Dschungeltrick, den man ihr als Kind erzählt hatte. Sie warf den ersten Stein fünf Meter nach rechts. Wartete. Warf den zweiten zehn Meter weit. Sie hörte, wie der Posten daraus folgerte, dass sich links von ihm langsam etwas entfernte. Hörte, wie er sich in jene Richtung bewegte. Sie bewegte sich nach rechts. Ein weiter Bogen und dann erneut den endlosen Abhang hinauf.

 

Fowler schob sich durch den kleinen Halbkreis aus Zuschauern. Trat dicht vor ihn. Starrte ihn an. Dann kamen sechs Wachen durch die Menge auf ihn zu. Fünf von ihnen hatten Karabiner, der sechste trug ein Stück Kette. Fowler trat zur Seite, und die fünf Karabiner bohrten sich Reacher in den Bauch. Er blickte auf sie hinab. Die Waffen waren entsichert.

»Zeit zu gehen«, sagte Fowler.

Er verschwand hinter dem dicken Baumstamm, und Reacher spürte, wie die Handschellen aufgeschlossen wurden. Er beugte sich nach vorn, und die Gewehrläufe folgten seiner Bewegung. Dann schlossen sich die Handschellen wieder um seine Handgelenke, und jetzt war die Kette an ihnen befestigt. Fowler packte die Kette, und Reacher wurde durch die Bastion gezerrt, mit dem Gesicht zu den fünf Wachen. Sie gingen alle rückwärts, ihre Waffen vielleicht einen Fuß von seinem Kopf entfernt. Die Zuschauer hatten sich zu einem dichten Spalier aufgereiht. Er wurde zwischen ihnen durchgezerrt. Die Leute zischten und murmelten, während er an ihnen vorbeigezogen wurde. Dann löste sich die Formation auf, und sie rannten ihm voraus zum Exerzierplatz hinauf.

 

Der dritte Posten erwischte sie. Ihr Knie ließ sie im Stich. Sie musste einen hohen Felsvorsprung hinaufklettern und musste das wegen ihres Beins rückwärts tun, saß auf dem Felsbrocken, als ob er ein Stuhl wäre, und benutzte ihr gutes Bein und die Krücke, um sich nach oben zu stemmen. Endlich erreichte sie den höchsten Punkt des Vorsprungs und ließ sich nach rückwärts rollen, keuchte vor Anstrengung, rappelte sich dann auf – und stand dem Posten von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Den Bruchteil einer Sekunde war sie vor Schreck wie gelähmt. Er war das nicht. Er hatte oben auf dem Felsvorsprung gestanden und ihr zugesehen, wie sie sich qualvoll in die Höhe gearbeitet hatte. Und deshalb war er nicht überrascht. Aber er war langsam. Bei einem Gegner wie Holly hätte er schnell sein sollen. Er hätte bereit sein müssen. Ihre Reaktion setzte ein, ehe er reagieren konnte. Ihre Grundausbildung trat in Funktion. Es ging ohne zu denken. Sie ballte die Faust und schlug zu, ein schneller, flacher Uppercut. Traf ihn hart zwischen den Beinen. Er klappte nach vorn zusammen, ging zu Boden, und sie schlang den linken Arm um seine Kehle und drückte ihm den rechten Unterarm hinten gegen den Hals. Sie spürte, wie seine Wirbel knackten und sein ganzer Körper schlaff wurde. Dann presste sie beide Hände über seine Ohren und drehte seinen Kopf ruckartig zuerst nach links und dann nach rechts herum. Ein Stoß beförderte ihn über die Felskante. Seine Glieder flogen schlaff herum. Dann fluchte sie und stieß eine bittere Verwünschung aus. Sie hätte ihm seine Waffe abnehmen sollen. Die war mehr wert als ein Dutzend Ingrams. Aber sie würde ganz sicher nicht noch einmal hinunterklettern, um sie zu holen. Anschließend wieder nach oben zu klettern hätte sie zu lange aufgehalten.

 

Der Exerzierplatz war voller Menschen. Alle ordentlich aufgereiht. Reacher nahm an, dass da vielleicht hundert Leute angetreten waren. Männer und Frauen. Alle in Uniform. Alle bewaffnet. Ihre Waffen stellten eine beeindruckende Ansammlung von Feuerkraft dar. Jede Person hatte entweder ein Schnellfeuergewehr oder eine Maschinenpistole über der linken Schulter hängen. Jede Person hatte eine Pistole am Gürtel. Alle hatten sie Munitionstaschen und Handgranaten, die vorschriftsmäßig an ihren Uniformgurten hingen. Viele hatten sich Nachttarnung ins Gesicht geschmiert.

Ihre Uniformen stammten aus Überschüssen der US Army. Tarnjacken, Tarnhosen, Dschungelstiefel, Feldmützen. Sachen, wie Reacher sie im Lagerhaus gesehen hatte. Aber alle Uniformen zeigte zusätzliche Merkmale. Jede Jacke trug an der Schulter ein Abzeichen aus braunem Seidengewebe, auf dem in eleganter Schrift Montana Militia stand. Über der Brusttasche eines jeden einzelnen war ein olivfarbener Streifen mit dem Namen des Trägers aufgenäht. Einige der Männer trugen auf der Brusttasche einzelne Chromsterne. Eine Art Rangabzeichen.

Beau Borken stand auf einer umgedrehten Holzkiste am Westrand des Platzes, dem Wald den Rücken zukehrend. Seine mächtige Gestalt ragte über seinen Truppen auf. Er sah Fowler und Reacher und die Wachen zwischen den Bäumen herankommen.

»Achtung!«, rief er.

Ein Scharren war zu hören, als die hundert Angehörigen seiner Miliz Haltung annahmen. Die Brise trug den Geruch von Drillichstoff zu Reacher herüber. Den Geruch von hundert Uniformen aus Armeeüberbeständen. Borken bewegte seinen riesigen Arm, und Fowler benutzte die Kette dazu, Reacher vor die angetretenen Truppen zu ziehen. Die Wachen packten ihn an Armen und Schultern. Er wurde herumgedreht und vor die Kiste gezerrt, war plötzlich isoliert und sah sich der Menge gegenüber.

»Wir wissen alle, weshalb wir hier sind!«, rief Borken ihnen zu.

 

Sie hatte keine Ahnung, wie weit sie gekommen war. Hunderte von Metern bergauf, aber noch immer war sie tief im Wald. Der Weg verlief vierzig Meter südlich von ihr, auf ihrer linken Seite. Sie spürte, wie die Minuten verstrichen und die Panik in ihr wuchs. Ihre Krücke fester packend setzte sie sich, so schnell sie das wagte, wieder in nordwestlicher Richtung in Bewegung.

Dann sah sie vor sich ein Gebäude. Eine Holzhütte, zwischen den Bäumen zu erkennen. Das Unterholz wurde spärlicher und ging in eine felsige Fläche über. Sie kroch an den Rand des Waldes und blieb stehen. Lauschte, soweit das Brausen ihres eigenen Atems das zuließ. Hörte nichts, packte ihre Krücke und zog die Ingram am Schulterriemen in Schussposition. Hinkte über die steinige Fläche auf die Ecke der Hütte zu. Sah sich um.

Sie befand sich auf der Lichtung, wo sie am vergangenen Abend eingetroffen waren. Eine weite, kreisförmige Fläche. Steinig. Von Hütten umgeben. Still. Das völlige Schweigen eines Platzes, der erst vor kurzem verlassen worden war. Sie kam hinter der Hütte heraus und hinkte in die Mitte der Lichtung, drehte auf ihrer Krücke eine Art Pirouette, ließ den Lauf der Ingram in einem weiten Bogen über die Bäume wandern, die die Lichtung umgaben. Nichts. Niemand da.

Dann sah sie zwei Wege, einen, der nach Westen führte, und einen etwas breiteren nach Norden. Sie entschied sich für den nach Norden und zog sich wieder in den Schutz der Bäume zurück. Jetzt schlug sie alle Vorsicht in den Wind, achtete nicht mehr darauf, keine Geräusche zu verursachen, und rannte hinkend nach Norden, so schnell das ging.

 

»Wir wissen alle, weshalb wir hier sind!«, rief Borken ein zweitesmal.

Ein Raunen ging durch die angetretenen Leute, stieg zwischen den Bäumen empor. Reacher ließ seinen Blick über die Gesichter wandern. Er sah Stevie in der vordersten Reihe. Einen Chromstern an seiner Brusttasche. Little Stevie war Offizier. Neben Stevie erkannte er Joseph Ray. Dann wurde ihm bewusst, dass Jackson nicht da war. Keine narbige Stirn. Er suchte die Gesichter ein zweites Mal ab. Keine Spur von ihm auf dem Exerzierplatz. Er biß die Zähne zusammen, um ein Lächeln zu verhindern. Jackson hielt sich versteckt. Holly würde es vielleicht doch noch schaffen.

 

Sie sah ihn. Starrte über hundert Köpfe hinweg aus dem Wald heraus und sah ihn neben Borken stehen. Die Arme waren ihm auf den Rücken gefesselt. Er musterte die Menge. Nichts in seinem Gesicht. Sie hörte Borken sagen: »Wir wissen alle, weshalb wir hier sind.« Und dachte: Ja, ich weiß, weshalb ich hier bin. Ich weiß genau, weshalb ich hier bin. Sie sah nach links und rechts. Hundert Menschen, Gewehre, Maschinenpistolen, Pistolen, Handgranaten. Borken auf der Kiste mit erhobenen Armen. Reacher, hilflos, neben ihm. Sie stand zwischen den Bäumen, ihr Herz dröhnte, während sie gebannt hinüberstarrte. Dann atmete sie tief durch. Schaltete die Ingram auf Einzelfeuer und schoss in die Luft. Trat zwischen den Bäumen hervor. Feuerte noch einmal. Und noch einmal. Drei Schüsse in die Luft. Drei Kugeln vertan, siebenundzwanzig noch im Magazin. Sie legte den Hebel wieder auf Automatik um und trat zwischen die Menge, teilte sie vor sich mit langsamen, drohenden Bewegungen ihrer Waffe.

Sie war eine Frau, die sich langsam durch eine Menge von hundert Menschen bewegte. Argwöhnisch machten sie ihr Platz und nahmen, als sie an ihnen vorbei war, die Waffen von der Schulter, spannten sie und richteten sie auf ihren Rücken. Eine Welle lauter mechanischer Geräusche verfolgte sie wie eine langsame Flut. Als sie die vorderste Reihe erreicht hatte, waren von hinten hundert geladene Waffen auf sie gerichtet.

»Nicht auf sie schießen!«, schrie Borken. »Das ist ein Befehl! Niemand schießt!«

Er sprang von der Kiste. Panik zeichnete sein Gesicht. Er hob die Arme und tanzte verzweifelt um sie herum, schirmte sie mit seiner Leibesfülle ab. Niemand feuerte. Sie hinkte von ihm weg, drehte sich um und blickte auf die Menge.

»Was zum Teufel machen Sie da?«, schrie Borken sie an. »Glauben Sie vielleicht, Sie könnten mit dieser armseligen Spielzeugpistole hundert Leute erschießen?«

Holly schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte sie ganz ruhig.

Dann drehte sie die Ingram herum und drückte sich den Lauf gegen die Brust.

»Aber mich kann ich erschießen«, sagte sie.