Kapitel 3
Gewarnt sei der Reisende vor den Übertreibungen, zu denen viele seiner Weggefährten neigen. So könnten sie ihm glauben machen, das Volk von Frakknor bestünde nur aus Wegelagerern, Dieben und Halsabschneidern. Obwohl dies nicht stimmt, sei vom Besuch der Provinz Frakknor abgeraten, denn ihr schlechter Ruf hat die Einheimischen mürrisch und misstrauisch gemacht.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
Es regnete die ganze Nacht. Erst am Morgen ließ das Plätschern des Wassers nach. Als das erste Tageslicht unter der Tür durchschimmerte, legte Ana das Schaffell beiseite, das ihr als Decke gedient hatte, und stand auf.
Alle Gäste hatten unter Fellen und Decken in der Hütte übernachtet. Am Abend waren noch zwei alte Männer hinzugekommen, ehemalige Sklaven, denen ihr Herr die Freiheit geschenkt hatte und die ohne Zuhause und ohne Geld durch das Land zogen. Sie waren auf dem Weg zum Sklavenmarkt von Srzanizar, in der Hoffnung, dass sie dort jemand kaufen würde. Aus Mitleid hatte Guus, der Schmied, ihnen die Übernachtung in der Hütte bezahlt.
Ana verließ die Hütte durch die offene Hintertür. Es war heller, als sie gedacht hatte. Sie blinzelte in den wolkenverhangenen Morgen und gähnte.
»Eine Regentonne steht links von dir, falls du dich säubern möchtest«, sagte Ruta.
Ana zuckte zusammen. Die Wirtin hatte hinter einigen der mannshohen Pflanzen auf dem Feld gestanden und war nicht zu sehen gewesen. Nun trat sie zwischen den langen Blättern hervor. In einer Hand hielt sie einen Korb mit roten Schoten, in der anderen ein langes Messer.
»Für das Morgenmahl«, sagte sie. »Rotaugenschoten. Wer danach nicht aufwacht, ist tot.«
Ana ließ das Messer nicht aus den Augen. Es war alt und verrostet. Die Spitze der Klinge war abgebrochen.
»Hier in der Gegend«, fuhr die Wirtin fort, »legt man den frisch Verstorbenen Rotaugenschoten in den Mund, damit man sicher sein kann, dass sie auch wirklich tot sind. Hast du das gewusst?«
»Nein.«
»Wie auch, du bist ja nicht aus dieser Gegend.« Ruta rammte das Messer in einen Baumstumpf. Die Spannung wich von Ana.
»Nein«, antwortete sie mit der Geschichte, die sie einstudiert hatte, »ich bin aus Ashanar. Der Mann, dem ich versprochen wurde, hat einen Hof in Gomeran. Ich bin auf dem Weg zu ihm. Eigentlich sollten meine Brüder mich begleiten, aber der Fürst hat sie gezwungen, Soldaten zu werden.«
Die Wirtin stellte ihren Korb neben der Regentonne ab und begann die Schoten zu waschen. »Dann solltest du den Flussgöttern dafür danken, dass sie dich zu dieser Taverne und zu solch freundlichen Mitreisenden geführt haben. Es ist gefährlich hier im Süden, vor allem in letzter Zeit. Man weiß nie, wem man begegnet.«
»Das habe ich gemerkt.« Ana nahm eine der fingerlangen Schoten aus dem Korb. Sie war erstaunlich schwer und verströmte einen beißenden Geruch, der zum Niesen reizte. »Da war so ein seltsamer Mann gestern im Wald.«
Ruta sah sie von der Seite an. »Saß er auf einem kleinen Pferd und trug feine Kleidung?«
»Nun, er …« Ana musste sich erst ins Gedächtnis zurückrufen, dass die schäbigen Klamotten, die der Alte getragen hatte, bei der elenden Landbevölkerung als »feine Kleidung« durchgingen. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, ergriff die Wirtin wieder das Wort.
»Hast du mit ihm gesprochen?« Die Frage klang beiläufig, aber etwas Lauerndes schwang darin mit, das Ana aufhorchen ließ.
»Nein«, sagte sie. »Das habe ich nicht.«
»Kein Wort?«
»Nein. Er hat mich nicht beachtet.«
Die Wirtin nahm ihr die Schote aus der Hand. »Die Götter meinen es wirklich gut mit dir.«
»Wieso, ist er gefährlich?«, fragte Ana. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Guus das Haus verließ. Er nickte ihr kurz zu, dann ging er zu den Bäumen am Rand des Feldes.
»Nein … ja.« Ruta zögerte, suchte sichtlich nach den richtigen Worten. »Er sieht die Welt nicht wie wir. Du und ich sind nicht da für ihn, nur die, denen die Götter bereits ihr Totenmal auf die Stirn gezeichnet haben. Mit ihnen kann er sprechen. Das geht schon seit einigen Jahren so.«
Ana hörte den Schmied pfeifen, während er sein Morgengeschäft verrichtete. »Heißt das, dass alle, mit denen er spricht, sterben müssen?« Ihr Mund war so trocken, dass sie die Frage kaum aussprechen konnte.
»Die Götter entscheiden, wer stirbt und wer lebt, niemand sonst. Savver ist ihnen nur näher als die meisten.«
Ruta nahm den Korb und zog das Messer aus dem Baumstumpf. »Komm«, sagte sie, »das Morgenmahl ist gleich fertig. Ihr müsst euch beeilen, wenn ihr Srzanizar noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollt.«
Das ist nur Aberglaube, dachte Ana. Es hat nichts zu bedeuten.
Sie hakte die Daumen ineinander und klatschte dreimal in die Hände, um die bösen Geister zu vertreiben, so wie ihre Zofe Zrenje es ihr als Kind gezeigt hatte. Danach fühlte sie sich besser.
In der Hütte hatten die anderen Reisenden begonnen zu packen. Die Vordertür stand offen, die meisten Pferde waren gesattelt und beladen worden, zwei von ihnen hatte man bereits vor einen Karren gespannt, dessen Ladung aus Kisten und Fellbündeln unter einer Decke hervorragte.
Urek stocherte mit seinem Kurzschwert in dem niedergebrannten Kaminfeuer. Flammen leckten an frischem Holz, Funken stoben.
»Es ist noch Eintopf da«, sagte er, aber niemand beachtete ihn.
Schweigend nahmen sie das Morgenmahl ein. Es bestand aus Brot, Schmalz und Rotaugenschoten. Ana tränten bereits nach dem ersten Bissen die Augen, aber sie aß weiter, wie alle anderen auch.
»Schärfe reinigt die Seele«, hörte sie Ruta sagen. »Und einer reinen Seele ist das Glück wohlgesonnen.«
Sie mögen es nicht, wenn man schmutzig ist. Der Satz stand ungewollt in Anas Gedanken. Ohne zu kauen schluckte sie den Rest der Schote hinunter und leerte ihren Krug mit dünnem Bier.
Wenig später brachen sie auf.
Magrik und Theul, die beiden alten Sklaven, waren die Einzigen, die kein Reittier hatten, aber Frek ließ sie auf seinem Karren mitfahren, was zu einem kurzen Streit zwischen ihm und Marta führte. Dann endlich ließen sie die Taverne hinter sich.
Der nächtliche Regen hatte die Straße in Schlamm verwandelt. Bei jedem Tritt der Pferde spritzte es nach oben, die Räder des Karrens gruben sich so tief ein, dass es einige Male fast so aussah, als müsse man die Waren abladen, um ihn aus dem Schlamm zu befreien.
Gegen Mittag lösten sich die letzten Wolken auf. Sonnenstrahlen begannen die Straße zu trocknen.
»Wurde auch verdammt noch mal Zeit«, sagte Guus wenig später, als der Karren wieder über festen Boden rollte. Seine Stimme riss Ana aus dem Halbschlaf, in dem sie die letzten Stunden verbracht hatte. Sie wusste nicht, wie weit sie gekommen waren, aber es konnte nicht sehr weit sein. Der Karren hielt die Gruppe auf.
Allein wäre ich viel schneller, dachte Ana, doch sie schreckte davor zurück, die anderen zu verlassen. Zu gefährlich musste die Gegend, durch die sie zogen, sein, wenn sogar der Schmied die Gemeinschaft mit anderen suchte – und zu sehr beschäftigten sie die Worte des Wahnsinnigen.
Sie sah auf, als Hetie ihr Pferd neben das ihre lenkte.
»Kommst du von weither?«, fragte sie, ohne Ana anzusehen.
»Zwölf Tagesreisen.« Es war das erste Gespräch, das sie miteinander führten.
»Und du warst die ganze Zeit allein?«
Ja, dachte Ana. Ich war allein, auch wenn jemand bei mir war. Und ich werde immer allein sein, weil es so sein muss, wenn man herrschen will.
»Das war ich«, antwortete sie und fühlte sich auf einmal sehr erwachsen, viel erwachsener als das Mädchen, das neben ihr ritt und sie noch nicht einmal anzusehen wagte.
»Ich war noch nie allein«, sagte Hetie, »und ich bin auch noch nie gereist.«
In ihrer Stimme schwang Sehnsucht mit, so als wartete alles, was sie sich erträumt hatte, an einem fernen Ort auf sie.
»Aber jetzt reist du doch?«
Hetie sah sich nach dem Rest ihrer Familie um. »Das ist nicht dasselbe«, sagte sie leise. »Du reist zu dem Mann, dem du versprochen wurdest, aber wenn du nicht zu ihm wolltest, könntest du einfach an einen anderen Ort gehen, nicht wahr? Niemand würde dich aufhalten.«
»So einfach ist das nicht«, antwortete Ana, obwohl sich ein Teil von ihr fragte, ob es nicht tatsächlich so war. Sie wechselte das Thema. »Wo reist ihr denn hin?«
»Nach Srzanizar und von dort in die südlichen Steppen. Frek ist Pelzjäger, aber seit die Milizen überall durch die Wälder ziehen, findet er kein Wild mehr. Deshalb gehen wir nach Süden.«
»Dann wirst du viel Neues erleben«, sagte Ana, um sie ein wenig aufzumuntern. »Im Süden soll es Tiere so groß wie Berge geben und Fische, die über das Wasser fliegen. Du wirst gar nicht wissen, was du dir zuerst ansehen sollst.«
»Ich werde nichts sehen außer dem Kochtopf und dem Waschzuber.« Hetie senkte erneut den Kopf. »Das ist mein Schicksal als zweite Frau.«
Ana wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. »Du …«, begann sie, doch im gleichen Moment zischte etwas an ihrem Kopf vorbei. Erschrocken zuckte sie zusammen.
Guus schrie. Ana fuhr herum, starrte entsetzt auf den Bolzen, der aus seinem Auge ragte. Er hatte den Schädel durchschlagen. Die Metallspitze war am Hinterkopf ausgetreten. Blut lief seinen Nacken hinab.
Sein Pferd stieg in Panik auf und galoppierte den Weg entlang. Er blieb darauf sitzen, schlaksig wie eine Stoffpuppe. Ana gelang es erst, den Blick von ihm zu lösen, als er hinter einer Biegung verschwand.
Das dumpfe Katapultgeräusch von Armbrustbolzen hallte durch die Bäume.
»Rettet euch!«, schrie einer der beiden alten Männer. Sein Begleiter lag auf dem Karren und wand sich schreiend. Ein Bolzen steckte in seiner Seite.
»Weg hier!« Ana drehte sich zu Hetie um. Sie hatte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen und zitterte. Ana griff nach den Zügeln ihres Pferdes. »Halt dich fest!«
Dann trat sie ihrem eigenen Pferd in die Flanken. Erschrocken galoppierte es los. Die Zügel, die Ana in der Hand hielt, strafften sich; einen Augenblick fürchtete sie, das zweite Pferd würde dem Zug nicht nachgeben, dann lockerten sich die Zügel.
Sie duckte sich, brachte ihren Kopf auf eine Höhe mit dem Hals des Pferdes. Vor ihr schlängelte sich die Straße durch den Wald. Das war die einzige Fluchtmöglichkeit, das Unterholz zu beiden Seiten war zu dicht, um mit den Pferden hindurchzureiten.
Ana warf einen kurzen Blick hinter sich. Hetie hielt sich an der Mähne ihres Pferdes fest. Man konnte sehen, dass sie das Reiten nicht gewöhnt war.
»Nicht loslassen!«, rief Ana ihr über das Trommeln der Hufe hinweg zu. Dann sah sie zurück zur Straße und riss erschrocken an den Zügeln, als sie das Pferd des Schmieds vor sich auftauchen sah.
Jemand Fremdes saß darauf, mit einem vors Gesicht gebundenen Tuch maskiert und in speckige Lederkleidung gehüllt. Guus lag reglos am Boden. Ein zweiter Unbekannter, der genauso gekleidet und maskiert war wie der erste und ebenso auffallend schmal in den Schultern wirkte, zog ihm gerade die Stiefel aus. Neben ihm lag eine Armbrust.
Der Fremde, der auf Guus' Pferd saß, trat ihm in die Flanken. Zwei Schwerter steckten in seinem Gürtel, eine Armbrust hing an einer Schlaufe von seiner Schulter.
Ana sah sich hektisch um. Ihr Blick fiel auf einen Trampelpfad, der hinein in den Wald führte. Ohne zu zögern spornte sie ihr Pferd an, duckte sich unter den tief hängenden Ästen und trieb das Tier weiter zwischen die Bäume. Schlagartig wurde es dunkel, als sich das Laubdach über ihnen schloss.
Hinter ihr schluchzte Hetie laut, während Bäume, Sträucher und Gestrüpp an Ana vorbeiflogen. Sie ritt viel zu schnell. Dornen rissen an ihrem Umhang und den Flanken des Pferdes. Es hatte Schaum vor dem Maul. Seine Augen waren weit aufgerissen, versuchten ebenso wie Anas, jedes Hindernis zu erkennen, bevor es zur tödlichen Gefahr werden konnte.
Äste krachten hinter Ana, aber sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Wenn Hetie stürzte, gab es ohnehin nichts, was sie hätte tun können.
Vor ihr lichtete sich der Wald. Ana galoppierte auf die Helligkeit zu. Der Boden wurde sandiger, dann auf einmal blinzelte sie in helles Sonnenlicht, und vor ihr glitzerte eine endlos wirkende Wasserfläche. Eine leichte Brise kühlte Anas Gesicht. Sie war am Ufer des Großen Flusses.
Süden, dachte sie. Die Stadt, zu der wir wollten, liegt im Süden.
Sie drehte sich um. Hetie saß noch im Sattel. Ihr Gesicht und ihre Arme waren zerkratzt, aber sie weinte nicht mehr, blickte stattdessen mit zusammengekniffenen Augen in den Wald. »Sind sie weg?«, fragte sie so leise, dass ihre Worte über das Rauschen der Wellen kaum zu verstehen waren.
»Ich weiß es nicht.« Ana reichte ihr die Zügel. »Wir müssen weiter.«
Sie wandte ihr Pferd nach Südwesten, der Sonne entgegen. Geblendet zwinkerte sie, dann sah sie die beiden Silhouetten, die sich aus dem Wald lösten.
»O nein, o nein, o nein.« Immer wieder stieß Hetie es hervor, als hätte der Schreck sie alle anderen Worte vergessen lassen.
»Zurück.« Ana griff ihr in die Zügel, wendete beide Pferde in die entgegengesetzte Richtung. Ein Teil von ihr drohte in Panik zu verfallen, als sie die Gestalten sah, die auf der nördlichen Seite des Ufers auftauchten und ihre Armbrüste auf sie richteten, ein anderer blieb ganz ruhig.
Oneinoneinonein wurde zu einem Hintergrundgeräusch, so bedeutungslos wie das Rauschen der Wellen und das Knistern des Sandes. Ana wartete. Der Wald ragte schwarz und undurchdringlich und geheimnisvoll vor ihr auf. Alles konnte sich darin verbergen, jeder.
Die Maskierten hatten sie fast erreicht. Ana erkannte die Pferde wieder, auf denen sie ritten. Sie trugen noch die Gabeln, mit denen man sie vor den Karren gespannt hatte. Und noch etwas fiel Ana auf – etwas, das sie schon vorhin registriert hatte, dem sie aber kaum Beachtung geschenkt hatte: die schlanken Gestalten der Maskierten, ihre schmalen Schultern und die im Vergleich dazu breiten Hüften.
Das waren – Frauen.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass auch die beiden anderen, die auf dem Pferd des Schmieds und auf einem Pony saßen, näher gekommen waren. Ihre Armbrüste waren auf den Boden gerichtet. Sie erwarteten keinen Widerstand mehr.
»O nein, o nein, o nein.« Die Worte brachen abrupt ab, als eine der maskierten Frauen Hetie vom Pferd zog. Man fesselte ihr die Hände und band den Strick an seinem Sattelknauf fest.
Ana wartete nicht, bis die Maskierte auch zu ihr kam. Sie stieg ab und hielt ihr die Hände hin. Sie sah, wie die Maskierte einen überraschten Blick mit jemandem tauschte, der hinter ihr auf einem Pferd saß.
Dann fesselte sie Ana, band den Strick an ihrem eigenen Pferd und saß auf. Im Schritttempo führte die Maskierte sie am Strand entlang. Ana ließ sich mitziehen. Ihre Blicke suchten den Wald ab, warteten auf eine Bewegung, auf das Blitzen von Metall, auf den Schrei, mit dem ein Maskierter vom Pferd stürzte.
Sie ließen den Strand hinter sich und tauchten in den Wald ein. Niemand sagte ein Wort, sogar Hetie schwieg.
Jeden Moment, dachte Ana. Gleich.
Der Wald wich der Straße. Sechs weitere Banditen – allesamt Frauen, wie man trotz der vor ihre Gesichter gebundenen Tücher erkennen konnte – waren damit beschäftigt, die Leichen zu plündern und den Inhalt der Kisten, die auf dem Karren gestanden hatten, auf ihre Pferde zu verteilen. Die Männer waren tot, lagen halb nackt und mit durchschnittenen Kehlen am Boden. Marta stand gefesselt neben einem Pferd. Ihre Augen waren gerötet. Sie weinte lautlos.
»Jonan«, flüsterte Ana. Ihr Blick glitt über den dunklen Wald, suchte nach seinem Schatten. »Jonan.«
Die Banditinnen nahmen die Tücher nicht ab, mit denen sie maskiert waren. Ana glaubte nicht, dass es ihnen darum ging, dass ihre Opfer sie nicht wiedererkennen sollten. Wahrscheinlich trugen sie die Gesichtstücher, um bei ihren Überfällen furchterregender zu wirken. Vielleicht befürchteten sie aber auch, bei ihrem blutigen Handwerk nicht ernst genommen zu werden, wenn man sie auf den ersten Blick als Frauen erkannte. Möglicherweise waren diese Tücher, die die untere Hälfte des Gesichts bedeckten, auch einfach nur so eine Art Erkennungszeichen dieser Bande.
Sie schoben den Karren von der Straße, dann saßen sie auf. In Zweierreihen wandten sie sich nach Süden, so diszipliniert und schweigsam wie Soldaten.
Ana ließ sich hinter dem Pferd herziehen, aber erst, als die Sonne hinter den Bäumen versank und die Mauern einer Stadt vor ihr auftauchten, wandte sie den Blick vom Wald ab. Ihr Herz schlug schnell, ihre Hände waren schweißnass, ihr Mund trocken.
Sie war allein.