Apia, Oktober bis November 1914
Die Nachricht von Kate McDowells bevorstehender Hochzeit mit »dem Neuseeländer« hatte sich unter den deutschen Frauen wie ein Lauffeuer verbreitet. Selbst die Tatsache, dass einige deutsche Männer bereits in Gefangenenlagern auf die Fidschi-Inseln und nach Solmes Island in Neuseeland gebracht worden waren, war nicht mehr so interessant wie die Tatsache, dass Kate McDowell sich mit »dem Feind« verlobt hatte.
Kate konnte es kaum mehr erwarten. Sie studierte gerade den Menüplan für ihren großen Tag, als sie Maria auf das Haus zusteuern sah.
Sie will mir bestimmt endlich gratulieren, mutmaßte Kate erfreut, denn Maria hatte noch nichts von sich hören lassen, obwohl sie wie alle anderen eine Einladung zur Hochzeit erhalten hatte, die morgen stattfinden würde. Kate legte den Plan zur Seite und breitete ihre Arme weit aus, um ihre Freundin zu begrüßen, doch Maria ignorierte diese Geste und fragte vorwurfsvoll: »Wie kannst du so etwas bloß tun? Hast du denn gar keine Ehre im Leib?«
Kate sah sie entgeistert an. Wenn Gertrude Wohlrabe solche Worte im Mund führte, nun gut, das war sie gewohnt, aber Maria?
»Hat dir dein Schwiegervater ein Verslein mitgegeben, das du hier aufsagen sollst?«
»Nein, mein Schwiegervater ist bereits auf Solmes Island. Die deutschen Beamten werden alle interniert. Das solltest du doch wissen. Unterhältst du doch neuerdings familiäre Kontakte zum Feind!«
Kate schluckte. »Oh, ich wusste nicht, dass man ihn schon fortgebracht hat. Und was ist mit Max?«
»Das ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Zivilisten folgen!«
»Und was wirst du tun? Nach Deutschland zurückkehren?«
»Nein, ich werde mitgehen. Wie ein paar andere patriotisch gesonnene Frauen. Wir lassen unsere Männer nicht im Stich, die niemals wiederkommen werden.«
»Maria, du weißt, dass das nicht wahr ist. Wir haben Krieg, sie sind Gefangene, und sie werden danach wieder frei gelassen. Natürlich ist das nicht schön, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Und sei nicht dumm! Bleib hier oder versuche nach Deutschland zu reisen. Er wird sicher zurückkehren.«
Kate erschrak, als sich ihre Blicke trafen. Maria sah sie vernichtend an.
»Das kann auch nur eine wie du sagen, die sich mit dem Feind verbrüdert. Ja, schlimmer noch, die sich zu ihm ins Bett legt. Nichts als eine Hure bist du, sagt Max!«
»Na, der muss es ja wissen. Hat ja lange genug versucht, mir den Hof zu machen!«, rutschte es Kate heraus, was sie sogleich bereute, aber Maria schien die Spitze zu überhören.
»Lenk nicht ab! Du hast wohl keinerlei Skrupel, dass unsere Soldaten in Europa für unser Vaterland ihr Blut vergießen, während du dich mit dem Gegner einlässt, oder?«
Kate überlegte, ob sie Maria nicht besser zum Gehen auffordern sollte, als sie eine bläuliche Färbung am Auge der Freundin entdeckte.
»War er das?«, fragte sie und deutete auf das Veilchen.
»Lieber einen aufrichtigen Mann, der weiß, was Disziplin ist, als einen hinterwäldlerischen Schafzüchter, der keine Ehre im Leib hat.«
Kate wollte gerade etwas erwidern, als eine ihr vertraute und geliebte Stimme in gebrochenem Deutsch sagte: »Ich wünsche guten Tag.«
Maria schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, und Kate konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Sie bat ihren Verlobten nun in englischer Sprache, dass er schon einmal ins Haus gehen solle, weil sie mit der Freundin noch etwas zu besprechen habe. Bill nickte und tat, was sie sagte, allerdings nicht, ohne ihr vorher einen sanften Kuss auf die Wange zu geben.
Maria schien diese Zurschaustellung der zärtlichen Verbundenheit unangenehm zu sein, denn sie blickte verlegen zur Seite. Kaum war Bill im Haus verschwunden, fauchte sie: »Wisst ihr, wie ihr euch aufführt? Küssen, wenn andere zugucken. Das ist ungehörig.«
Kate sah sie durchdringend an. »Maria, du tust mir leid. Und ich sage es dir nur einmal. Wenn du eines Tages aufwachst und feststellst, dass du nicht mehr an der Seite eines prügelnden Mannes leben kannst, ist bei uns immer ein Platz für dich.«
Marias Antwort war ein verächtliches Zischeln durch die Zähne. »Weshalb ich eigentlich hier bin. Wir empfinden es als Beleidigung, dass du uns überhaupt eingeladen hast«, sagte sie kalt, holte aus ihrem Korb einen Haufen Einladungen hervor, warf sie vor Kate auf den Tisch und verließ das Haus, ohne sich zu verabschieden.
Kate blieb wie betäubt stehen, doch dann wandte sie sich entschlossen ihrer Gästeliste zu und strich die Namen der deutschen Gäste entschieden aus - bis auf Brenner und seine Familie. Kate seufzte. Auch gut. Es war schwer, eine Freundin zu verlieren, aber was sollte sie dagegen unternehmen, dass sie sogar von Maria als Feindin betrachtet wurde? Sie war nun einmal Neuseeländerin im Herzen, und das wollte sie nicht länger verbergen. Ihre unbändige Freude darüber, dass sie in Bill einen Mann gefunden hatte, mit dem sie in ihrem geliebten Land würde leben dürfen, erwärmte ihre Seele und würde ihr bestimmt über den Verlust ihrer Freundin hinweghelfen.
Die Hochzeit im Garten ihres Hauses wurde zu einem rauschenden Fest. Besonders erfreut war Kate darüber, dass Johannes Wohlrabe gekommen war. Bis auf Otto Brenner waren nur wenige Deutsche der Einladung gefolgt. Deshalb begrüßte Kate den Arzt auch besonders herzlich. »Ich freue mich so, dass Sie trotz des Boykotts erschienen sind«, offenbarte sie ihm ohne Umschweife, während sie ihm einen samoanischen Drink anbot.
»Kate, wir wollen nicht um den heißen Brei herumreden. Die Anstifterin des Ganzen ist meine Frau. Exfrau, muss ich ja nun bald sagen.«
»Sie lassen sich scheiden?« Sie war ehrlich überrascht.
Johannes Wohlrabe seufzte tief. »Ich habe keine andere Wahl. Sie will so bald wie möglich nach Deutschland zurückkehren. Ich möchte in Apia bleiben, denn hier sind meine Patienten. Sie stellt mich vor die Alternative: mitkommen und für das Vaterland kämpfen oder als Drückeberger auf Samoa bleiben. Wenn ich bleibe, geht sie allein. Mit den Kindern. Ach, Fräulein Kate ...« Er unterbrach sich und lächelte verlegen. »Oh, entschuldigen Sie bitte, das ist mir nur so herausgerutscht. Ich muss ja sagen: Missis McLean. Nicht alle Deutschen rasseln mit dem Säbel und rufen begeistert: ›Krieg!‹ Ich habe noch nie etwas davon gehalten. Meine Berufung ist es, das Leben der Menschen zu erhalten, nicht, es ihnen zu nehmen.«
Kate sah den jungen Doktor bewundernd an und pflichtete ihm eifrig bei. »Ich glaube auch, Sie dürfen Ihre Leute hier nicht im Stich lassen. Und ich bewundere Ihren Mut!«
»Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, Kate. Sie sind eine tapfere Frau! Aber lassen Sie sich einen Rat mit auf den Weg geben: Hass und Unversöhnlichkeit sind kein allein deutsches Gefühl. Erwarten Sie nicht, dass Sie in Neuseeland mit offenen Armen empfangen werden. Dort könnte man in Ihnen eine Deutsche sehen! Und die wünschen sich die Neuseeländer zurzeit nur an einen Ort: in das Gefängnis von Solmes Island!«
Kate lächelte den Arzt an. »Danke, dass Sie sich so um mich sorgen, aber ich glaube, keiner wird mich dort je als Feindin betrachten. Ich bin doch dort geboren.«
»Kate, Sie waren ein Kind, als Sie dieses Land verlassen haben, und damals befanden sich Deutschland und England nicht im Krieg«, warnte der Arzt, um dann hastig und bemüht optimistisch hinzuzufügen: »Na dann. Alles Gute!«
Da trat Loana hinzu und wandte sich besorgt an den Doktor. Eines ihrer Kinder hatte Bauchschmerzen. Brenners Jüngste, die kleine Sina, ein bezauberndes Geschöpf mit dunkler Haut und großen braunen Augen und blondem Haar. »Sie hat sich an unreifem Obst übergessen und dann Wasser getrunken«, erzählte Loana stockend.
»Sie entschuldigen mich?«, fragte Wohlrabe höflich.
Kate nickte und lächelte Loana aufmunternd zu. Sie sah den beiden nach, als sie von einem zarten Kuss in den Nacken aus ihren Gedanken gerissen wurde. Bill umfasste sie von hinten und flüsterte ihr zärtlich ins Ohr: »Ich denke jede Sekunde daran, wie ich dir das wunderschöne weiße Hochzeitskleid ausziehen werde. Ich konnte mich schon in der Kirche kaum auf die Worte des Geistlichen konzentrieren. Und jetzt muss ich mich um meine Jungs kümmern. Die haben genug.«
Damit küsste er sie noch einmal zärtlich, bevor er energischen Schrittes auf eine Gruppe Soldaten zusteuerte, die bereits ordentlich dem Bier zugesprochen hatten.
»Was macht das denn für einen Eindruck?«, fragte er seine Leute streng. »Ihr lasst euch hier sinnlos volllaufen und grölt rum. Wollt ihr, dass es heißt, die Neuseeländer benehmen sich wie eine Horde ungebildeter Schafzüchter?«
Während er seine Soldaten ermahnte, suchte er Kates Blick und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Kate wollte sich gerade unter die Gäste mischen, als Otto Brenner sie aufgeregt ansprach. »Haben Sie wohl eine Sekunde für mich?«
»Für Sie immer!«, entgegnete Kate und ließ sich von ihm in eine ruhige Ecke führen.
Der Pflanzer räusperte sich verlegen. »Ich will Sie an Ihrem großen Tag nicht mit meinen Problemen belasten, aber ich wollte es Ihnen wenigstens gesagt haben.«
»Brennerlein, nun spucken Sie es schon aus! Was bedrückt Sie?«
»Es ist der ...« Suchend sah er sich um und senkte die Stimme. »... der neue Besitzer. Ich kann mir nicht helfen, ich traue ihm nicht.«
Kate lächelte krampfhaft: »Nun, er ist auf den ersten Blick kein Mensch, der die Herzen erwärmt, aber glauben Sie mir, er ist ein erfahrener Farmer und wird sich dank Ihrer Hilfe bald eingearbeitet haben.«
»Aber das ist es ja gar nicht. Ich traue ihm schon zu, dass er unsere Plantage, also ich meine, Ihre, nicht gleich in den Ruin treibt, aber es ist sein Auftreten. Er war gestern draußen auf der Plantage, und wie er da herumgestiefelt ist, grimmig, mit den Händen in den Hosentaschen, die Nase hoch, ist er mir wie ein übler Kolonialherr vorgekommen. So wie die Allerschlimmsten der deutschen Plantagengesellschaft. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Kate versuchte Brenner nicht spüren zu lassen, dass sie insgeheim selbst bezweifelte, dass Steven wirklich geeignet war, seine Mitarbeiter für sich einzunehmen. Und ohne die Mitarbeiter lief auf der Plantage nun einmal gar nichts. Es war ihr nicht leichtgefallen, Annas Werk einfach im Stich zu lassen. Cousin Rasmus hatte sich nur allzu bereitwillig auf dieses Geschäft mit dem Feind eingelassen. Bill hatte ihm ein Angebot gemacht, das ihn überzeugt hatte. Und er war froh gewesen, dass man seinen Besitz nicht einfach als Kriegsbeute eingezogen hatte.
Manchmal fragte sich Kate, warum Bill das für seinen Bruder tat. Verdient hatte Steven es sicher nicht. Und von Dankbarkeit konnte keine Rede sein. Im Gegenteil, Steven war Bill gegenüber gleichbleibend zynisch. Gestern noch hatte sie Bill gefragt: »Warum tust du das?«
»Er ist sicher nicht so auf die Welt gekommen«, hatte Bill geantwortet. »Das ist sein Panzer gegen den unverhohlenen Hass meines Vaters. Ich habe im Grunde genommen ein schlechtes Gewissen, dass Vater mich nahezu vergöttert, nur weil ich anders aussehe als mein Bruder. Wie oft habe ich versucht, mit Vater zu reden, aber er blockt ab. Wenn ich Steven nichts Gutes tue, dann wird es kein anderer machen. Und das ertrage ich nicht. Deshalb helfe ich ihm, wann immer ich dazu in der Lage bin. Geld ist kein Problem. Mir lässt Vater freie Hand. Ihm gibt er keinen Cent.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete Kate ihren Schwager, der an einem Verandapfeiler lehnte und ein Bier trank. Es war mit Sicherheit nicht das erste. Er hatte eine überhebliche, ja, geradezu provozierende Art und wirkte wenig liebenswert.
»Wenn es Klagen gibt, dann versuchen Sie, Bill und mich davon in Kenntnis zu setzen. Schließlich hat mein Mann ihm das gekauft und möchte auch, dass sich sein Bruder als würdiger Nachfolger unserer Familie erweist.«
»Gut, ich werde ihm eine Chance geben, aber da ist noch etwas. Wenn er das noch einmal macht, bekommt er es mit mir zu tun. Und zwar richtig! Mit der Faust! Verstehen Sie?«
Kate schüttelte den Kopf.
»Ich hätte es Ihnen gern erspart, aber wenn ein Unglück geschieht, soll keiner sagen können, ich hätte Sie nicht gewarnt. Ihr feiner Schwager hat der Nichte meiner Frau recht deutlich zu verstehen gegeben, dass ihm alles dort oben gehört. Auch die unverheirateten jungen Frauen. Alofa ist erst fünfzehn, wie Sie wissen!«
»Das geht natürlich nicht, mein lieber Brenner. Vielen Dank, dass Sie mir das anvertraut haben. Ich werde mit meinem Mann sprechen. Bevor wir abreisen, wird er ein ernstes Wort mit Steven reden. Und trösten Sie sich, Bill bleibt noch ein paar Wochen länger als ich, während sein Bruder auf unserem Schiff zurückfährt, um seinen kleinen Sohn herzuholen. Aber jetzt wollen wir feiern. Was halten Sie von einem Tänzchen?«
Brenner brummelte: »Gern! Sie spielen gerade einen Walzer. Das ist das Einzige, was ich kann!«, reichte ihr den Arm und führte sie auf die Tanzfläche.
Der behäbige Pflanzer versuchte zu führen, aber er trat Kate immerzu auf die Füße. Außerdem schwitzte er entsetzlich. Kate wollte ihn gerade von dieser Qual erlösen, als Steven hinzutrat und fragte: »Darf ich?«
Brenner schien einerseits erleichtert zu sein, dass er nicht länger den Tanzbären geben musste, aber es war ihm auch anzusehen, dass ihm das Benehmen seines neuen Vorgesetzten missfiel. Er bekam einen hochroten Kopf.
Auch Kate war nicht erpicht darauf, mit ihrem Schwager zu tanzen, doch der drängte den sprachlosen Brenner zur Seite und riss sie in seine Arme. Ärger über seine Unverfrorenheit stieg in Kate auf. Gleichzeitig wunderte sie sich darüber, wie gut Steven führte. Bill schien sehr zu begrüßen, dass sie ein Tänzchen mit seinem Bruder wagte. Er lächelte ihr vom Rand der Tanzfläche aufmunternd zu.
»Na, brauchst du die Zustimmung deines Gatten, liebe Schwägerin?«, raunte seine Stimme nun ganz nah an ihrem Ohr.
»Warum kannst du nicht einfach mal deinen bösen Mund halten?«, zischelte sie zurück.
»Weil ich eifersüchtig bin. Ich hätte dich vom Fleck weg geheiratet. Ich glaube, du bist unter deiner burschikosen Schale eine leidenschaftliche Frau. Und es gefällt mir nicht, dass du meinen Bruder vorgezogen hast. Ich hätte dich besser zu würdigen gewusst. Glaub mir, ich weiß, wie man Frauen zum Glühen bringt, aber er musste dich mir ja wegnehmen. Dabei ist mir das Gerücht zu Ohren gekommen, dass du lieber braunhäutigen Männern schöne Augen machst.«
Wären nicht Bills Blicke auf sie gerichtet gewesen, hätte sie diesem unverschämten Kerl eine Ohrfeige versetzt.
»Niemals hätte ich dich geheiratet. Weil du nämlich nur von einem Menschen überzeugt bist: von dir selbst. Und mag das auch nur dein Schutzschild sein, ich finde es abstoßend.«
Kate spürte plötzlich einen heftigen Schmerz. Steve presste ihre Finger wie in einem Schraubstock zusammen, doch sie verzog keine Miene. Den Triumph würde sie ihrem Schwager nicht gönnen. Schon gar nicht, solange Bill zusah. Er wirkt so erleichtert darüber, dass sein Bruder sich offensichtlich doch zu benehmen versteht, dachte sie grimmig.
»Was hat er dir über mich erzählt?«, fragte er nun drohend.
»Frag ihn selber!«, erwiderte Kate, während sie unauffällig versuchte, ihre Hand aus seiner zu befreien.
»Du bist sehr anziehend, wenn du wütend wirst. Ich glaube, ich könnte dir etwas von dem geben, was du bei den Schwarzen suchst«, raunte er nun.
»Wenn du mich nicht augenblicklich loslässt, werde ich laut schreien!«
»Oh ja, fein, ich möchte zu gern das dumme Gesicht meines Bruders sehen«, entgegnete er, aber da stand Bill bereits vor ihnen.
»Darf ich?«, fragte er.
Widerspruchslos ließ Steven Kate los, die sich erleichtert in Bills Arme warf.
»Ich hab's dir angesehen, Liebes. Er hat dich beleidigt, oder?«, fragte er leise, während sie sich zu den Walzerklängen drehten. Die Kapelle bestand aus Deutschen, die zeigen wollten, wessen Musik hier gefragt war. Die englischen und neuseeländischen Gäste nahmen das allerdings mit Begeisterung auf. Um Kate und Bill herum wiegten sich alle sichtlich begeistert im Dreivierteltakt.
»Er hat mir zu verstehen gegeben, dass du mich ihm weggenommen hast und er der richtige Mann für mich wäre.«
Bill seufzte: »Ich werde ihm noch einmal ins Gewissen reden, bevor er fährt.«
Das musst du wohl, dachte Kate besorgt bei dem Gedanken an Brenners Worte, doch damit wollte sie diesen Abend nicht unnötig beschweren.
Stattdessen versuchte sie, sich auf die wohligen Schauer zu konzentrieren, die ihr Bills Nähe bereitete. Ihre Körper tanzten im Gleichklang, und je mehr sie an ihn dachte, desto größer wurde ihr Verlangen, ihm endlich ganz zu gehören. Auch Bill schien an nichts anderes mehr zu denken. »Ich würde jetzt gern mir dir allein sein!«, hauchte er ihr heiser ins Ohr.
»Hier entlang!«, flüsterte sie, und sie tanzten langsam in den dunklen Teil des Gartens hinein, der nicht von Fackeln beleuchtet war. Dort küssten sie sich leidenschaftlich. Als ihre Münder sich voneinander lösten, fragte Kate kichernd: »Und wie kommen wir jetzt ungesehen an den anderen vorbei?«
»Erst gehst du, dann ich. Sie sind bestimmt auch ohne uns vergnügt. Sie werden uns gar nicht vermissen. Außerdem habe ich Otto bereits gebeten, bis zuletzt zu bleiben und alle Lichter zu löschen, falls wir schon weg sein sollten.«
»Dann verschwinde ich mal!« Mit einem Kuss verabschiedete sich Kate, bevor sie ihr Brautkleid raffte und sich einen Weg durch die Gästeschar auf der Veranda bahnte.
Kates Herz klopfte bis zum Halse, als sie sich in ihrem dunklen Zimmer auf die Bettkante setzte. Sie hatte sich so sehr nach diesem Augenblick gesehnt. Ob Bill erwartet, dass ich noch Jungfrau bin? Während sie noch darüber nachgrübelte, war er schon in ihr Zimmer getreten und hatte die Tür leise hinter sich geschlossen. Das Mondlicht war gerade so hell, dass sie seine Umrisse erkennen konnte. Er trat langsam auf sie zu, setzte sich dicht neben sie und zog sie an sich.
»Bill, es gibt da etwas, was ich dir sagen muss.«
»Bitte, Liebling, dein Mann wird dir immer zuhören. Bis in alle Ewigkeit. Dazu habe ich mich verpflichtet«, sagte er scherzhaft, bevor er ihren Nacken mit zärtlichen Küssen bedeckte und an ihrem Ohr knabberte.
Obgleich es Kate durch und durch ging, zwang sie sich zu reden. »Bill, es gab schon einmal einen Mann in meinem Leben«, erklärte sie fast entschuldigend.
Er hob den Kopf und blickte sie an. »Aber Liebling, in meinem Leben gab es mehr als eine, aber das ist doch nicht mehr wichtig. Ab jetzt gibt es nur noch uns beide. Stell dir vor, was soeben eine der englischen Damen voller Entzücken zu mir sagte: ›Sie sind ein so schönes Paar!‹« Er strahlte sie an.
Kate hätte es am liebsten dabei belassen, aber zu groß war ihre Sorge, Steven könnte Bill eines Tages von den Gerüchten erzählen, um ihn zu verletzen. Ein solches Gerücht war wie ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen konnte.
»Ich möchte es dir aber erzählen, bevor ich für immer dir gehöre. Bitte!«, sagte sie nachdrücklich.
»Verzeih mir, wenn ich gewusst hätte, dass es dir so auf der Seele brennt, hätte ich keine Scherze gemacht«, erwiderte er schuldbewusst, ergriff ihre Hand und streichelte sie zart.
»Ich war sechzehn, als Großmutter Manono, einen wunderschönen samoanischen Jungen, ins Haus brachte und ihn auf die Plantage schickte, als sie merkte, dass zwischen uns eine Anziehung bestand. Mit neunzehn haben wir uns geliebt und ich wollte ihn heiraten, doch er wurde getötet.«
Bill hörte ihr aufmerksam zu. »Mach dir keine Gedanken. Es ist lieb, dass du es mir sagst, aber ich liebe dich deshalb nicht weniger«, seufzte er zärtlich und machte sich an ihrem Kleid zu schaffen.
Er hat Erfahrung. Das merkt man sofort, dachte Kate und gab sich seinen suchenden Händen hin. Für den Bruchteil einer Sekunde musste sie an die Nacht mit Manono am Strand denken, aber unter Bills Küssen, die ihren nun nackten Körper verwöhnten, löste sich die Vergangenheit ganz allmählich in einem wohligen Nebel des Vergessens auf. Es zählte nur noch dieser Augenblick, in dem sie vor Leidenschaft leise stöhnte. Sie wünschte sich plötzlich weit weg, an einen Ort, an dem sie allein wären, sodass sie ihre Lust nicht zügeln müsste. Erregt flüsterte sie immer wieder Bills Namen. Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass er sich ausgezogen hatte, so verzaubert war sie von dem, was er mit ihr tat. Sie ließ es einfach geschehen, bis sie unter den Liebkosungen seiner Finger zwischen ihren Schenkeln zu explodieren glaubte. Um nicht laut aufzuschreien, biss sie sich auf die Hand und erstickte den Aufschrei im Keim. Als er endlich in sie eindrang, fanden sich im Mondlicht ihre Blicke. »Ich liebe dich!«, keuchte er, bevor er sich hemmungslos seiner Leidenschaft hingab. Danach raunten sie einander, Arm in Arm, eng umschlungen, Liebesworte und Treueschwüre zu, bis sie schließlich erschöpft einschliefen.
Die nächsten Wochen waren geprägt von Vorbereitungen für Kates Abreise aus dem Paradies. Beim Packen fiel Kate die Holzkiste, die sie am Tag von Annas Tod aus dem Meer gerettet hatte, in die Hände. Es blieb ihr allerdings keine Zeit, einen Blick hineinzuwerfen. Wenn ich in meinem neuen Leben Fuß gefasst habe, dann werde ich auch Annas Tagebuch lesen, nahm sie sich fest vor und verstaute die Holzkiste zwischen anderen Gegenständen, die ihr teuer waren. In ihre Vorfreude auf Neuseeland mischte sich zunehmend Trauer darüber, die schöne Insel verlassen zu müssen. Mit Bill würde sie bis in alle Ewigkeit auf diesem tropischen Flecken Erde leben können. Mit ihm war Neuseeland nach Samoa gekommen.
Die Vorstellung daran, ohne ihren Mann zu reisen, missfiel ihr ganz besonders deshalb, weil Steven sich mit ihr einschiffen würde.
Auch wenn Bill inzwischen ein ernstes Gespräch mit seinem Bruder geführt hatte, so traute Kate ihrem Schwager doch nicht über den Weg.
An einem der Abende kurz vor Kates Abreise druckste Bill plötzlich so lange herum, bis seine Frau ihn liebevoll aufforderte, doch bitte zu sagen, was ihm noch auf dem Herzen liege.
»Es ist wegen Vater«, brachte er schließlich zögernd heraus, um mit ernster Miene fortzufahren: »Du wirst einige seiner Ansichten ablehnen. Das tue ich auch, aber versuche bloß nicht, ihm zu widersprechen, bis ich wieder an deiner Seite stehe, um dich zu unterstützen. Sein Bild von Frauen ist ein althergebrachtes. Er sieht in ihnen eigentlich nur die Mütter der Söhne. Ich glaube, deshalb ist Mutter auch so früh gestorben. Aus Kummer, dass sie nicht geliebt wurde. Sie ist eingegangen wie eine Pflanze in der Wüste.«
»Deine Mutter ist tot? Du hast noch nie zuvor von ihr gesprochen. Was ist geschehen?«, fragte Kate erschrocken.
»Sie wurde einfach krank. Keiner wusste, was sie hatte. Ich war noch ein kleiner Junge, aber ich weiß sehr wohl, dass Vater sich nicht um sie gekümmert hat. Nicht einmal, als sie auf dem Sterbebett lag. Sie hat mich, ihren Ältesten, mehrmals gebeten, ihn zu holen, aber er hat sich verweigert. Meine Mutter war eine einfache Farmerstochter, die ihm eine gute Ehefrau sein wollte. Trotzdem ist er nicht ein einziges Mal an ihr Sterbebett geeilt.« Die Traurigkeit, mit der Bill darüber sprach, schmerzte Kate zutiefst. Schließlich gestand Bill ihr noch, dass sein Vater in den vergangenen Jahren vergeblich versucht habe, ihn mit sämtlichen heiratswilligen, anständigen Farmerstöchtern der Südinsel zu verkuppeln. Bill versicherte Kate in demselben Atemzug zärtlich, dass er aber immer schon auf der Suche nach einer besonderen Frau gewesen sei, die mehr im Kopf habe. Seit diesem Gespräch liebte Kate ihn nur noch mehr.
In der Nacht vor dem Abschied liebten sich die jungen Eheleute beinahe verzweifelt, und es flossen viele Tränen. Kate konnte sich schon gar nicht mehr vorstellen, ohne ihren Mann zu sein. Seine Ruhe und Gelassenheit sowie sein Humor machten jeden gemeinsamen Augenblick zu einem Glücksmoment. Kate hatte das Gefühl, dass sie durch seine Liebe zu einer strahlenden Frau erblüht war. Die bösen Blicke der deutschen Damen um Frau Wohlrabe konnten ihr nichts anhaben. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Bill einen Haufen Kinder zu bekommen. Er wird bestimmt ein wunderbarer Vater sein, dachte sie jedes Mal, wenn er auf der Plantage mit Brenners Söhnen tobte und vor allem Ottos Töchtern keinen Wunsch abschlagen konnte.
Am Morgen der Abreise waren alle, Erwachsene und Kinder, zum Hafen gekommen. Keiner, der auf der Plantage für Kate gearbeitet hatte, ließ es sich nehmen, ihr zum Abschied zuzuwinken. Einem Abschied für immer, wie Kate glaubte. Auch die anderen auf dem Pier waren der festen Überzeugung, dass sie Kate niemals wiedersehen würden. Kate versuchte die Tränen zurückzuhalten, auch wenn das bei dem Anblick der traurigen Gesichter schwerfiel. Gerührt bemerkte sie, dass selbst ein kräftiges Mannsbild wie Otto Brenner sich nicht darum scherte, was die Leute dachten, sondern seinen Tränen freien Lauf ließ.
Auch in Bills Augen schimmerte es verdächtig, aber er versicherte ihr zum Abschied, dass ihr gemeinsames Leben jetzt erst anfange. Das war ein kleiner Trost, als sich ihre Hände schließlich voneinander lösen mussten.
Kate stellte sich an die Reling, schaute hinab auf all die lieb gewonnenen Menschen, die sie zurücklassen musste, und winkte tapfer. Erst als der Dampfer langsam auf die offene See hinaussteuerte, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Laut schluchzend warf sie einen letzten Blick zurück auf Apia, das immer kleiner wurde. Immerhin hatte sie zwölf Jahre hier gelebt. Fast genauso viele, wie sie zuvor in Neuseeland verbracht hatte. Nur mit dem Unterschied, dass ich auf Samoa erwachsen geworden bin, dachte sie wehmütig und wollte sich gerade umdrehen, um sich in ihrer Kabine zu verkriechen, als Steven sich provozierend neben sie stellte.
»Bereust du es schon?«, fragte er lauernd.
»Was sollte ich bereuen?«
Steven lachte böse. »Dass du meinen braven Bruder geheiratet hast und den braunhäutigen Naturburschen adieu sagen musst.«
Kate musterte ihn geringschätzig. »Du kannst mich mit deinen anzüglichen Bemerkungen nicht treffen. Versuch es gar nicht erst! Diese Menschen dort sind mir ans Herz gewachsen. Ich habe sie lieb gewonnen. Etwas, das du niemals erfahren wirst, weil du die Menschen verachtest.«
»Oho, meine Schwägerin die Menschenfreundin! Warum hast du meinen Antrag abgelehnt? Ich habe es ernst gemeint. Das war alles, was ich zu geben hatte. Dass du meine Frau und die Mutter meines Sohnes wirst. Ich wollte dir mein Vertrauen schenken. Dir allein! Hat er dich davon abgebracht? Hat er gesagt: Sieh dich vor! Nimm lieber mich!? Oder hat er es vielleicht so gemacht?«
Mit diesen Worten riss Steven Kate an sich und presste den Mund auf ihre Lippen. Schreien konnte sie nicht, doch sie versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
Grinsend rieb er sich die Wange: »Zu schade, wir hätten viel Spaß haben können, Wildkatze!« Dabei sah er sie herausfordernd an.
Doch Kate zischelte ihm drohend zu: »Wenn du es noch einmal wagst, mich anzufassen, dann bringe ich dich um. Hast du verstanden? Geh mir aus dem Weg! Ich will dich nie wiedersehen.«
»Aber meine Liebe, hast du vergessen, dass ich deine Begleitung bin? Dass ich dich nach Opoho bringen soll, damit du dein neues Zuhause kennenlernst und natürlich deinen Schwiegervater, den großen Paul McLean, der dich mit offenen Armen empfangen wird? Wo er doch schon befürchtet hat, dass sein herzallerliebster Bill keine mehr abkriegt. Ich sollte ihm von deiner Vorliebe für braunhäutige Kerle erzählen. Vielleicht gibt er dir einen von seinen Maorihelfern auf der Farm, damit du nicht aus der Übung kommst.« Er lachte hämisch und spuckte in hohem Bogen über die Reling aus.
Kate wandte sich empört ab. Sie glühte vor Wut, aber sie durfte sich nicht noch einmal zu Tätlichkeiten hinreißen lassen. Die schien dieser Widerling nur zu genießen. Wortlos ging sie in ihre Kabine zurück mit dem festen Vorsatz, die ganze Reise über einen Bogen um ihren Schwager zu machen.