Diesmal fuhren sie in Steinrauschs Auto; und der Kontrast zu Schröders schickem Passat hätte kaum größer sein können. Der beigefarbene Ford Mondeo war alt, aber gepflegt und Lichthaus hatte sich unwillkürlich nach dem Häkelkissen umgeschaut. Am Armaturenbrett klebte ein kleines Foto, das offensichtlich Steinrauschs Frau und seine beide Söhne zeigte. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie wenig er eigentlich von seinem Kollegen wusste. Aus den Akten war ihm Steinrauschs Familiensituation zwar bekannt, doch sonst war ihm sein privates Umfeld völlig fremd. Er wusste nichts über seine Hobbys, Geburtstage oder auch Probleme.
»Was machen Ihre Söhne?«, fragte er wie aus einem inneren Zwang heraus.
»Tobias«, Steinrausch schaute ihn überrascht an, »das ist der Große, studiert an der FH Maschinenbau. Jonas macht erst nächstes Jahr Abitur am Friedrich-Spee-Gymnasium.«
Lichthaus erinnerte sich dunkel daran, dass Steinrausch in Ehrang wohnte und hatte irgendwann einmal das dortige Schulzentrum wahrgenommen.
»Er will zur Polizei. Ich habe ihm gesagt, er würde spinnen.«
Lichthaus grinste. »Ich würde meiner Tochter ebenfalls abraten.«
Sie fuhren über die Mosel und dann die Bitburger Straße hinauf, da das Kampftraining wegen des Wetters in eine Reithalle bei Aach verlegt worden war.
»Meine Familie stammt eigentlich hier aus Pallien«, begann Steinrausch. »Mein Großvater ist in dem Haus geboren, das 1910 wegen der neuen Brücke abgerissen worden ist. Da steht jetzt der Brückenpfeiler. Er hat mir immer erzählt, wie er den Kaiser bei der Einweihung gesehen hat. Danach sind sie nach Ehrang gezogen, und da wohnen wir bis heute. Aufregend was?«
Lichthaus zuckte die Schultern. Wieso entschuldigte Steinrausch sich für sein ruhiges Leben? Er war nicht der Karrieretyp wie Schröder, doch das machte ihn nur sympathischer.
»Ich war heute Mittag mal auf der Homepage von dieser Vinland Gruppe, um mir die Wegbeschreibung runterzuladen«, er schaute Lichthaus an und grinste. »Die nehmen das alles sehr ernst und tun so, als wären sie fünfhundert Jahre zurückversetzt. Namensweihen, Bernsteinbohren und so ein Zeug, living history, also. Da gibt es auch Chatrooms zu allen möglichen Themen. Wie baue ich mir einen Schild, wie finde ich Gleichgesinnte und so weiter«, er schüttelte den Kopf. »Na ja, jedem Narren seine Kappe.«
»Was denken Sie? Ist das so ein Sammelbecken für Spinner und Perverse?«
»Den Äußerungen im Netz nach sind das ganz normale Typen. Mir kommt es ein bisschen so vor, als träumten sie von einer Zeit, die weniger kompliziert war als heute. Mann gegen Mann, Aufrichtigkeit und ehrlicher Wettbewerb. Kein Psychoscheiß, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Lichthaus nickte. »Auf jeden Fall sollten wir die Leute ernst nehmen, sonst kooperieren sie nicht.«
Sie bogen ins Tal nach Aach ab und erreichten, nachdem Steinrausch sich zweimal verfahren hatte, über matschige Wege um kurz nach sieben die Reithalle. Der Hof war groß und gepflegt, doch die Halle war eines dieser hässlichen Dinger, die schnell aus Fertigteilen zusammengebaut worden waren. An die Eingangstür hatte irgendjemand einen Zettel geklebt: Heute Schwertkampftraining. Vor der Längsseite waren bereits einige Wagen geparkt, allesamt Geländefahrzeuge, wie Lichthaus feststellte. Wohl die modernen Turnierpferde. Einen Pajero konnte er leider nicht erkennen. Die Luft hier oben war vom Regen sauber gewaschen, und es roch wunderbar nach Pferden. Hinten auf der Koppel konnte man sie hören, dazwischen leise Befehle, es wurde also noch trainiert. Er blieb einen Augenblick stehen und atmete tief ein, als Steinrausch zu ihm trat und sich umblickte.
»Hier könnte man sich wohlfühlen.«
Lichthaus nickte und ging seufzend zur Tür. Als er sie aufzog, hörten sie das metallische Klirren von aufeinanderprallenden Waffen. In dem schmalen Gang war es muffig, und es roch nach altem Schweiß und Bohnerwachs. Links waren Umkleiden und Duschen, von einer funzeligen Birne beleuchtet, obwohl es draußen noch hell war, rechts ein karger Aufenthaltsraum mit Tischen und einer alten Einbauküche.
Gerade als sie weiter in Richtung Halle gehen wollten, flog die Schwingtür auf und eine schwere Gestalt warf einen dunklen Schatten in den Flur. Der Mann war bärtig und sah mit dem kantigen Helm und den roten Haaren tatsächlich aus wie ein Wikinger. Seine Beine waren dick mit lederbewehrten Beinschonern gepolstert. Den Oberkörper bedeckte ein Kettenhemd, seine Handschuhe hielt er in der linken, sein Schwert in der rechten Hand. Er betrachtete sie einen Moment lang, dann ging er in die Küche. Die beiden folgten ihm.
»Wenn ihr zuschauen wollt, geradeaus durch die Tür oder draußen durchs Tor.« Er warf Handschuhe und Schwert auf den Tisch, zog aus dem Kühlschank eine Flasche Bier und trank sie in einem Zug halb leer.
»Da drin ist es so heiß wie in der Sauna. Was ist los mit euch?«, er musterte sie abschätzend.
»Wir sind von der Polizei und haben ein paar Fragen an Sie und Ihre Kameraden. Wir …«
»Da müsst ihr warten, bis wir fertig sind. Drinnen stehen Bänke.« Er packte seine Sachen und schlurfte an den verblüfften Polizisten vorbei in die Reithalle. Lichthaus musterte Steinrausch und zuckte die Schultern.
»Das war wohl Halvar von Flake«, raunte er Steinrausch grinsend zu, der ihn nur verständnislos anschaute, und folgte dem Hünen.
In der Halle war es warm, und die Luft flirrte von feinen Staubpartikeln, die die Kämpfenden aufgewirbelt hatten. Etwa zwanzig Mann übten verteilt in der ganzen Halle. Es dröhnte nur so von Waffenlärm. An der Seite saßen ein paar Frauen und schauten zu. Lichthaus mit Steinrausch im Schlepptau ging hinüber und setzte sich auf eine Bank, wobei er den Frauen, die sie neugierig musterten, flüchtig zunickte. Die Kämpfer, je Mann gegen Mann, droschen aufeinander ein. Sie benutzten zum Kampf ausschließlich Schwerter und deckten den Körper mit schweren Schilden ab. Hier und da wurde eine Pause gemacht und man wischte sich den Schweiß ab. Er hatte den Eindruck, als folgten sie klaren Regeln.
»Wir richten uns nach dem Codex Belli.«
Er zuckte zusammen. Eine der Frauen war zu ihm hinübergerutscht und sprach, ohne ihn anzusehen. So nutzte er die Gelegenheit, um sie eingehend zu mustern. Sie trug Jeans und T-Shirt. Die langen dunkelblonden Haare waren zu zwei dicken Zöpfen zusammengebunden und bildeten mit einer Wildlederweste samt Ketten aus Tonperlen eine halbherzige Maskerade. Aber wie es sich für eine Wikingerfrau gehörte, war sie ungeschminkt und wandte ihnen ihr starkes Profil mit leichter Hakennase und kräftigem Kinn zu. Sie strahlte enorme Selbstsicherheit aus.
»Und was heißt das?«, fragte er schließlich nach.
»Niemand sticht zum Körper oder haut auf den Kopf. Die Waffen müssen stumpf sein und dürfen ein Kettenhemd mit Ringen von acht Millimetern Innendurchmesser nicht durchschlagen. Außerdem sollten die Gliedmaßen geschützt werden, um Verletzungen zu vermeiden. Ich heiße übrigens Heike Andries, hier bin ich aber Ragnhild.« Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn an.
»Johannes Lichthaus. Und wer kontrolliert das?«
»Sie sind Bulle oder so was, nicht wahr.«
»Sieht man das?«
»Nein. Doch Sie fragen wie einer.« Ihr Lächeln war offen. »Also, jeder Kämpfer muss eine Prüfung machen, für die er die A-Karte erhält. Erst dann darf er antreten. Außerdem kontrolliert immer einer alle Waffen. Was wollen Sie von uns?«
Lichthaus griff in die Tasche und zog das Foto heraus. »Wir sind im Zusammenhang mit einer Straftat auf diesen Knopf gestoßen, und ein Experte sagte uns, dass solche handgemachten Knöpfe fast ausschließlich im Umfeld von äh, also …«
»Mittelalterfreaks«, half sie aus.
»Ja, so in etwa. Also in diesem Umfeld getragen werden.«
Sie nahm das Bild und schaute es interessiert an. »Der könnte von dem Roten sein, glaube ich wenigstens.« Sie gab ihm das Foto zurück. »Wenn ich mich nicht täusche, hat Smörre, das ist Rainer Prison, dem mal so einen im Kampf abgerissen und mitgenommen.«
Bevor Lichthaus seine Verblüffung in den Griff bekam, stand sie auf und ging zur Seite, um mit einer Glocke zu läuten. Er schaute ihr nach und hätte normalerweise ihre geschmeidigen Bewegungen genossen, doch nach dieser Aussage waren all seine Sinne wie erstarrt. Die Männer hörten augenblicklich auf und wandten sich um.
»Smörre, komm mal bitte her.« Sie winkte einem Kämpfer, der dick gepolstert wie alle hier zu ihnen herüberkam, während die anderen ihre Übungen wieder aufnahmen. Er war deutlich kleiner als der Hüne, dem sie im Vorraum begegnet waren, aber auch er wirkte durchtrainiert und trug lange Haare und Bart. Sein Schild war arg verbeult, doch konnte man noch gut den Adler erkennen, den er als Wappen aufgemalt hatte. Sehr langsam kam er zu ihnen, Lichthaus und Steinrausch aus zusammengekniffenen Augen musternd.
Lichthaus war dankbar, dass er sich Zeit ließ, denn er musste sich erst sortieren. Seine Erwartung, hier oben einen brauchbaren Hinweis zu finden, war gleich null gewesen. Umso mehr überraschte ihn die Erkenntnis, dass der Zufall sie eventuell auf eine heiße Spur geführt hatte. Vielleicht der Durchbruch in ihren Ermittlungen.
Prison stellte Schild und Schwert beiseite, nahm sich eine Flasche Wasser und trank wortlos, während Lichthaus ihm sein Anliegen erklärte. Anschließend schaute er sich das Foto kurz an und stand dann auf. »Warten Sie mal.« Er ging durch das große Tor hinaus und kam mit einer Tasche wieder, die wie handgemacht aussah und mit Runen und symbolischen Zeichen bestickt war. Umständlich kramte er darin herum, zog schließlich seine geschlossene Hand heraus und öffnete sie mit einem Lächeln. Der Knopf, der darin lag, war dem von Eva Schneiders Fundort zum Verwechseln ähnlich, er schien dieselbe Größe zu haben, und auch beim Stein und der Messingfassung gab es kaum Unterschiede. Lichthaus gab ihn an Steinrausch, der ihn genau begutachtete.
»Dürfen wir den für unsere Untersuchungen behalten?«, er wirkte völlig ruhig. »Sie bekommen ihn wieder.« Prison nickte.
»Haben Sie woanders schon einmal einen solchen Knopf gesehen?«
»Nein. Nur beim Roten. Wir nennen den so. Ich denke, der macht außer seinem Kettenhemd und dem Helm seine ganze Rüstung selbst. Na ja, das Schwert wohl auch nicht«, er lächelte.
Heike Andries schüttelte ebenfalls den Kopf.
»Wie sind Sie an den Knopf herangekommen?« Lichthaus’ Gedanken galoppierten und er zog den Notizblock hervor.
»Im letzten Sommer waren wir auf dem Fest in Saarburg und haben an den Schaukämpfen teilgenommen. Da ist auch der Rote aufgetaucht und hat mit Thorwald gekämpft. Als er weg war, lag der Knopf auf der Wiese, und da habe ich ihn eingesteckt. Sieht doch toll aus, oder? Außerdem ist der von dem Roten. Der Kerl hat was Mystisches. So als wäre er nicht von dieser Welt.«
Was für ein Glück, dachte Lichthaus und fragte ihn: »Wer ist dieser Rote?«
»Für mich ist er nur ein Spinner«, antwortete Heike Andries für ihn, »doch von den meisten Kämpfern wird er bewundert. Wollen Sie was trinken?« Die beiden nickten, und sie reichte ihnen ein Wasser.
»Kennen Sie ihn näher?«
»Nein, den kennt keiner. Nicht mal sein Gesicht. Wir nennen ihn so wegen seiner Rüstung. Die ist vollständig rot. Ohne Wappen, ohne alles. Vor drei oder vier Jahren waren wir in Manderscheid auf dem Burgenfest. Smörre und Thorwald, das ist der große Mann, dort drüben«, sie deutete in Richtung des rothaarigen Riesen, der sie empfangen hatte, »kämpften gerade, als der plötzlich auftauchte und Thorwald herausforderte. Ich sehe ihn noch vor mir. Baumlang, länger als Thorwald, schlanker zwar, aber genauso kräftig. Er trug einen Tonnenhelm, vorschriftsmäßige Schutzkleidung, einen wunderschönen roten Überwurf mit den Knöpfen da und ein reich verziertes Schwert. Unsere Leute sehen neben dem immer aus wie Bettler. Thorwald hat anfangs gezögert, denn es ist nicht üblich, ohne Anmeldung gegen einen anderen anzutreten. Eigentlich zeigt man seine Waffen und den A-Schein, bevor man kämpft. Dann ist er aber darauf eingegangen, um die Zuschauer nicht zu enttäuschen und es wurde ein großartiger Kampf. Er ist unser bester Schwertkämpfer, doch gegen den Roten hatte er kaum eine Chance. Der ist unglaublich geschickt, aber total fair und hält sich an die Regeln wie an einen Ehrenkodex. Er sagt selten etwas und wenn, rezitiert er so mittelalterliches Zeug.«
»Was war nach dem Kampf?«
Statt zu antworten stand sie wiederum auf und ging zur Glocke. Sie hatte auffallend lange Beine und bewegte sich, Scherer würde sagen, sehr feminin. Lichthaus konzentrierte sich wieder. Sie läutete und bat alle Kämpfer, die mit dem Roten Ritter zu tun gehabt hatten, zu sich. Es waren drei Männer, die sich schwerfällig auf die Bank setzten. Lichthaus stand auf und erklärte ihnen kurz, worum es ging.
»Das scheint ein komischer Kauz zu sein«, begann Thorwald. »Nach dem Kampf wollte ich wissen, wer der Kerl war, doch auf meine Einladung zum Bier ging er nicht ein. Er dankte schwülstig für das erheiternde Zusammentreffen und weg war er.«
Lichthaus schaute in die Runde.
»Hat einer von Ihnen sein Gesicht gesehen oder kennt seinen Namen und sogar die Adresse?«
Doch die Männer schüttelten den Kopf.
»Der kommt wie ein Phantom, kämpft und geht«, sagte einer der Hinzugetretenen. »Der ist unheimlich gut mit dem Schwert. Ein riesiges Ding, doch der hält es in der Hand, als wär es ein Spielzeug. Ich habe noch nie gesehen, dass er eine Regel missachtet hat. Er kommt immer allein, ein Einzelgänger. Es gibt Fotos, die können Sie von mir haben. Meine Frau hat mich in einem Kampf mit ihm fotografiert, aber zu erkennen ist nur seine Rüstung.«
»Trotzdem würde ich gerne einen Kollegen bitten, die Fotos bei Ihnen abzuholen.« Lichthaus notierte die Adresse. »Wissen Sie vielleicht, wo wir den Mann oder Roten Ritter das nächste Mal antreffen können? Wir suchen nämlich eine Person, der dieser Knopf gehört und die im Zusammenhang mit einer Straftat ein wichtiger Zeuge sein könnte«, log er.
»Na, am Samstag. Zum historischen Burgenfest in Manderscheid kommt der immer.«
Lichthaus entschied augenblicklich. Bis zum Samstag waren es zwar nur vier Tage, doch das müsste reichen, um einen Einsatz vorzubereiten. Spleeth müsste sofort die Knöpfe vergleichen, damit sie sicher sein konnten, nicht den Falschen zu jagen. Außerdem musste gegebenenfalls dafür gesorgt werden, dass der Rote Ritter, wie er ihn für sich bereits nannte, nicht Wind von ihrem Einsatz bekam.
»Gut, zuerst einmal Folgendes. Ob der Rote die Person ist, die wir suchen, ist noch nicht klar. Ich muss von Ihnen absolutes Stillschweigen über dieses Gespräch nicht nur erbitten, sondern verlangen, da Sie ansonsten unsere Arbeit behindern, was eine Anzeige nach sich ziehen würde. Da haben Sie mein Wort drauf. Also zu niemandem ein Wort, auch nicht zu den übrigen Kämpfern. Bitte geben Sie Ihre Adressen dem Kollegen Steinrausch. Wir kommen gegebenenfalls auf Sie zu.« Dann wandte er sich an Heike Andries und dirigierte sie weg von den anderen. »Wer ist hier eigentlich der Chef?«
»Normalerweise mein Freund. Da der aber mit der Bundeswehr im Kosovo ist, organisiere ich das meiste. Geht es um das tote Mädchen?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ihr taucht doch hier nicht abends um diese Uhrzeit zu zweit auf, weil ihr einen Eierdieb sucht. Also, geht es um das tote Mädchen?«
»Ja, nur behalten Sie das bitte für sich. Sollten wir am Samstag aktiv werden, möchte ich nicht, dass die ganze Gruppe es erfährt. Ich brauche nur ein, zwei Kämpfer und vielleicht Sie, damit wir einen Einsatz koordinieren können.«
Sie nickte und schaute ihn aus großen blauen Augen an und lächelte. »Geht in Ordnung, ich organisiere das.«
Um acht Uhr saßen sie wieder im Auto. Lichthaus brannte vor Tatendrang. Die Triebkraft, die ihm gestern abhanden gekommen war, kehrte zurück. Er spürte, dass sie dem Täter endlich näher kamen, und wollte loslegen. Während Steinrausch für seine Verhältnisse schnell hinunter in die Stadt fuhr, telefonierte Lichthaus mit Spleeth, der zwar meckerte, aber sofort einwilligte, noch am Abend den Knopf zu analysieren.
Als sie ankamen, wartete er bereits im Präsidium. Sie gingen ins Labor. Spleeth hatte gar nicht erst versucht, Fingerabdrücke zu nehmen, da der Knopf durch zu viele Hände gegangen war, so dass er ihn umgehend mit einer Schiebelehre genau vermaß. Ohne die beiden anderen an den Ergebnissen teilhaben zu lassen, nahm er beide Knöpfe, legte sie abwechselnd unter ein Elektronenmikroskop und verglich sie minutenlang, wobei er ab und an leise grunzte.
»Das sieht gut aus«, er schaute kurz auf und schaltete einen Bildschirm an, der zwei Vergrößerungen zeigte. Zuerst erkannte Lichthaus nichts, doch dann sah er, dass Spleeth, ähnlich wie bei ballistischen Untersuchungen, Kratzer und sonstige Merkmale verglichen hatte.
»Schauen Sie hier«, er zeigte auf eine Verformung, die sich auf der linken Bildseite wiederfand. »Hier haben wir den Knopf, den Sie mitgebracht haben, und hier«, er deutete auf den zweiten Bildausschnitt, »den Knopf, der bei der Leiche sichergestellt wurde. Beide wurden mit einem harten Gegenstand, ich tippe auf einen kleinen Hammer, bearbeitet. Wahrscheinlich war das Material zu dick und konnte so etwas geplättet werden. Es ist übrigens Messing.« Spleeth wurde irgendwie abgelenkt und verlor den Faden. Er starrte auf den Bildschirm und kratzte sich zwischen fettigen Haarsträhnen am Kopf.
»Also, der Hammer hat eine charakteristische Deformierung, die diese Dellen hinterlassen hat. Da ich sie auf beiden Knöpfen sehe, wurden auch beide mit demselben Hammer bearbeitet. Die Schleifspuren sehen ebenfalls gleich aus.« Er drehte sich stolz um. »Ich mache noch eine Analyse des Steins und des Lötmaterials für die Öse, würde aber wetten, dass das gleiche Material verwendet wurde.«
Lichthaus war erstaunt. Spleeth hatte sich bisher selten so weit aus dem Fenster gelehnt, sondern hatte seine Ergebnisse immer erst präsentiert, wenn er sich absolut sicher war. Er ging daher davon aus, dass die Knöpfe des Roten Ritters und der aus Eva Schneiders Grab von ein und derselben Person hergestellt worden waren. Vom Täter selbst oder von jemandem, der diesen kannte.
»Das hört sich ja mal gut an. Bitte machen Sie einen Bericht fertig«. Er schaute auf die Uhr. Es war bereits neun Uhr dreißig. »Morgen. Jetzt gehen wir nach Hause.«
Sie verließen das Labor, während Spleeth grußlos weiterwerkelte.
»Soll ich Sie heimfahren? Ihr Auto ist doch hinüber, und für mich ist es kein Umweg, wenn ich über die Ehranger Brücke fahre.«
Lichthaus willigte nur zu gerne ein, da er mit einem Mal den Hunger und die Müdigkeit des langen Tages spürte. Auch Steinrausch schien erschöpft zu sein und war äußerst wortkarg, während sie durch den Abend fuhren. In der Metternichstraße, einer öden Industriestraße mit alten Kasernen, die nun anderweitig genutzt wurden, und dem verfallenen Milchhof, sah er durch die hohen Fenster eines Fitnesscenters nur die Köpfe der Sportler wie Korken auf dem Wasser auf- und abwogen, während sie wohl auf Laufbändern und Steppern trainierten. Er lächelte. Aus einem Geländewagen mit Campingaufsatz flog eine brennende Kippe in hohem Bogen auf den Parkplatz an der Schuhfabrik. Sie glimmte kurz wie ein Glühwürmchen und verlosch in einer Pfütze.
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