15
Das Krankenhaus in Tijuana, wo Amalfitano sich einem Aidstest unterzog, hatte ein Fenster, durch das man auf eine Brachfläche sah. Dort mühte sich unter einer sengenden Sonne und zwischen Gerümpel und Müll ein kleiner, stämmiger Typ mit riesigem Schnurrbart und augenscheinlich energischem Charakter damit ab, aus Kartons, die er überall auflas, eine Art Lager herzurichten. Er ähnelte dem rothaarigen Piraten aus der Comicserie Duffy Duck, nur mit dem Unterschied, dass seine Haare und sein Bart pechschwarz waren.
Als Padilla ihm schrieb, er sei mit dem Virus infiziert, hatte Amalfitano beschlossen, sich ebenfalls testen zu lassen, aber nicht in Santa Teresa, sondern in Tijuana, wo auszuschließen war, dass er einem Bekannten von der Universität begegnete.
Er sprach darüber mit Isabel Aguilar, die beschloss, ihn in ihrem Wagen hinzubringen. Sie brachen in aller Frühe auf und fuhren durch eine Ebene, in der alles dunkelgelb war, sogar die Wolken und die wenigen rachitischen Sträucher entlang der Straße.
»Um die Zeit sieht alles so aus«, sagte Isabel, »wie Hühnersuppe, später berappelt sich das Land, und das Gelb verschwindet.«
Sie frühstückten in Cananea und fuhren dann weiter Richtung Santa Ana, Caborca, Sonoyta und San Luis. Dort verließen sie den Bundesstaat Sonora und kamen nach Baja California Norte. Während der Fahrt erzählte Isabel, dass sich einmal ein Texaner in sie verliebt habe. Er sei eine Art Kunsthändler gewesen, ein Professor der bildenden Künste habe ihn ihr damals vorgestellt. Kurz nachdem ihre Beziehung zu dem Mechaniker in die Brüche gegangen war. Auf den ersten Blick wirkte der Texaner ungehobelt, einer, der Stiefel mit Absätzen, Cowboy-Schlips und Stetson trug, aber er hatte doch Ahnung von amerikanischer Gegenwartskunst. Das Problem war nur, er gefiel ihr nicht, und sie hatte aus ihren letzten Beziehungen gelernt.
»Einmal«, sagte Isabel, »kam der Texaner zu mir nach Hause und wollte mich zu einer Larry-Rivers-Ausstellung in San Antonio einladen. Ich schaute ihn mir an und dachte: Der Typ will mit dir ins Bett und findet nicht die passenden Worte, es dir zu sagen. Ich weiß nicht, warum ich seine Einladung annahm. Ich hatte nicht die Absicht, mit ihm ins Bett zu gehen, zumindest wollte ich es ihm nicht so leicht machen, und auch der Gedanke an eine Autofahrt nach San Antonio reizte mich nicht, aber plötzlich bekam ich doch Lust hinzufahren, bekam Lust, die Bilder von Larry Rivers zu sehen, so dass mir sogar die Autostunden, das Essen in Raststätten, das Motel, in dem wir in San Antonio zu übernachten gedachten, die sterbenslangweilige Landschaft und die Strapazen der Fahrt in angenehmem Licht erschienen. Ich packte also etwas zum Anziehen, ein Buch von Nietzsche und meine Zahnbürste in eine Tasche, und wir fuhren los. Bevor wir die Grenze überquerten, wurde mir klar, dass der Texaner mich nicht ins Bett locken, sondern nur reden wollte, nur jemand suchte, mit dem er reden konnte (erstaunlicherweise fand er mich sympathisch). Mit einem Wort: Mir wurde klar, dass er ein ziemlich einsamer Typ war, und dass ihn das manchmal fertigmachte. Die Reise war angenehm, ohne besondere Vorkommnisse, die Dinge waren zum Glück von Anfang an klar. Als wir in San Antonio ankamen, mieteten wir uns in einem Motel in den Außenbezirken ein, in getrennten Zimmern, aßen in einem chinesischen Restaurant recht gut zu Mittag und gingen dann in die Ausstellung. Nun: Es stellte sich heraus, dass es der Tag der Eröffnung war, mit Presse, einigen Fernsehkameras, Scheinwerfern, Getränken, lokalen Berühmtheiten und, in einer Ecke, umgeben von Leuten, Larry Rivers persönlich. Ich erkannte ihn nicht, aber der Texaner sagte: Der da ist Larry Rivers, sagen wir ihm Guten Tag. Wir gingen zu ihm, und dann reichten wir ihm die Hand. Es ist mir eine Ehre, Mister Rivers, sagte der Texaner, für mich sind Sie ein Genie. Und dann stellte er mich ihm vor. Señorita Isabel Aguilar, Professorin für Philosophie an der Universität von Santa Teresa. Larry Rivers sah ihn von oben bis unten an, vom Stetson bis zu den Stiefeln, und sagte zunächst nichts, fragte dann aber, wo Santa Teresa liege, in Texas oder in Kalifornien?, und ich reichte ihm die Hand, wortlos, ziemlich befangen, und sagte dann, in Mexiko, im Bundesstaat Sonora. Larry Rivers sah mich an und sagte, großartig, Sonora, großartig. Das war alles, wir verabschiedeten uns höflich und gingen ans andere Ende der Galerie, der Texaner wollte über die Bilder von Larry Rivers reden, ich hatte Durst, wollte aber auch über die Bilder reden, und so tranken wir eine Weile Wein und aßen Kanapees mit Kaviar und geräuchertem Lachs und tranken Wein, und unsere Begeisterung über die Ausstellung nahm immer mehr zu, als ich mich plötzlich, von jetzt auf gleich, allein an einem Tisch voller leerer Gläser wiederfand, schwitzend wie eine Stute, der man einen Parforceritt abverlangt hatte. Ich habe es nicht am Herzen, aber in diesem Moment fürchtete ich einen Anfall, einen Infarkt oder dergleichen. So gut ich konnte, schleppte ich mich auf die Toilette und schlug mir eine Weile Wasser ins Gesicht. Es war ein seltsames Gefühl, das kalte Wasser drang nicht bis an meine Haut vor, der Schweißfilm war so dick, zäh, könnte man sagen, dass er es verhinderte. Meine Brust brannte, als hätte man mir ein rotglühendes Eisen zwischen die Brüste gelegt. Einen Moment lang war ich überzeugt, dass mir jemand eine Droge ins Getränk getan hatte, aber welche Art Droge, war mir nicht klar. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich auf der Toilette zubrachte. Als ich sie verließ, waren kaum noch Leute in der Galerie. Eine wunderschöne, skandinavisch blonde, etwa achtunddreißigjährige Frau stand neben Larry Rivers und sprach ununterbrochen. Es kam mir vor wie ein Wunder, dass Larry Rivers und einige seiner Freunde noch da waren. Die Skandinavierin spielte die erste Geige, sprach und gestikulierte, aber das Merkwürdige daran war, dass es so aussah, als würde sie etwas vortragen, ein langes Gedicht, das sie mit dem Fuchteln ihrer Hände untermalte, Hände, die zart und elegant zu sein versprachen. Larry Rivers betrachtete sie aufmerksam aus halb geschlossenen Augen, als sähe er die Geschichte der Blonden, eine Geschichte von winzigen, unablässig tätigen Leuten. Scheiße, dachte ich, wie schön. Liebend gern hätte ich mich zu ihnen gesellt, aber vermutlich hinderten mich meine Schüchternheit oder meine Diskretion daran. Der Texaner war nirgends zu sehen. Bevor ich ging, lächelte die Gruppe um Larry Rivers mir zu. Am Ausgang kaufte ich den Katalog und fuhr im Taxi zurück ins Motel. Ich ging zum Zimmer des Texaners, aber er war nicht da. Am nächsten Tag sagte man mir an der Rezeption, er sei in der vorigen Nacht abgereist und habe vorher noch alles bezahlt, einschließlich meines Zimmers und eines Frühstücks für mich in der Cafeteria des Hotels. Ich nahm mir vor, alles aufzuessen, sogar die Eier mit Speck, die ich hasse, aber ich bekam nur einen Kaffee herunter. Was ist dem Texaner widerfahren, dass er sich auf so unhöfliche Art aus dem Staub gemacht hat? Ich habe es nie erfahren. Zum Glück hatte ich meine Kreditkarten dabei. Um zwei Uhr nachmittags nahm ich ein Flugzeug nach Hermosillo, und von dort fuhr ich im Taxi nach Santa Teresa.