Vorwort

Es gibt Momente in der Geschichte, in denen sich anscheinend überall auf der Welt Menschen erheben, um zu sagen, dass etwas nicht in Ordnung ist, und um Veränderungen zu fordern. So geschah es in den turbulenten Jahren 1848 und 1968, die jeweils einen Umbruch und den Beginn einer neuen Ära markierten. Das Jahr 2011 wird sich vielleicht als ein Datum von ähnlicher Tragweite erweisen. Ein Aufstand der Jugend, der in Tunesien, einem kleinen Land in Nordafrika, begann, griff zuerst auf Ägypten und dann auf andere Länder im Nahen Osten über. In einigen Fällen schien der Funke des Protests zumindest zeitweilig gelöscht worden zu sein. In anderen dagegen lösten kleine Akte der Auflehnung gesellschaftliche Umwälzungen aus, die zum Sturz langjähriger Potentaten wie dem Ägypter Hosni Mubarak und dem Libyer Muammar al-Gaddafi führten. Schon bald hatten die Menschen in Spanien und Griechenland, in Großbritannien und den Vereinigten Staaten sowie in anderen Ländern der Welt ihre eigenen Gründe, auf die Straße zu gehen. Das ganze Jahr 2011 hindurch nahm ich bereitwillig Einladungen nach Ägypten, Spanien und Tunesien an; in Madrid traf ich im Parque del Buen Retiro, in New York im Zuccotti Park mit Demonstranten zusammen, und in Kairo unterhielt ich mich mit jungen Männern und Frauen, die auf dem Tahrir-Platz protestiert hatten.

Im Verlauf dieser Gespräche wurde mir klar, dass sich zwar die konkreten Missstände von Land zu Land unterschieden und insbesondere die politischen Kritikpunkte im Nahen Osten ganz andere waren als im Westen, dass es aber durchaus auch gemeinsame Themen gab. Einigkeit bestand darin, dass das wirtschaftliche und das politische System in vielerlei Hinsicht versagt hat und dass beide von Grund auf ungerecht sind.

Die Protestierenden haben Recht: Etwas läuft schief. Die Kluft zwischen dem, was unsere ökonomischen und politischen Systeme leisten sollen – und angeblich leisten –, und dem, was sie tatsächlich leisten, ist so groß geworden, dass man sie nicht mehr ignorieren kann. Überall auf der Welt versäumten Regierungen es, sich mit ökonomischen Schlüsselfragen zu beschäftigen, etwa jener der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit; und in dem Maße, in dem universelle Werte wie Gerechtigkeit, trotz gegenteiliger Beteuerungen, der Gier einiger weniger geopfert wurden, fühlten sich die Menschen nicht mehr nur unfair behandelt, sondern betrogen.

Dass sich die junge Generation gegen die Diktaturen in Tunesien und Ägypten erhob, war verständlich. Die Jugend hatte genug von alten, verknöcherten Führern, die auf Kosten der übrigen Gesellschaft ihre persönlichen Interessen schützten, und keine Möglichkeit, im Rahmen demokratischer Prozesse Veränderungen einzufordern. Aber auch in westlichen Demokratien hatten sich Wahlversprechen als heiße Luft erwiesen. US-Präsident Barack Obama hatte »glaubwürdigen Wandel« angekündigt, betreibt aber nach seiner Wahl eine Wirtschaftspolitik, die vielen Amerikanern eher wie eine Fortsetzung des Altbekannten vorkommt. Und doch gab es in den Vereinigten Staaten und andernorts bei diesen jugendlichen Demonstranten, denen sich ihre Eltern, Großeltern und Lehrer anschlossen, Anzeichen der Hoffnung. Sie waren keine Revolutionäre oder Anarchisten. Sie versuchten nicht, das System zu stürzen. Sie glaubten noch immer, dass der Wahlprozess etwas bewirken könne, sofern sich die Regierungen nur daran erinnerten, dass sie dem Volk zur Rechenschaft verpflichtet sind. Die Demonstranten gingen auf die Straße, um das System zu Veränderungen zu drängen. Die jungen spanischen Protestierer nannten ihre Bewegung, die am 15. Mai aus der Taufe gehoben wurde, »los indignados«, die Empörten oder Aufgebrachten. Sie waren empört darüber, dass so viele Menschen so schwer unter den Verfehlungen des Finanzsektors und ihren Folgen zu leiden haben – wie man etwa an einer Jugendarbeitslosigkeit von über vierzig Prozent seit Beginn der Krise im Jahr 2008 ablesen kann. In den Vereinigten Staaten schlug die Occupy-Wall-Street-Bewegung in dieselbe Kerbe. Eine Situation, in der so viele Amerikaner ihre Häuser und ihre Arbeitsplätze verloren, während die Banker stattliche Boni kassierten, ist von schreiender Ungerechtigkeit.

In den Vereinigten Staaten gingen die Proteste jedoch schon bald über die Wall Street hinaus und nahmen die allgemeine Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft aufs Korn. Die Rede war von den »99 Prozent«. Die Demonstranten, die dieses Schlagwort verwendeten, spielten damit auf den Titel eines Aufsatzes an, den ich für das Magazin Vanity Fair geschrieben hatte: »Von dem 1 % durch das 1 % für das 1 %«.1 Darin hatte ich die enorme Zunahme an Ungleichheit in den Vereinigten Staaten und ein politisches System thematisiert, das den Reichsten unverhältnismäßig große Mitspracherechte einzuräumen scheint.2

Drei Tatbestände wurden weltweit diskutiert: die Tatsache, dass Märkte nicht so funktionieren, wie sie sollen, da sie offensichtlich weder effizient noch stabil sind;3 die Tatsache, dass das politische System das Marktversagen nicht korrigiert hatte; die Tatsache, dass die Wirtschafts-und politischen Systeme von Grund auf unfair sind. In diesem Buch konzentriere ich mich auf das unvertretbar hohe Maß an Ungleichheit, das die Vereinigten Staaten und einige andere fortgeschrittene Industrieländer kennzeichnet, und erläutere dabei, inwiefern die genannten drei Tatbestände eng miteinander verflochten sind: Die Ungleichheit ist Ursache und Folge des Versagens des politischen Systems; sie trägt zur Instabilität unseres Wirtschaftssystems bei, die ihrerseits dazu beiträgt, dass die Ungleichheit zunimmt – ein Teufelskreis, in den wir geraten sind und aus dem wir nur durch konzertierte politische Maßnahmen, die ich nachfolgend schildere, wieder ausbrechen können. Bevor wir uns der Ungleichheit zuwenden, möchte ich jedoch den Rahmen abstecken und das allgemeine Versagen unseres Wirtschaftssystems skizzieren.

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht
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