Die Ratsversammlung

Am Himmel kreischten die Möwen und eine steife Brise fuhr über Kais Gesicht. Er strich sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn und atmete tief die Hafenluft ein. S ie roch verwirrend nach Holz, Fisch und Teer. Doch er achtete kaum darauf, denn der Anblick, den ihm der Hafen Hammaburgs bot, war überwältigend.

Das große Hafenbecken wurde von hohen Speichern, Ankerschmieden und den Kontoren reicher Handelsherren gesäumt. Überall waren Schauerleute, Lagerverwalter und Fischhändler zu sehen, die rufend und krakeelend ihren Geschäften nachgingen. Kai konnte einen großen hölzernen Kran ausmachen, dessen gewaltiger Lastarm soeben über den Stauraum einer dickbäuchigen Kogge schwenkte. Das Handelsschiff war an einer nahen Kaimauer vertäut und auf dem Deck turnten Matrosen mit bunten Pluderhosen herum. Sie waren damit beschäftigt, schlanke Amphoren aus dem Schiffsbauch zu hieven. Kai fragte sich, welche exotischen Meere dieses Schiff wohl schon befahren hatte. Es war natürlich nur eines von vielen, die im Hafen vor Anker lagen. Schwarz ragten ihre Masten zum leicht bewölkten Himmel auf. Kai erschienen sie wie ein Wald entlaubter Bäume.

Dann streifte sein Blick eine große Galeere an einer Kaimauer im Westen, deren ramponierte Schiffsverkleidung aussah, als ob dort ein Riese ein Stück herausgebissen hätte. Die Galeere besaß ein Bugkastell, auf dem eine gewaltige Harpune befestigt war. Erst jetzt entdeckte Kai die Männer und Frauen in schweren Teerjacken, die an der Hafenmole eine sicher fünfzehn Schritt lange Seeschlange mit drachenartigem Kopf zerlegten. Das Geschöpf besaß Flossen, die so groß wie die Segel mancher Jollen waren, die im Hafen kreuzten. Ein beständiger Blutstrom ergoss sich von der Kaimauer in das Hafenbecken und färbte das Wasser rot.

»Ich fasse es nicht«, murmelte Kai verwundert. »Ich dachte immer, die Geschichten über Seeschlangen seien reines Seemannsgarn.«

»Mitnichten«, entgegnete Magister Eulertin. »Da draußen im Nordmeer begegnet man noch ganz anderen Wesen, wenn man nicht vorsichtig ist. Seit Morgoya über Albion herrscht, werden es von Monat zu Monat mehr. Allerdings bringen nur die wenigsten Kapitäne den Mut auf, ihnen gezielt nachzustellen. Leute wie Kapitän Asmus gehen ein großes Wagnis ein. Aber der Gewinn, den sie mit dem Fleisch machen, ist gewaltig. Ganz zu schweigen von den Verkäufen an Alchemisten und Scharlatane, die sich noch für so manch andere Körperteile dieser Ungeheuer interessieren. Und nun sei so gut und bring mich zu Meister Mehldorn. Seine Backstube liegt dort hinten, gleich neben dem Schiffsausrüster mit dem Anker vor dem Geschäft.«

Kai fasste eine niedrige Häuserzeile mit Ladengeschäften ins Auge. Sie säumten den Platz mit der großen Waage Hammaburgs, über deren geeichte Gewichte drei Stadtbüttel mit Hellebarden wachten. Noch immer beeindruckt von dem, was er gesehen hatte, blickte Kai zum Hafenbecken und dem gewaltigen Elbstrom zurück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass auch am jenseitigen Ufer der Elbe Gebäude zu erkennen waren. Soweit er es aus der Entfernung ausmachen konnte, handelte es sich um ein Meer windschiefer Baracken und Zelte. Sogar eine Vielzahl von Schiffen dümpelte vor der Ansiedlung im Wasser, darunter schlanke Flussschiffe und Fischerboote, von denen aber keines die Größe einer der stattlichen Koggen erreichte.

»Das Schmugglerviertel«, erklärte Eulertin ruhig, der dem Blick des Jungen gefolgt war. »Aber von diesem Namen sollte man sich nicht beirren lassen. Dort drüben leben einige äußerst mutige Männer und Frauen. Hammaburg sollte stolz auf sie sein, statt sie nur verschämt zu dulden.«

»Was meint Ihr damit?«, wollte Kai wissen. Sie hatten die Backstube inzwischen fast erreicht.

»Ich meine damit, dass diese Schmuggler überaus tapfer sind. Einige von ihnen bereisen noch heute das Nordmeer und halten Kontakt zu der geknechteten Bevölkerung Albions. Alles, was wir über die Zustände in Morgoyas Schattenreich wissen, erfahren wir von ihnen. Fi lebt übrigens ebenfalls dort drüben«, ergänzte der Däumling.

»Ah, Magister Eulertin, da seid Ihr ja!« Aus der Backstube kam schnaufend ein dicker Mann mit weißer Schürze geeilt, der Kai entfernt an Boswin erinnerte. Der Bäcker verbeugte sich ehrerbietig vor dem Däumlingszauberer. Für Kai hatte er nur einen kurzen Blick übrig. »Dieses verdammte Mistvieh hat heute Morgen eine ganze Kiste Schiffszwieback vertilgt. Ich werde noch wahnsinnig.«

»Nun, dann nehmen wir uns mal dieses Schlingers an«, antwortete der Däumlingsmagier und stieg hoch erhobenen Hauptes auf die ausgestreckte Hand des Bäckermeisters. »Kai, warte bitte hier. Die Sache kann gegebenenfalls etwas ungemütlich werden, und ich will nicht, dass du dich vor unserem Besuch im Rathaus schmutzig machst.«

Kai rollte enttäuscht mit den Augen.

»Kommt, ich bringe Euch zu den Öfen«, flüsterte der dicke Bäcker Eulertin zu und schaute sich argwöhnisch um. »Bis jetzt habe ich die Anwesenheit dieses Schmarotzers geheim halten können. Ich wage mir nicht auszumalen, was geschieht, wenn meine Kundschaft von den Vorfällen erfährt.«

Kai sah mit an, wie die beiden in der Backstube verschwanden. Schiffszwieback also. Offenbar schien jeder in diesem Viertel von der Schifffahrt zu leben.

Neugierig schlenderte er zu dem Laden nebenan, vor dessen schiefem Treppenzugang der große Anker lag. In der Auslage waren Buddelschiffe, Seekarten und große Kompasse zu bewundern. Schwach waren hinter den trüben Butzenscheiben Regale zu erkennen, in denen weitere maritime Gerätschaften lagen - darunter obskure optische Instrumente, Lampen und eine dickwandige Flasche, in der heftig der Widerschein eines kleinen Feuers flackerte. Was war das ? Die Flasche übte eine schier magische Anziehungskraft auf Kai aus.

Der Junge schaute sich um. Ob Magister Eulertin etwas dagegen hatte, wenn er nur mal kurz einen Blick in den Laden warf? Er würde auch bestimmt nicht lange bleiben. Kurz entschlossen betrat er die Kellerstiege. Eine kleine Schiffsglocke schlug an, als er die Tür aufzog.

Es war, als habe Kai eine andere Welt betreten. Am Boden stapelten sich Taurollen, an den Wänden standen lange Reihen gebrauchter Ruder und von der Decke baumelten rostige Schiffslaternen unterschiedlicher Größe und Gestalt. Sogar eine vom Seewasser zerfressene Galionsfigur befand sich zwischen all dem Plunder. Sie stellte eine dickbrüstige Frau mit wehenden Haaren dar, deren Augen voller Angst geweitet schienen.

Kai schluckte. Irgendwie stank es im ganzen Raum nach Fäulnis und verrotteten Planken. Auf der Suche nach der seltsamen Flasche streifte sein Blick über lange Regalreihen, auf denen schmutzige Stiefel, abgegriffene Seerohre, Winkelmaße und unzählige andere Gerätschaften lagen.

»Einen Augenblick«, krächzte im Hintergrund eine schnarrende Stimme. »Ich komme gleich.«

Weiter hinten war eine verschattete Ladentheke auszumachen, vor der zwei muskulöse Männer standen, die sorgsam ein grünes Fischernetz prüften. Kai beachtete die beiden nicht weiter, sondern ging zielstrebig auf die große Flasche zu, in der es wild flackerte. Verblüfft starrte er sie an. In ihrem Innern befand sich ein Flammenmännlein, das ungestüm in rotblauem Feuer flackerte. Es ähnelte den Irrlichtern, mit denen Kai vertraut war, schien aber keines zu sein. Was war das nur für ein Wesen ? »Zu teuer!«, war im Hintergrund eine schneidende Stimme zu hören. »Fünfzehn Goldmünzen, das ist unser letztes Angebot.«

»Fünfzehn Goldmünzen?«, krächzte die Stimme, die offensichtlich dem Ladenbesitzer gehörte, empört. »Ich bin nicht bereit zu schachern. Das Netz besteht immerhin aus Nixenhaar!«

Kai spitzte interessiert die Ohren.

»Es war schwierig genug, es zu besorgen«, fuhr die schnarrende Stimme fort. »Wer sich einmal in diesem Netz verfängt, dem helfen nicht einmal mehr Zauberkräfte, um sich daraus zu befreien. Nehmt es zu meinem Preis oder lasst es hier.«

Die beiden Männer grunzten unwillig, dann war das klingende Geräusch eines Geldbeutels zu hören, der den Besitzer wechselte.

»Na, geht doch«, krächzte der Ladenbesitzer zufrieden.

Einer der Männer warf sich das grünlich schimmernde Netz über die Schulter, dann wandten sich die beiden dem Ausgang zu. Ihre Gesichter waren narbenzerfurcht und sie musterten Kai argwöhnisch, als sie an ihm vorbeigingen. Kurz darauf war wieder das Klingeln der Schiffsglocke zu hören.

»Manchmal kann zu viel Neugier ein tödlicher Fehler sein. Meint Ihr nicht auch?«, zischelte es auf einmal hinter ihm. Kai wirbelte herum und blickte erschrocken das Wesen an, das zwischen den Regalreihen aufgetaucht war. Der Besitzer des Ladens reichte ihm nur bis zum Bauchnabel und mit seinen großen, behaarten Ohren und den Reihen spitzer Zähne erinnerte es Kai fatal an eine Fledermaus. Bei allen Moorgeistern! Vor ihm stand ein Kobold. Er sah genauso aus wie in den Geschichten, die ihm seine Großmutter erzählt hatte. Davon abgesehen trug sein Gegenüber eine vornehme Weste, aus deren Brusttasche eine silberne Uhrkette hervorguckte.

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht«, entgegnete Kai lässig und war selbst überrascht darüber, wie selbstbewusst er klang.

»Nun, was kann ich für Euch tun?«, wechselte der Kobold das Thema. »Ich, äh, ich wollte Euch fragen, was das da für ein Geschöpf ist.« Kai deutete auf die flackernde Flammengestalt in der Flasche.

»Ah. Dies ist also das Objekt Eures Begehrens«, kicherte sein Gegenüber und rieb sich die überlangen Finger. Aufmerksam musterte der Kobold Kai und zuckte dann mit seinen Fledermausohren. Sein Blick blieb an Flöte und Bernsteinbeutel hängen. »Wie ich sehe, seid Ihr ein Irrlichtjäger, richtig?«

Kai nickte erstaunt.

»Habe ich es mir doch gleich gedacht.« Wieder kicherte der Kobold. »Da wünscht man sich dieser Tage doch gleich, dass man ein anderes Handwerk erlernt hätte, was? Einen Beruf, der weniger gefährlich ist...«

Kai antwortete nicht, sondern starrte den Kobold wachsam an. Und so wechselte dieser abermals das Thema.

»Euer fachkundiger Blick hat natürlich gleich das erlesenste Stück meiner bescheidenen Gebrauchtwarensammlung erfasst«, schmeichelte er ihm und bleckte seine Nadelzähne. »Vor Euch seht Ihr ein Elmsfeuer. Sie sind mit den Irrlichtern entfernt verwandt, doch weitaus seltener und gefährlicher. Hin und wieder zeigen sie sich auf den Masten stolzer Schiffe. Vornehmlich dann, wenn sich das Schiff in einem schweren Sturm befindet. Elmsfeuer gelten als Unglücksbringer. Seid Ihr denn an Unglück interessiert?«

Kai schüttelte den Kopf. Dieser Kobold war ihm nicht geheuer. Besser, er sah zu, dass er wieder nach draußen kam. »Nein, bin ich natürlich nicht«, meinte er in bemüht gleichgültigem Tonfall. »Außerdem habe ich kein Geld.«

Mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Kai und versuchte seinen Abgang nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen. Als er wieder draußen stand, atmete er erleichtert die salzige Hafenluft ein. Er konnte spüren, wie ihm der merkwürdige Kobold durch die Fenster seines Geschäfts nachstarrte.

In diesem Moment öffnete sich nebenan die Tür der Bäckerei und der dicke Meister Mehldorn trat heraus. Auf seiner ausgestreckten Hand stand Magister Eulertin. »Danke. Danke. Danke, Magister. Ihr glaubt nicht, welchen Gefallen Ihr mir erwiesen habt.«

»Nun, das war nicht schwer«, antwortete der Däumling und klopfte sein blaues Zaubergewand ab. Es war über und über mit Mehl bestäubt. »Und lasst Euch nicht einfallen, den Schlinger einem missliebigen Konkurrenten unterzujubeln. Ihr liefert ihn wie vereinbart morgen bei einer der Wachstuben ab.«

»Aber natürlich, hoch verehrter Magister. Was denkt Ihr denn von mir?« Der Bäcker tat empört, wirkte aber wie ein Lehrling, der beim heimlichen Griff in die Kasse ertappt worden war.

»Komm her, Junge, damit du mich wieder tragen kannst«, rief der Magister, als er Kai erblickte.

Der tat, wie ihm geheißen wurde, und gemeinsam ließen sie weitere Dankesbekundungen des Bäckers über sich ergehen.

Anschließend bedeutete Eulertin seinem Schüler, in eine breite Geschäftsstraße einzuschwenken, die parallel zu der finsteren Ruine der Hammaburg verlief. »Beeile dich«, wies ihn der Däumlingszauberer an. »Leider hat uns die kleine Stadtführung mehr Zeit gekostet, als ich beabsichtigt hatte. Ratsherr Schinnerkroog wird es nur zu gern sehen, wenn ich mich verspäte.«

Kai erinnerte sich wieder an das Gespräch mit den Windmachern, das er vor einigen Wochen belauscht hatte.

»Ist er ein wichtiger Mann?«, tat er arglos.

»Ja, leider«, antwortete der Däumlingszauberer missmutig. »Er ist der Erste Ratsherr der Stadt. Ein unbelehrbarer Wichtigtuer, auf den das Schimpfwort >Pfeffersack< besser zutrifft als auf jeden anderen der ach so hochweisen Herren Stadträte. Am liebsten wäre es ihm, wenn man die Zauberwerker Hammaburgs gänzlich aus den Stadtwällen vertriebe.«

»Wieso das?«, fragte Kai, während er einer eleganten Kutsche auswich, die auf dem Weg zum Hafen war.

»Nun, früher hatte Schinnerkroogs Bruder Simor das Amt inne«, berichtete der Magister. »Diesem Simor Schinnerkroog hat die Stadt die Ergreifung von Mort Eisenhand zu verdanken. Er kam später durch einen Fluch Morbus Finsterkrähes ums Leben. Der jetzige Schinnerkroog ist leider aus gänzlich anderem Holz geschnitzt. Wenn es nach ihm ginge, würde die Stadt vor der Nebelkönigin Morgoya kuschen. Neutralität bewahren<, nennt er das«, fluchte Eulertin. »Er glaubt allen Ernstes, dass Hammaburg so vor ihrem Einfluss geschützt werden könne. Leider gewinnt er unter den Zauderern und Angsthasen der Stadt immer mehr Anhänger.«

Inzwischen hatten sie einen großen, gepflasterten Platz erreicht, der von vornehm aussehenden Gebäuden flankiert wurde. Eulertin machte Kai auf die Börse der Stadt aufmerksam, einem prunkvollen Bau mit marmornen Säulen, über dem ein Fresko angebracht war, das Säcke und Fässer zeigte, die eine große Waage einrahmten. Die Börse stand direkt gegenüber des so genannten Commerziums, in dem die Kapitäne und Kaufleute der Stadt tagten. Es handelte sich um einen Fachwerkbau, der ebenfalls recht ansehnlich war. Unter dem hölzernen Dachgiebel über dem Eingang hing das bronzene Bildnis einer protzigen Kogge mit stolz geblähten Segeln, auf dem sich golden die Strahlen der Sonne brachen.

Überall auf dem Platz waren geschäftige Kaufleute unterwegs, zwischen denen Schreiber und wichtigtuerische Stadtbeamte herumwuselten. Vor allem aber stach ein stattlicher, weiß gekalkter Steinbau mit grünem Kupferdach hervor: das Rathaus Hammaburgs.

Es lag neben einem großen künstlichen Wasserbecken, das über Kanäle mit der Elbe verbunden war. Drei leuchtend weiße Schwäne zogen auf der Wasserfläche ihre Bahn. Vor dem Rathaus standen zahlreiche Kutschen und versperrten den Blick auf eine Fassade, in die eine endlose Zahl von Nischen eingelassen war. Darin standen die Statuen ernst drein-blickender Männer und Frauen.

»Das sind all die Ersten Ratsherren Hammaburgs, die seit dem Untergang des Kaiserreichs in den Schattenkriegen die Amtsgeschäfte geführt haben«, erläuterte Eulertin.

»Was für ein Kaiserreich? Und was für Schattenkriege?«, fragte Kai erstaunt. »Ach, Junge«, seufzte der Däumling auf seiner Schulter. »Du hast nie von Kaiser Kirion gehört, den ihr Menschen >den Löwen< nennt?«

Kai schüttelte beschämt den Kopf.

»Deine Unbildung ist wirklich erschütternd. Leider ist für weitere Geschichtslektionen jetzt keine Zeit. Wenn du vielleicht einen Schritt zulegen könntest.«

Kai schnaubte unwillig und kam an einer langen Reihe von Irrlichtlaternen vorbei, die nachts den Rathausplatz beleuchteten. Wie am Tage üblich, waren die Lohenmännlein müde in sich zusammengesunken und glimmten mit schwacher Flamme vor sich hin. Immerhin, hier war vom Irrlichterraub nichts zu bemerken.

Der Zauberlehrling drängte sich mit seinem Meister auf der Schulter zwischen den Pferden und Kutschen hindurch, dann hatten sie die steinerne Treppe zum Eingang des Rathauses erreicht. Flankiert wurde sie von zwei streng dreinschauenden Gardisten mit Halskrausen und blinkenden Helmen, die kämpferisch ihre Hellebarden aufgepflanzt hatten. Soeben kam ein hagerer Stadtschreiber mit ledernen Ärmelschonern aus dem Gebäude. Er grüßte Magister Eulertin knapp. Kai beachtete er überhaupt nicht. Schließlich betraten sie die weiträumige, mit Säulen geschmückte Eingangshalle des Rathauses. An den bis hoch zur Decke getäfelten Wänden hingen riesige Gemälde, die stolze Hammaburger Schiffe zeigten. In der Mitte der gefliesten Halle erhob sich ein marmorner Springbrunnen, dessen Muschelbecken von steinernen Wassernixen getragen wurde. Bewundernd glitt Kais Blick über die schimmernden Fisch schwänze der Skulpturen, in die dünne Silberschuppen eingebettet waren. Natürlich war ihr Kommen nicht unbemerkt geblieben. Sie wurden von einem Dutzend Schreibern und anderen Stadtbediensteten beäugt, die überall auf den Gängen standen und sich leise unterhielten.

»Ah, der hoch verehrte Zunftmeister Magister Eulertin!«, säuselte eine Stimme. Ein blonder Mann im rotblauen Wams eines Ratsdieners kam auf sie zu und verneigte sich. »Die hochweisen Herren und Damen Stadträte haben sich bereits oben im Windsaal versammelt. Ratsherr Schinnerkroog hat die Sitzung um eine Stunde vorverlegt. Hat man Euch nicht darüber informiert?«

»Nein«, schnaubte Eulertin entrüstet. »Aus irgendeinem Grund hat diese sicher unbedeutende Terminänderung nicht den Weg in die Windmachergasse gefunden. Ist wenigstens Ratsherr Hansen vor Ort?«

»Ja, der hochweise Herr wohnt der Versammlung bei.«

»Gut, immerhin«, murrte der Däumling. »Sputen wir uns also.«

Der Ratsdiener führte sie eine große Freitreppe hinauf, über der ein Relief hing, auf dem übergroß der Stadtschlüssel vor dem Wappen Hammaburgs zu sehen war: eine Burg, vor der sich stolz ein Schwan abzeichnete.

»Wer ist dieser Ratsherr Hansen?«, flüsterte Kai.

»Der Stadtkämmerer Hammaburgs«, brummte Eulertin. »Er verwaltet die Finanzen. Zugleich ist Hansen einer meiner engsten Verbündeten unter den Stadträten. Ein ehrenvoller Mann.«

Sie liefen einen Gang hinunter, direkt auf ein großes Doppelportal zu, auf dessen Flügeln abermals Stadtschlüssel und Wappen zu erkennen waren.

Der Ratsdiener legte den Finger auf die Lippen und öffnete leise die Tür. Von drinnen ertönte erregtes Gemurmel.

Vor Kai und dem Däumlingszauberer erstreckte sich ein großer Saal mit leicht abschüssigen Sitzreihen, an dessen Stirnseite zwei Prunkfenster hoch zur Raumdecke aufragten. Ein Glasmaler hatte sie mit bunten Bildern von Koggen sowie exotischen Ländern und fernen Meeren geschmückt.

Im Saal hatten sicher an die siebzig Männer und Frauen Platz genommen. Da sich das große Portal im Rücken der hier Versammelten befand, konnte Kai ihre Gesichter nicht sehen. Staunend betrachtete er die düstere Amtstracht, die die hochweisen Damen und Herren trugen. Die Männer waren in schwarz wattierte Mäntel mit weißen Halskrausen gekleidet. Viele von ihnen trugen dazu passende dunkle, breitkrempige Hüte, die nach oben hin in abgeflachten Kegeln endeten. Die Ratsdamen trugen Kleider aus dem gleichen dunklen Stoff, welche am Hals weiß gerüscht waren. Ihre Haare hatten sie zu turmartigen Gebilden hochgesteckt. Sie alle starrten zu einem großen Rednerpult zwischen den beiden hohen Fenstern hinunter. Dort stand ein hagerer Mann mit stechendem Blick und hängenden Mundwinkeln, der sein strähniges Haar eitel über die Halbglatze gekämmt hatte. Auch er trug die düstere Tracht der Ratsherren, nur dass vor seiner Brust eine goldene Medaille baumelte, auf der das Stadtwappen prangte. Kai wusste auch ohne nachzufragen, wer der Mann da unten war: Schinnerkroog, der Erste Ratsherr der Stadt.

»... und deswegen, hochverehrte Herrschaften«, deklamierte Schinnerkroog mit schriller Stimme, »und deswegen ist es unsere Pflicht, mit dem Übel in unserer Stadt aufzuräumen ! Haben die Gründerväter dieser Stadt nicht geschworen, ein Heim für fleißige und strebsame Kaufleute zu schaffen? Lag es nicht in ihrer Absicht, Redlichkeit und Anstand zu fördern, indem sie einen Ort schufen, in dem sittliche Menschen Schutz und Obdach finden ? Ich spreche von nichts Geringerem als jenen Tugenden, die unsere Stadt einst groß gemacht haben!«

Zustimmendes Gemurmel kam auf, während Kai auf einem Hocker in der letzten Reihe Platz nahm. Magister Eulertin stand angespannt auf seiner Schulter und lauschte konzentriert den Worten des Ersten Ratsherrn.

»Was ist aus alledem geworden?«, keifte Schinnerkroog. »Lasst mich offen sprechen. Hammaburg ist zu einem Hort des Schmutzes und des Lasters verkommen! Überall in der Stadt suhlen sich kriminelle Elemente, die sich wie Blutegel an unserem Gemeinwesen gütlich tun. Abschaum, den wir aus falsch verstandener Hilfsbereitschaft in unserer Mitte dulden und der unsere Güte Tag für Tag missbraucht. Ich spreche von jenem Hort der Gesetzlosigkeit auf der anderen Seite der Elbe. Jenem verderbten Pfuhl von Dieben, Schmugglern und Mördern, der die Lebensader unserer Stadt wie eine schwärende Wunde zu vergiften droht. Lasst uns kurzen Prozess machen mit diesem Aussatz. Lasst uns ein Ende machen mit all diesen Provokateuren, die das gestrenge Albion Monat um Monat aufs Neue provozieren. Entfernen wir die Eiterbeule vom Hammaburger Stadtgebiet!«

Ganze Reihen unter den Ratsmitgliedern erhoben sich und klatschten begeistert Beifall. Die andere Hälfte applaudierte nur zögerlich oder enthielt sich gänzlich einer Gefühlsregung.

Schinnerkroog lächelte zufrieden und verließ das Pult, an das nun ein prächtig ausstaffierter Ratsdiener mit Silberkette trat.

»Ruhe bitte! Ruhe bitte!« Vernehmlich klopfte dieser mit einem Hammer auf das Pult, bis wieder Stille im Saal eingekehrt war. »Da es einige der hochweisen Herren und Damen, die sich heute auf der Rednerliste eingetragen hatten, vorgezogen haben nicht zu erscheinen«, rief er mit näselnder Stimme, »ist die Versammlung für heute geschlossen. Ich bitte die Herrschaften daher ...«

»Halt!«, brüllte Magister Eulertin in einer Lautstärke, die Kais Ohr zum Klingen brachte. Ungezählte Köpfe ruckten zu ihnen herum und starrten sie an. Diejenigen, die offenbar zu Schinnerkroogs Anhängern gehörten, verzogen missmutig die Mienen, die anderen Ratsleute lächelten erfreut.

»Los, nach vorn, Junge«, wisperte ihm Eulertin ins Ohr und hob an, während Kai die Stufen zu dem Pult hinabschritt, mit seltsam verstärkter Stimme weiterzusprechen. »Leider hat mich die Nachricht, dass die Ratsversammlung vorverlegt wurde, nicht erreicht. Ich bitte daher, mein spätes Erscheinen zu entschuldigen.«

Schinnerkroog starrte von seinem Platz aus finster zu ihnen herüber, und Kai fühlte, dass auch er interessiert von ihm beäugt wurde.

»Sicher ist daran Euer neuer Sekretär schuld«, meinte Eulertin an Schinnerkroog gewandt und deutete auf den Ratsdiener vorn am Pult. Der starrte verstört zum Ersten Ratsherrn hinüber. »Bestimmt hat er sich im Gassengewirr der Stadt verlaufen, als er Eure Nachricht in die Windmachergasse bringen sollte. Wäre ja nicht das erste Mal ...« Gelächter ertönte. Schinnerkroog selbst bewahrte Gleichmut. Er stand auf und lächelte Eulertin hämisch an. »Euer Humor spottet wie immer Eurer Größe, verehrter Magister. Ihr dürft Euch darauf verlassen, dass dieses Missgeschick selbstverständlich eine Untersuchung nach sich ziehen wird.«

»Aber nicht doch«, entgegnete Eulertin mit ironischem Unterton und bedeutete Kai, ihn auf dem Pult abzusetzen. Die Mitglieder des Rates reckten ihre Hälse, um einen besseren Blick auf den Däumling zu erhaschen. Zwei ältere Ratsherren setzten sich sogar ein Monokel auf. »Vielleicht bedient ihr Euch das nächste Mal einfach eines Laufburschen aus dem von Euch so geschmähten neuen Stadtviertel jenseits der Elbe«, fuhr der Zauberer in spöttischem Ton fort. »Schließlich beweisen die Bewohner dieses Viertels, hochverehrter Erster Ratsherr, schon seit Jahren mehr Weitblick als manch anderer alteingesessene Bürger dieser Stadt.«

Angesichts der versteckten Kritik an Schinnerkroogs Amtsführung brach Getuschel im Saal aus. Schinnerkroog selbst presste die Lippen aufeinander und wurde blass vor Zorn.

»Ich halte es daher für meine Pflicht«, führte Eulertin aus, »einige Fakten richtig zu stellen, die sicher irrtümlich in solch missverständlicher Weise Zugang zu dieser Versammlung gefunden haben. Dies ist umso bedauerlicher, als dass noch Euer seliger Bruder Simor, hochverehrter Erster Ratsherr, mit größter Achtung von den Bewohnern der anderen Elbseite gesprochen hat. Sicher wäre er nicht erfreut darüber, all diese Männer und Frauen heute als Diebe und Mörder verunglimpft zu wissen. Denn wie Euch vielleicht noch bekannt ist«, Eulertin nickte Schinnerkroog zu, »war es Eurem Bruder nur mithilfe dieses, wie nanntet Ihr sie gleich noch ? Ja, richtig: Abschaum. Nun ... war es Eurem eigenen Bruder nur mit Hilfe dieses Abschaums möglich, den gefürchteten Mort Eisenhand zu stellen. Ein Pirat, der nicht weniger als sechsunddreißig Handelsschiffe Hammaburgs aufgebracht und der Stadt unermesslichen Schaden zugefügt hat.«

Unter den Ratsleuten kam es ein weiteres Mal zu erregtem Getuschel. Schinnerkroogs Gesichtszüge waren zu Eis erstarrt. Der Ratsdiener, der voreilig das Ende der Sitzung hatte einläuten wollen, trat neben ihn und flüsterte dem Ersten Ratsherrn etwas ins Ohr. Über das Gesicht Schinnerkroogs huschte ein gehässiges Lächeln. »Und ich möchte ebenfalls daran erinnern«, fuhr Eulertin fort, »dass Hammaburg ohne die Lotsen dieses Viertels in eine fatale Lage gebracht wird. Niemand kennt die tückischen Gewässer zwischen Albion und dem Kontinent besser als sie.« »Verzeiht, dass ich mich einmische, verehrter Magister«, unterbrach ihn der Ratsdiener mit der silbernen Kette näselnd. »Vielleicht erinnert Ihr Euch an den Paragraf sechzehn der vor einem Jahr überarbeiteten Rathausordnung, der die Einbringung ungeprüfter magischer Artefakte in die hiesigen Räumlichkeiten untersagt?«

»Natürlich, ich habe diesen Entschluss schließlich mitgetragen«, antwortete Eulertin lauernd und trat kämpferisch an die Kante des Pults. »Es ging damals darum, Fälle auszuschließen wie jenen, als Morbus Finsterkrähe einer der hier anwesenden Damen eine magische Schminkdose geschenkt hatte.«

»Richtig«, flötete der Ratsdiener. »Eine Dose, die sich dann als Heim eines gefährlichen Feuerdämons entpuppte.«

»Darüber müsst Ihr mich nicht aufklären«, sagte der Däumling. »Vor Euch steht jener Zauberer, der diesen Teufel ausgetrieben hat, bevor er Schaden anrichten konnte.« »Umso mehr schmerzt es mich, dass ich ausgerechnet Euch bitten muss, jenes Kleinod an Eurer rechten Hand abzulegen. Jedenfalls so lange, bis es von drei unabhängigen Windmachern auf seine Unbedenklichkeit hin überprüft wurde.«

Eulertin starrte überrumpelt den schimmernden Saphirring an, den er am Finger trug. »Ohne dieses Artefakt wird mich niemand in diesem Saal verstehen!«, zürnte er. »Ihr wisst nur zu gut, dass meine Stimme ohne dieses Hilfsmittel nicht weit genug trägt.« Kai starrte den Däumling überrascht an. Das also war das Geheimnis von Eulertins übermenschlicher Lautstärke.

»Wie bedauerlich«, murmelte Ratsherr Schinnerkroog süffisant.

In den Reihen hinter ihm brach leises Gelächter aus. Auf der anderen Seite des Saals hingegen wurden Rufe der Empörung laut. Nur einige schienen nicht so recht zu wissen, wie sie sich verhalten sollten.

»Darf ich also bitten?« Schinnerkroogs Hofschranze trat an das Pult heran und streckte die Hand aus. »Ich bedauere wirklich. Aber Ihr wisst ja, wie das ist: Anordnung ist Anordnung!«

»Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ich ein so gefährliches Objekt in die Hände eines unbedarften Laien gebe, oder?«, zischte der Däumlingszauberer säuerlich. »Wenn Ihr gestattet, werde ich den Ring meinem Schüler anvertrauen.«

»Eurem Schüler ? Soso. Aber natürlich.« Der Sekretär Schinnerkroogs musterte Kai misstrauisch und entfernte sich wieder.

Kai nahm bedrückt den Zauberring entgegen und presste ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, um das winzige Ding nur ja nicht zu verlieren. Die Empörungsrufe unter den Ratsleuten wurden derweil immer lauter. Vor allem ein kleiner Mann mit schlohweißen Haaren und Nickelbrille tat sich dabei hervor. Ob das Magister Eulertins Verbündeter war, dieser Stadtkämmerer Hansen ?

Längst waren auch einige andere Ratsleute aufgestanden und schrien wild durcheinander.

»Ungeheuerlich!«

»Durchsichtiges Manöver!«

»Schämt Euch!«

Magister Eulertin stand derweil vorn am Pult und versuchte die Menge zu beruhigen. Heftig winkte der Däumling mit seinen kleinen Armen, doch niemand beachtete ihn. Ohne seinen Ring wirkte er verloren und hilflos.

»Dann werde ich eben für den Magister sprechen!«, rief Kai plötzlich lauthals in das Lärmen und Schreien hinein. Von einem Augenblick zum anderen ebbte der Tumult ab und es wurde so still im Saal, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Aberdutzende Augenpaare waren auf Kai geheftet. Selbst Magister Eulertin schaute ihn verblüfft an.

Unruhig trat Kai von einem Fuß auf den anderen. »Es sei denn, es gibt ein Gesetz, das auch das verbietet?«

»Aber nein.« Diesmal stand Ratsherr Schinnerkroog persönlich auf und sah ihn belustigt an. »Als Zunftmeister der Windmacher und Spökenkieker«, höhnte er, »ist der große Magister Eulertin den Ratsherren natürlich gleichgestellt. Er kann selbstverständlich einen Vertreter benennen, der für ihn spricht. Wenn er diese gewichtige Aufgabe einem kleinen Jungen übertragen will, nur zu.«

Kai starrte Schinnerkroog böse an. »Das habe ich damit nicht gemeint, hochweiser Herr. Ich meinte das eher im übertragenen Sinne.« Er zwinkerte dem Däumlingszauberer zu und legte die freie Hand aufs Pult, sodass dieser auf sie steigen konnte. Anschließend setzte er den Däumling dicht neben seinem Ohr ab.

Schinnerkroogs Gesicht verfinsterte sich, dann setzte er sich wieder.

»Eine vortreffliche Idee, Junge. Du erstaunst mich immer wieder.« Magister Eulertins natürliche Stimme war kaum lauter als das Summen eine Biene. Stocksteif vor Aufregung und mit klopfendem Herzen trat Kai dicht an das Pult und versuchte, so gut es ging, die vielen Augenpaare zu ignorieren, die auf ihn gerichtet waren. Er räusperte sich nervös. Dann lauschte er dem, was ihm der Däumling ins Ohr flüsterte.

»In Anbetracht der Umstände«, hob Kai vorsichtig zu sprechen an, »werden wir uns kurz fassen. Magister Eulertin gibt zu bedenken, dass sich unter den Bewohnern des Schmug..., äh, Viertels auf der anderen Elbseite viele Flüchtlinge aus Albion befinden, die sich auf den Schutz Hammaburgs verlassen. Wir sind moralisch verpflichtet, ihnen beizustehen. Darüber hinaus sollte einigen der hier Anwesenden bekannt sein, dass den Bewohnern dieses Viertels von Simor Schinnerkroog, dem einstigen Ersten Ratsherrn dieser Stadt, ein lebenslanges Bleiberecht zugesagt wurde.« »Was ?«

»Unmöglich!« »Doch, das ist richtig!«

Die Bemerkung löste sofort erregte Diskussionen unter den Ratsleuten aus. »Diese Zusage liegt sogar in schriftlicher Form vor«, fuhr Kai mutiger werdend fort. »Und zwar für die Verdienste bei der Ergreifung Mort Eisenhands. Wird diese Zusage gebrochen, wird sich das herumsprechen und als sehr schädlich für den Ruf der Handelsstadt erweisen. Außerdem fragen wir uns, ob Ihr, Erster Ratsherr, Euch deswegen so wenig für den Seehandel einsetzt, weil ihr Eure Waren inzwischen auf dem Landwege befördern lasst.«

Schinnerkroog sprang wutentbrannt auf. »Wage es nicht noch einmal, mir solche Unterstellungen anzuhängen, du kleines Schandmaul!«

Kai war sich nicht sicher, wen genau der Erste Ratsherr mit dieser Äußerung gemeint hatte.

»Der Magister wünscht überdies, dass bei der nächsten Versammlung die Zollgesetze neu verhandelt werden. Für heute verzichtet er darauf. Danke und gut gemacht, Junge!«

»Du Torfkopp«, summte Eulertin. »Der letzte Satz war für dich und nicht für die Herrschaften des Rates bestimmt.«

Kai lief rot an und trat vom Pult zurück. Schinnerkroogs Sekretär schloss eilig die Versammlung und die Ratsmitglieder erhoben sich. Wilde Diskussionen entbrannten und wenig später bestürmte eine größere Gruppe Kai und den Magister mit Fragen. Unter ihnen befand sich der schmächtige Mann mit der Nickelbrille, der sich tatsächlich als Stadtkämmerer Hansen entpuppte. Erst auf Kais Hinweis hin, dass der Magister nur außerhalb des Gebäudes sprechen könne, trat die Gruppe den Weg zum Vorplatz an. Als sie die Treppe vor dem ehrwürdigen Gebäude endlich erreicht hatten, gab Kai dem Magister den Ring zurück und stellte den Däumling auf das Geländer. Dort führte Magister Eulertin die Unterhaltung alleine fort.

Kai trat erleichtert ein Stück zurück und war froh, nicht mehr im Zentrum des Interesses zu stehen. Aufmerksam beobachtete er, wie die Herren und Damen des Rates nach und nach aus dem Gebäude strömten, um den Heimweg anzutreten. Plötzlich stutzte er. Kai entdeckte etwas abseits, im Schatten einer besonders prachtvollen Kutsche, Ratsherrn Schinnerkroog. Wild gestikulierend redete er auf zwei grobschlächtige Männer ein, die Kai bekannt vorkamen.

Natürlich! Es handelte sich bei ihnen um die beiden zwielichtigen Gesellen, denen er im Geschäft dieses Kobolds begegnet war. Was machten die hier ? Kai wusste es nicht. Nur eines fühlte er: Ratsherrn Schinnerkroog war nicht über den Weg zu trauen.