Kapitel 25
Der Winter schränkte die Aktivitäten an der
Himmels akademie stark ein. Philippa schien, als bewegten sich
Pferde, Hunde und sogar die Mädchen träger als sonst. Aufgrund der
langen Nächte und der kurzen Tage schafften sie nicht ihr gewohntes
Pensum, und die Stimmung war gereizt. Auf der Trockenkoppel
glitzerte der Schnee, die nackten Zweige der Hecken waren von einer
Eisschicht überzogen, und das Kopfsteinpflaster im Hof war
gefährlich glatt. Jeden Morgen mussten Rosella und Herbert die
dünne Eisschicht auf den Wassernäpfen der Oc-Hunde
durchstoßen.
Die mangelnde Bewegung machte die Pferde
unruhig, doch an einigen Tagen war es einfach zu kalt, um länger
als ein paar Minuten in der frischen Luft zu sein. Das war auch
heute so, deshalb hatte Philippa beschlossen, mit ihrer Klasse
Übungen am Boden zu machen. Sie beobachtete vom Rand der
Trockenkoppel, wie Elisabeth mit Jäger in einem langsamen Galopp
ihre Runden drehte. Die Luft klirrte fast vor Kälte, und die Pferde
waren sichtlich nervös. Als Elisabeth eine Richtungsänderung
einleitete, breitete Jäger ungeduldig die Flügel aus.
»Setz die Gerte ein, Elisabeth! Du musst
verhindern, dass Jäger die Flügel ausbreitet. Es wird immer wieder
Zeiten geben, in denen er nicht fliegen darf.«
Elisabeth tippte Jäger auf die Flügelspitzen. Er
warf unwillig
den Kopf hin und her, und sein Galopp wurde unregelmäßiger,
wilder, doch er faltete gehorsam die Flügel zusammen. Bevor das
nächste Mädchen ihre Runde drehte, erinnerte Philippa alle daran,
wie wichtig es war, jeden Befehl zu üben. Während sie sprach,
bildete ihr Atem in der kalten Luft Wolken.
Gerade als sie die Klasse in die warmen Ställe
zurückschickte, verließ Larkyn mit dem alten gefleckten Pony an der
Longe die Stallungen. Beere trottete neben ihr her.
»Larkyn, Sie reiten doch nicht etwa immer noch
auf Schweinchen?«, fragte Philippa. Das Mädchen sah sie mit ihren
lebhaften Augen an und errötete. Allerdings nicht mehr so extrem
wie am Anfang, dachte Philippa. Larkyn lernt langsam, sich zu
beherrschen.
»Meisterin Stark sagt, ich müsste Schweinchen
reiten, bis ich mich auf dem Sattel halten kann. Ich falle jedes
Mal herunter, wenn ich galoppiere. Meine Haltung ist fürchterlich«,
sagte sie bedrückt.
Philippa spitzte die Lippen. Gedankenverloren
streckte sie die Hand nach dem Halfter des Ponys aus, das mit den
Zähnen nach ihr schnappte. Erschrocken zog sie die Hand zurück.
Beere knurrte und stellte die Nackenhaare auf.
»Oh, tut mir leid! Ich hätte Sie warnen müssen.
Schweinchen ist bissig«, erklärte Larkyn hastig.
»Bei Kallas Fersen! Hat er Sie schon einmal
gebissen?«
»Oh, nein. Mich beißt er nicht. Aber Herbert hat
schon mehrmals seine Zähne zu spüren bekommen und auch Rosella
einmal.«
Philippa verschränkte die Arme. »Larkyn, ich
weiß nicht, ob Sie es schaffen können, bis zum Tag der Prüfung auf
den Stand Ihrer Klasse zu kommen. Aber wenn Sie überhaupt eine
Aussicht auf das Examen haben wollen, müssen Sie
nicht nur reiten können, sondern auch fliegen. Und das können Sie
nicht auf einem Pony.«
»Ich weiß.« Lark blieb stehen, und Schweinchen
stampfte mit seinen groben Hufen, als er neben ihr anhielt. Der
Schnee auf der Trockenkoppel hatte sich in grauen, eisigen
Schneematsch verwandelt. Nicht gerade ein Boden, auf den man gern
fällt, dachte Philippa.
»Meisterin Winter …« Das Mädchen zögerte.
»Was haben Sie?« Philippa sah, wie Irina Stark
den Hof überquerte, und wurde plötzlich ungeduldig. Dieses
unangenehme Wetter tat ihrer Stimmung überhaupt nicht gut.
»Wenn ich doch nur Tup anstelle von Schweinchen
reiten könnte.«
Philippa kam nicht dazu zu antworten. Irina
hatte den Zaun erreicht, öffnete das Gatter und betrat die Koppel.
Philippa nickte ihr zu. »Ich möchte Larkyn heute beim Reiten
zusehen.«
»Ach? Mir scheint, du und die Leiterin vertraut
mir nicht.«
»Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, Irina.«
Sie hätte es der Frau noch ausführlicher erklären können, doch
schon der Gedanke, all ihre Bedenken in Worte zu fassen, erschöpfte
sie. Sie lehnte sich gegen den Zaun und beobachtete mit
zusammengekniffenen Augen, wie Larkyn damit kämpfte, den Steigbügel
zu ihrem Fuß zu ziehen, wobei sie die Zähne des Ponys nicht aus den
Augen ließ. Irina packte Schweinchens Zügel, der daraufhin einen
Satz nach vorn machte. Larkyn rutschte aus dem Steigbügel. Der
Blick des Mädchens zuckte fast schüchtern zu Irina. Philippa
zweifelte nicht daran, dass die Lehrerin sie scharf zurechtgewiesen
hätte, wenn sie mit Larkyn allein gewesen wäre.
Philippa seufzte, schloss die Augenlider und
lauschte dem
Knarren des Sattelleders und dem vertrauten Klingeln des
Zaumzeugs. Das Pony drehte mit schweren Schritten seine Runden.
Philippa hörte, wie es auf sie zukam und sich wieder entfernte.
Irina gab Anweisungen, und Philippa öffnete die Augen, um zu sehen,
wie Larkyn sie umsetzte.
Leider hatte Larkyn Recht gehabt. Ihre Haltung
war tatsächlich fürchterlich. Sie hing über dem Vorderzwiesel, als
besäße sie keinerlei Gleichgewichtssinn. Mit der linken Hand
umklammerte sie die Zügel, mit der Rechten hielt sie sich am Sattel
fest. Es schien keine Verbindung zwischen ihren Händen und ihren
Füßen zu geben, und Schweinchen schaukelte in einer Art
Watschelgang um die Koppel. Statt Larkyns Haltung zu korrigieren,
wies Irina das Mädchen an zu traben. Philippa hätte gern wieder die
Augen geschlossen, doch sie zwang sich zuzu sehen.
Larkyn rutschte auf dem riesigen Sattel fast
haltlos hin und her und bewahrte sich nur vor einem Sturz, indem
sie sich in die Steigbügel stellte. Der Gang des Ponys war holperig
und unregelmäßig, und Philippa musste sich zusammenreißen, um nicht
selbst Anweisungen zu geben.
Als Irina Larkyn befahl zu galoppieren, rutschte
diese auf eine Seite, glitt aus dem linken Steigbügel, ließ die
Zügel los, und als Schweinchen über den herunterhängenden Zügel
stolperte, verlor sie endgültig den Halt.
Mit einem leisen Schrei fiel das Mädchen auf den
gefrorenen Boden der Koppel. Das Pony kam schaukelnd zum Stehen und
drehte sich schnell herum, als wolle es vermeiden, auf die
heruntergefallene Reiterin zu treten. Beere, der neben Philippa
saß, sprang auf und zog die Lefzen hoch. Wenigstens war Irina
geistesgegenwärtig genug, die Zügel zu packen. Dabei hielt sie
deutlichen Abstand zu Schweinchen,
wie Philippa bemerkte. Offensichtlich hatte sie Respekt vor den
Zähnen des Ponys.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, Irina«,
mischte sich Philippa scharf ein, »würde ich sagen, dass du diese
junge Reiterin absichtlich sabotierst. Fang noch einmal von vorn
an. Hilf Larkyn bei ihrer Haltung und überprüfe die Länge der
Steigbügel. Ich spreche mit Margret.«
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ
die Koppel. Sie ging stocksteif vor Wut. Noch einmal sah sie zur
Koppel zurück und beobachtete durch die Zaunbretter, wie Larkyn
sich mit gerötetem Gesicht den Staub von ihrem Rock klopfte wie ein
Straßenjunge und auf das Pony zuging. Mitgefühl nutzte Larkyn zwar
nichts, aber Philippa empfand es dennoch. Es war wirklich kein
Wunder, dass Irina nicht zur Seniorpferdemeisterin ernannt worden
war. Soweit Philippa es beurteilen konnte, hatte sie überhaupt kein
Talent für die Arbeit mit den Schülerinnen.
Als der Unterricht zu Ende war, flüchtete Lark
förmlich von der Trockenkoppel. Ihr Hinterteil schmerzte von dem
Sturz, und ihre Waden brannten von dem Versuch, sich in die steifen
Steigbügel zu stellen. Sie schlich zu Tup in den Stall, kauerte
sich mit dem Rücken zur Wand neben ihn und vergrub den Kopf in den
Armen, damit man ihr Schluchzen nicht hören konnte.
Einen Augenblick später spürte sie Tups samtenes
Maul an ihrer Wange. Er leckte ihre Tränen ab und schnaubte leise
wimmernd. Molly stupste sie an und versuchte, Larks Arm von ihrem
Gesicht wegzuschieben. Bei so viel tierischer Fürsorge musste Lark
unwillkürlich kichern.
Sie hob das tränennasse Gesicht und lachte das
Fohlen und die Ziege an. »He, ihr Süßen.« Mit dem Handrücken
fuhr sie sich über die Nase. »Weinen bringt auch nichts, stimmt’s?
Wenn ich ein hoffnungsloser Fall bin, ist es eben so. Sie werden
mich einfach wegschicken. Aber ich schwöre euch, solange ihr beiden
mit mir kommt, soll mir das egal sein!«
Schließlich rappelte sie sich auf und hob Tups
Halfter vom Haken. »Komm mit, mein Lieber. Trainingszeit.« Sie
kontrollierte seine Flügelhalter und schob ihm das Halfter über den
Kopf. Die warme Decke gegen die Kälte hatte sie ihm schon vorher
übergeworfen.
Jeden Nachmittag durfte er sich auf der Weide
der Jährlinge auslaufen. Tup war vom Alter her genau zwischen zwei
Generationen, und es gab zuzeit außer ihm keine Jährlinge in der
Akademie.
Sie führte ihn an den Mädchen vorbei, die mit
ihren Pferden beschäftigt waren, und aus dem Stall. Molly trottete
neben ihnen her, und als sie aus der Stalltür traten, rannte Beere
quer über den Hof auf sie zu, um sie zu begleiten. Die kleine
Truppe trat gemeinsam durch das Gatter auf die Weide. Lark löste
Tups Leine vom Halfter. Er galoppierte über die Weide bis zu einer
Gruppe Tannen, die das Ende markierten. Lark schlenderte hinter ihm
her, froh, ihre schmerzenden Muskeln strecken zu können. Molly und
Beere folgten ihr beide in ihrem eigenen Tempo. Beere musste
unbedingt an jedem Busch herumschnüffeln, und Molly untersuchte den
Schnee, in der Hoffnung, dass ein paar Grashalme die Kälte überlebt
hatten.
Als sie die Baumgruppe erreicht hatten,
galoppierte Tup auf Lark zu. Mit seinen trommelnden Hufen wirbelte
er Schnee auf, bremste schliddernd ab und kam vor ihr zum Stehen.
Mit der Nase stupste er sanft gegen ihre Brust.
Sie streichelte seine Stirn. »Ich würde so gern
mit dir reiten,
Tup«, sagte sie. »Aber ich trau mich nicht. Nicht hier! Was, wenn
uns jemand sieht?«
Tup schnaubte und sauste wieder davon, um eine
Runde auf der Weide zu drehen. Als er zurückkam, stieß er sie
wieder mit der Nase an und drängte einladend seine Seite gegen
sie.
Lark blickte zurück zu den Gebäuden der
Akademie. Auf dem Hof war gerade niemand zu sehen. Sie waren alle
entweder in der Halle, um vor der Kälte zu flüchten, oder
arbeiteten in den Stallungen. Es dämmerte bereits, und über den
westlichen Hügeln ging ein fahler Mond auf.
Beere stand neben Tup und schien Lark
anzulachen. Molly knabberte zufrieden im Schnee. Lark überprüfte
mit einem Blick die Weide, und als sie niemanden sah, sprang sie
mit einem Satz auf Tups Rücken. Mein Aufstieg aus dem Stand ist
bestimmt so gut wie bei den anderen Mädchen, dachte sie. Sie
drückte die Reitkappe fest auf ihre Locken. »Los, Tup«, sagte sie
sanft. »Aber bleib schön zwischen den Bäumen. In dem Wäldchen kann
man uns nicht so leicht sehen.«
Wie befreiend es war, endlich wieder auf ihm zu
reiten! Ihre Waden lagen bequem unter seinen Flügelspitzen, ihre
Füße bogen sich um seinen Bauch. Ihr Gesäß passte perfekt auf sein
Rückgrat, sein kurzer Rücken und sein schmaler Widerrist boten ihr
mehr Halt, als es irgendein Sattel jemals könnte. Als Zügel hatte
sie nur die Leine des Halfters, doch selbst die brauchte sie nicht.
Sie grub eine Hand in Tups Mähne, legte die andere auf seinen Hals,
und schon waren sie in perfektem Einklang.
Durch den Wald zu galoppieren fand Lark beinahe
so wunderbar, wie sie sich das Fliegen vorstellte. Tups
geschmeidige Bewegungen auf dem schneebedeckten Gras
fühlten sich an wie ein wogender Strom; nichts ruckte, stieß oder
wirkte unrhythmisch. Und er schien auf jeden ihrer Gedanken zu
reagieren. Er wechselte die Richtung und fegte um den breitesten
Baum herum. Sie legte sich in die Kurve, fand leicht das
Gleichgewicht, und ihre Schenkel lagen so fest um seinen Körper,
als wären sie dort angeklebt. Tup stellte die Ohren auf, und sein
Atem vereinte sich mit dem ihren zu eisigen Wolken. In diesem
Augenblick waren sie beide einfach nur unendlich glücklich.
Am späten Nachmittag fand Philippa Gelegenheit,
mit Margret über Irina Starks Verhalten zu sprechen. Sie hätte
Larkyn eigentlich helfen sollen voranzukommen, hatte aber kläglich
dabei versagt. »Es gibt nichts Schlimmeres an einer Frau als
Sturheit, gepaart mit Dummheit!«, schimpfte Philippa.
»Aber meine Liebe«, wiegelte Margret ab.
»Vielleicht ist sie nicht dumm, sondern nur einfallslos.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie jemals
das Fliegen erlernt hat!«, fauchte Philippa. »Sie hat Larkyn nichts
beigebracht, außer jedes Mal aus dem Sattel zu fallen, wenn das
Pony die Gangart wechselt!«
Margret rieb sich müde die Augen, und Philippa
bedauerte ihren Gefühlsausbruch sofort. »Aber mach dir keine
Sorgen, Margret«, fuhr sie ruhiger fort. »Ich werde das regeln. Ich
werde … ich werde Larkyns Ausbildung selbst übernehmen.«
»Bei Kallas Zähnen«, meinte Margret. »Wenn du
das tust, wird Irina vollkommen unerträglich.«
»Das dürfte kaum ein großer Unterschied zu ihrem
jetzigen Verhalten sein!«
Margret strich über die ledergebundene
Genealogie auf
ihrem Schreibtisch. »Ich weiß, es ist nicht einfach, Sympathie für
Irina zu entwickeln«, gab sie ruhig zu. »Trotzdem versuche ich es.
Ihr Vater steckte in Schwierigkeiten, und eine Zeit lang vermutete
man, dass er sogar im Gefängnis säße. Ich habe keine Ahnung, wie er
da wieder herausgekommen ist.«
Philippa seufzte. »Ich werde mich ihr gegenüber
zusammenreißen, versuchen, sie zu verstehen. Aber leicht fällt mir
das nicht.«
Margret lächelte sie müde an. »Danke. Jetzt geh
und nimm dir ein bisschen Zeit mit Soni. Vergiss das Ganze für eine
Weile.«
Philippa nickte und verließ das Büro der
Leiterin. Während sie die Treppe zur Halle hinunterlief, streifte
sie den Reitmantel über und zog ihn fest zu. Der Hof war verlassen.
Der Himmel war grau, und die fahle Sonne war hinter den
Schneewolken verschwunden. Als Beere von der Flugkoppel angetrottet
kam, um sie zu begrüßen, war sie mit ihrem silbernen Fell vor dem
grauweißen Hintergrund kaum zu unterscheiden.
Philippa wollte den Oc-Hund streicheln, doch
Beere wich ihrer Hand aus und sprang zur Seite, als wollte er
weglaufen, dann blieb er mit hoch erhobenem Schwanz stehen und sah
sie erwartungsvoll an.
»Beere! Was hast du denn?«
Der Hund sprang mit ein paar kurzen Sätzen auf
sie zu, sauste dann ein paar Schritte davon, hielt inne, wirbelte
herum und sah sie abwartend an. Philippa lachte und ging mit
ausgestreckter Hand auf den Oc-Hund zu. Beere wartete, bis sie auf
Armeslänge herangekommen war, und rannte dann wieder ein paar
Schritte weiter.
»Bei Kallas Fersen, Beere. Ich bin müde, und
alles, was
ich will, ist Soni zu striegeln und mich ans warme Feuer zu
setzen.«
Hechelnd musterte der Hund sie. Dann sprang er
zwei Schritte zurück und setzte sich hin. Philippa schnalzte
missbilligend mit der Zunge, gab dann jedoch nach.
Als sie sich in Bewegung setzte, fuhr Beere
herum und trottete entschlossen in Richtung der Jährlingsweide vor
ihr her. Philippa folgte ihm. Als sie den Zaun erreicht hatten,
sprang Beere hinüber und wartete schwanzwedelnd, bis Philippa durch
das Gatter trat.
»Wenn du bloß versuchst, mich zum Spielen zu
überreden, werde ich ziemlich wütend!«, warnte Philippa ihn. Beere
schien sie regelrecht anzugrinsen und trottete davon, Richtung
Wald. Philippa zog die Handschuhe über und lief hinter dem Hund
her.
Eigentlich war es ganz angenehm, die frische,
kalte Luft in den Lungen zu spüren, und die fahle Landschaft und
der graue Himmel waren eine Wohltat für ihre Augen. Philippa ging
schneller, genoss den Spaziergang an der frischen Luft, freute sich
über das Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln und die Stille
der verlassenen Weide. Sie holte Luft, um nach Beere zu rufen, der
vor ihr her zu dem Fichtenwäldchen gesaust war. Doch dann hielt sie
den Atem an und verschluckte den Ruf. Beere hatte die Fichten
erreicht und sich neben eine gesetzt. Offenbar hielt er die Aufgabe
für erledigt.
Philippa war stehen geblieben und beobachtete
erstaunt, wie das Mädchen und das Pferd zwischen den Bäumen hin und
her preschten. Sie ritten im Zickzack, wechselten alle drei oder
vier Schritte die Richtung, wirbelten am Ende des Wäldchens herum
und galoppierten wieder zurück. Sie bewegten sich, als wären sie
miteinander verwachsen, und
harmonierten so wundervoll zusammen, wie Philippa es nur selten
gesehen hatte. Larkyns schlanke Gestalt schien mit dem geflügelten
Pferd zu verschmelzen. Sie hielt den Rücken gerade und passte sich
mühelos den Bewegungen Seraphs an. Ihre Hände hatte sie in der
wehenden Mähne vergraben, so tief, dass sie nicht zu sehen waren.
Tup lief ohne jede Anstrengung; jeder Schritt drückte sein
Vergnügen aus, den Genuss seiner Jugend und pure Kraft. Er war
ungesattelt und hatte auch kein Zaumzeug angelegt, sondern nur das
Halfter, dessen Leine in einem Bogen locker unter seinem Hals hin
und her schwang.
Philippa kehrte den beiden den Rücken zu.
Natürlich müsste sie das Mädchen streng zurechtweisen. Sie müsste
sich überzeugen, dass das Fohlen unverletzt war, und Larkyn eine
letzte Mahnung erteilen. Außerdem müsste sie Margret davon
berichten und diese Angelegenheit sofort in die Hand nehmen.
Nur würde sie nichts davon tun.
Als sie die Weide verließ, rannte Beere über den
Schnee zu ihr. Der Hund war offensichtlich zufrieden, weil er seine
Aufgabe erfüllt hatte, ließ sich jetzt von Philippa streicheln und
lief neben ihr her, während sie die Finger in sein sei diges Fell
grub.
Philippa dachte über das nach, was sie gerade
beobachtet hatte. Larkyn war leicht und hatte Seraph gewiss keinen
Schaden zugefügt. Und obwohl sie das Fohlen offensichtlich nicht
zum ersten Mal geritten hatte, strotzte es vor Gesundheit. Falls
Philippa diesen Verstoß meldete, wäre diese so empfindliche
Begeisterung, deren Zeuge sie gerade geworden war, diese
vollkommene Freude von Reiter und Pferd, von Verbündeten, zerstört
und würde erstickt von Regeln, Bestimmungen und Disziplin. Irina
Stark wäre
vermutlich geradezu entzückt davon. Dennoch, dachte Philippa,
während sie über die Weide in Richtung Halle ging, hatte Irina in
einem Punkt recht. Larkyn konnte unmöglich ohne Sattel fliegen. Es
war nicht sicher genug. Die Herausforderung würde darin bestehen,
das Mädchen davon zu überzeugen.
Philippa dachte an die ungelenke Schülerin, die
von Schweinchens Sattel gerutscht und wie ein Sack Mehl auf den
Boden geplumpst war. Es war ein bemitleidenswerter Anblick gewesen.
Dann dachte sie an Larkyn und Schwarzer Seraph, wie sie völlig
unbekümmert durch das Fichtenwäldchen gesaust waren.
Philippa Winter schoss bei diesem Gedanken die
Frage durch den Kopf, ob sie sich eigentlich jemals so vollkommen
frei gefühlt hatte.