Kapitel 41
Ich nehme an, dass wir Ihre Prüfung verschieben
müssen, Larkyn«, sagte Meisterin Winter.
Lark stützte sich auf den Krückstock, den Edmar
für sie geschnitzt hatte, legte den Striegel zur Seite und humpelte
zur Tür von Tups Stall. »Nein, bitte nicht, Meisterin Winter«,
erwiderte sie. »Nach Estian komme ich zurück, und dann werde ich
fliegen! Ich verspreche es Ihnen!«
Meisterin Winter schüttelte den Kopf. »Das
scheint mir nach einer solchen Verletzung zu früh.« Als Lark durch
das Tor trat, verzog sie leicht den Mund und setzte hinzu: »So derb
sie auch sein mag, das Kräuterweib hat Sie gut versorgt.«
Lark schenkte der Bemerkung über Dorsa keine
weitere Beachtung. Sie waren seit zwei Tagen auf dem Unteren Hof,
trafen Vorkehrungen für die Überführung der Leiche Irina Starks zu
ihrer Familie und gewöhnten Pamella und den kleinen Brandohn an die
Hammlohs. Die Augen von Meisterin Winter hatten die ganze Zeit über
nicht einmal gestrahlt. Lark wusste, dass sie um den Verlust der
Pferdemeisterin trauerte, selbst wenn Irina Stark mehr als
schwierig gewesen war. Starke Lady zeigte bereits erste Anzeichen
von Verzweiflung über den Verlust ihrer Reiterin, was, wie Lark
ebenfalls wusste, Meisterin Winter zusätzlich belastete.
Jetzt betrachtete Philippa Pamella mit einem
merkwürdigen Gesichtsausdruck, so als traue sie ihren eigenen
Augen nicht. Pamella hatte zwar immer noch kein Wort gesprochen,
aber sie hatte bereits Arbeit auf dem Hof gefunden, half Peonie in
der Küche, schleppte Wäsche nach draußen, um sie auf die Leine zu
hängen, erntete sogar Salat und suchte im Küchengarten nach frühen
Tomaten. Meisterin Winters Erstaunen darüber konnte sich Lark nur
damit erklären, dass die Pferdemeisterin noch nicht gesehen hatte,
wie eine Fürstentochter einfache Bauernarbeit verrichtete. Brandohn
folgte seiner Mutter und hielt ein Holzspielzeug umklammert, das
Edmar für ihn geschnitzt hatte. Edmar war beinahe so schweigsam wie
Pamella, doch Brandohn lehnte sich gegen sein Knie, wenn er
schnitzte, und brabbelte und lachte vor sich hin. Edmar nickte dem
kleinen Jungen zu, als könne er alles, was der von sich gab, klar
und deutlich verstehen.
Lark kam diese Situation vollkommen natürlich
vor. Alle Menschen, mit denen sie zu tun hatte, arbeiteten von früh
bis spät, selbst an der Akademie. Sie nahm an, dass Hester
wahrscheinlich ein anderes Leben hätte führen können, wenn sie es
gewollt hätte. Vielleicht fragte sie ihre Freundin heute Nachmittag
danach, wenn Hester mit ihrer Mamá kam, um den Leichnam von Irina
Stark mit der Kutsche abzuholen.
»Meisterin Winter«, sagte sie, humpelte neben
ihrer Lehrerin her und versuchte nicht zu zeigen, wie viel
Schmerzen ihr das bereitete. »Ich möchte in meiner Klasse bleiben.
Bei Hester und Anabel.«
Philippa wollte etwas darauf sagen, wurde jedoch
von Hufgeklapper auf dem Weg abgelenkt. Lark folgte ihrem Blick.
Ihr Magen zog sich zusammen, und sie trat automatisch einen Schritt
zurück auf die Scheune zu, als wolle sie sich zwischen Tup und
ihren Feind stellen.
In zügigem Trab und mit wehendem schwarzem
Mantel ritt Fürst Wilhelm auf den Hof. Sein brauner Wallach
schäumte und schnaubte und zitterte, als Wilhelm abstieg und die
Zügel über einen Pfahl warf. Mit beiden Händen zog er seine Weste
straff und strich den Mantel glatt.
Philippa Winter stand steif und aufrecht neben
Lark. »Wilhelm«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Ich wünschte
wirklich, Sie würden Ihr Pferd nicht derart misshandeln.«
»Kümmern Sie sich um Ihre eigenen
Angelegenheiten, Philippa«, zischte er. »Wo ist Irina?«
Lark sah Meisterin Winter verstohlen an und
fragte sich, was sie wohl antworten würde.
Eine unmerkliche Regung zuckte über Philippa
Winters Gesicht, und ihre Augen glühten auf. Sie hob den Arm,
deutete auf die schiefe Kellertür unter dem Bauernhaus und sprach
mit schneidender Stimme. »Irina ist dort. Im Kühlkeller. Sie wartet
auf ihre Beerdigung.«
Wilhelms Lider flatterten kurz, und seine
Gesichtszüge erstarrten. Philippa und Wilhelm blickten sich mit
zusammengekniffenen Augen an, ohne sich zu rühren. Ja, sie schienen
nicht einmal zu atmen.
»Was ist geschehen?«, erkundigte sich Wilhelm
schließlich steif.
»Sie hat mich angegriffen«, erklärte Philippa.
Lark mein te, das kalte Feuer ihrer Wut auf der eigenen Haut fühlen
zu können, und wunderte sich, dass Fürst Wilhelm nicht
unwillkürlich davor zurückwich. »Dafür mache ich Sie
verantwortlich, Wilhelm.«
»Sie haben Sie also umgebracht«, antwortete
er.
In der Stille war deutlich zu hören, wie
Philippa tief Luft holte. »Ich habe mich verteidigt.«
Er beugte sich vor, und seine Augen unter den
halbgeschlossenen
Lidern blitzten drohend. »Wir werden sehen, was der Rat dazu
sagt.«
»Der Rat?« Philippa trat einen Schritt nach
vorn, und jetzt wich der Fürst doch vor ihr zurück. »Der Rat,
Wilhelm? Ich glaube kaum, dass Sie diesen Vorfall vor den Rat
bringen werden. Schließlich haben Sie ein geflügeltes Pferd
entführt!«
»Das habe ich nicht.«
»Nein, natürlich nicht. Ihre Leute haben es
getan. Sie haben es nach Fleckham gebracht … und wir haben Sie dort
gesehen!«
»Wer sollte Ihnen glauben, Philippa? Sie tragen
immerhin die Schuld am Tod einer Pferdemeisterin.«
»Was war Irinas Auftrag, Wilhelm? Sollte sie
mich und Wintersonne töten? Sollte sie Ihnen den kleinen Schwarzen
bringen, der ohne seine Reiterin verrückt geworden wäre?«
Wilhelm zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Es war ein Fehler, das Pferd ohne die Reiterin zu holen,
zugegeben. Jinson hätte das wissen müssen.«
Lark öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch
als sie den scharfen Blick Meisterin Winters bemerkte, schloss sie
ihn gleich wieder. Der Fürst und die Pferdemeisterin starrten
einander an. Nur Starke Lady war zu hören; sie zerrte an ihrer
Leine, wieherte und stampfte mit den Hufen.
»Wir werden Irinas Pferd einschläfern müssen«,
sagte Meisterin Winter. »Und auch das lastet auf Ihren Schultern,
Wilhelm.«
Wilhelm seufzte, als wäre das alles nur ein
Spiel, dessen er jetzt überdrüssig war. »Sie hatte meine Gerte«,
erwiderte er mit hoher Stimme, als sprächen sie von jemandem, der
eben erst den Raum verlassen hatte. »Ich will sie
zurückhaben.«
»Selbstverständlich. Bedienen Sie sich
nur.«
Wilhelm spannte die Kiefermuskeln an, und wieder
senkte sich eine eisige Stille über den Hof, bevor er den Blick
seiner schwarzen Augen auf Lark richtete. »So, und du Balg, du
willst wohl einfach nicht vernünftig sein, was?«
Lark hatte das Gefühl, ihre Zunge wäre gelähmt,
so wie die von Pamella. Weil sie keine Antwort wusste, hob sie das
Kinn und gab ihr Bestes, um dem Fürsten genauso trotzig in die
Augen zu starren, wie Philippa es getan hatte.
Er verzog die Lippen. »Also gut«, fuhr er fort.
»Deine Familie wird dafür zahlen. Sieh dir alles noch einmal gut
an, denn es fällt nun an die Krone.« Er machte eine ausladende
Handbewegung, mit der er die Scheune, die Felder, den Küchengarten
und das Bauernhaus umfasste. »Du und deine Einfaltspinsel von
Brüdern werden sich etwas anderes suchen …«
Unvermittelt verstummte er, und als er an Lark
vorbei zum Bauernhaus sah, weiteten sich ungläubig seine
Augen.
Lark drehte sich umständlich auf ihrer Krücke
herum und folgte seinem Blick.
Am Fenster von Larks Schlafzimmer im oberen
Stockwerk stand Pamella und blickte zu ihnen herab. Obwohl sich das
Sonnenlicht in der Scheibe spiegelte, waren ihre weißblonden Haare
deutlich zu erkennen. Sie hatte etwas auf dem Arm, Laken oder
Handtücher, die sie erschreckt zu Boden fallen ließ, als sie ihren
älteren Bruder erblickte.
Mit leiser, angespannter Stimme sagte Meisterin
Winter: »Beeil dich, Larkyn. Sorge dafür, dass Pamella im Haus
bleibt.«
Wilhelm starrte erst sie und dann Larkyn an.
»Was hat Sie Ihnen erzählt?«, fragte er, wobei seine Stimme nur
mehr ein Krächzen war.
»Lauf, Larkyn!«
Lark gehorchte. Sie humpelte über den Hof,
vorbei an dem Rautenbaum, erreichte die Küche und verschloss fest
die Tür hinter sich. Dann linste sie durch die Fugen und sah, wie
Meisterin Winter die Hände in die Hüften gestemmt hatte und Fürst
Wilhelm zum Kühlkeller ging. Slathan erschien verspätet auf einem
staubbedeckten, verschwitzten Schecken. Hinter ihm folgte der
Zuchtmeister auf einem ebenso erschöpften Braunen. Als sie
abgestiegen waren und schließlich bei dem Fürsten ankamen, war
Wilhelm bereits in den Kühlkeller gegangen und kam jetzt mit seiner
Gerte unter dem Arm wieder heraus. Dann setzte er sich den Hut auf
und streifte die Handschuhe über.
Lark hörte Schritte hinter sich, drehte sich um
und sah Pamella mit Brandohn neben sich. Sie hielt das
Treppengeländer umklammert und versuchte krampfhaft, etwas
hervorzubringen.
»Setzen Sie sich«, drängte Lark, ging zu ihr und
half ihr auf einen Stuhl. »Holen Sie Luft, Pamella. He, Brandohn,
komm mit mir.«
Der kleine Junge schwankte auf sie zu und hielt
fest ein Holzschwert umklammert, das Edmar für ihn geschnitzt
hatte. Lark nahm das Kind auf den Arm, stellte sich vor Pamella und
versperrte ihr den Blick auf den Hof. »Was ist los, Pamella?
Meisterin Winter hat uns erzählt, dass er Ihr Bruder ist. Wieso
macht er Ihnen solche Angst?«
»Nehmen … nehmen …« Pamellas Mund arbeitete,
ihre Lippen stockten bei dem nächsten Wort, sie presste sie
aufeinander und zitterte vor Anstrengung.
Lark versuchte angestrengt zu erraten, was die
Prinzessin meinte. Natürlich! »Brandohn«, flüsterte sie. »Er hat
gedroht, Ihnen Brandohn wegzunehmen.«
Pamella wurde leichenblass und zitterte am
ganzen Körper, als sie nickte. Lark umarmte den kleinen Jungen noch
fester.
»Keine Sorge«, sagte sie mit Nachdruck. »Keine
Sorge! Ihr Fürst kann machen, was er will, aber wir Leute aus dem
Hochland geben keine Kinder weg!«
Trotz ihrer mutigen Worte erschrak sie, als sie
hörte, wie drei Pferde den Weg hinuntergaloppierten. Sie drehte
sich um und sah Meisterin Winter allein in der offenen Küchentür
stehen. Hinter ihr umrahmten die Zweige des Rautenbaumes ihr
ruhiges, schmales Gesicht.
»Ist er weg?«, platzte Lark heraus. Sie wagte
kaum, ihrer Hoffnung Raum zu geben.
Meisterin Winter nickte. Sie sagte bitter: »Er
wusste die ganze Zeit, wo sie war. Als sie schwanger wurde, hat er
sie nach Clellum geschafft und sie dort zurückgelassen. Noch
schlimmer ist, dass er seinen eigenen Vater in dem Glauben hat
sterben lassen, seine geliebte Tochter sei tot.«
Pamella schluchzte still vor sich hin. Als
Brandohn das sah, fing er ebenfalls an zu weinen. Lark setzte ihn
ab, damit er zu seiner Mutter laufen konnte. Langsam richtete sie
sich auf, durchquerte die Küche und stand vor Meisterin
Winter.
»Er hat gedroht, ihr Brandohn wegzunehmen«,
erklärte Lark leise.
»Das habe ich vermutet.«
»Und unser Hof?«, fragte Lark. »Werden wir den
Unteren Hof verlieren?«
Philippa Winter verzog den Mund und schüttelte
den Kopf. »Nein, Larkyn. Das wird er nicht wagen, nicht, solange
Pamella hier ist. Er hat große Angst davor, was Pamella dem Rat der
Edlen erzählen könnte.«
»Aber sie spricht doch nicht!«
»Schon. Nur weiß Wilhelm das nicht. Und ich habe
mich fest entschlossen, es ihm auch nicht zu verraten.«
Baronin Beeht und Hester reisten zusammen in der
Kutsche an, um Irina Stark zu ihrer Bestattung zu bringen. Hester
und Lark gingen hinaus zur Scheune, um nach Tup und Soni zu sehen
und dem Kutscher zu helfen, die Kutschpferde abzureiben und ihnen
Wasser zu geben. Starke Lady wurde immer unberechenbarer und
gefährlicher, und niemand wagte sich in ihre Nähe, weil sie mit den
Hufen austrat. Lark schaffte es, ihren Wassereimer zu füllen, dann
standen sie und Hester eine Weile da und starrten bedrückt die
bedauernswerte Stute an.
Philippa und Baronin Beeht verschwanden im
Bauernhaus und sprachen eine Stunde lang vertraulich mit Broh. Als
sie mit finsteren Gesichtern wieder auftauchten, setzten sich die
Mädchen zu ihnen an den Tisch. Weil die Gattin eines Ratsmitglieds
anwesend war, bekam Peonie runde Augen und hielt ausnahmsweise den
Mund. Sie servierte allen starken Tee und stellte eine Platte mit
Hirtenstäben, den Keksen aus dem Hochland, auf den Tisch. Pamella
setzte sich neben den Herd. Brandohn schlief mit Edmars Holzschwert
in den kleinen Händen auf ihrem Schoß.
»Mamá«, sagte Hester unverblümt, bevor sie auch
nur die Kekse probiert hatte. »Papá wird das regeln, nicht wahr? Du
kümmerst dich darum, richtig?«
Lark beobachtete Mutter und Tochter und staunte
über ihre Ähnlichkeit. Sie glichen sich nicht nur äußerlich, nein,
auch in ihrer Ehrlichkeit und ihrer direkten, offenen Art. Lark
erinnerte sich an den kleinen, rundlichen Baron Beeht mit seinem
unsicheren Verhalten und empfand kurz Mitgefühl
für den Mann. Er war in diesem Haushalt eindeutig der Unterlegene.
Lark bezweifelte nicht, dass Baronin Beeht klar ihre Meinung im Rat
der Edlen äußerte, selbst wenn es nicht mit ihrer eigenen Stimme
war.
Jetzt straffte die Baronin Beeht ihr Wams und
lehnte sich auf dem alten, bequemen Stuhl zurück. »Er wird wenig
ausrichten können«, erwiderte sie nachdenklich. »Die geflügelten
Pferde sind Eigentum der Fürsten, doch ihre Handhabung wird weit
mehr durch die Tradition als durch Gesetze geregelt. Abgesehen
natürlich von allem, was die Blutlinien betrifft. Fürst Friedrichs
Ururgroßvater Frans war ein Mann mit sehr viel Weitblick, und er
schrieb die Handhabung der Blutlinien fest. Es wäre Hochverrat,
gegen diese Gesetze zu verstoßen.«
»Dann hat Fürst Wilhelm …«, begann Lark,
verstummte jedoch sofort. Es verwirrte sie, dass Wilhelm Tup aus
den Akademieställen gestohlen, Irina Stark hinter ihnen hergejagt
und seine eigene Schwester bedroht hatte und dennoch ungeschoren
davonkommen sollte.
Hester dagegen nickte, als hätte sie alles
verstanden. »Deshalb«, sagte sie, »haben wir eine Pattsituation,
jedenfalls solange Prinzessin Pamella nicht vor den Rat treten und
ihn öffentlich anklagen kann und solange wir beweisen müssen, dass
er die geflügelten Pferde eigenmächtig und gegen die Regeln
gekreuzt hat.«
»Aber wir haben doch
Beweise!«, platzte Lark heraus. »Ich selbst habe ihn gehört und
gesehen!«
Hester streckte ihren langen Arm aus und legte
ihre Hand auf Larks. »Das wissen wir, Lark. Aber der Rat wird keine
Bürgerin anhören.«
»Sie meinen, jemanden aus dem Hochland«,
korrigierte Broh mit einem bitteren Unterton in der Stimme.
»Nein, Meister Hammloh«, erklärte Baronin Beeht
scharf. »Hester hat gesagt, was sie meint. Der Rat akzeptiert nur
Zeugen aus den eigenen Reihen.«
»Aber was sollen wir dann tun?«, schrie Lark.
Sie dachte an Tup, an Wilhelms Gerte, die auf seine seidenen Flügel
knallte, an das Gefühl dieser Gerte auf ihrem eigenen Körper.
Meisterin Winter stellte mit einem vernehmlichen
Knall ihren Teebecher auf den Tisch. »Wir machen weiter, Larkyn,
als wenn Sie keinen Unfall gehabt hätten. Nach Estian kehren Sie an
die Akademie zurück. Bis dahin erzählen wir allen, dass Sie erst
gesund werden müssen und Ihr Fohlen natürlich bei Ihnen
bleibt.«
»Und Seine Durchlaucht«, setzte Baronin Beeht
mit ironischem Unterton hinzu, »wird sich von Prinzessin Pamella
tunlichst fernhalten. Man könnte ihm fast wünschen, dass er nachts
wach liegt und sich fragt, wann sie wohl gegen ihn aussagen
wird.«
Unfreiwillig blickte Lark zur Feuerstelle, an
der Pamella saß und schützend die Arme um ihren Sohn geschlungen
hatte.
Pamella legte die Wange auf Brandohns helle
Haare und schloss die Augen.
Lark fragte: »Wird Pamella, ich meine, wird
Prinzessin Pamella dann nach Oscham zurückkehren?«
Bei diesen Worten hob Pamella den Kopf,
schüttelte ihn energisch und warf Larkyn und Meisterin Winter einen
flehentlichen Blick zu.
»Nein, ich glaube nicht, Larkyn«, meinte
Meisterin Winter. »Ihr Bruder hat Ihrem Vorschlag zugestimmt, dass
sie einstweilen hier auf dem Unteren Hof bleiben kann.«
Lark beobachtete, wie Pamella erleichtert die
Augen
schloss. »Aber … Aber … wenn ihre Mutter … wird ihre Familie sie
nicht zurückhaben wollen?«, fragte Lark.
»Kommen Sie, Larkyn. Sie sind alt genug, um das
zu verstehen. Sie lebt in Schande, und ihre Familie schämt
sich.«
»Ihr Sohn hat keinen Namen«, stellte Hester
unverblümt fest. »Er würde in der Weißen Stadt und im Palast
gemieden werden.«
»Oh.« Lark biss sich auf die Lippe und
versuchte, das zu verarbeiten.
»Ich werde Fürstin Sophia einen Besuch
abstatten. Ich bezweifle allerdings, dass sie etwas gegen die
Entscheidung ihrer Tochter einzuwenden hat«, erklärte Baronin Beeht
ruhig. Sie spitzte die Lippen und warf einen Seitenblick auf ihre
Tochter, die zustimmend nickte. »Ja. Sie wird es kaum wagen, den
Namen Fleckham mit einem weiteren Skandal zu belasten.«
Lark war wieder überrascht über ein so kühles
Urteil, aber Hester war offenbar zufrieden und machte sich jetzt
über die Kekse her. Baronin Beeht knabberte ebenfalls anmutig an
einem, woraufhin Peonie vor Stolz errötete. Meisterin Winter wandte
sich an Lark.
»Sie machen sich Sorgen um Schwarzer
Seraph.«
»Ja«, gab Lark zu. »Wenn Fürst Wilhelm ihn
wiederhaben will … wird er dann nicht erneut versuchen, ihn zu
entführen?«
»Wir passen gut auf, Larkyn«, erwiderte
Meisterin Winter. Sie presste die Lippen zusammen und wechselte
einen Blick mit Broh. »Sie müssen sich darauf konzentrieren, wieder
gesund zu werden, damit Sie in Ihre Klasse zurückkehren können. Und
wir werden aufpassen.«