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Katherine fand auf ihrem Schreibtischstuhl die ACS-Fallakten von Craig Wadley und Jonathan Thomson vor, als sie am Morgen ins Büro kam. Diese Geschwindigkeit konnte nur das Resultat von Dianes Wirken hinter den Kulissen sein. Wieder setzte sie sich auf den Fußboden neben ihren Schreibtisch, diesmal mit einer Akte auf jeder Seite und einem linierten Block vor sich.

Nach einer Weile zog sie den Block ins Querformat und entwarf eine Tabelle. Ganz nach links kam eine Zeitleiste, indem sie Daten untereinanderschrieb, dann legte sie drei vertikale Spalten an und trug in jede oben einen Namen ein. Die Spalte Shawan Castro würde vorerst leer bleiben, weil sie die Akte noch nicht hatte.

Dann ging sie die Unterlagen erneut durch. Diesmal übertrug sie Ereignisse in die Tabelle. Als sie fertig war, starrte sie eine ganze Weile auf den Block. Unvermittelt stand sie dann auf, schnappte sich einen dünnen Stapel Akten von ihrem Schreibtisch und nahm den Fahrstuhl nach unten zu den Gerichtssälen.

Die Gerichtssäle im sechsten Stock des Familiengerichts lagen alle an zwei Fluren, die wie ein Kreuz rechtwinklig zueinander verliefen. Beide Flure waren überfüllt mit Menschen, die entlang der Spaliere von Holzbänken im fahlen Neonlicht darauf warteten, dass ihre Fälle aufgerufen wurden.

Katherine versuchte es in drei Sälen, bevor sie jemanden fand, der vielleicht eine Ahnung hatte, wo Annie sich aufhielt. Und da war sie auch schon, an der Tür zu Sektion V mit einem Bündel Akten unter dem Arm.

»Ich muss nur eben diesen Fall vertagen. Wir verlieren ständig den Pflichtverteidiger.« Im Familiengericht hatte man manchmal den Eindruck, dass demnächst das gesamte System zusammenbrechen würde, weil einfach nie genug Pflichtverteidiger zur Vertretung mittelloser Eltern verfügbar waren.

»Könntest du den Rest meiner Fälle für heute übernehmen?«

Annie musterte den Aktenstapel in Katherines Händen, als hinge ihre Antwort davon ab, was ihr die mit Namen bekritzelten Aktendeckel nahelegten. »Worum geht es da?« Sie hatte noch nicht Ja gesagt, aber Katherine wusste, dass sie es so meinte.

»Zwei Vertagungen, die bereits mit den Anwälten abgesprochen sind, und nein, ich war in keinem Fall die, die sie beantragt hat, also dürfte dir niemand besonderen Stress machen. Hier ist mein Kalender, du kannst die neuen Termine für jeden Tag zusagen, der halbwegs vernünftig aussieht. Das dritte ist ein Fünffingerverfahren vor Richter Michaels.«

Annie verzog das Gesicht. Sie fand Fünffingerverfahren – der Richter erlaubte dem ACS-Anwalt nur fünf Fragen und entschied dann über die Vormundschaft – deutlich unter der Würde des Rechtssystems. Aber sie streckte trotzdem die Hand nach den Akten aus.

»Danke, Annie.«

Annie schob die Akten unter ihren Arm zu ihren eigenen. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Ich geh zu Debra und melde mich krank.«

Annie sagte nichts, aber Katherine war sicher, dass ihr das kleine Ausweichmanöver nicht entgangen war.

Debra, Dianes Verwaltungsassistentin, konnte sich nicht erinnern, dass Katherine je zuvor früher gegangen war. Wenn sie es recht bedachte, bezweifelte sie ernstlich, dass Katherine jemals welche von ihren Überstunden abgebummelt oder ihre Urlaubstage in Anspruch genommen hatte. »Passen Sie auf sich auf«, rief sie ihr nach.

Der Wind hatte aufgefrischt, es war kalt geworden. Der lange Indianersommer war definitiv zu Ende. Als sie die Straße überquerte, um ihr Auto aus dem Parkhaus zu holen, hielt sie mit einer Hand den Kragen um den Hals zusammen. Sobald sie im Auto saß, fuhr sie auf direktem Wege ins Herz der südlichen Bronx.

Bis sie Jonathan begegnet war, hatte Katherine von dieser Gegend wenig mehr gekannt als die paar Blocks an der 161. Straße, die vom Familiengericht aus über den Grand Concourse zum Obersten Gerichtshof und dann den Hügel hoch zum Yankee-Stadion führte. Doch schon zwischen diesen paar Häuserblocks hatte sie sich heimischer gefühlt als jemals in den Straßen rings um das Apartmenthaus in Manhattan. Einmal hatte sie Diane gegenüber erwähnt, dass sie sich in der Bronx noch nie deplatziert gefühlt habe.

Damit hatte sie bei Diane für einen schönen Lachanfall gesorgt. »Ich muss dir da was sagen, Süße. Jeder, der dich in der Bronx auf der Straße sieht, denkt: Hat die Dame sich verlaufen? Oder was hat so eine hier zu suchen?«

Ihr erster Besuch in Jonathans Jugendheim hatte sie auf völlig neues Territorium geführt. Barry war gar nicht glücklich gewesen an jenem Samstag, als sie zum ersten Mal dorthin aufbrach. Er hatte seit Monaten jedes Wochenende durchgearbeitet, irgendeine wichtige Fusion, die permanent auf der Kippe zum Scheitern stand. Da sie annahm, er wäre sowieso im Büro, war sie gar nicht auf die Idee gekommen, ihm von ihren Plänen zu erzählen. Aber er hatte sich unerwartet einen Tag frei genommen, um Zeit mit ihr zu verbringen, wie er sagte.

»Tust du nicht schon genug für diese Leute?«, fragte er vorwurfsvoll. »Auch ohne dass du noch deine Wochenenden opferst.«

Sie erklärte ihm, dass sie sich für ein Kind, das ihr im Gericht begegnet war, als Mentorin verpflichtet hatte. Sie sei jetzt so was wie eine große Schwester. Und sie hatte das bisher nicht erwähnt, weil – tja, weil Barry zu beschäftigt gewesen war.

»Das begreife ich nicht.« Barry war ernstlich verstört. »Sie zahlen dir so wenig, dass man sie eigentlich verklagen müsste, und jetzt leistest du auch noch ehrenamtliche Sozialarbeit?«

Sie wollte ja keine Gewohnheit daraus machen, erklärte sie ihm. Es war eine einmalige Angelegenheit. Der Junge war – sie hatte nach Worten gesucht – interessant. Und es würde ihr eine neue Perspektive verschaffen, einen anderen Blick auf ihre Arbeit. Sie würde ein besseres Verständnis für die Konsequenzen der Unterbringung entwickeln. Das war nicht gelogen, aber sie verschwieg, dass sie sich für mindestens ein Jahr zu solchen Visiten bei Jonathan verpflichtet hatte.

»Tu mir einen Gefallen«, hatte er schließlich gesagt, als klar war, dass sie ihre Verabredung einhalten würde. »Nimm wenigstens ein Taxi.«

In den Straßen um die Gerichtsgebäude war sie sicher. Dort war sie Teil der kontrollierenden Macht. Hier hingegen fühlte sie sich allein und verwundbar und sehr, sehr weiß. Sie kannte die Statistiken. Die Verbrechensrate war in dieser Gegend höher als irgendwo sonst in New York. Einige dieser Viertel wiesen die niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen der gesamten Vereinigten Staaten auf, ihre Bewohner lebten in schier unvorstellbarer Armut.

Nun parkte sie wieder auf der Straße vor dem schäbigen Holzhaus, stieg aus und schloss das Auto ab. George Jackson, der Hausvater, öffnete ihr die Tür. Sie kannten sich. Seit sie ihm das erste Mal begegnet war, bewunderte Katherine die Energie des großen, freundlich dreinschauenden schwarzen Mannes, seine Redlichkeit wie seine Fähigkeit, bei der Führung eines Haushalts mit einem Dutzend Halbwüchsiger nicht die Fassung zu verlieren.

Heute schien seine Stimmung gedrückt, doch er bot ihr seine große warme Hand zu einem ausgiebigen Händeschütteln an. »Schön, Sie zu sehen, Miss McDonald. Kommen Sie rein.«

Er geleitete sie ins Wohnzimmer und deutete einladend auf eins der robusten Sofas mit Vinylpolstern und freiliegenden Holzrahmen. Die Einrichtung war nicht gerade modern, aber sie erinnerte Katherine entfernt an diverse Partykeller, in denen sich das gesellschaftliche Leben ihrer Teenagerzeit abgespielt hatte.

Die Stille war beunruhigend. Sie hatte mit dem üblichen lauten Tohuwabohu gerechnet. Sonst war das Haus ihr immer übervoll vorgekommen. Das lag nicht nur an der Anzahl der Jungen, sondern auch daran, wie jeder einzelne von ihnen Platz in Anspruch nahm. Sie benahmen sich, als hinge ihre nackte Existenz daran, wie sie dem Raum um sich herum ihre Gegenwart aufzwangen. Hier lebte ein Dutzend pubertierender Jungs, die genau wussten, wie sehr ihre Zukunftsaussichten bereits eingeschränkt waren. Wenn man mit ihnen in einem Zimmer zusammengepfercht war, schien es manchmal, als hörte man die Türen ihrer Möglichkeiten eine nach der anderen zuschlagen.

Sie saßen einige Minuten schweigend da, dann rutschte Jackson nach vorn bis an die Kante seines Stuhls und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Seine Stimme klang heiser. »Ich hab mir Sorgen um Sie gemacht, Miss McDonald, als Sie nicht mehr vorbeigekommen sind.«

Streute er gerade bewusst Salz in ihre Wunde, oder tat sie das nur selbst?

Falls er es tat, erbarmte er sich schnell wieder. »Keiner der anderen Jungs hatte jemanden, der sich so engagiert hat wie Sie. Es gibt kaum Ehrenamtliche, die sich mit Kindern dieses Alters abgeben möchten. Die kleineren sind niedlicher. Und einfacher.« In seiner Stimme lag eine Bitterkeit, die sie noch nie bei ihm gehört hatte.

Ihrem Sitzplatz gegenüber lag die Tür zum Esszimmer. Dort klebte ein großes Plakat an der Wand, auf dem bunt leuchtende Markerschrift verkündete: ›Happy Birthday, Mac!‹ Sie fragte sich, wie es Mac gefiel, seinen Geburtstag in einem Jugendheim zu verbringen.

Jackson sah starr geradeaus, nicht in ihre Richtung. »Ich möchte Ihnen was erzählen. Ich mache einmal im Monat mit meinen Jungs einen Ausflug.«

Sie nickte.

»Einmal sind wir in den Zoo gegangen. Da gab es kleine Gorillababys. Süße kleine Dinger. Sie trugen niedliche kleine Windeln. Und während wir da waren, kam diese Armee weißhaariger alter Damen in Turnschuhen heraus. Es waren Ehrenamtliche, für jedes Gorillababy eine, um sie im Arm zu halten.« Er demonstrierte mit seinen Armen ein Kinderwiegen. »Diese Damen kommen jeden Nachmittag. Gorillababys sind wie Menschenbabys, sagen sie. Sie müssen umarmt und geherzt werden und Aufmerksamkeit bekommen. Sonst sterben sie.«

Katherine konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was für eine Reaktion er von ihr erwartete.

»Merken Sie, was ich sagen will? Selbst die Gorillababys haben es besser als meine Jungs.«

Sie verharrten erneut in Schweigen. Sie war schon länger hier, als sie geplant hatte. Und sie hatte noch nicht mal erklärt, warum sie gekommen war.

»Mr. Jackson …«

»George.«

»Nennen Sie mich Katherine. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«

»Ich hab schon mit den Ermittlern geredet. Und ich hab auch mit allen da unten im Hauptbüro gesprochen. Gütiger Himmel, ich musste mit einer Unmenge Leute reden. Und trotz all dem Gequatsche hab ich nicht den leisesten Schimmer, was man Hilfreiches tun könnte. Ich wünschte, ich könnte was tun. Ich wünschte, es gäbe irgendwas, das ich noch für Jonnie tun kann.«

Sie war überrascht. »Jonnie? Haben Sie ihn so genannt?«

»Sicher.« Er runzelte die Stirn, als fragte er sich, worauf sie hinauswollte.

»Er hat mir gesagt, dass er es hasst, so genannt zu werden.«

Sie starrten sich eine Weile an, und jeder fragte sich stumm, wer von ihnen Jonathan nun besser gekannt hatte.

George sah zuerst weg. »Also, was wollen Sie wissen?«

Was will ich wissen? Ich will so vieles wissen, was du mir nicht sagen kannst. Gab es etwas, was sie hätte anders machen können, um Jonathan zu schützen? Wäre Jonathan heute noch am Leben, wenn sie ihr Versprechen nicht gebrochen hätte?

»Es ging ihm so weit ganz gut hier. Ich meine, ich will Ihnen nichts vormachen. Jeder Junge, der hier lebt, ist ein Junge in einem Jugendheim. Er hat sich besser gehalten als die meisten, würde ich sagen.

Es tat mir leid, dass er von dieser Schule abgegangen ist. Ihnen auch, das weiß ich. Ich hab mir dabei aber von Anfang an Sorgen gemacht. So was ist schwer, wissen Sie, so ein weiter Schulweg, und dann mit all diesen Kindern da, die alles haben, was man nie hatte, und deren Eltern wahrscheinlich denken, dass Armut – und vielleicht sogar seine Hautfarbe – wie eine ansteckende Krankheit ist.

Vielleicht hätte ich besser auf ihn achtgeben müssen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich hab hier Kids, die auf der Flucht sind, Kids, die die Polizei beim Drogendealen erwischt, Kids mit Selbstmordabsichten. Irgendwie gab es nie eine Minute, in der nicht irgendwer meine Aufmerksamkeit gerade dringender brauchte als Jonnie. Wissen Sie, bis er die Schule hinschmiss, dachten wir alle, er gehört zu den wenigen, die es schaffen können.«

»Wirkte er irgendwie glücklicher?«, fragte Katherine. »Ich meine, nachdem er die Schule verlassen hatte?«

»Keine Ahnung, wie irgendwer von irgendwem wirklich wissen kann, ob er glücklich ist.« Er seufzte. »Er passte nicht rein, das ist der Punkt. Wenn man in einem Gruppenheim wohnt und nicht reinpasst, ist man geliefert, man wird glatt durch den Fleischwolf gedreht.« Er zuckte unvermittelt zusammen, und sie merkte, dass ihm die hässliche Ironie seiner letzten Worte nicht bewusst gewesen war.

»Ich glaube, er hoffte, es würde ihm besser gehen, wenn er die Schule hinschmeißt. Ich glaub nicht, dass es geholfen hat. Es waren nicht nur die Kids, die ihn abgelehnt haben. Die Sozialarbeiter empfanden es ähnlich.«

Er machte eine Pause.

»Vielleicht auch ich. Wir schuften hier wie die Tiere für unseren lausigen Lohn, und es gibt ja nicht mal ein strahlendes Licht am Ende des Tunnels, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und dann kommt Jonnie und segelt glatt an uns vorbei, ohne dass es ihn einen Schweißtropfen kostet.

Obwohl es mehr als das war, warum er hier nicht reinpasste. Er wäre nie so ganz ›institutionalisierbar‹ geworden. Keiner wusste so recht, wohin mit ihm. Keiner wusste, was von ihm zu halten war.«

»Ich weiß nicht, ob ich das ganz verstehe«, sagte sie.

»Passen Sie auf. Es gibt zwei Wege. Manche Kids lernen, wie man mit dem System arbeiten kann. Sie werden kaltblütige Manipulierer. Ich kann ihnen dafür keinen Vorwurf machen. Sie haben gelernt, wie man durchkommt. Niemand hat sich je um sie geschert, und sie wissen das, und sie scheren sich auch um niemanden.

Andere können das so nicht. Sie sind so wütend, dass ihnen alles egal ist, oder nicht klug genug, um so zu tun, als würden sie mitspielen. Wissen Sie was? Ich sollte das nicht sagen, aber die sind mir am liebsten. Die, die dem System gegenüber keinen Zentimeter nachgeben. Sie bedeuten unendlichen Ärger, und nichts Gutes ist je von ihnen zu erwarten. Ein großer Teil von ihnen endet früher oder später im Knast. Und dann denken manche immer noch, dass sie gewonnen haben, weil sie sich weigern, das Spiel mitzuspielen.«

Er lächelte, ein kleines bitteres Lächeln.

»Aber Jonnie, der glaubte wirklich, er könnte einfach er selbst sein. So klug wie er war, dachte ich immer, er würde schon noch lernen, Leute zu benutzen, für seine Zwecke einzuspannen. So wie er Sie zum Beispiel hätte schamlos ausnutzen können. Ich muss jetzt nicht mehr miterleben, wie das passiert. Was für eine verdammte Verschwendung, bei all seinen Gaben.

Als ich diesen Job antrat, hab ich voller Theorien gesteckt. Ich war sicher, ich würde das nicht für immer machen, aber ich dachte, ich könnte – lachen Sie nicht – ich könnte für einige Kids was bewirken, eine Veränderung in ihrem Leben.« Er zog eine Grimasse. »Das ist die peinliche Wahrheit, die die meisten Sozialarbeiter nie zugeben. Aber wenn man diesen Job macht, gehört man zu der Maschinerie, die diese Kinder schleift, ob man will oder nicht.«

Katherine stand auf und ging zum Fenster, durch das sie über die schmutzige Gasse in die Hinterhöfe der gegenüberliegenden Häuser sah. Eine ganze Weile blieb sie dort stehen. Als sie sich wieder umdrehte, saß George reglos auf seinem Stuhl und starrte in seine Handflächen, als könnte in ihnen eine Antwort geschrieben stehen.

»Ja. Ich weiß«, sagte sie. »Aber ich weiß auch, dass die Jungs hier besser dran sind, weil Sie da sind.« Und dann: »Wie lange sind Sie jetzt dabei?«

»Hier, in diesem Heim? Etwas über zwölf Monate.«

Das zeugte schon von großem Durchhaltevermögen. Die Bezahlung war lausig, der Burn-out kam schnell, und die Personalfluktuation war astronomisch. »Wie lange wollen Sie das noch machen?«

»Meine Freundin möchte geheiratet werden. Sieht das hier für Sie wie eine Hochzeitssuite aus? Ich geh an den Wochenenden zum Aufbaustudium an der Uni. Ich mach mein Diplom, dann bin ich hier weg. Bevor ich mich in ein totales Arschloch verwandle.«

Sie wünschte sich, sie müsste es ihm nicht sagen, aber sie konnte es nicht länger vor sich herschieben. »Da ist noch etwas.«

Vorsichtig erwiderte er: »Ja?«

»Kannten Sie die anderen beiden Jungen, die ermordet wurden?«

Er sprach langsam, als ob er eine Falle witterte. »Ich weiß von ihnen. Ich weiß, dass vor Jonnie schon zwei Kids auf dieselbe Art umgebracht wurden. Ich glaube nicht, dass ich davor schon mal von ihnen gehört hab. Wenn doch, hab ich nicht drauf geachtet und es wieder vergessen. Als Jonnie nicht nach Hause kam, hab ich es der Agentur gemeldet. Ich war überrascht, dass er abgehauen ist. Das hatte ich bei ihm nicht erwartet. Ein paar Tage später kamen dann die Ermittler vorbei.« Er zuckte vielsagend die Achseln.

»Das erste Opfer, oder jedenfalls das erste, von dem wir wissen, war Craig Wadley.«

Seine Miene blieb ausdruckslos. »Da klingelt nichts.«

»Warum sollte es auch. Er ging drei Monate, bevor Sie herkamen, hier weg.«

Sie sah blitzartiges Begreifen in seinen Augen, dann, langsamer, das mühsame Ringen darum, sich mit der Tatsache abzufinden.

»Gütiger Himmel! Allmächtiger Gott. Er hat hier gelebt? Hier, in diesem Haus?« Er sah sie an, als verlange er nach einer Antwort. »Was zur Hölle ist hier los?«