KAPITEL 17
Das Autofahren war nicht so einfach, wie Nathan es sich vorgestellt hatte. Am zweiten Tag durfte er einen Saturn fahren – nicht gerade seine Vorstellung von einer scharfen Kiste, aber der andere Kurs musste mit einem Kombi vorlieb nehmen. In der dritten Kurswoche beherrschte er den Saturn und war der Meinung, für einen Ausflug in seinem neuen Traumwagen gerüstet zu sein. Jacks Shelby Mustang. Jack wusste es noch nicht, aber Nathan brannte darauf, den Wagen zu fahren. Und zwar mit jeder Faser seines Herzens.
Nach der ersten Woche hatte er sich mit ein paar Jungen in seinem Kurs angefreundet. Sie ritten nicht auf Pferden und hörten auch keine beschissene Countrymusic. Einige von ihnen kauten allerdings tatsächlich Tabak, aber das störte Nathan nicht.
Wenn er Fahrschulunterricht hatte, setzte seine Mutter ihn vor der Highschool ab. Danach ging er gewöhnlich zu Fuß zu Jack, dessen Werkstatt nur ein paar Blocks entfernt lag. Mittlerweile war er seit einem Monat in Lovett, und das Leben erschien ihm nicht mehr so schlimm wie in den ersten Tagen. Ihm gefiel die Arbeit in Jacks Garage, und er blödelte gern mit den anderen Mechanikern herum.
Jack hatte ihm gezeigt, wie ein Unternehmen wie Parrish American Classics geführt wird, und Nathan fand es ziemlich cool. Vielleicht konnte er auch im nächsten Sommer wieder herkommen und in der Werkstatt arbeiten, und sobald er seinen Highschool-Abschluss in der Tasche hatte, konnte er richtig bei Jack und Billy einsteigen.
Das wäre mörder, aber seine Mutter würde unter Garantie ausflippen, weil sie wollte, dass er wie sein Dad aufs College ging. Sie sprach darüber, als hätte er selbst überhaupt nichts zu sagen, und versuchte, sein Leben für ihn zu planen, als wäre er ein Kleinkind.
Nathan hob einen Stein auf und schleuderte ihn gegen das Basketball-Rückbrett, wie an jenem Tag, als er Jack getroffen hatte. Der Stein fiel zu Boden, und er stieß ihn mit dem Fuß weg.
Mittlerweile hatte er keine Ahnung mehr, wie er Jack ansprechen sollte. Jack erschien ihm irgendwie seltsam, aber er konnte doch nicht Dad zu ihm sagen. Sein Dad war Steven Monroe, auch wenn Jack allmählich ebenfalls so etwas wie ein Vater für ihn wurde. Inzwischen verstanden sie sich ziemlich gut. Manchmal saßen sie nach der Arbeit noch zusammen und quatschten über Autos und anderen Kram. Nathan hatte auch bereits Billy besucht und dessen Familie kennen gelernt. Billys kleine Mädchen kreischten und kicherten ziemlich viel, und die Mittlere rannte ständig mit gesenktem Kopf herum, so dass man gut auf seine Weichteile aufpassen musste.
Gewöhnlich lud Jack zu diesen Gelegenheiten auch Nathans Mutter ein, und dann fühlte es sich an, als wären sie eine richtige Familie, aber das waren sie nicht. Manchmal ertappte Nathan Jack, wenn er seine Mutter ansah, als ob er sie liebte. Dann blinzelte er, wandte den Blick ab oder sagte etwas, so dass Nathan glaubte, er hätte es sich nur eingebildet. Nathan hatte keine Ahnung, wie er es fände, wenn Jack tatsächlich in seine Mutter verliebt wäre. Vielleicht wäre es ja ganz gut so, denn schließlich war Jack sein Vater. Gewissermaßen.
Nur ein einziges Mal hatte Jack ihn wütend gemacht. Am 4. Juli hatte Nathan sich über seine Mutter geärgert und sie angeschrien, weil sie wissen wollte, wohin er gehe und was er vorhabe. Jack hatte ihn richtig streng angesehen und gesagt: »So redet man nicht mit seiner Mutter. Entschuldige dich.«
Er hätte sich ja sowieso entschuldigt. Seine Mom nervte ihn manchmal, aber er liebte sie. Er konnte es nicht ertragen zu sehen, wie traurig es sie machte, wenn er sie anschrie, aber er bemerkte es immer erst, wenn es schon zu spät war.
Nathan lief über den Platz zu der Lücke im Zaun. Es war Samstag, und er brauchte nicht zu arbeiten. Vielleicht konnte er ein Mittagsschläfchen halten oder eine Weile auf der Playstation spielen, die seine Mutter aus Seattle mitgebracht hatte.
Er verlangsamte seine Schritte, als er Brandy Jo durch die Öffnung schlüpfen und auf ihn zukommen sah. Sie trug ein rotes Kleid mit schmalen Trägern und klobige Flip-Flops an den Füßen.
»Hi, Nathan. Lange nicht gesehen. Was treibst du so?«
»Ich mache den Führerschein.« Er straffte sich ein bisschen, ehe er die Schultern wieder sinken ließ und die Hände in die Taschen schob. Brandy Jo war so ziemlich das hübscheste Mädchen, das er je gesehen hatte. Trotz der klobigen Schuhe reichte sie ihm kaum bis unters Kinn. »Und was machst du an einem Samstag hier?«
»Ich habe meinen Pullover in der Schule vergessen.«
Die Sonne schien auf ihr dunkles Haar, und als sie mit der Zunge über ihre rosa Lippen fuhr, krampfte sich sein Magen zusammen. »Brauchst du Hilfe?«, fragte er und hätte beinahe laut aufgestöhnt. Natürlich brauchte sie keine Hilfe.
»Nein, aber über deine Gesellschaft würde ich mich freuen.«
Er schluckte und bemühte sich, nicht zu lächeln. »Cool.«
»Wann bekommst du deinen Führerschein?«, erkundigte sie sich auf dem Weg um das Schulgebäude herum.
»Ich muss schon ziemlich bald die Prüfung machen.« Ihr bloßer Arm streifte ihn knapp unter dem T-Shirt-Ärmel, und seine Haut prickelte.
»Ich habe den Führerschein letzten Monat bekommen«, erklärte sie.
»Hast du ein Auto?«
Sie schüttelte den Kopf, wobei ihr Haar ihre Schultern umspielte. »Du?«
»Jack lässt mich seinen Wagen fahren.« Er streifte sie leicht mit dem Arm an, um zu sehen, was passierte. Das Prickeln breitete sich bis über seine Brust aus.
»Wer ist Jack?«
»Er ist … mein Dad, gewissermaßen.«
Sie sah aus großen braunen Augen zu ihm auf. »Wie meinst du das? Gewissermaßen? Ist er dein Stiefvater?«
»Nein. Er ist mein richtiger Dad, aber ich habe ihn erst vor etwa einem Monat kennen gelernt.«
Sie blieb abrupt stehen. »Du hast ihn gerade erst kennen gelernt?«, fragte sie mit diesem gedehnten Akzent, den er allmählich richtig süß fand.
»Ja. Ich hab schon immer gewusst, dass es ihn gibt, aber als mein Dad gestorben ist … also, mein erster Dad … mein anderer Dad …« Er seufzte. »Das ist ziemlich chaotisch.«
»Meine Mom ist zum dritten Mal verheiratet«, erklärte Brandy Jo. »Mein Daddy ist gestorben, aber der Vater meiner kleinen Brüder lebt in Fort Worth. Im Augenblick habe ich einen anderen Stiefvater, aber es läuft nicht besonders gut. Irgendwie geht es wohl in jeder Familie chaotisch zu.«
Seite an Seite betraten sie das Schulgebäude, wobei sich ihre Arme immer wieder berührten. Sie taten so, als wäre es ein Versehen. Brandy Jo fand ihren Pullover im Kunstraum, und als sie wieder nach draußen kamen, hatte es sich irgendwie ergeben, dass Nathan ihre Hand hielt. Er spürte einen Kloß im Hals. In diesem Moment lächelte sie zu ihm auf, und er fürchtete, sein Herz bleibe gleich stehen. Es krampfte sich zusammen, und er fürchtete, gleich hier neben dem dämlichen Findling mit den eingemeißelten Worten »Lovett Stallions« aus den Latschen zu kippen. Hier, unter der heißen texanischen Sonne, vor den Augen des hübschesten Mädchens, das er je gesehen hatte. Das wollte er nun wirklich nicht.
Nathan musterte Brandy Jo, während sie von ihrer Familie erzählte. Er drückte ihre Hand, und sie rückte näher, bis ihre Arme sich berührten. Sein Herz fühlte sich an, als schwelle es an wie ein Luftballon, und das Gefühl war schön und schrecklich und überwältigend zugleich. Er war noch nie verliebt gewesen. Na ja, außer in Nicole Kidman, aber das zählte nicht. Doch an diesem Tag, unter dem endlosen blauen Himmel, der sich über seinem Kopf wölbte, verliebte Nathan Monroe sich zum ersten Mal in seinem Leben.
Daisy steckte den Daumen in die Öffnung des Gartenschlauchs und spritzte den Kühler des Cadillacs ihrer Mutter mit Wasser ab. Dann tauchte sie einen weichen Schwamm in den Eimer mit Seifenlauge und wusch den Schmutz vom Wagen ab. Die Nachmittagssonne knallte erbarmungslos auf sie nieder, und sie spürte die Glut auf ihren Schultern, auf der Brust und dem Rücken oberhalb des Ausschnittes ihres roten Tanktops.
Den Großteil des Tages hatte sie bei Lily verbracht, hatte geputzt und die Wäsche gemacht, während Lily auf dem Sofa saß, den Gips gestützt von einem Kissen. Lilys Scheidung war rechtskräftig, und ihr Anwalt hatte ihre Ansprüche durchgesetzt. Er hatte dem Richter Bestätigungen aus der Zeit vorgelegt, bevor Ronnie die Konten geplündert hatte, worauf dieser Ronnie zu tausend Dollar Unterhalt pro Monat verdonnert hatte, und außerdem musste er Pippens Krankenversicherung übernehmen.
Ihre Mutter war immer noch bei Lily und gluckte um sie herum. Daisy wusste, dass Lily selbst die einfachsten Dinge schwer fielen, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen war. Es machte ihr nichts aus, ihrer Schwester zu helfen, aber Lilys verkorkstes Leben hatte Daisy in schlechte Laune versetzt.
Im Grunde war es mehr als nur schlechte Laune. Sie war von einem Gefühl der Unruhe erfüllt, für das Lily jedoch nichts konnte. In letzter Zeit hing Daisys Stimmung eher mit der Summe ihres Lebens unterm Strich zusammen, statt nur einem einzelnen Teil davon. Einerseits brannte sie darauf, ihr Leben endlich in die Hand zu nehmen, andererseits war sie ängstlich und verunsichert. Ihr Haus in Washington war noch nicht verkauft, aber es war ja auch erst seit einem Monat auf dem Markt. Ihre Pläne zur Eröffnung eines Fotoateliers nahmen allmählich Gestalt an, trotzdem überfiel sie leise Angst beim Gedanken, Texas zu verlassen. In der einen Minute erschien ihr alles kristallklar und ganz einfach, in der nächsten war sie vollkommen durcheinander und wusste nicht, was sie tun sollte.
Sie hatte sich zweimal mit Matt verabredet und nicht viel Spaß dabei gehabt. Doch als er sie geküsst hatte, war ihr klar geworden, dass es kein drittes Mal geben würde. Sie war in einen anderen Mann verliebt, und es wäre Matt gegenüber nicht fair gewesen.
Daisy beugte sich, so weit es ging, über den Kühler des Cadillacs und scheuerte einen Fleck weg, den sie übersehen hatte. Als einer der Hauptgründe für ihre Verwirrung in seinem Mustang an den Straßenrand fuhr, hob sie den Kopf.
Jack stieg aus und kam durch den Garten auf sie zu. Eine dunkle Haarlocke hing ihm in die Stirn, und er trug ausnahmsweise keinen Hut, so dass sich die Sonnenstrahlen in den Gläsern seiner Sonnenbrille spiegelten. Sein grünes Hemd war bis oben zugeknöpft, dazu trug er verblichene Levi’s. Es war Samstag, und er hatte sich nicht rasiert. Dunkle Bartstoppeln bedeckten seine untere Gesichtshälfte und lenkten die Aufmerksamkeit auf seinen sinnlichen Mund. Wann immer Daisy ihn sah, zog sich ihr Herz ein klein wenig zusammen, während ihr Verstand ihr laut zurief, in die entgegengesetzte Richtung zu flüchten.
»Hey«, sagte sie, richtete sich auf und spülte die Seifenlauge vom Kühler. »Was führst du im Schilde? Bestimmt nichts Gutes.«
»Ich suche Nathan. Ich dachte, er würde mich nach der Fahrschule besuchen, aber er hat sich nicht blicken lassen.«
»Er ist noch nicht zurück«, sagte sie und spürte seinen Blick hinter der Sonnenbrille. »Aber er kommt bestimmt bald. Willst du warten?«
»Eine Weile«, sagte er und ließ den Blick die Straße entlangwandern. Das tat er seit der Rückkehr von ihrem Ausflug vom See vor etwa einem Monat häufig. Erst zog er Daisy mit den Augen aus, dann wandte er den Blick ab. Natürlich war es durchaus möglich, dass sein Interesse für sie nicht größer war als für eine gewöhnliche Fliege. Vielleicht bildete sie sich all das nur ein. Eine Art Wunschdenken. Was sie nicht nur traurig, jämmerlich und in extremer Selbsttäuschung befangen dastehen ließ, sondern genauso verrückt wie der Rest ihrer Familie. Eine erschreckende Vorstellung.
Sie griff nach dem Eimer und dem Schlauch und ging um den Wagen herum, so dass er zwischen ihr und Jack stand.
»Morgen Abend treffen sich Billy und ein paar von den Jungs drüben im Horizon View Park zum Footballspielen.« Er verlagerte sein Gewicht und sah Daisy wieder an. »Ich habe neulich mit Nathan darüber geredet, und er wollte mir noch Bescheid geben, ob er mitspielt.«
»Wir haben noch nichts geplant. Von mir aus kann er gern gehen.« Daisy stellte den Eimer auf den Boden und richtete den Schlauch auf den Kühler des Wagens. »Fußball oder Tackle?«
»Fußball ist doch nur etwas für Weicheier«, spottete er und baute sich vor ihr auf. »Und für Mädchen.«
Sie beschloss, nicht weiter auf diese Spitze einzugehen. »Ich will aber nicht, dass Nathan ohne Helm und Schutzpolster spielt.«
»Wir sorgen dafür, dass er eine angemessene Ausrüstung bekommt.« Er neigte den Kopf und musterte sie prüfend. »Komm doch mit! Zieh deine alte Cheerleader-Uniform an. Du könntest Räder schlagen und Flickflacks vorführen wie früher.« Seine Lippen verzogen sich zu einem lüsternen Grinsen. »Oder diese tollen Grätschsprünge. Da konnte man immer prima dein Höschen sehen.«
Daisy stopfte wieder den Daumen in die Schlauchöffnung und spritzte das Dach des Cadillacs ab, so dass der Strahl Jacks Brust und Schultern traf und seine Sonnenbrille benetzte.
»Hoppla«, meinte sie und zog den Daumen heraus.
Er zog die Brauen zusammen. »Das hast du mit Absicht getan.«
Empört schnappte sie nach Luft. »Nein. Bestimmt nicht.«
»Doch«, beharrte er ruhig, »das war Absicht.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf, steckte erneut den Daumen in den Schlauch und traf ihn mitten auf der Brust. Das Wasser spritzte über sein Kinn und lief an seinem Hemd herab. »Das«, sagte sie und zog den Daumen aus dem Schlauch, »allerdings schon.«
»Hast du auch nur die geringste Ahnung«, meinte er, setzte seine Sonnenbrille ab und schob sie in die Brusttasche seines durchnässten Hemdes, »was ich jetzt mit dir tun werde?«
»Gar nichts.«
Der Blick seiner grünen Augen versprach Vergeltung, als er um den Kühler des Wagens herumkam. »Irrtum«, sagte er drohend.
Sie wich einen Schritt zurück. »Bleib, wo du bist.«
»Angst?«
»Nein.« Sie trat noch einen Schritt zurück.
»Du solltest aber Angst haben, kleines Mädchen.«
»Was hast du vor?«
»Bleib stehen, dann wirst du’s erfahren.«
Sie blieb stehen, hob den Schlauch und richtete den Wasserstrahl auf seinen Kopf. Er duckte sich, und ehe sie sich versah, hatte er sie gepackt und gegen die Beifahrertür gedrängt, wo er ihr nun den Schlauch entwand.
»Jack, nicht!« Sie fing an zu lachen. »Ich tu’s nie wieder. Ich schwöre!«
Er sah ihr ins Gesicht. Wasser tropfte aus der Locke in seiner Stirn und rann über seine Wange. Seine langen Wimpern waren nass und an den Spitzen verklebt. »Ich weiß genau, dass das nicht stimmt«, sagte er, griff in den Ausschnitt ihres Tanktops und steckte den Schlauch hinein.
»Das ist kalt – aaaah!« Sie packte seine Hand und versuchte, den Schlauch herauszuziehen.
»Lach doch drüber, du Scherzkeks.« Er hielt sie mit seinem ganzen Körpergewicht fest und wurde genauso nass wie sie.
»Hör auf!« Wasser sprudelte zwischen ihre Brüste und lief an ihrem Bauch herab. Unter der Kälte richteten sich ihre Brustspitzen auf. »Das ist eiskalt.«
»Sag mir, wie Leid es dir tut«, befahl er.
Doch sie brachte vor Lachen kaum ein Wort hervor. »Es tut mir soooo Leid«, japste sie schließlich und versuchte, sich unter seinem Körper hervorzuwinden.
»Das reicht aber nicht.« Er zog den Schlauch aus ihrem Top und ließ ihn zu Boden fallen. »Beweise es mir«, stieß er mit rauer Stimme hervor.
Das Lachen erstarb auf Daisys Lippen, als sie ihm ins Gesicht blickte und die Begierde in seinen grünen Augen leuchten sah. Er stand mit gespreizten Beinen vor ihr, die Schenkel, Hüften und den Unterleib gegen ihren Körper gedrängt, und mit einem Mal wurde ihr sehr deutlich bewusst, dass mindestens zwanzig Zentimeter von ihm sehr glücklich über ihre Nähe waren. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Magen aus. Ihr Herz riet ihr zu bleiben, während ihr Verstand ihr zurief davonzulaufen. »Wie denn?«
»Du weißt genau, wie.« Er senkte den Blick auf ihren Mund. »Und streng dich an.«
Sie fuhr mit ihren kalten Händen an seiner nassen Brust und seinen Schultern hinauf und vergrub sie in seinem Haar, dann hob sie den Kopf und legte eine Hand um seinen Hinterkopf, ehe ihre Lippen seinen Mund berührten. Sie spürte, wie ihr Herz sich in ihrer Brust weitete, so dass sie Mühe hatte zu atmen. Und es bestand nicht der geringste Zweifel daran, was das war. Dieses Gefühl hatte sie früher schon einmal erlebt, nur dass es dieses Mal viel stärker war. Und weniger verwirrend. Es war, als würde sie den Fokusring ihrer Kamera drehen, bis das Bild messerscharf vor ihren Augen stand.
Sie war verliebt in Jack Parrish. Schon wieder. Diese Runde war an ihr Herz gegangen.
Nur wenige Millimeter trennten ihre Münder. Beide hielten den Atem an, und ihre Blicke versanken ineinander. Beide warteten darauf, dass der andere den ersten Schritt machte.
Daisy gab ihm einen kurzen, zarten Kuss. »Reicht das?«
Er strich mit den Lippen über ihren Mund und schüttelte den Kopf. »Versuch’s noch einmal.«
»Wie wär’s damit?« Ihre Lippen öffneten sich, und sie fuhr mit der Zungenspitze die Konturen seines Mundes nach.
Er sog scharf den Atem ein, und seine Stimme klang rau, als er fragte: »Besser kannst du es nicht?«
Sie hob die Hand an seine Wange und strich mit den Fingern über die Stoppeln. »Doch, aber ich glaube, du hältst es nicht aus, wenn ich mein Bestes gebe.«
»Lass es doch drauf ankommen.«
Langsam schloss Daisy die Augen und schmiegte sich ganz leicht an ihn. Ihre Brustspitzen streiften sein Hemd und richteten sich auf, woran nicht nur das kalte Wasser schuld war. Wärme breitete sich auf ihrer Haut aus und sammelte sich zwischen ihren Beinen. Sie legte ihren geöffneten Mund auf seinen und küsste ihn – zuerst sanfte, lockende Küsse, die Jack quittierte, indem er nach ihrer Zunge suchte und nach mehr verlangte. Ein frustriertes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, während er den Kopf neigte und die Glut anfachte. Er zwang sie, den Mund weiter zu öffnen, und übernahm die Führung.
Ohne dass sich ihre Lippen voneinander lösten, schlang er die Arme um Daisy und trat einen Schritt zurück. Mit seinen großen, kräftigen Händen umfasste er ihr Gesäß und zog sie hoch auf die Zehenspitzen.
Nach ein paar Augenblicken wich er ein Stück zurück und sah in Daisys Gesicht. »Du fühlst dich gut an«, erklärte er und ließ ihren Körper ganz langsam an seinem Leib hinuntergleiten, ehe er sie wieder an sich zog. »Keine hat sich je so gut angefühlt wie du.« Erneut legte er seinen Mund über ihren. Kaltes Wasser aus dem Schlauch floss über ihre Füße, und ihr Kuss wurde heißer und heißer.
Daisy hörte, wie sich hinter ihr jemand räusperte, ehe Nathans Stimme den Bruchteil einer Sekunde später in ihren lustvollen Taumel drang. »Äh, Mom?«
Jack hob den Kopf, während Daisy sich auf die Fußsohlen sinken ließ und herumfuhr. »Nathan!« Sie brauchte ein paar benommene Sekunden, um festzustellen, dass er nicht allein war. Ein etwa gleichaltriges Mädchen stand neben ihm. Nathans Blick wanderte von ihrem Gesicht zu Jacks, und seine Wangen färbten sich tiefrot.
»Wie lange steht ihr schon hier?«, fragte Jack, und seine Stimme klang erstaunlich ruhig und gesammelt für einen Mann, dessen Hände eben noch Daisys Hinterteil umfasst und sie an seinem Körper auf und nieder gleiten lassen hatte.
»Wir haben euch von der Straße aus gesehen.« Nathan sah wieder Daisy an. Er sagte nichts mehr, und sie konnte sich nur fragen, was ihm wohl im Kopf herumging.
Daisy zwang sich zu einem Lächeln. »Willst du uns deine Freundin nicht vorstellen?«, fragte sie.
»Brandy Jo.« Er deutete auf Daisy. »Meine Mom und Jack.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
Daisy machte Anstalten, sich von Jack zu lösen, doch seine Hand am Hosenbund ihrer Shorts zwang sie, mit dem Rücken zu ihm stehen zu bleiben. Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu, worauf er eine Braue hob. Allmählich dämmerte es ihr. Jack benutzte sie als Deckung. Sie spürte, wie ihr die Glut über den Hals in die Wangen stieg. Genau wie Nathan. Der Einzige, dem die Szene nicht peinlich zu sein schien, war Jack.
Sie wandte sich Nathan und Brandy Jo zu. »Wohnst du hier in der Nähe?«, fragte sie, um das verlegene Schweigen zu durchbrechen.
»Drüben an der Taft.« Brandy Jo sah zu Nathan auf. »Am ersten Tag, als Nathan und ich uns kennen gelernt haben, habe ich ihm erzählt, dass wir gewissermaßen verwandt sind. Meine Tante Jessica ist mit Ronnie Darlingtons Cousin Bull verheiratet.«
Na ja, wenigstens war sie nicht blutsverwandt mit Ronnie. »Lilys und Ronnies Scheidung ist vor ein paar Wochen ausgesprochen worden.«
»Oh. Das wusste ich nicht.« Sie lächelte. »Ronnie ist ein Schweinehund, und kein Mensch hat je verstanden, was Lily an ihm fand«, fügte sie im Flüsterton hinzu.
Brandy Jo war offensichtlich ein kluges Mädchen.
»Ich bin hergekommen, weil ich mit dir über das Footballspiel morgen Abend sprechen möchte«, sagte Jack.
»Und weil du sonst nichts zu tun hattest, während du auf mich gewartet hast, bist du auf die Idee gekommen, im Vorgarten mit meiner Mutter zu schmusen?«
Daisy blieb der Mund offen stehen.
Jack lachte. »Tja, ich dachte, das wäre doch mal ein angenehmer Zeitvertreib.«
Daisy drehte sich um und sah ihn an.
»Was denn?«, meinte er mit einem frechen Grinsen. »Du warst doch der gleichen Meinung.«