Achtundsechzigstes Kapitel
Zu sagen, dass Anna an jenem Samstagabend nervös war, während sie auf ihren Wagen wartete, war, als würde man sagen, die Sonne sei »ein bisschen heiß«. Was zum Teufel wollte er ihr geben? Was immer es war, es war zweitrangig neben der Tatsache, dass sie ihn wiedersehen würde. Die Vorfreude brachte sie fast um den Verstand. Sie war die Diele gefühlte 1000 Mal auf und ab gelaufen, bis sie den Wagen endlich sachte vor der Haustür vorfahren hörte.
Sie ließ die Hausschlüssel zweimal fallen, während sie die Tür absperrte, und versuchte ihre Unbeholfenheit gegenüber dem rumänischen Fahrer mit einer witzigen Bemerkung abzutun, die nicht dazu beitrug, ihr Selbstvertrauen zu stärken.
Vladimir wartete vor seinem Haus auf sie, mit gespreizten Beinen, die Arme vor einer langen, offenen Jacke mit einem Stehkragen verschränkt, die ihm ein sexy autoritäres Aussehen verlieh. Sie schluckte, als er ihr mit einer Hand aus dem Wagen half. Es war die Hand, die ihr Herz berührt hatte.
»Anna, ich freue mich so, Sie wiederzusehen«, sagte er. Gott, er war so galant. Das Galanteste, was Tony je zu ihr gesagt hatte, war, er würde nicht über sie klettern, um zu Angelina Jolie zu gelangen, wenn sie alle zusammen im Bett lägen. Und dann hatte er selbst das noch verdorben, indem er sie gefragt hatte, ob sie vielleicht mal Lust auf einen flotten Dreier hätte. Anna hatte rundheraus abgelehnt. So, wie Tony tickte, hatte sie sich sowieso gefragt, ob er sich, wenn er die Gelegenheit dazu hätte, vielleicht zwei andere Tussis dafür aussuchen und sie, Anna, außen vor lassen würde.
Sie betraten das Darq House. Anna war entzückt, wieder hier zu sein. Luno kam herübergeschlichen, mit wedelndem Schwanz, wie das surrende Rotorblatt eines Hubschraubers, und drückte seine Schnauze in Annas Hand.
»Hi, Junge, ich habe dich vermisst«, flüsterte sie ihm zu. Luno blieb kurz, um sich ein bisschen tätscheln zu lassen, kehrte dann in sein Körbchen zurück und ließ sich fallen, behielt aber sein Herrchen im Auge, der in diesem Moment zwei Kelche mit Wein füllte und einen davon Anna reichte.
»Noroc!«, sagte er. Sie nahm an, dass es »Zum Wohl!« bedeutete und wiederholte das Wort, bevor sie einen Schluck nahm. Für Jungfrauenblut schmeckte es gar nicht schlecht. Kein Wunder, dass Vampire ständig Durst hatten.
»Anna, nächste Woche ist der Balul Luna Plina.«
»Der was?«
»Ein Vollmondball. Ich gebe ihn hier im Darq House.«
»Einen Ball?«
»Ja.«
»Hier?«
»Genau. Sie werden natürlich kommen.«
»Ich?«
»Ja, Anna.«
»Ein Ball?«
»Ja. Und ich will, dass Sie kommen.«
Ein Gedanke durchzuckte Annas Gehirn, gefolgt von einem langen, dunklen Schatten.
»Das ist doch nicht wieder eine von diesen Überraschungen, oder? Ich meine, Jane wird doch nicht auftauchen und mich bitten, nackt über einen eigens dafür gebauten Catwalk zu laufen?«
Vladimir lächelte. Nur mit einer Seite seines Mundes. Seine Augen funkelten. Es waren auf keinen Fall Kontaktlinsen, wie sie früher einmal vermutet hatte. »Nein, keine Tricks, Sie werden ein Kleid tragen und mein Gast sein. Mein Ehrengast.«
»O Gott, ich habe gar kein Kleid, das für so einen Anlass elegant genug ist. Wie soll es denn sein? Lang, kurz?«
Er gebot ihr mit einem erhobenen Finger Schweigen, stand von seinem Platz auf, verschwand und kam keine Minute später mit einer langen, weichen, silbernen Kleiderhülle über den Armen wieder. Er zog den Reißverschluss auf, öffnete sie und zeigte ihr ein wunderschönes langes Kleid in einem Blauton, der an einen nächtlichen Himmel erinnerte. Anna klappte der Kiefer so tief herunter, dass er fast in ihrem Dekolletee verschwand.
»Ich habe doch gesagt, ich hätte etwas für Sie«, sagte er.
»Na ja, Sie haben recht, ein Teller ist das nicht!«, stöhnte Anna. »Aber das kann doch nicht für mich sein, oder?«
»Natürlich ist es für Sie«, sagte Vlad. »Keine Sorge, es wird Ihnen passen. Sie müssen es vorher nicht anprobieren. Vertrauen Sie mir. Ziehen Sie es erst am nächsten Samstag an. Ich werde Ihnen bis dahin noch die Unterwäsche schicken, aber an der muss ich noch ein bisschen arbeiten. Der Wagen wird Sie um neun Uhr abholen.«
»Soll ich eine Flasche mitbringen?«
Vladimir warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Sie nahm an, dass das Nein hieß.
»Danke, Vladimir, es ist hinreißend. Ich habe noch nie ein solches Kleid besessen.«
»Natürlich, es ist ja auch ein Vladimir Darq. Wie könnten Sie denn?«
Anna lächelte und hob den Blick zu dem Mann mit dem schwarzen Haar und den vollen roten Lippen vor ihr, und sie musste rasch wegsehen. Er war einfach zu hinreißend. Wie sollte sie je wieder zu diesen gewöhnlichen Samstagabenden zurückkehren, an denen sie sich Ant and Dec im Fernsehen ansah und dazu ein trostloses, abscheuliches Fertiggericht für eine Person aß? Auf einmal fühlte sich Anna innerlich leer und den Tränen nahe. Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Rotwein.
»Sie wissen, dass die Sendung am Donnerstagabend um neun ausgestrahlt wird, Anna? Die Wäsche wird am nächsten Tag in den Geschäften sein – das heißt, das Timing ist perfekt.«
»Ja, ich weiß.« Nur noch fünf Tage, bis sie erfahren würde, ob sie sich völlig zum Affen gemacht und Vladimir Darqs Karriere im Alleingang ruiniert hatte. O Gott, wie sollte sie sich am Tag danach noch zur Arbeit trauen? Und warum wurde die Sendung um neun Uhr abends ausgestrahlt? Nach der jugendfreien Sendezeit? Sie wagte nicht, danach zu fragen. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Antwort wissen wollte. Ihr blieb keine andere Wahl, als abzuwarten, sich die Sendung anzusehen und danach vor Scham zu sterben.
Anna stellte ihren Kelch ab. Sie wollte Vladimirs Gastfreundschaft nicht überstrapazieren.
»Na ja, vielen Dank für dieses wundervolle Kleid.«
»Mein Wagen wird Sie am nächsten Samstagabend um Viertel vor neun abholen.« Er küsste ihr die Hand. Sie hielt sie auf der ganzen Fahrt nachhause umklammert. Nicht einmal der Anblick des Tangas, den Tony ihr geschenkt hatte, konnte sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Dort würde sie noch früh genug wieder landen. Aber bitte, Gott, lass mich nur noch eine Woche auf dieser Wolke sieben schweben!