16. KAPITEL
Enthüllung
Mace Windu stand im dunklen Kom-Zentrum des Jedi-Tempels einem lebensgroßen Holobild Yodas gegenüber. Projiziert wurde es vom verborgenen Kom-Zentrum der Wookie im Herzen eines Wroshyrbaums auf Kashyyyk.
»Wir haben vor einigen Minuten eine Bestätigung von Utapau bekommen«, sagte Mace. »Kenobi hat einen Erfolg erzielt. Grievous ist tot.«
»Zeit wird es für die Ausführung unseres Plans.«
»Ich werde die Nachricht von Grievous’ Tod persönlich überbringen.« Mace bewegte die Hände. »Dann liegt es beim Kanzler, seine Sondervollmachten an den Senat zurückzugeben.«
»Vergesst nicht die Existenz von Sidious. Er Euch zuvorkommen könnte. Meister erforderlich sind, wenn Ihr dem Lord der Sith gegenübertreten müsst.«
»Ich habe bereits vier der besten ausgewählt. Meister Tiin, Meister Kolar und Meister Fisto sind hier im Tempel. Sie bereiten sich vor.«
»Was ist mit Skywalker? Dem Auserwählten?«
»Es wäre zu riskant«, erwiderte Mace. »Ich bin der Vierte.«
Yoda schürzte bedächtig die Lippen und nickte noch bedächtiger. »Gewacht hast du zu lange, mein Padawan. Ruhen musst du.«
»Das werde ich, Meister. Wenn die Republik wieder sicher ist.« Mace straffte die Schultern. »Wir warten nur noch auf Eure Stimme.«
»Nun gut. Hiermit habt Ihr sie. Möge die Macht mit Euch sein.«
»Und mit Euch, Meister.«
Die letzten Worte hörte Yoda nicht mehr – sein Holobild war bereits verschwunden.
Mace senkte den Kopf und stand in dunkler Stille.
Plötzlich öffnete sich die Tür des Kom-Zentrums, und gelbes Licht fiel in die Düsternis. Vor dem hellen Hintergrund zeichnete sich die Silhouette eines Mannes ab, der sich kaum auf den Beinen halten konnte.
»Meister…« Die Stimme war nur ein heiseres Flüstern. »Meister Windu…?«
»Skywalker?« Mace war sofort an seiner Seite. »Was ist los? Bist du verletzt?«
Anakin griff wie verzweifelt nach Maces Arm und benutzte ihn wie eine Krücke, zog sich daran hoch.
»Obi-Wan…«, brachte er hervor. »Ich muss mit Obi-Wan reden…«
»Obi-Wan ist auf Utapau und hat General Grievous getötet. Wir brechen jetzt auf, um dem Kanzler Bericht zu erstatten und festzustellen, ob er wie versprochen zurücktritt.«
»Ob er… zurücktritt?« Eine bittere Schärfe lag jetzt in Anakins Stimme. »Ihr habt keine Ahnung…«
»Anakin? Wie meinst du das?«
»Hört mir zu… Ihr müsst mir zuhören…« Anakin sank in sich zusammen und zitterte. Mace legte dem jungen Jedi den Arm um die Schultern und führte ihn zum nächsten Sessel. »Ihr könnt nicht… Bitte, Meister Windu, gebt mir Euer Wort, und versprecht mir, dass es eine Verhaftung sein wird, dass ihr ihm nichts zuleide tut…«
»Skywalker… Anakin. Bitte versuch, klar zu antworten. Bist du angegriffen worden? Bist du verletzt? Du musst mir sagen, was passiert ist…«
Anakin beugte sich nach vorn und vergrub das Gesicht in den Händen.
Mace griff in die Macht, öffnete das Auge seiner besonderen Wahrnehmung…
Was er sah, ließ fast sein Blut gefrieren.
Das komplexe Netz aus Verwerfungslinien, das er zuvor in der Macht gesehen hatte und das Anakin mit Obi-Wan und Palpatine verband, existierte nicht mehr. An seiner Stelle befand sich jetzt ein einzelner Spinnenknoten, in dem genug Energie vibrierte, um den ganzen Planeten zerbersten zu lassen. Anakin Skywalker besaß keine Bruchpunkte mehr. Er war der Bruchpunkt.
Der Bruchpunkt.
Alles hing von ihm ab.
Alles.
»Anakin, sieh mich an«, sagte Mace langsam und mit der Vorsicht, die er einer fremdartigen Bombe gegenüber angewandt hätte, deren Sprengkraft vielleicht ausreichte, das ganze Universum zu zerstören.
Skywalker hob den Kopf.
»Bist du verletzt? Brauchst du…«
Mace runzelte die Stirn. Anakins Augen waren blutunterlaufen, und sein Gesicht wirkte angeschwollen. Eine Zeit lang wusste er nicht, ob Anakin antworten würde, ob er antworten konnte, ob er überhaupt in der Lage war zu sprechen. Der junge Jedi schien mit etwas in seinem Innern zu ringen – er erweckte den Eindruck, gegen ein Ungeheuer zu kämpfen, das sich einen Weg aus seiner Brust bahnen wollte.
Aber in der Macht gab es keine Eindrücke, kein Als ob und Es schien. In der Macht fühlte Mace das Ungeheuer in Anakin Skywalker, ein tatsächlich existierendes Monstrum, zu real, das ihn von innen her verschlang. Furcht.
Daraus bestand Anakins Wunde. Daher stammte der Schmerz, der ihn zittern und stammeln ließ, ihn so schwach machte, dass er kaum mehr stehen konnte. Eine grässlich schwarze Furcht war wie Fieberwespen im Kopf des jungen Jedi-Ritters geschlüpft und brachte ihn um.
Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, öffnete er die roten Augen.
»Meister Windu…« Er sprach langsam und wie unter Qualen, als risse ihm jedes Wort ein Stück Fleisch aus dem Leib. »Ich habe… schlechte Nachrichten.«
Mace starrte ihn an.
»Schlechte Nachrichten?«, wiederholte er.
Was konnte schlimm genug sein, um einen Jedi wie Anakin Skywalker zusammenbrechen zu lassen? Welche Nachrichten konnten bewirken, dass Anakin Skywalker aussah, als wären die Sterne erloschen?
Und dann, mit einfachen Worten, sagte Anakin es ihm.
Dies ist der Moment, der Mace Windu hervortreten lässt.
Nicht seine vielen Siege im Kampf, nicht die zahllosen Schlachten, die seine Diplomatie vermieden hat. Nicht sein scharfer Intellekt, seine Talente im Umgang mit der Macht oder sein unvergleichliches Geschick mit dem Lichtschwert. Nicht die Treue dem Jedi-Orden gegenüber.
Aber dies.
Hier.
Jetzt.
Denn auch Mace hat eine Bindung, eine geheime Liebe.
Mace Windu liebt die Republik.
Viele seiner Schüler zitieren ihn vor ihren eigenen Schülern: »Jedi kämpfen nicht für den Frieden. Das ist nur ein Spruch, und solche Sprüche sind immer irreführend. Jedi kämpfen für die Zivilisation, denn nur die Zivilisation kann Frieden schaffen.«
Für Mace Windu, für sein ganzes Leben, für all die Jedi-Leben in den tausend Jahren vor ihm hat die wahre Zivilisation nur einen wahren Namen: die Republik.
Er hat sein Leben dieser Liebe gewidmet. Er hat dabei das Leben von Unschuldigen verloren. Er hat gesehen, wie Wesen, an denen ihm etwas lag, verstümmelt und getötet wurden, und manchmal geschah noch Entsetzlicheres mit ihnen: Manchmal zerbrachen sie so sehr an den Schrecken des Kampfes, dass ihre Reaktion daraus bestand, noch größeren Schrecken zu verursachen.
Und wegen dieser Liebe haben die acht Worte, die Anakin an ihn richtet, eine ganz besondere Wirkung: Sie zerreißen ihm das Herz, verbrennen seine Bruchstücke und füttern ihn mit ihrer Asche.
Palpatine ist Sidious. Der Kanzler ist der Sith-Lord.
Eigentlich hört er die Worte gar nicht richtig. Ihre wahre Bedeutung ist so immens, dass sein Selbst sie nicht auf einmal erfassen kann.
Sie bedeuten, dass all das, was er getan hat, und all das, was ihm angetan wurde…
Dass all das, was der Orden geleistet und erlitten hat…
Dass all das, was die ganze Galaxis durchgemacht hat, all die Jahre des Leids und der Gemetzel, der Tod ganzer Planeten…
All das war umsonst…
Es geschah, um die Republik zu retten.
Die bereits besiegt war.
Besiegt und verloren.
Und ihr Leichnam war von einem Jedi-Orden verteidigt worden, der nun unter dem Befehl eines Dunklen Lords der Sith stand.
Mace Windus ganze Existenz ist zu einem Kristall mit so vielen Bruchstellen geworden, dass der Hammerschlag dieser acht Worte ihn zu Sand zermalmt.
Aber weil er Mace Windu ist, nimmt er den Schlag hin, ohne dass sich sein Gesichtsausdruck verändert.
Weil er Mace Windu ist, wird innerhalb einer Sekunde aus dem Mann des Sandes wieder ein Mann aus Stein: ein reiner Jedi-Meister, der kühl das Risiko abwägt, ohne den Auserwählten gegen den letzten Dunklen Lord der Sith anzutreten…
Das Risiko, dem letzten Dunklen Lord der Sith mit einem von Furcht zerfressenen Auserwählten gegenüberzutreten.
Und weil er Mace Windu ist, hat er die Entscheidung bereits getroffen.
»Warte im Ratszimmer, bis wir zurückkehren, Anakin.«
»W-was? Meister…«
»Das ist ein Befehl, Anakin.«
»Aber… aber der Kanzler…«, bringt Anakin verzweifelt hervor und greift nach der Hand des Jedi-Meisters. »Was habt Ihr vor?«
Und es zeichnet ein deutliches Bild von Mace Windu, dass er selbst jetzt die Wahrheit sagt, als er antwortet: »Nur das, was nötig ist.«
Im virtuellen Nichtraum des HoloNetzes treffen sich zwei Jedi-Meister.
Einer ist sehr alt und klein, die Haut wie grünes Leder, die Augen voller Weisheit; er steht im ausgehöhlten Innern eines riesigen Wroshyrbaums. Der andere ist groß und grimmig und sitzt vor einer Holoscheibe im Jedi-Tempel von Coruscant.
Sie sehen sich gegenseitig als blaue, geisterhafte Gestalten, geschaffen von Scan-Lasern. Lichtjahre trennen sie voneinander, doch in Gedanken sind sie eins.
Jetzt kennen sie die Wahrheit.
Seit mehr als zehn Jahren befindet sich die Republik in den Händen der Sith.
Und jetzt, gemeinsam, von blauem Geist zu blauem Geist, beschließen sie, die Republik aus deren Händen zu befreien.