18. KAPITEL
Befehl Sechsundsechzig
Pau City war ein Schlachtfeld. Klon-Commander Cody stand an seinem Beobachtungsposten neben der Rampe des Kommando-Landeschiffs in der zehnten Etage und sah durch einen Elektrofeldstecher. Das Droiden-Kontrollzentrum lag nur wenige Meter entfernt in Trümmern, aber die Separatisten hatten ihre Lektion auf Naboo gelernt. Ihre neuen Kampfdroiden waren mit modernen Selbstmotivatoren ausgestattet, die automatisch aktiv wurden, wenn sie keine Einsatzsignale mehr empfingen, und die Motivatoren enthielten ein Programm mit Dauerbefehlen.
Dauerbefehl Nummer 1 lautete offenbar: Tötet alles, was sich bewegt.
Und in dieser Hinsicht leisteten die Droiden gute Arbeit.
Die Hälfte der Stadt lag in Schutt und Asche, und der Rest war ein Feuersturm aus Droiden, Klonsoldaten und utapaunischer Drachenkavallerie. Als sich Commander Cody ein oder zwei Jedi in der Nähe wünschte, fielen mehrere Tonnen Drachenross vom Himmel und prallten mit solcher Wucht aufs Dach des Kommando-Landeschiffs, dass es sich nach innen wölbte.
Schaden wurde dadurch nicht angerichtet. Landeschiffe der Jadthu-Klasse sind im Grunde genommen fliegende Bunker, und dieses spezielle Exemplar war dreifach gepanzert und verfügte über Erschütterungsabsorber und Trägheitskompensatoren, die selbst für eine Flottenkorvette leistungsfähig genug gewesen wären – sie schützten die komplexen Kontrollgeräte im Innern.
Cody sah zum Drachenross und seinem Reiter auf. »General Kenobi«, sagte er. »Schön, dass Ihr kommen konntet.«
»Commander Cody…« Der Jedi-Meister nickte und sah sich um. »Habt Ihr Coruscant vom Tod des Generals unterrichtet?«
Der Klon-Commander nahm Haltung an und salutierte. »Wie befohlen, Sir. Äh, Sir?«
Kenobi sah ihn an.
»Ist alles in Ordnung mit Euch, Sir?«
Mit dem Ärmel seines Umhangs wischte der Jedi-Meister etwas von dem Schmutz in seinem Gesicht fort – und stellte dabei fest, dass der Ärmel halb verbrannt war. Ruß blieb auf der Wange zurück. »Ah. Nun, es war ein… anstrengender Tag.« Er deutete auf Pau City. »Es findet noch immer ein Kampf statt, den wir gewinnen müssen.«
»Dann wollt Ihr vermutlich dies«, sagte Cody und reichte das Lichtschwert nach oben, das seine Männer in einem Verkehrstunnel gefunden hatten. »Ich glaube, Ihr habt es verloren, Sir.«
»Ah. Ah, ja.«
Die Waffe schwebte empor und erreichte Kenobis Hand, und als der Jedi-Meister erneut lächelte, hätte Cody schwören können, dass er unter dem Schmutz im Gesicht ein wenig errötete. »Es ist, äh, nicht nötig, Anakin davon zu erzählen, Cody.«
Der Klon-Commander grinste. »Ist das ein Befehl, Sir?«
Kenobi schüttelte den Kopf und lachte müde. »Gehen wir. Euch ist sicher aufgefallen, dass ich einige Droiden übrig gelassen habe…«
»Ja, Sir.« Cody spürte eine Vibration in einem verborgenen Fach im Innern seiner Rüstung. Er runzelte die Stirn. »Nur zu, General. Wir sind direkt hinter Euch.«
Das verborgene Fach enthielt ein sicheres Komlink, eingestellt auf eine Frequenz, die dem Oberbefehlshaber vorbehalten war.
Kenobi nickte und richtete einige Worte an das Drachenross, woraufhin es sich zum Sprung duckte und über den Klon-Commander hinwegsetzte.
Cody holte das Komlink hervor und schaltete es ein.
Ein Holobild erschien in seiner gepanzerten Hand: ein Mann, der einen Kapuzenmantel trug.
»Es ist so weit«, sagte das Holobild. »Führt Befehl Sechsundsechzig aus.«
Seit seinem Erwachen in der Krippenschule kannte Cody nichts anderes als Gehorsam. »Es wird geschehen, Mylord.«
Das Holobild verschwand. Cody schob das Komlink ins verborgene Fach zurück und sah Kenobi nach, der sich mit seinem Drachenross selbstlos in den Kampf stürzte.
Cody war ein Klonkrieger. Er würde jeden Befehl ausführen, ohne zu zögern und ohne Bedauern. Aber er war auch menschlich genug, um niedergeschlagen zu murmeln: »Wäre es zu viel verlangt gewesen, diesen Befehl zu bekommen, bevor ich ihm das verdammte Lichtschwert zurückgeben konnte?«
Der Befehl wird einmal erteilt. Seine Wellenfront breitet sich bis zu den Klonkommandeuren auf Kashyyyk und Felucia aus, auf Mygeeto und Tellanroag und allen anderen umkämpften Welten. Er erreicht alle militärischen Stützpunkte, alle Krankenhäuser, Rehabilitationszentren und Raumhafenkantinen der Galaxis.
Coruscant bildet die einzige Ausnahme.
Auf Coruscant wird Befehl Sechsundsechzig bereits ausgeführt.
Morgengrauen kroch über Galactic City. Das erste Licht des neuen Tages gab den oberen Bereichen einer großen Rauchsäule ein rosarotes Glühen.
Bail Organa neigte nicht zum Fluchen, aber als er vom Pilotensitz seines Speeders aus sah, woher der Rauch stammte, stieß er einen Fluch aus, der selbst einen corellianischen Dockarbeiter hätte erröten lassen.
Er gab einen Kode ein, der den programmierten Kurs – zum Senatsgebäude – löschte, griff dann nach dem Steuerknüppel und begann mit einem Sturzflug, der sein Gefährt durch mehrere sich kreuzende Verkehrsströme brachte.
Er aktivierte den Kommunikator des Speeders. »Antilles!«
Der Captain seiner persönlichen Crew meldete sich sofort. »Ja, Mylord?«
»Alarmiert die Notfallzentrale des Senats«, sagte Bail Organa. »Der Jedi-Tempel brennt!«
»Ja, Sir. Das wissen wir. Die NZS hat darauf hingewiesen, dass eine Art Kriegsrecht gilt und der Tempel zur verbotenen Zone erklärt wurde. Angeblich fand eine Jedi-Rebellion statt.«
»Wovon redet Ihr da? Das ist unmöglich. Warum befinden sich keine Feuerwehrschiffe im Einsatz?«
»Details sind mir nicht bekannt, Mylord. Wir wissen nur, was uns die NZS mitgeteilt hat.«
»Ich bin direkt über dem Tempel und lande, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Das würde ich nicht empfehlen, Mylord…«
»Ich bin vorsichtig.« Bail bewegte den Steuerknüppel und lenkte den Speeder zum breiten Landedeck auf dem Dach der Tempelzikkurat. »Und da wir gerade bei Vorsicht sind, Captain: Holt die Crew an Bord der Star und lasst das Triebwerk warm laufen. Ich habe bei dieser Sache ein ungutes Gefühl.«
»Sir?«
»Trefft alle notwendigen Vorbereitungen.«
Bail landete nur einige Meter von der Tür entfernt und stieg aus. Vier Klonsoldaten standen im offenen Zugang. Rauch wogte durch den Korridor hinter ihnen.
Einer der Soldaten hob die Hand, als sich Bail näherte. »Keine Sorge, Sir, hier ist alles unter Kontrolle.«
»Unter Kontrolle? Wo sind die NZS-Teams? Was macht die Armee hier?«
»Tut mir Leid, Sir, darüber kann ich keine Auskunft geben, Sir.«
»Hat ein Angriff auf den Tempel stattgefunden?«
»Tut mir Leid, Sir, darüber kann ich keine Auskunft geben, Sir.«
»Hören Sie, Sergeant, ich bin Senator der Galaktischen Republik«, sagte Bail und improvisierte. »Der Jedi-Rat erwartet mich…«
»Der Jedi-Rat tagt nicht, Sir.«
»Davon möchte ich mich gern selbst überzeugen, wenn Sie gestatten.«
Die vier Klonsoldaten versperrten Bail den Weg. »Ich bedauere, Sir. Der Zutritt ist verboten.«
»Ich bin Senator…«
»Ja, Sir.« Der Klon-Sergeant hob seine DC-15 an die Schulter, und Bail blickte in die geschwärzte Mündung, nahe genug für einen Kuss. »Und jetzt sollten Sie besser gehen, Sir.«
»Wenn Sie es so ausdrücken…« Bail wich zurück und hob beide Hände. »Schon gut, schon gut, ich gehe.«
Blasterstrahlen zuckten durch den Rauch nach draußen. Bail starrte mit offenem Mund, als ein Jedi wie aus dem Nichts erschien und auf die Klonsoldaten einhieb.
Nein, kein Jedi.
Ein Junge.
Nicht älter als zehn, und er schwang ein Lichtschwert, das fast ebenso lang war wie er groß. Weitere Blasterstrahlen fauchten aus dem Innern des Tempels, eine Gruppe Klonsoldaten rückte zum Landedeck vor, und der Junge wurde mehrmals getroffen. Weitere Blitze trafen ihn, als er längst tot war und zwischen den Leichen der Soldaten lag, die er mit seinem Lichtschwert niedergestreckt hatte. Bail wich schneller zurück und beobachtete, wie ein Klon in der Uniform eines Commanders aus dem Rauch kaum und auf ihn zeigte.
»Keine Zeugen«, sagte der Commander. »Tötet ihn.«
Bail lief.
Er warf sich durch einen Hagel aus Blasterstrahlen, fiel aufs Deck und rollte unter seinem Speeder auf die andere Seite. Er griff nach der Pilotentür, schwang das Bein auf eine Heckflosse und benutzte den Rumpf der Maschine als Deckung, als er Tasten drückte und den Autopiloten reinitialisierte. Klonsoldaten näherten sich und schossen.
Der Speeder kippte und sauste davon.
Bail zog sich ins Cockpit, als der Speeder nach oben flog, dem dichten Verkehr der Flugkorridore entgegen. Sein Gesicht war kalkweiß, und die Hände zitterten so sehr, dass er Mühe hatte, den Kommunikator zu aktivieren.
»Antilles! Organa an Antilles. Bitte meldet Euch, Captain!«
»Hier Antilles, Mylord.«
»Es ist schlimmer, als ich dachte. Viel schlimmer, als Ihr gehört habt. Schickt jemanden zu Kanzler Pal… Nein, das nehme ich zurück. Macht Euch selbst auf den Weg. Brecht mit fünf Männern zum Raumhafen auf. Ich weiß, dass sich dort mindestens ein Jedi-Schiff befindet – Saesee Tiin traf gestern Abend mit der Sharp Spiral ein. Stehlt seinen Peilsender.«
»Was? Seinen Peilsender? Warum?«
»Keine Zeit für Erklärungen. Beschafft Euch den Peilsender und erwartet mich an Bord der Star. Wir verlassen den Planeten.«
Bail blickte zur großen Rauchsäule über dem Jedi-Tempel.
»Solange wir noch Gelegenheit dazu haben.«
Befehl Sechsundsechzig ist der Höhepunkt der Klonkriege.
Nicht das Ende – die Klonkriege enden erst in einigen Stunden, wenn ein von Nute Gunray im geheimen Separatistenbunker auf Mustafar gesendetes verschlüsseltes Signal alle Kampfdroiden in der Galaxis deaktiviert –, aber der Höhepunkt.
Es ist kein aufregender Höhepunkt. Es ist nicht der Gipfel eines epischen Kampfes, sondern eher das Gegenteil. Die Klonkriege sind nie ein epischer Kampf gewesen. Das sollten sie nie sein.
Was jetzt geschieht, ist der Grund, warum die Klonkriege überhaupt stattfanden. Es ist der Grund dafür, warum es zu ihnen kam. Von Anfang an sind die Klonkriege immer die Rache der Sith gewesen.
Sie stellten einen unwiderstehlichen Köder dar. Sie fanden an fernen Orten statt, auf Planeten, die in den meisten Fällen »jemand anders« gehörten. In ihnen kämpften entbehrliche Stellvertreter und Bevollmächtigte. Und sie wurden so arrangiert, dass sie in jedem Fall mit einem Sieg enden.
Die Klonkriege waren die perfekte Jedi-Falle.
Die Jedi verloren, weil sie kämpften.
Die Jedi sind über die ganze Galaxis verstreut, was bedeutet: Jeder Jedi ist praktisch allein, umgeben nur von Klonsoldaten. Der Krieg selbst lässt Dunkelheit in die Macht strömen und vergrößert die Wolke, die die Jedi-Wahrnehmung beeinträchtigt. Und die Klonsoldaten kennen keine Bosheit, keinen Hass, nicht die geringste böse Absicht, die warnen könnte. Sie befolgen nur ihre Befehle.
In diesem Fall befolgen sie den Befehl Sechsundsechzig.
Blaster erscheinen in Klonhänden. ARC-170-Klone beginnen damit, Jedi-Sternjäger zu verfolgen. AT-ST-Läufer richten die Zielerfassung neu aus. Die Geschütztürme von Hoverpanzern drehen sich.
Klonsoldaten eröffnen das Feuer, und Jedi sterben.
Überall in der Galaxis. Von einem Augenblick zum anderen.
Jedi sterben.
Kenobi sah es nicht kommen.
Cody hatte die für schwere Waffen zuständigen Kanoniere von fünf verschiedenen Kompanien koordiniert, die über drei Etagen der Schlundlochstadt verstreut waren. Seit Beginn der Belagerungen im Äußeren Rand hatte er unter Kenobis Kommando an mehr als zehn Operationen teilgenommen und dabei eine ebenso klare wie unsentimentale Vorstellung davon gewonnen, wie schwer der anspruchslose Jedi zu töten war. Er wollte kein Risiko eingehen.
Er hob das Komlink. »Ausführen.«
T-21-Läufe schwangen herum, Raketenwerfer wurden ausgerichtet, mehrere Katapulte für Protonengranaten bekamen den genau berechneten Neigungswinkel.
»Feuer.«
Kenobi, das Drachenross und die fünf Zerstörerdroiden, gegen die der Jedi-Meister gekämpft hatte, verschwanden in einem Feuerball, der für ein oder zwei Sekunden Utapaus Sonne überstrahlte.
Polfilter in Codys Helm absorbierten siebenundachtzig Prozent des Gleißens, wodurch er ungeblendet blieb und beobachtete, wie Drachenrossfetzen und Droidentrümmer zur Ozeanöffnung tief unten im Schlundloch hinabregneten.
Cody schnitt eine finstere Miene und aktivierte sein Komlink. »Das Reptil scheint am meisten abbekommen zu haben. Die Sucher einsetzen. Alle.«
Er blickte ins brodelnde Meer hinab.
»Ich möchte die Leiche sehen.«
C-3PO staubte das Tarka-Null-Original auf seinem Sockel an der Fensterwand ab und unterbrach seine Tätigkeit kurz, um mit dem elektrostatischen Tuch seine Photorezeptoren zu reinigen. Der Astromech in der Interfacemulde des grünen Jedi-Sternjägers auf der Veranda weiter unten – war das vielleicht R2-D2?
Nun, dies sollte interessant werden.
Senatorin Amidala hatte den größten Teil dieser frühen Morgenstunden damit verbracht, über die Stadt zu blicken, in Richtung der Rauchsäule, die vom Jedi-Tempel aufstieg. Vielleicht erfuhr sie jetzt etwas.
Und vielleicht gab es auch für C-3PO einige Antworten. R2-D2 zählte zwar nicht zu den gewandten Unterhaltern, mit denen C-3PO gern Umgang pflegte, aber der kleine Astromech neigte dazu, immer wieder in haarsträubende Situationen zu geraten…
Das Cockpit öffnete sich, und der darin sitzende Jedi erwies sich natürlich als Anakin Skywalker. Als C-3PO beobachtete, wie Meister Anakin aus dem Cockpit des Sternjägers kletterte, empfingen seine Photorezeptoren Daten, die völlig überraschend die Gefahraversions-Subroutinen aktivierten. »Oh«, sagte er leise und hielt die eine Hand auf seinen Energiekern. »Oh, das gefällt mir gar nicht…«
Er ließ das elektrostatische Tuch fallen und schlurfte, so schnell er konnte, zur Tür des Schlafzimmers. »Mylady!«, rief er Senatorin Amidala zu, die am breiten Fenster stand. »Auf der Veranda. Ein Jedi-Sternjäger«, brachte er hervor. »Gelandet, Mylady.«
Amidala blinzelte und eilte zur Schlafzimmertür.
C-3PO folgte ihr nach draußen und wich den beiden Menschen aus, die mit einer ihrer unerklärlichen Umarmungen begannen, an denen sie solche Freude zu haben schienen.
»Ist alles in Ordnung mit dir, R2?«, fragte er, als er den Sternjäger erreichte. »Was ist los?«
Der Astromech zirpte und piepte. C-3POs Autotranslator verarbeitete die Tonfolgen: NIEMAND SAGT MIR ETWAS.
»Natürlich nicht. Weil du kein richtiges Gespräch führen kannst.«
Ein summendes Pfeifen: ETWAS STIMMT NICHT. DIE FAKTOREN SIND NICHT IM GLEICHGEWICHT.
»Du kannst unmöglich noch verwirrter sein als ich.«
DAS STIMMT. NIEMAND KANN VERWIRRTER SEIN ALS DU.
»Oh, sehr komisch. Still jetzt… was war das?«
Die Senatorin saß inzwischen und stützte sich geistesabwesend auf einen der geschmackvollen, eleganten Bistrotische auf der Veranda, während Meister Anakin vor ihr stand. »Ich glaube, er spricht von einer Rebellion. Angeblich haben die Jedi versucht, die Republik zu stürzen! Und… meine Güte. Mace Windu hat versucht, Kanzler Palpatine zu ermorden! Kann er das ernst meinen?«
ICH WEISS ES NICHT. ANAKIN SPRICHT NICHT MEHR MIT MIR.
C-3PO schüttelte hilflos seinen Metallschädel. »Wie kann Meister Windu ein Mörder sein? Er hat so tadellose Manieren.«
WIE ICH SCHON SAGTE: DIE FAKTOREN ERGEBEN KEINEN SINN MEHR.
»Ich habe die schrecklichsten Gerüchte gehört… Es heißt, die Regierung wolle uns verbieten, uns Droiden. Kannst du dir das vorstellen?«
GLAUB NICHT ALLES, WAS DU HÖRST.
»Pscht. Nicht so laut!«
ICH SAGE NUR, DASS WIR DIE WAHRHEIT NICHT KENNEN.
»Natürlich kennen wir sie nicht.« C-3PO seufzte. »Und wahrscheinlich erfahren wir sie nie.«
»Was ist mit Obi-Wan?«
Padmé wirkte bestürzt. Sie war blass und erschrocken.
Sie bot einen so Mitleid erregenden Anblick, dass Anakin sie noch mehr liebte.
Er schüttelte den Kopf. »Viele Jedi sind getötet worden.«
»Aber…« Padmé blickte zu den Verkehrsströmen über der Stadt. »Bist du sicher? Es erscheint mir so… unglaublich…«
»Ich war dabei, Padmé. Es stimmt alles.«
»Aber… wie könnte Obi-Wan in so etwas verwickelt sein?«
»Vielleicht erfahren wir das nie«, sagte Anakin.
»Geächtet…«, murmelte Padmé. »Was geschieht jetzt?«
»Alle Jedi sind aufgefordert, sich unverzüglich zu ergeben«, sagte Anakin. »Wer Widerstand leistet… Man wird sich um sie kümmern.«
»Anakin… Die Jedi sind deine Familie…«
»Sie sind Verräter. Du bist meine Familie. Du und das Baby.«
»Wie können sie alle Verräter sein…?«
»Es geht nicht nur um die Jedi. An dieser Sache sind auch Senatoren beteiligt.«
Padmé hob den Blick zu Anakin, und Furcht erschien in ihren Augen.
Er lächelte.
»Sei unbesorgt. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.«
»Mir?«
»Du musst dich von deinen… Freunden im Senat distanzieren, Padmé. Es ist sehr wichtig, dass du nicht einmal den Anschein von Untreue erweckst.«
»Anakin… das klingt fast so, als drohtest du mir…«
»Dies ist eine gefährliche Zeit«, sagte er. »Man beurteilt uns alle nach dem Umgang, den wir pflegen.«
»Aber… ich habe mich gegen den Krieg ausgesprochen, auch gegen Palpatines Sondervollmachten. Ich habe ihn in aller Öffentlichkeit als Gefahr für die Demokratie bezeichnet!«
»Das liegt alles hinter uns.«
»Was ist es? Was habe ich getan? Was geschieht mit der Demokratie?«
»Padmé…«
Ihr Kinn kam nach oben, und ihr Blick wurde kühler. »Stehe ich unter Verdacht?«
»Palpatine und ich haben bereits über dich gesprochen. Du bist aus der Sache heraus, solange du… unangemessene Gesellschaft meidest.«
»Wieso bin ich ›aus der Sache heraus‹?«
»Weil du bei mir bist. Weil ich es sage.«
Padmé sah Anakin so an, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen. »Du hast ihm davon erzählt.«
»Er wusste Bescheid.«
»Anakin…«
»Wir brauchen nichts mehr zu verheimlichen, Padmé. Verstehst du? Ich bin kein Jedi mehr. Es gibt keine Jedi mehr. Es gibt nur noch mich.«
Er griff nach ihrer Hand, und sie zog sie nicht fort. »Und dich und unser Kind.«
»Wir können also gehen?« Ihr Blick verwandelte sich in eine Bitte. »Wir können diesen Planeten verlassen und uns eine Welt suchen, auf der wir zusammen und sicher sind.«
»Wir sind hier sicher«, sagte Anakin. »Du bist sicher. Dafür habe ich gesorgt.«
»Sicher«, wiederholte Padmé bitter und zog die Hand zurück. »Solange es sich Palpatine nicht anders überlegt.«
Sie erstarrte und regte sich nicht mehr, mit Ausnahme der Hand, die sie gerade zurückgezogen hatte.
Sie zitterte.
»Die Führung der Separatisten versteckt sich auf Mustafar. Ich fliege dorthin und kümmere mich um sie.«
»Du kümmerst dich um sie?«, wiederholte Padmé. »So wie man sich auch um die Jedi kümmert?«
»Es ist eine wichtige Mission. Ich werde den Krieg beenden.«
Padmé wandte den Blick ab. »Machst du dich allein auf den Weg?«
»Hab Vertrauen, Liebling«, sagte Anakin.
Sie schüttelte hilflos den Kopf, und zwei Tränen lösten sich aus ihren Augen. Er berührte sie mit seiner mechanischen Hand; die Fingerspitzen des schwarzen Handschuhs glitzerten in der Morgendämmerung.
Zwei flüssige Gemmen, unendlich kostbar – weil sie ihm gehörten. Er hatte sie sich verdient. So wie er sich auch Padmé verdient hatte, und das ungeborene Kind in ihr.
Mit unschuldigem Blut hatte er dafür bezahlt.
»Ich liebe dich«, sagte er. »Dies wird nicht lange dauern. Warte auf mich.«
Neue Tränen rollten über Padmés elfenbeinfarbene Wangen, und sie warf sich ihm in die Arme. »Für immer, Anakin. Für immer. Kehr zu mir zurück, mein Schatz… mein Leben. Kehr zu mir zurück.«
Er lächelte auf sie hinab. »Du sagst das so, als wäre ich schon fort.«
Eisiges Salzwasser brachte Obi-Wan wieder zu Bewusstsein. Er schwebte in absoluter Dunkelheit – es ließ sich nicht feststellen, wie tief unter Wasser er sich befand oder wo es nach oben ging. Seine Lungen waren halb mit Wasser gefüllt, aber er geriet nicht in Panik, machte sich nicht einmal besondere Sorgen. Vor allem dachte er mit Zufriedenheit daran, dass er – selbst halb bewusstlos – während des Sturzes sein Lichtschwert festgehalten hatte.
Er verließ sich auf seinen Tastsinn, als er den Griff an den Gürtel hakte, und dann zog er das Zwerchfell zusammen, presste möglichst viel Wasser aus den Lungen. Anschließend nahm er die Atemmaske vom Gürtel, außerdem einen kleinen Pressluftbehälter, für Notfälle bestimmt. Obi-Wan zweifelte kaum daran, dass die gegenwärtige Situation der Kategorie »Notfall« zuzuordnen war.
Er erinnerte sich…
Bogas weiter Sprung, ihre Drehung in der Luft, und dann die Treffer, mehrere Explosionen, deren Druckwellen sie immer weiter von den Schlundlochwänden fortrissen…
Das Drachenross hatte Obi-Wan mit seinem massigen Leib abgeschirmt.
Boga hatte es irgendwie gewusst… Sie hatte irgendwie gewusst, dass Obi-Wan nichts ahnte, und sie war bereit gewesen, ihr Leben zu geben, um den Reiter zu retten.
Dadurch bin ich mehr als nur der Reiter, dachte Obi-Wan, als er die Atemmaske zurechtrückte. Dadurch werde ich zu Bogas Freund.
Sie hat sich für mich geopfert.
Er gab sich kurzem Kummer hin. Einem Kummer, der nicht dem Tod eines edlen Tiers galt, sondern dem Umstand, dass Obi-Wan nur so wenig Zeit geblieben war, die Freundschaft des Drachenrosses zu schätzen.
Doch selbst Kummer schafft Bindungen, und Obi-Wan entließ ihn.
Leb wohl, mein Freund.
Er versuchte nicht zu schwimmen. Völlig unbewegt schien er zu schweben, mitten in unendlicher Nacht. Er entspannte sich, atmete ruhig und ließ sich vom Wasser tragen.
Es blieb C-3PO kaum Zeit genug, sich von seinem kleinen Freund zu verabschieden und ihm zu raten, wachsam zu bleiben, als Meister Anakin an ihm vorbeirauschte, ins Cockpit des Sternjägers kletterte und fortflog, R2-D2 wer weiß wohin brachte – vermutlich zu einem absurd grässlichen Planeten, auf dem grotesk viele Gefahren drohten –, ohne einen Gedanken daran zu vergeuden, wie sich ein treuer Droide fühlte, der ohne ein freundliches Wort durch die ganze Galaxis gezerrt wurde…
Was war mit den Manieren des jungen Mannes geschehen?
Er drehte sich zu Senatorin Amidala um und stellte fest, dass sie weinte.
»Kann ich Euch irgendwie helfen, Mylady?«
Sie wandte sich ihm nicht einmal zu. »Nein, danke, C-3PO.«
»Möchtet Ihr vielleicht etwas zu essen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Oder ein Glas Wasser?«
»Nein.«
Er stand einfach nur da. »Ich fühle mich so hilflos…«
Sie nickte und sah dem Sternjäger ihres Mannes nach, der zu einem Punkt in der Ferne wurde.
»Ich weiß, C-3PO«, sagte sie. »So geht es uns allen.«
Im subplanetaren Schiffslift unter dem Senatsgebäude verzog Bail Organa das Gesicht, als er an Bord der Star of Alderaan ging. Captain Antilles empfing ihn oben an der Rampe, und Bail nickte in Richtung der scharlachrot gekleideten Gestalten an den Zugängen. »Seit wann bewachen Rotkutten Schiffe des Senats?«
Antilles schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Sir. Ich habe den Eindruck, dass Palpatine nicht möchte, dass bestimmte Senatoren den Planeten verlassen.«
Bail nickte. »Der Macht sei Dank, dass ich nicht einer von ihnen bin. Noch nicht. Habt Ihr den Peilsender?«
»Ja, Sir. Niemand hat auch nur versucht, uns aufzuhalten. Die Klonsoldaten bei Chance Palps scheinen verwirrt zu sein, als wüssten sie nicht genau, wer den Befehl führt.«
»Das wird sich bald ändern. Zu bald. Wir alle wissen, wer den Befehl führt«, sagte Bail grimmig. »Trefft Vorbereitungen dafür, das Schiff nach oben zu bringen.«
»Zurück nach Alderaan, Sir?«
Bail schüttelte den Kopf. »Kashyyyk. Ich weiß nicht, ob irgendwelche Jedi überlebt haben. Aber wenn ich wetten müsste, würde ich mein Geld auf Yoda setzen.«
Irgendwann nach unbestimmter Zeit fühlte Obi-Wan, wie Kopf und Schultern an die Oberfläche des lichtlosen Ozeans kamen. Er löste das Lichtschwert vom Gürtel und hielt es über den Kopf. In seinem blauen Glühen sah er, dass er sich in einer großen Höhle befand. Er hielt das Lichtschwert hoch erhoben, steckte die Atemmaske an den Gürtel und schwamm seitlich durch die Strömung, zu einem zerfurchten, Halt bietenden Felsvorsprung. Dort zog er sich aus dem Wasser.
In den Höhlenwänden über der Wasserlinie zeigten sich zahlreiche Öffnungen. Obi-Wan untersuchte mehrere von ihnen und fand dann eine, an der er einen Luftzug spürte. Er nahm einen unangenehmen Geruch wahr, der ihn ans Drachenrossgehege erinnerte, doch als er das Lichtschwert kurz deaktivierte, hörte er leises Grollen in der Ferne, vielleicht verursacht von Rädern und Repulsorliften auf Sandstein. Und was war das? Ein Signalhorn? Oder ein verärgertes Drachenross… Wie auch immer, dies schien der richtige Weg zu sein.
Obi-Wan war einige hundert Meter weit gegangen, als weiter vorn das helle Licht von Suchscheinwerfern durch die Düsternis schnitt. Rasch ließ er die Klinge seines Lichtschwerts verschwinden und drückte sich in einen schmalen Spalt, als zwei Suchdroiden vorbeiflogen.
Cody hatte offenbar noch nicht aufgegeben.
Das Licht der Scheinwerfer traf – und weckte – einen riesigen amphibischen Vetter der Drachenrösser. Das gewaltige Geschöpf blinzelte schläfrig und hob einen feucht glänzenden Kopf so groß wie ein Sternjäger.
Oh, dachte Obi-Wan. Das erklärt den Geruch.
Mithilfe der Macht suggerierte er, dass die kleinen fliegenden Kugeln aus Schaltkreisen und Durastahl im Gegensatz zu ihrem Geruch und ihrer Erscheinung unerhört köstliches Konfekt waren, geschickt von den freundlichen Göttern Großer Schleimiger Höhlenmonster.
Das betreffende Große Schleimige Höhlenmonster öffnete prompt einen Rachen, der groß genug war, um einen Bantha zu verschlingen, schnappte nach einem der Suchdroiden und zerbiss ihn mit offensichtlichem Genuss. Der zweite Suchdroide gab ein sehr alarmiert klingendes Pieppieppiep von sich und sauste fort, verfolgt von dem riesigen Wesen.
Obi-Wan reaktivierte sein Lichtschwert, schritt vorsichtig durch die Höhle und fand ein Nest mit jungen Großen Schleimigen Höhlenmonstern. Er wich ihm aus, während sie kreischten und nach ihm schnappten, dachte dabei daran, dass Leute, die alle Babys für niedlich hielten, öfter nach draußen gehen sollten.
Die Dunkelheit in der Höhle wich bald dem blassen Glühen von utapaunischen Verkehrslichtern, und Obi-Wan fand sich im kleinen Seitentunnel einer breiten Verbindungsstraße wieder. Aber offenbar herrschte hier nur wenig Verkehr: Es lag so viel sandiger Staub auf dem Boden, dass er einem Strand gleichkam. Ganz deutlich zeigten sich die Spuren des letzten Fahrzeugs.
Zwei breite parallele Linien mit seitlichen Erweiterungen: ein Klingenrad.
Und daneben sah Obi-Wan die Klauenabdrücke eines Drachenrosses.
Er blinzelte erstaunt. Noch immer verstand er nicht ganz, auf welche Weise sich die Macht für ihn auswirkte, aber es widerstrebte ihm auch nicht, ihre Geschenke entgegenzunehmen. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn folgte er den Spuren durch eine Kurve, hinter der der Tunnel zu einer kleinen Landeplattform führte.
Grievous’ Sternjäger war noch da. Und auch Grievous selbst.
Offenbar schmeckte er nicht einmal den lokalen Felsgeiern.
Die Star of Alderaan glitt so unauffällig wie möglich durch das Kashyyyk-System – immerhin war dies noch immer Kampfgebiet. Captain Antilles wollte nicht einmal einen Standardscan riskieren, da Sondierungssignale leicht von Separatisten entdeckt und zu ihrem Ausgangspunkt zurückverfolgt werden konnten.
Und Antilles machte sich nicht nur wegen der Separatisten Sorgen.
»Da ist das Signal erneut, Sir. Oh… Wartet, ich habe es gleich wieder.« Antilles betätigte die Kontrollen des Peilsenders. »Verdammtes Ding«, brummte er. »Kann man es ohne die Macht nicht kalibrieren?«
Bail blickte durch die vordere Panoramawand. Kashyyyk war eine kleine grüne Scheibe, zweihunderttausend Kilometer entfernt. »Habt Ihr einen Vektor?«
»Ungefähr, Sir. Es scheint eine Orbitaltangente zu sein, ins interstellare All gerichtet.«
»Ich glaube, wir können einen Scan riskieren. Richtstrahl.«
»Ja, Sir.«
Antilles gab die notwendigen Anweisungen, und wenige Sekunden später meldete der Scantechniker, dass es sich bei dem georteten Objekt um eine Rettungskapsel zu handeln schien. »Es ist kein Modell der Republik, Sir… Hier kommen die Informationen aus der Datenbank…«
Der Scantechniker sah auf die Anzeigen, und Falten bildeten sich in seiner Stirn. »Ein Modell der Wookiee, Sir. Das ergibt doch keinen Sinn. Warum sollte sich eine Rettungskapsel der Wookiee von Kashyyyk entfernen?«
»Interessant.« Bail wagte nicht zu hoffen. »Lebenszeichen?«
»Ja… nun, vielleicht… es fehlen genaue Daten.« Der Scantechniker zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher, Sir. Was auch immer sich an Bord der Kapsel befindet: Es ist kein Wookiee, so viel steht fest.«
Zum ersten Mal an diesem Tag gestattete sich Bail Organa ein Lächeln. »Captain Antilles?«
Der Captain salutierte zackig. »Wir sind unterwegs, Sir.«
Grievous’ Sternjäger, mit Obi-Wan an den Kontrollen, jagte mit so hoher Geschwindigkeit aus der Atmosphäre, dass er den Gravitationsschacht des Planeten verließ und in den Hyperraum sprang, bevor die Vigilance auch nur ihre Abfangjäger starten konnte. Ein ganzes Stück außerhalb des Systems kehrte der Jedi-Meister in den Realraum zurück, änderte den Kurs und sprang erneut. Weitere Sprünge in unterschiedliche Richtungen und von unterschiedlicher Dauer brachten ihn tief in den interstellaren Raum.
»Integriertes Hyperraumpotenzial ist recht nützlich für einen Sternjäger«, sagte er zu sich selbst. »Warum haben wir es noch nicht?«
Während die Navigationssysteme des Sternjägers summten und die Position berechneten, gab Obi-Wan einen Kode ein, um sein Jedi-Komlink mit dem Kommunikationssystem des Jägers zu verbinden.
Das Komlink erzeugte kein Holobild, sondern ein akustisches Signal: Pieptöne, die immer schneller aufeinander folgten.
Obi-Wan kannte das Signal. Jeder Jedi kannte es. Es war ein Rückruf.
Alle HoloNetz-Stationen sendeten es auf allen Kanälen. Angeblich bedeutete es, dass der Krieg vorbei war und der Rat alle Jedi anwies, sofort zum Tempel zurückzukehren.
Obi-Wan befürchtete, dass es in Wirklichkeit dies bedeutete: Die Geschehnisse auf Utapau waren kein Einzelfall.
Er schaltete das Komlink auf Audio und holte tief Luft.
»Notfallkode Neun Dreizehn«, sagte er und wartete.
Das Kom-System des Sternjägers ging alle Empfangsfrequenzen durch.
Obi-Wan wartete noch etwas länger.
»Notfallkode Neun Dreizehn. Hier spricht Obi-Wan Kenobi. Ich wiederhole: Notfallkode Neun Dreizehn. Erbitte Antwort von Jedi, die mich hören.«
Er wartete erneut, mit klopfendem Herzen.
»An alle Jedi, die mich hören: Bitte antwortet. Hier spricht Obi-Wan Kenobi. Ich erkläre einen Neun-Dreizehn-Notfall.«
Er versuchte, die kleine leise Stimme in seinem Kopf zu ignorieren, die flüsterte, dass es nur noch ihn gab.
Vielleicht hatte außer ihm niemand überlebt.
Er begann damit, die Koordinaten für einen einzelnen Sprung einzugeben, der ihn nahe genug an Coruscant heranbringen sollte, um Signale von dort zu empfangen. Plötzlich kam ein Summen aus dem Lautsprecher des Komlinks, und ein rascher Blick bestätigte: ein Jedi-Kanal.
»Erbitte Wiederholung«, sagte Obi-Wan. »Ich peile das Signal an. Erbitte Wiederholung.«
Aus dem Summen und Knacken wurde blaues Laserleuchten, das schließlich einen großen, schlanken Menschen mit dunklem Haar und elegantem Spitzbart zeigte. »Meister Kenobi? Ist alles in Ordnung mit Euch? Seid Ihr verletzt?«
»Senator Organa!«, entfuhr es Obi-Wan zutiefst erleichtert. »Nein, ich bin nicht verletzt. Aber es ist ganz entschieden nicht alles in Ordnung mit mir. Ich brauche Hilfe. Meine Klonsoldaten wandten sich gegen mich. Ich konnte ihnen nur mit knapper Not entkommen!«
»Überall in der Galaxis sind Jedi angegriffen worden.«
Obi-Wan senkte den Kopf und wünschte stumm in der Macht, dass die Opfer Frieden in ihr fanden.
»Habt Ihr Kontakt mit anderen Überlebenden?«
»Nur mit einem«, erwiderte der alderaanianische Senator ernst. »Programmiert Euer Navigationssystem mit meinen Koordinaten. Er wartet auf Euch.«
Die Wölbung eines Fingerknöchels, die Haut abgeschabt, schwarzer, schmutziger Schorf mit Blut in den Ritzen…
Stofffransen an der Manschette eines beigefarbenen Ärmels, Spuren vom Tod eines Generals…
Die gelbbraune Maserung im weinroten Tisch aus geschliffenem alderaanianischem Kriin-Holz…
Das konnte Obi-Wan sehen, ohne zu zittern.
Die Wände des kleinen Konferenzzimmers an Bord der Star of Alderaan waren zu kahl, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn er den Blick dorthin richtete, gingen seine Gedanken auf Wanderschaft…
Und das Zittern begann.
Es wurde schlimmer, als er in die alten grünen Augen des kleinen Wesens auf der anderen Seite des Tisches sah, denn die faltige, ledrige Haut und die dünnen Haarbüschel waren seine frühesten Erinnerungen, und sie erinnerten Obi-Wan an die Freunde, die heute ihr Leben verloren hatten.
Das Zittern wurde noch schlimmer, als er sich der anderen Person im Raum zuwandte, denn sie trug den Umhang eines Politikers und erinnerte Obi-Wan damit an den Feind, der noch lebte.
An die Täuschung. Den Tod von Meistern, die er bewundert, von Rittern, mit denen er gekämpft hatte. Den Tod seines Eids Qui-Gon gegenüber.
Den Tod von Anakin.
Anakin musste zusammen mit Mace und Agen gestorben sein, mit Saesee und Kit. Zusammen mit dem Tempel gefallen.
Mit dem Orden.
Asche.
Asche und Staub.
Fünfundzwanzigtausend Jahre, an einem einzigen Tag ausgelöscht.
All die Träume. All die Versprechen.
All die Kinder…
»Wir haben sie aus ihren Familien geholt.« Obi-Wan zwang sich, in seinem Sessel sitzen zu bleiben; der Schmerz in ihm verlangte Bewegung. Neues Zittern schüttelte ihn. »Wir haben ihren Eltern versprochen…«
»Beherrschen musst du dich. Noch immer ein Jedi du bist.«
»Ja, Meister Yoda.« Der Schorf an seinem Fingerknöchel… Wenn er sich darauf konzentrierte, konnte er das Zittern unter Kontrolle bringen. »Ja, wir sind Jedi. Und wenn wir die letzten sind?«
»Wenn die letzten wir sind, unverändert bleibt unsere Pflicht.« Yoda stützte das Kinn auf die Hände, die um den Knauf seines Gimerstocks geschlossen waren. Er sah genauso alt aus, wie er war: fast neunhundert Jahre. »Während noch ein Jedi lebt, der Orden weiterhin besteht. Uns der Dunkelheit mit jedem Atemzug widersetzen wir müssen.«
Er hob den Kopf, und der Stock neigte sich zur Seite, stieß an Obi-Wans Schienbein. »Insbesondere der Dunkelheit in uns, junger Jedi. Zur dunklen Seite die Verzweiflung gehört.«
Die einfache Wahrheit dieser Worte berührte Obi-Wan. Auch Verzweiflung verbindet.
Langsam, ganz langsam, erinnerte sich Obi-Wan Kenobi daran, was es bedeutete, ein Jedi zu sein.
Er lehnte sich zurück, hob beide Hände vors Gesicht und atmete tief durch. Mit der Luft, die seine Lungen füllte, sog er Schmerz, Schuld und Reue auf, und als er ausatmete, verschwand das alles aus ihm.
Er atmete sein ganzes Leben aus.
Alles, was er getan hatte und was er gewesen war, Freunde und Feinde, Träume, Hoffnungen und Ängste.
In der Leere fand er Klarheit. Gereinigt leuchtete die Macht durch ihn. Er setzte sich auf und nickte Yoda zu.
»Ja«, sagte er. »Vielleicht sind wir die Letzten. Und wenn nicht?«
Grüne Lederbrauen zogen sich über leuchtenden Augen zusammen. »Der Tempelsender.«
»Ja. Überlebende Jedi hören vielleicht den Rückruf und kehren nach Coruscant zurück, in den Tod.«
Bail Organa sah von einem Jedi zum anderen und runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«
»Es soll heißen, dass wir nach Coruscant zurückmüssen«, sagte Obi-Wan.
»Das ist zu gefährlich«, erwiderte der Senator sofort. »Der ganze Planet ist eine Falle…«
»Ja. Wir sind… ah…«
Der Schmerz über Anakins Verlust bohrte sich Obi-Wan wie eine Klinge in den Leib.
Dann ließ er auch das los.
»Ich«, korrigierte er sich, »bin gegen Fallen versichert…«