Vierundzwanzig
Am frühen Nachmittag
statteten mir die Robots einen Besuch ab. Campion wohnte nach wie
vor Mezereums Befragung bei, und ich war zu dem Raum gegangen, wo
Hesperus im gleichen Zustand untergebracht war, in dem wir ihn vom
Luftgeist zurückbekommen hatten. Seit dem Morgen hatte sich sein
Zustand nicht verändert, doch ich wollte für den Fall, dass er ein
Lebenszeichen zeigte oder vorübergehend ansprechbar wäre, bei ihm
Wache halten.
»Die Idee war gut«,
sagte Kadenz so unvermittelt, dass ich zusammenschreckte, denn ich
hatte sie nicht näherkommen gehört. »Sie sollten sich keine
Vorwürfe machen, nur weil es nicht geklappt hat.«
»Ganz erfolglos war
es nicht«, sagte ich und bemerkte, dass Kaskade hinter dem
weiblichen Roboter hervorschaute. »Er ist nicht mehr mit
Fremdteilen verschmolzen. Er hat seine ursprüngliche Gestalt
zurückerhalten. Sogar sein Arm ist wiederhergestellt.«
»Sein Arm?«, fragte
der weibliche Robot.
»Unter der
Metallverkleidung des linken Arms war menschliches Gewebe
versteckt. Er wollte sich als einer von uns ausgeben, um in die
Vigilanz hineinzukommen.«
»Das haben wir nicht
gewusst«, sagte Kadenz.
»Jetzt macht es
keinen Unterschied mehr. Aber der Geist war nicht untätig – er hat
ihn nicht in dem Zustand abgeliefert, in dem er ihn vorgefunden
hat. Er hat gemerkt, dass etwas nicht mit ihm stimmte, dass er
beschädigt war oder jedenfalls nicht so, wie er sein
sollte.«
»Das sind
Äußerlichkeiten«, sagte Kadenz.
»Mag sein. Aber wer
weiß, vielleicht hat er ja tief in ihn hineingeblickt und
repariert, was beschädigt war? Seine gestörte Erinnerung, die
Schäden, die er beim Angriff mit der H-Bombe erlitten
hat.«
»Dem widerspricht
der Augenschein«, sagte Kadenz. »Obwohl wir es nur ungern zugeben,
scheinen seine kognitiven Funktionen nicht besser zu funktionieren
als zuvor.«
»Die Lichter in
seinem Kopf leuchten noch.«
»Aber nur schwach,
und es ist kaum eine Bewegung feststellbar. Sie sollten nicht so
viel darauf geben.«
»Glauben Sie, er ist
tot?«
Ich hatte den
Eindruck, dass die Robots Gedanken austauschten – ich nahm eine Art
elektrische Spannung wahr, wie vor einem Gewitter.
»Sein Zustand ist
nicht hoffnungslos«, sagte Kadenz, was sich wenig zuversichtlich
anhörte. »Aber mit jedem Tag, der verstreicht, könnten Muster
verlorengehen. Je eher wir in unsere Heimat aufbrechen, desto
besser.«
»Wir wollten nach
Mieres Tod nicht unhöflich erscheinen«, sagte Kaskade, dem es
gelang, gleichzeitig freundlich und entschlossen zu klingen, »aber
wenn es Ihnen nicht allzu viel ausmacht, würden wir gern die Frage
des Transports mit Ihnen besprechen.«
»Ich glaube, wir
haben geregelt, was zu regeln war«, sagte ich. »Wir haben uns von
Miere verabschiedet, und Hesperus ist wieder da. Wenn Sie mein
Schiff haben wollen, es steht Ihnen jederzeit zur
Verfügung.«
»Sind Sie sicher?«,
fragte Kadenz.
»Natürlich. Nehmen
Sie es ruhig. Schaffen Sie es mir aus den Augen.«
»Von Ihrem
Standpunkt aus wäre das die beste Lösung«, meinte
Kaskade.
»Wenn es Hesperus
hilft, wenn es der Familie hilft und dem Maschinenvolk, dann kann
ich mich gut damit abfinden.« Was nur die halbe Wahrheit war. Vor
Mieres Tod und Hesperus’ Wiederauftauchen hatte ich mit dem Verlust
der Silberschwingen gehadert. Jetzt
empfand ich nur noch Leere, als hätten mich nicht nur einzelne
Splitterlinge im Stich gelassen, sondern das ganze Universum.
Selbst wenn ich mein Schiff hätte behalten können, hätte das nichts
geändert; das wäre in etwa so gewesen, als wollte man eine Schlucht
dadurch auffüllen, dass man einen Stein hineinwarf.
»Sie wollten noch
ein paar Dinge vom Schiff holen«, sagte Kadenz.
Ich nickte, obwohl
die Vorstellung bei mir alles andere als Begeisterung auslöste. »Es
wird nicht lange dauern – die meisten dieser alten Raumschiffe
sollten eigentlich selbstständig aus dem Hangar herausfliegen
können.«
»Wie besprochen
werden wir uns mit der Steuerung des Raumfahrzeugs vertraut machen,
während Sie den Hangar leerräumen.« Kaskade wies mit seinem weißen
Kinn auf die vor uns liegende goldene Gestalt. »Wir könnten
Hesperus ebenso gut gleich in den Orbit mitnehmen. Dann können wir
ihn für die Reise vorbereiten.«
»Ich werde ihn nicht
wiedersehen, hab ich Recht?«
»Wenn er geheilt
werden kann und wenn Sie lange genug leben, ist alles möglich«,
erwiderte Kaskade.
»Vielleicht wird er
sich dann nicht einmal mehr an uns erinnern. Das kann man nicht mit
Sicherheit sagen, oder was meinen Sie?«
Kaskade sagte: »Wir
werden dafür Sorge tragen, dass er begreift, wie tief er in Ihrer
Schuld steht.«
»Darum geht es
nicht. Es geht um Freundschaft. Wir haben ihn gemocht. Ich glaube,
er hat unsere Gefühle erwidert.«
»Er befindet sich
jetzt in guten Händen«, sagte Kaskade. »Dessen können Sie gewiss
sein.«
»Kümmern Sie sich um
den Transport?«, fragte ich. »In einer Stunde steht mein Shuttle
auf dem Hauptlandedeck bereit. Betonie muss zuvor seine Zustimmung
zum Flug in den Orbit geben, aber er wird bestimmt keine Einwände
haben. Schließlich war das Ganze ja seine Idee.«
»Wir bereiten Ihnen
auch wirklich keine Umstände?«, fragte Kaskade.
»Ich habe heute
ohnehin nichts vor.«
»Dann nehmen wir Ihr
Angebot gerne an. Wir werden für Hesperus die notwendigen
Vorbereitungen treffen.«
»Passen Sie gut auf
ihn auf«, sagte ich.
Ich ging zurück zum
Auditorium, wo ich Campion zurückgelassen hatte. Er saß noch immer
bei Campion und den anderen und hielt ein wachsames Auge auf
Mezereum. Als er mich bemerkte, stand er auf und rückte auf einen
leeren Platz, wo er sich außer Hörweite der anderen Splitterlinge
befand. Ich ging zu ihm hinüber und sagte: »Ich fliege zur
Silberschwingen hoch, um Kadenz und
Kaskade das Kommando zu übergeben. Sie werden Hesperus
mitnehmen.«
»Wirst du lange
fortbleiben?«
»Ich brauche nur den
Hangar leerzuräumen und das Kommando zu übergeben. Bis Mitternacht
sollte ich wieder zurück sein. Schlimmstenfalls bin ich zum
Frühstück wieder da.«
Er machte Anstalten,
sich zu erheben. »Ich begleite dich.«
»Das brauchst du
nicht. Ehrlich gesagt, würde ich lieber alleine fliegen. Die
Übergabe wird mir schon schwer genug fallen, aber wenn du
mitkommst, wäre es bestimmt noch schlimmer. Du weißt, wie viel das
Raumschiff mir bedeutet.«
»Das verstehe ich«,
sagte Campion. »Du möchtest das lieber alleine hinter dich
bringen.«
»Wenn ich wieder
hier bin, hab ich’s hinter mir. Ich wollte dir nur sagen, dass ich
weg bin. Es wird schon gutgehen, das verspreche ich
dir.«
»Mach den Maschinen
keine Zugeständnisse, die über die Abmachungen
hinausgehen.«
»Werd ich nicht,
versprochen.«
Er hielt mich
umarmt, bis ich mich losmachte. »Das wird ihnen eines Tages noch
leidtun«, sagte er. »Sie werden einsehen, dass sie einen Fehler
gemacht haben. Betonie weiß es wahrscheinlich schon – Mieres Tod
hat alles verändert. Aber er kann nicht mehr zurück, jetzt, da die
Robots auf sein Angebot eingegangen sind.«
»Wenn das Schiff bei
der Rückgabe auch nur einen Kratzer hat, werden sie mir dafür
büßen.«
Er lächelte. »Das
ist die richtige Einstellung. Und jetzt flieg hoch und bring’s
hinter dich.«
Ich küsste ihn
erneut; wir verschränkten unsere Hände, dann lösten wir uns
voneinander. Ich wandte mich Betonie zu, denn ich hatte gespürt,
dass er uns beobachtete.
»Ich fliege zu
meinem Schiff hoch, um es an die Robots zu übergeben. Du hast doch
nichts dagegen, oder?«
»Natürlich nicht«,
sagte er, dann blickte er wieder zu Mezereum hinüber, als brächte
er es nicht fertig, mir in die Augen zu sehen. Mit einem Anflug von
Genugtuung verließ ich hoch erhobenen Kopfes das Auditorium und
wandte mich zum Landedeck. Das Shuttle stand schon da, und ich
brauchte nicht lange auf die beiden Robots und deren goldene Fracht
zu warten.
Wir hoben ohne
Zwischenfälle von Ymir ab. Ich beobachtete, wie die Türme
zurückfielen, und erhaschte einen flüchtigen Blick auf das
Auditorium. Mezereums Scheibenmosaik funkelte in der Sonne, die
zweihundertsechsundfünfzig Facetten, die einmal ein vollständiger
Mensch gewesen waren, sandten Lichtblitze aus. Eine kleine, schwarz
gekleidete Gestalt stapfte zwischen den Scheiben einher, dann
flammte rubinrot die Energiepistole auf, und dann verdeckte mir ein
anderer Turm die Sicht. Ich beschleunigte, und bald darauf hatte
ich die oberen dünnen Atmosphäreschichten erreicht, in denen wir
Mieres Leben dargestellt hatten. Die Robots standen hinter mir, ihr
schwer verletzter Mitrobot schwebte horizontal zwischen ihnen. Wie
mir schon bei ihrem Versuch, an Bord der Silberschwingen eine Verständigung mit ihm
herzustellen, aufgefallen war, wirkte seine Verkleidung so formbar
wie Ton.
Ich wies das Shuttle
an, Position und Geschwindigkeit meinem im polaren Orbit
befindlichen Schiff anzugleichen. Bald darauf gelangte die
Silberschwingen in Sicht und wurde in
erschreckendem Tempo größer, bis das Shuttle heftig verzögerte, um
die Kollision zu vermeiden, die bis zum letzten Moment
unausweichlich schien. Wir spürten natürlich nichts von dem
Gewaltmanöver. Das Shuttle ließ das Hangartor öffnen, und dann
glitten wir in den wunderschönen Chromschwan hinein, der die
längste Zeit mein Schiff gewesen war. Ich schaltete auf manuelle
Steuerung um und bugsierte das Shuttle durch das Labyrinth der
geparkten Raumfahrzeuge, bis ich die Lücke gefunden hatte, in der
ich schon bei meinem letzten Besuch angelegt hatte. Die
Feldklammern packten zu; ich schaltete den Antrieb auf
Bereitschaftsmodus, und wir stiegen aus. Kadenz und Kaskade trugen
Hesperus; ich ging voran. Bis zur nächsten Flitzkabine hatten wir
gut einen halben Kilometer zurückzulegen.
»Willkommen,
Portula«, begrüßte mich die Silberschwingen in meinem Kopf. »Wie ich sehe, bist
du in Begleitung. Sind das Gäste, oder stehst du unter
Zwang?«
Ich stehe unter Zwang, dachte ich
verbittert, aber der geht von der Familie aus,
nicht von diesen unschuldigen Maschinen. »Das sind Freunde
von mir«, sagte ich laut. »Bitte heiße sie willkommen. Kadenz ist
der silberne Robot, Kaskade der weiße.«
»Willkommen, Kadenz
und Kaskade.«
»Hesperus kennst du
ja bereits«, sagte ich. »Er ist noch immer nicht auf dem Damm, aber
die beiden Robots werden ihn an einen Ort bringen, wo man ihn
heilen kann. Ich werde in Kürze das Kommando an die beiden Robots
übergeben, dann wirst du Gelegenheit haben, sie besser
kennenzulernen.«
»Willst du mich
loswerden, Portula?«, fragte die Silberschwingen, noch immer in meinem
Kopf.
»Ich kann es nicht
ändern. Wir unterhalten uns auf der Brücke. Wenn alles gutgeht,
sehen wir uns in etwa einer halben Million Jahren
wieder.«
Die Flitzkabine war
für den Frachttransport ausgelegt, deshalb war genug Platz für mich
und die drei Robots. Ich tippte unser Ziel in die Schwebekonsole
ein, dann blickte ich meine Gäste an und zögerte. »Hesperus ist
schon geflitzt, deshalb dürfte das auch Ihnen keine Schwierigkeiten
bereiten. Allerdings war das vor seiner Verletzung. Wird er die
Prozedur überstehen? Wenn Sie möchten, können wir auch zu Fuß
gehen, aber bis zur Brücke sind es etwa fünfzehn
Kilometer.«
»Wir können
flitzen«, sagte Kadenz. »Hesperus wird dabei keinen Schaden
nehmen.«
»Wenn Sie
meinen.«
Rote Lichter
flammten auf, zum Zeichen, dass das Feld jeden Moment aktiviert
würde und wir innerhalb der Bodenmarkierungen Aufstellung nehmen
sollten. Dann wurde es kurzzeitig blendend hell – einhergehend mit
dem Gefühl, durch kompliziert gewundene Röhren gepresst zu werden
-, und im nächsten Moment waren wir auch schon im Gegenstück der
Kabine angekommen, fünfzehn Kilometer weiter oben.
»Ist alles in
Ordnung?«, fragte Kaskade und blickte in den hallenden, trüb
erleuchteten Raum, der hinter der Tür der Flitzkabine lag. »Ich
habe die Brücke ganz anders in Erinnerung.«
»Die Brücke ist noch
ein Stück entfernt«, sagte ich. »Früher gab es eine direkte
Verbindung zwischen dem Hangar und der Brücke, aber das war keine
gute Idee – auf diese Weise war das Schiff zu verwundbar durch
Eindringlinge. Das war so, als wäre das Stadttor durch einen
Expresslift mit dem Büro des Bürgermeisters verbunden –
Schwierigkeiten sind da vorprogrammiert.«
»Ist es noch
weit?«
»Nur ein kurzer
Spaziergang.« Die Halle war gesäumt von Flitzkabinen. Ich zeigte
zur gegenüberliegenden Wand, gab ein forsches Tempo vor und
geleitete die Robots über eine Brücke. Über und unter uns
erstreckte sich ein Schacht in eine schwindelerregende Ferne, durch
den sich langsam ambossförmige Mechanismen bewegten. Die
Schwerkraft war an der Längsachse der Silberschwingen ausgerichtet, deshalb führte der
Schacht fast durchs ganze Schiff, bis er in den Hangar mündete. Die
Maschinen führten unablässig Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten
durch.
Jede sechste Kabine
war für Personen- wie für Frachttransport geeignet. Die übrigen
Kabinen konnten lediglich ein oder zwei Personen gleichzeitig
aufnehmen, doch ihre Anzahl reichte aus, um Hunderte
Transportprozesse gleichzeitig zu bewältigen. Obwohl ich mich an
die Herkunft des Schiffes nicht mehr erinnern konnte, war doch
offensichtlich, dass es ursprünglich dazu gedacht gewesen war,
Millionen Passagiere zu befördern. Manchmal fragte ich mich, ob
mein Schiff den Zeiten nachtrauerte, da in den breiten Gängen und
großen Hallen, auf den Plätzen und Atrien reges Getriebe geherrscht
hatte. Jetzt musste es sich mit mir und bestenfalls einer Handvoll
Gästen begnügen. Wir klapperten wie Gespenster in einem leeren
Haus.
Wir hatten die
andere Flitzkabine erreicht. In dem Bewusstsein, dass wir im
nächsten Moment auf der Brücke wären und dass es dann keinen Grund
mehr geben würde, die Übergabe des Schiffes hinauszuzögern, tippte
ich das Ziel ein. Seit dem Start hatte ich mich für diesen Moment
gewappnet, bis sich das Gefühl eingestellt hatte, ich könnte die
Prozedur ohne emotionalen Schluckauf durchstehen. Jetzt aber
schnürte sich mir die Kehle zu. Es würde nicht so einfach werden,
wie ich gedacht hatte.
Die Wände der Kabine
flammten rot auf. Diesmal würde es ein kurzer Sprung sein – es
würde sich so anfühlen, als würden wir zwischen zwei Kabinen
versetzt.
Irgendetwas
geschah.
Ich glaube, ich
verlor für einen Moment das Bewusstsein, denn meine Gedanken
gerieten ins Stocken, was mit dem Flitzvorgang nichts zu tun hatte.
Ich hatte das Gefühl, mit solcher Gewalt aus dem Wirkungsbereich
des Feldes gestoßen zu werden, dass ich auf dem Boden aufprallte
und benommen liegen blieb, nicht weil ich Schmerzen gehabt hätte,
sondern weil ich genau wusste, dass sie jeden Moment einsetzen
würden. Stöhnend rang ich nach Luft. Ich hatte keine Ahnung, was
passiert war, doch als sich mein Blick allmählich scharf stellte,
erblickte ich vor mir eine goldene Gestalt, eine Gestalt, die
unverkennbar Hesperus war und zudem auch lebendig.
Kadenz und Kaskade
waren nicht zu sehen.
»Wir müssen
verschwinden«, sagte Hesperus, bückte sich und stellte mich auf die
Beine. »Wir müssen so schnell wie möglich weg von
hier.«
So benommen ich war,
hatte ich doch nicht den Eindruck, dass ich mir etwas gebrochen
hatte – dafür war der Schmerz zu diffus. »Hesperus«, sagte ich
erleichtert und verwirrt. »Was …?«
»Für lange
Diskussionen haben wir keine Zeit. Ich habe Sie aus der
Transportzone gestoßen, als das Feld sich aufbaute. Kadenz und
Kaskade wurden wie vorgesehen zur Brücke befördert. Sie sind
bereits dort.«
»Zur Brücke«,
krächzte ich. Ich stand aus eigener Kraft, wenngleich Hesperus mich
stützte.
»Können wir von hier
aus in den Hangar zurückkehren?«
Mein Blick hatte
sich noch immer nicht ganz scharf gestellt, meine Gedanken waren
träge. »Nein … wir müssen zur anderen Seite rüber, über die
Brücke.«
»Gut. Darf ich Sie
tragen? Dann geht es schneller.«
Ich weiß nicht mehr,
was ich ihm antwortete. Er hob mich mit seinen goldenen Armen hoch
und hielt mich fest. Dann stürmte Hesperus mit übermenschlicher
Geschwindigkeit los. Wir querten den Schacht, in dem die auf- und
absteigenden Maschinen ihren undurchschaubaren Tätigkeiten
nachgingen, dann hatten wir die Flitzkabine erreicht. Hesperus gab
das Ziel ein. Das Schiff akzeptierte seinen Befehl, da es ihn noch
immer als willkommenen Gast ansah. Wir flitzten zum anderen Ende
des Schiffes, zu der Kabine am Eingang des Hangars.
»Was ist passiert?«,
fragte ich, als der Nebel in meinem Kopf sich allmählich
lichtete.
»Ich habe Kadenz und
Kaskade ausgetrickst«, antwortete Hesperus, als wir den Hangar
betraten. »Die beiden Robots haben Sie über ihre wahren Absichten
getäuscht.«
»Sie wollten mein
Schiff haben. Ich war bereit, es ihnen zu überlassen. Was hat das
mit Täuschung zu tun?«
»Das weiß ich noch
nicht. Ich weiß nur, dass sie nicht die Absicht haben, mich zum
Monoceros-Ring zu bringen. Als sie gerade eben Verbindung zu mir
hergestellt haben, wollten sie mich umbringen.«
Hesperus war
irgendwie – lockerer geworden. Seine Stimme hatte sich nicht
verändert, doch er drückte sich umgangssprachlicher aus, weniger
steif und präzise als früher.
»Weshalb sollten sie
Sie umbringen wollen?«
»Als sie an Bord
Ihres Schiffes Verbindung zu mir hergestellt haben, wollten sie mir
alle Informationen entnehmen und mich töten. Anschließend hätten
sie behauptet, ich wäre meinen Verletzungen erlegen. Aber sie haben
nichts aus mir herausbekommen – ich habe mehr Widerstand geleistet,
als sie erwartet hatten, und sie wollten nicht, dass jemand etwas
merkt. Allerdings war ich hinterher zu geschwächt, als dass ich
Ihnen meine Befürchtungen hätte mitteilen können. Später waren die
Robots sehr erleichtert darüber, dass Sie mich an den Luftgeist
übergeben wollten.«
»Weil sie geglaubt
haben, Sie würden das nicht lebend überstehen.«
»Doch da hatten sie
sich getäuscht. Als ich wieder auftauchte, war noch Leben in mir.
Als wir von Neume starteten, versuchten sie erneut, mich zu töten.
Sie bemühten sich nach Kräften, meinen letzten Lebensfunken zu
ersticken. Ich musste all meine Kräfte und meinen ganzen
Erfindungsreichtum aufbieten, um ihren Angriff abzuwehren und mir
gleichzeitig nichts anmerken zu lassen. Das ist mir offenbar
gelungen, sonst hätte ich sie nicht überlisten können.« Mein
goldener Träger stockte. »Stimmt etwas nicht mit Ihren Augen,
Portula?«
»Alles wirkt ein
bisschen verschwommen.«
»Ich habe Ihnen
einen heftigen Stoß versetzt. Vielleicht sind bei Ihnen im Auge ein
paar Gefäße geplatzt. Oder die Netzhaut hat sich abgelöst. Es tut
mir leid, dass ich Sie nicht vorwarnen konnte. Es musste alles ganz
schnell gehen.«
»Ich begreife noch
immer nicht … weshalb sollten die beiden Robots gelogen
haben?«
»Als sie mit mir
Verbindung aufgenommen haben, wurden mir ein Stück weit ihre
Gedankengänge zugänglich. Sie waren froh, dass Sie, Portula, ihrer
Bitte nachgekommen sind, aber ich glaube, sie hätten nicht davor
zurückgeschreckt, Sie zu töten, wenn Sie sich geweigert oder ihnen
Hindernisse in den Weg gelegt hätten. Ihr einziger Trost ist, dass
der Tod auf spektakuläre Weise und sehr schnell erfolgt
wäre.«
Mir schwirrten so
viele Fragen durch den Kopf, dass ich gar nicht wusste, wo ich
anfangen sollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als der Reihe nach
vorzugehen. »Was ist mit ihnen passiert?«
»Ich habe
eingegriffen, bevor Sie das Kommando übergeben konnten. Wenn ich
richtig liege, befinden sie sich noch immer am anderen Ende der
Flitzverbindung, auf der Brücke.«
»Sie haben Recht.
Ohne meine Einwilligung können sie nicht flitzen.«
»Wird das Schiff
ihnen erlauben, die Flitzkabinen zu benutzen oder verschlossene
Türen zu öffnen?«
»Nein – das halte
ich für ausgeschlossen. Sie sind auf der Brücke praktisch gefangen.
Sollten sie die Brücke beschädigen oder sich gewaltsam befreien
wollen, wird das Schiff sie als Störenfriede
behandeln.«
»Es wird sie von
Bord entfernen?«
»Nur wenn ich dazu
Anweisung gebe. Aber es wird sie mit Fesselfeldern bewegungsunfähig
machen.«
»Das wird nicht
lange gutgehen – sie sind viel stärker und erfindungsreicher, als
Sie meinen.« Hesperus schlug einen ernsteren Ton an. »Sie müssen
die Silberschwingen auffordern, sie
unverzüglich aus dem Schiff zu werfen, Portula. Wenn das nicht
geht, muss das Schiff sie vernichten.«
»So einfach ist das
nicht.«
»Sie können die
Anweisung doch auch von hier aus geben, oder nicht?«
»Darum geht es
nicht. Ich kann die Robots nicht einfach töten oder sie von Bord
werfen – so läuft das nicht.«
»Sie sind nicht das,
was sie zu sein vorgeben.«
»Das behaupten Sie.«
Ich stöhnte vor Frust und Unbehagen. »Nehmen Sie’s mir nicht übel,
aber bis vor ein paar Minuten waren Sie tot. Woher soll ich wissen,
dass Sie nicht noch immer unter den Nachwirkungen der Vorgänge auf
Neume zu leiden haben? Die Robots sind Gäste der Familie. Wie würde
ich denn dastehen, wenn ich nach Neume zurückkäme und erklären
müsste, ich hätte sie in den Weltraum geworfen?«
»Ich lüge nicht«,
sagte er.
»Hesperus,
betrachten Sie es mal von meiner Seite. Sie erwarten einen großen
Vertrauensvorschuss von mir.«
»Sie haben mir
bisher immer vertraut.«
»Es ist nicht so,
dass ich Ihnen nicht mehr vertrauen würde, aber ich brauche ein
bisschen Zeit zum Nachdenken. Sie sind anders – Ihre Stimme klingt
anders, viel menschenähnlicher als früher. Woher soll ich wissen,
dass sich nicht noch mehr bei Ihnen verändert hat?«
»Es hat sich mehr
verändert, als Sie ahnen – ich bin immer noch Hesperus, aber
gleichzeitig auch viel mehr. Und ich sage Ihnen, dass Sie gegen
Kadenz und Kaskade vorgehen müssen.«
»Von der Brücke aus
können sie nichts unternehmen. Ich werde das weitere Vorgehen mit
der Familie beraten.«
»Dafür ist keine
Zeit. Die Robots sind nicht darauf angewiesen, dass Sie ihnen das
Kommando über das Schiff übergeben – das hätte ihnen lediglich
etwas Arbeit erspart. Sie sind vor ein paar Minuten an Bord
gegangen – nach dem Maßstab von Maschinen sind das Jahrhunderte.
Inzwischen sind sie ihrem Ziel, die Kontrolle über das Schiff zu
übernehmen, vermutlich ein ganzes Stück näher gekommen.
Wahrscheinlich haben sie schon Tausende Übernahmestrategien
durchgespielt. Tausende Optionen sind noch übrig. Früher oder
später werden sie ihr Ziel erreichen. Es gibt immer eine
Hintertür.«
»Das Schiff bekommen
sie nicht in ihre Gewalt.«
»Doch, das ist nur
eine Frage der Zeit – Zeit, die nach Minuten oder sogar nach
Sekunden bemessen wird. Das Schiff ist groß und alt, aber sie sind
schlau und erfinderisch. Ich würde mir das ebenfalls zutrauen, und
sie sind zu zweit.«
»Wenn Sie falsch
liegen, und es stellt sich heraus, dass ich gegen Angehörige des
Maschinenvolks vorgegangen bin …«
»Ich übernehme die
Verantwortung – und ich kann sehr, sehr überzeugend sein. Tun
Sie’s, Portula. Die Zeit arbeitet gegen uns. Ich hingegen bin auf
Ihrer Seite.«
»Setzen Sie mich
ab«, sagte ich. »Wenn Sie mich tragen, kann ich das nicht
tun.«
Hesperus wurde
langsamer und setzte mich ab. Ringsumher ragten die unbeleuchteten
Raumschiffe und obskuren Maschinen des Hangars auf, die von einer
fernen Vergangenheit kündeten.
»Silber«, sagte ich, »kannst du mich
hören?«
Die Stimme in meinem
Kopf antwortete: »Ich höre dich, Portula.«
»Es geht um Kaskade
und Kadenz – die beiden Gäste, die ich dir vorgestellt
habe.«
»Ja,
Portula?«
»Befinden sie sich
noch auf der Brücke?«
»Ja,
Portula.«
»Zeig sie
mir.«
Vor mir wurde ein
Bild in die Dunkelheit projiziert. Die Robots waren auf der Brücke.
Sie standen mit hängenden Armen reglos nebeneinander.
»Es sieht nicht so
aus, als würden sie irgendetwas tun«, sagte ich.
»Das sieht man ihnen
nicht unbedingt an«, entgegnete Hesperus.
Das Sprechen fiel
mir auf einmal schwer. »Silber, ich
möchte, dass du sie bewegungsunfähig machst.«
»Geht von ihnen eine
Bedrohung aus, Portula?«
»Ja«, sagte
Hesperus.
»Mach sie einfach
bewegungsunfähig. Fixiere sie mit Impassoren an Ort und
Stelle.«
»Fertig,
Portula.«
Den Robots war keine
Veränderung anzusehen. Nichts deutete darauf hin, dass sie von
einem Fesselfeld fixiert wurden.
»Jetzt können sie
keinen Schaden mehr anrichten«, sagte ich zu Hesperus.
»Sie sind in keiner
Weise eingeschränkt. Sie dehnen ihr Bewusstsein aus und suchen nach
einer Lücke in der Abwehr Ihres Schiffes. Das Schiff merkt
vielleicht nicht einmal, was da vor sich geht. Sie sind schlau.
Wenn sie Erfolg haben, Portula, werden sie als Erstes die
Fesselfelder abschalten. Dann kann keine Macht der Welt sie wieder
fixieren. Kadenz und Kaskade werden sich auf Ihrem Schiff frei
bewegen können – oder vielmehr auf ihrem Schiff, denn dann wird es ihnen gehören -,
und nichts und niemand wird sie aufhalten. In Sekundenschnelle
werden sie das Flitzsystem erreicht haben, und dann sind sie auch
gleich hier.« Hesperus wandte den Kopf zu der Tür, durch die wir
den Hangar betreten hatten. »Dann heißt es einer gegen zwei. Ich
werde tun, was ich kann, um Sie zu schützen, aber das
Kräfteverhältnis ist nicht ausgeglichen. Trotz
alledem.«
»Trotz alledem?«,
wiederholte ich, denn er hatte irgendwie merkwürdig
geklungen.
»Vergessen Sie’s.
Bitte glauben Sie mir, Portula. Wir haben bereits viel miteinander
durchgemacht. Es wäre doch schade, wenn es jetzt zu Ende wäre,
meinen Sie nicht? Zumal wir noch so viel miteinander zu bereden
haben.«
Ich hatte einen Kloß
im Hals, so dick wie ein Felsbrocken. »Ich sollte … ich könnte mich
mit Campion beraten oder mit Betonie, das dauert nur ein paar
Sekunden …«
»Sie werden Ihnen
raten, nicht auf mich zu hören. Aus ihrer Sicht wäre das auch
durchaus vernünftig. Aber den Luxus des Abwartens können Sie sich
nicht erlauben. Sie sind nun mal in dieser Situation, und glauben
Sie mir, es ist nur eine Frage von Sekunden, bis die Robots die
Kontrolle über das Schiff übernehmen. Sie müssen sie entweder
vernichten oder von Bord werfen.«
»Das ist leichter
gesagt als getan, Hesperus.«
Er sprach jetzt
schneller, als spürte er, dass ihm nur noch Sekunden blieben, um
mich zu überzeugen. »Wie sind sie nach Neume gelangt, Portula?
Haben Sie sie das schon mal gefragt?«
»Natürlich. Sainfoin
hat sie mitgebracht. Sie waren ihre Gäste.«
Offenbar stand mir
die Skepsis ins Gesicht geschrieben. »Sainfoin hat sie nicht
mitgebracht«, sagte er. »Vielleicht glaubt sie das, aber so war es
nicht. Die Robots haben sie ausgewählt. Sie wollten hierher kommen
– das habe ich deutlich gespürt. Sie haben etwas vor mit der
Gentian-Familie, aber ihr Erscheinen musste zufällig wirken.
Sainfoin war ihre Marionette und nicht umgekehrt.«
»Sie hat gemeint,
sie hätte sie bei einer Reunion der Dorcus-Familie
kennengelernt.«
»Sie haben sich
darauf verlassen, dass ein Gentianer vorbeischauen würde.
Andernfalls hätten sie eben einen Umweg gemacht. Aber ihr Ziel war
es, an Ihrer Reunion teilzunehmen.«
»Was sind
sie?«
»Portula! Keine
weiteren Fragen mehr!«
Ich nickte knapp. Er
hatte mich nicht vollständig überzeugt – weit gefehlt. Doch ich
neigte dazu, Hesperus zu vertrauen und ihm zu glauben, was er über
Sainfoin gesagt hatte. Und da war noch etwas – eine gebieterische
Ausstrahlung, die er zuvor nicht gehabt hatte, und das, obwohl er
sich weniger förmlich gab als zuvor.
»Silber«, sagte ich mit schwankender Stimme,
»befördere die fixierten Gäste in den Weltraum.«
»Bist du dir sicher,
Portula? Das ist ein sehr ungewöhnlicher Befehl.« Das Schiff wollte
damit sagen, dass ich in all den Umläufen, bei denen ich das
Kommando geführt hatte, noch nie einen solchen Wunsch geäußert
hätte.
»Ja, ganz sicher.
Gib ihnen so viel Schwung mit, dass sie wenigstens hundert Umläufe
lang nicht in die Atmosphäre stürzen. Geschehen wird ihnen dabei
nichts.«
»Ich führe den
Befehl aus, Portula.«
Ich wartete auf die
Ausführungsbestätigung der Silberschwingen.
Und
wartete.
»Das ist kein gutes
Zeichen«, sagte Hesperus. Er hob mich wieder hoch und rannte
weiter. Seine Beine waren wirbelnde goldene Schemen. »Silber«, sagte ich mit erhobener Stimme, um das
Rauschen der Luft zu übertönen. »Bestätige die Ausführung der
letzten Anweisung.«
Ich bekam keine
Antwort.
»Sie haben das
Schiff verloren«, sagte Hesperus.
»Nein.« Ich wollte
es nicht glauben. Der Hangar der Silberschwingen sah noch so aus wie
immer.
»Sie trifft keine
Schuld. Sie haben den Befehl gegeben. Wahrscheinlich hatten die
beiden Maschinen das Schiff bereits übernommen, als sie fixiert
werden sollten. Vielleicht wollten sie einfach nur wissen, was Sie
vorhaben.«
»Und
jetzt?«
»Ich glaube, sie
werden versuchen, Sie zu töten und mich zu zerstören. Ich hoffe
aber, dass wir das Shuttle als Erste erreichen.«
»Und was
dann?«
»Wir fliegen weg und
können nur hoffen, dass die Silberschwingen nicht auf uns schießen
wird.«
Bis zum Shuttle war
es nicht mehr weit, doch was mich betraf, hätte es noch Kilometer
entfernt sein können. Wir kamen an vielen Raumschiffen vorbei, die
uns gute Dienste hätten leisten können, wenn sie denn
betriebsbereit gewesen und getestet worden wären. Trotzdem war ich
versucht, in eines der Schiffe einzusteigen und die Systeme
hochzufahren. Die Zuständigkeit Silbers
erstreckte sich auch auf den Hangar, jedoch nicht auf die darin
befindlichen Raumschiffe. Mit einer gepanzerten Hülle zwischen uns
und den Robots würden wir vielleicht lange genug durchhalten, um
flüchten zu können. Das Shuttle aber wartete auf uns, und ich hatte
den Antrieb im Bereitschaftsmodus belassen. Es war startbereit. Als
wir es erreicht hatten, setzte Hesperus mich ab, und ich wies das
Shuttle an, uns einzulassen. Als der Rumpf sich hinter uns schloss,
wurde ich ein wenig ruhiger.
Trotz meiner blauen
Flecken und meiner verschwommenen Sicht rannte ich nach vorn, nahm
auf dem Pilotensitz Platz und streckte die Hände aus wie ein
Ritter, der darauf wartet, dass man ihm die Panzerhandschuhe
überstreift. Das Shuttle bildete die Steuerung aus und schob sie
mir folgsam in die Hände. Ich löste die Feldklammern und fuhr den
Antrieb auf Minimalleistung hoch. Dann schwenkte ich den Bug herum,
bis er genau auf das rechteckige Tor wies, das in den Lücken
zwischen den Raumschiffen in fast sieben Kilometern Entfernung zu
sehen war. Ich hatte das durch einen Schutzschirm vor Druckabfall
geschützte Tor offen gelassen, weil ich nicht lange an Bord hatte
bleiben wollen.
»Ich glaube, wir
können es schaffen«, sagte ich und steuerte das Shuttle langsam
darauf zu. Hätte ich freie Bahn gehabt, hätte ich mehr Schub geben
können, doch ich musste mich durch das Labyrinth der Raumschiffe
und deren Andockvorrichtungen schlängeln. Wäre ich zu schnell
geflogen, hätte Gefahr bestanden, dass ich mit einem grö ßeren und
stärkeren Raumschiff oder einer ortsfesten Installation
zusammenstieß.
»Sie wissen, was wir
vorhaben«, sagte Hesperus.
»Wie kommen Sie
darauf?«
»Das Tor beginnt
sich zu schließen.«
Ich blickte hinüber,
konnte aber nicht feststellen, ob sich die Öffnung in der
Zwischenzeit verengt hatte. Das war auch schwer zu erkennen, da ich
einen Slalom um die Raumschiffe herum steuerte und sich der
Blickwinkel ständig änderte. »Sind Sie sich sicher,
Hesperus?«
»Ja. Soll ich das
Steuer übernehmen?«
»Es geht schon,
danke.«
»Ich bin schneller.
Ich werde nicht durch ein peripheres Nervensystem behindert. Die
Rechenkraft meines Daumens entspricht der Ihres gesamten
Schädelinhalts.«
»Danke für das
Kompliment.«
»Das war eine
nüchterne Feststellung. Wenn Sie mir die Steuerung überlassen,
erreichen wir das Tor eher.«
Jetzt konnte auch
ich erkennen, dass die Öffnung schmaler wurde. Das offene Rechteck
war noch immer drei Kilometer breit, aber weniger als zwei
Kilometer hoch. Vielleicht waren es auch nur noch anderthalb
Kilometer.
Ich riss die Hände
von den Instrumenten zurück und sagte: »Ich übergebe das Kommando
bis auf Widerruf an meinen Passagier.« Dann warf ich mich zur Seite
und sagte: »Bitte sehr. Sie sind dran. Strengen Sie sich an, denn
ich habe uns bis hierher gebracht.«
Hesperus nahm meinen
Platz ein, sein breiter Rücken verdeckte mir die Sicht auf die
Konsole. »Danke, Portula. Ich werde mein Bestes tun.«
Wir wurden
schneller. Wir wurden erheblich
schneller, schwenkten um Hindernisse herum, rasten durch die Lücken
zwischen den Andockvorrichtungen hindurch und fädelten uns im
Millimeterabstand an den Hürden vorbei. Hesperus nahm die
Kurskorrekturen mit einer solchen Geschwindigkeit vor, dass die
Dämpferfelder Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten. Ich spürte
die Trägheitskräfte: Phantomfinger trachteten danach, mich zu Brei
zu zerquetschen.
»Das Tor schließt
sich immer schneller«, sagte Hesperus erstaunlich gelassen, während
seine Hände umherhuschten wie die eines rasenden Zauberkünstlers.
»Offenbar haben sie gemerkt, was wir vorhaben, und einen
Notfallmechanismus ausgelöst.«
»Können Sie noch
schneller fliegen?«
»Dann würde ich ein
erhöhtes Risiko eingehen. Aber ich glaube, wir haben keine andere
Wahl mehr, oder was meinen Sie?«
»Tun Sie, was Sie
tun müssen. Ich ergebe mich in mein Schicksal und schließe die
Augen.«
»Beim nächsten Mal
sollten Sie vielleicht etwas näher am Ausgang parken.«
»Ich habe nur an Sie
gedacht. Ich dachte, es wäre praktisch, wenn Kadenz und Kaskade Sie
nicht so weit bis zur nächsten Flitzkabine schleppen müssten, denn
ich wollte unnötige Beschädigungen vermeiden.«
»Dann verneige ich
mich vor Ihrer weisen Voraussicht und entschuldige mich für die
unangebrachte Kritik.«
Hesperus kurvte um
ein paar weitere Ecken, im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Das Shuttle streifte ein paar Hindernisse und schrammte daran
entlang. Ich weiß nicht, ob es ein Versehen war, oder ob er dies in
seine Berechnungen einbezogen hatte. Ich wusste nur, dass wir
schneller geworden waren und dass das Tor sich beharrlich schloss,
bis nur noch ein dunkler Spalt offen blieb, durch den wir zu
entkommen hofften.
Endlich hatte
Hesperus die größten Hindernisse hinter sich gelassen, und wir
hatten freie Bahn bis zum nur noch zwei Kilometer entfernten Tor.
Die Öffnung verengte sich immer weiter, doch jetzt konnte er
stärker beschleunigen. Die Wände des Hangars huschten immer
schneller vorbei, und ich hoffte schon, wir würden es
schaffen.
Doch ich täuschte
mich. Plötzlich ruckte und schwankte das Shuttle, als hätte es sich
in einem unsichtbaren Netz verfangen. Hesperus gab mehr Schub,
dennoch wurde das Shuttle langsamer, nicht schneller. Rote Lichter
begannen zu blinken, und es ertönte ein monotones
Warnsignal.
»Was ist los?«,
fragte ich.
»Feldwechselwirkungen«, antwortete Hesperus und drehte
kurz den Kopf zu mir herum. »Das war meine größte Sorge. Die
Silberschwingen hat offenbar den
parametrischen Antrieb eingeschaltet. Die Felder interferieren mit
unserem Antrieb, und das Shuttle dürfte dabei den Kürzeren
ziehen.«
»Können wir denn gar
nichts tun?«
»Sie müssten das
eigentlich besser wissen als ich, Portula. Wenn ich mehr Schub
gebe, kommt es entweder zu einer Sicherheitsabschaltung, oder der
Antrieb explodiert. Ich weiß nicht, welche Möglichkeit ich
vorziehen würde.« Hesperus hantierte wieder an der Steuerung,
langsamer als zuvor. »Es tut mir leid, Portula, aber ich glaube,
das war’s dann.«
»Das Tor hat sich
fast vollständig geschlossen. Selbst wenn der Antrieb noch arbeiten
würde, würde die Zeit nicht mehr reichen.«
Die Silberschwingen änderte anscheinend den Kurs.
Während die Lücke immer schmaler wurde, gelangte Neume in Sicht.
Der Planet schrumpfte zusehends. Bei einer Beschleunigung von
tausend Ge legte man in der ersten Minute achtzehntausend Kilometer
zurück. Nach einer weiteren Minute waren es bereits
siebenundzwanzigtausend Kilometer – der doppelte Kreisumfang
Neumes. Alle Menschen, die ich kannte, alle, die mir etwas
bedeuteten, befanden sich auf dem schrumpfenden Planeten. Während
die Beschleunigung ihn mir entriss, musste ich mich beherrschen,
sonst hätte ich die Hand ausgestreckt und ihn festzuhalten
versucht. Das Tor hatte sich geschlossen. Hesperus schaltete den
Antrieb auf Bereitschaft.
»Ich glaube, jetzt
sitzen wir in der Patsche.«
Der Luftwiderstand
des Hangars hatte das Shuttle gestoppt. »Wir können nicht einfach
tatenlos hier abwarten«, sagte ich.
»Rechts von Ihnen
ist eine Lücke. Ich werde ein bisschen Schub geben und uns dort
reinbugsieren.«
Trotz der blinkenden
Warnlichter und des gellenden Alarms gelang es Hesperus, das
Shuttle in die Box zu lenken. Mit einem dumpfen Geräusch schnappten
die Feldklammern zu.
»Offenbar wollen sie
das Neume-System verlassen«, sagte er. »Das ist eins der
schnellsten Schiffe Ihrer Familie, nicht wahr?«
»Ja, zumal nur noch
einundfünfzig Raumschiffe übrig sind. Deshalb wollten Kaskade und
Kadenz es ja unbedingt haben.«
»Das habe ich
befürchtet. Ihre Mitsplitterlinge werden somit Mühe haben, uns
einzuholen, zumal das Überraschungsmoment auf Seiten der beiden
Robots liegt.«
»Wir dürfen nicht
aufgeben und uns damit abfinden, dass wir mitfliegen. Wir wissen
nicht einmal, wohin die Reise geht.«
»Ich bezweifle sehr,
dass die Robots die Absicht haben, uns mitzunehmen. Wenn das System
erst einmal hinter ihnen liegt und sie eventuelle Verfolger
abgeschüttelt haben, werden sie sich um uns kümmern.«
»Und
dann?«
»Sie werden eine
Möglichkeit finden, uns zu eliminieren. Ich werde mich bemühen, Sie
nach Kräften zu schützen, aber ich bin auf mich allein
gestellt.«
»Was haben sie
vor?«
»Irgendwohin zu
fliegen.«
»Aber sie brauchten
nicht extra nach Neume zu kommen, um ein Raumschiff zu finden. Wenn
Sie Recht haben, dann haben sie das schon lange vor dem Angriff
geplant.«
»So sieht es
aus.«
Er hatte sich von
der Konsole abgewandt. Die goldene Maske seines Gesichts wirkte so
gelassen und einnehmend wie eh und je, doch ich hatte das Gefühl,
etwas übersehen zu haben.
»Sie wissen mehr,
als Sie sagen, Hesperus. Den Eindruck habe ich, seit Sie wieder
aufgewacht sind. Was ist auf Neume passiert?«
»Wir sollten über
unsere Lage beratschlagen«, sagte er, ohne auf meine Frage
einzugehen. »Verfügt das Shuttle über Stasiskammern?«
»Nein. Die werden
nicht gebraucht.«
»Das habe ich mir
gedacht. Einstweilen macht das nichts, aber wir sollten dennoch in
ein großes Raumschiff umziehen, das sich besser verteidigen lässt.
Falls wir eins mit Waffen und Realschubantrieb finden, könnten wir
gewaltsam einen Ausgang aus dem Hangar öffnen. Gibt es hier ein
solches Schiff?«
»Lassen Sie mich mal
nachdenken. Das Tor ist verdammt massiv – es wird mehr als ein,
zwei Laser brauchen, um da durchzukommen.«
»Ich bin gespannt,
was Sie anzubieten haben.«
»Na schön«, sagte
ich nervös, denn ich hatte immer noch Mühe, mit den Ereignissen
Schritt zu halten. Ich hatte mich vor der Übergabe der Silberschwingen gefürchtet, doch jetzt hätte ich
diesen Stress mit Freuden auf mich genommen, wenn ich mein Schiff
nur als freier Splitterling hätte verlassen können. »Das kommt
alles ein bisschen plötzlich für mich, Hesperus. Das müssen Sie mir
nachsehen. Ich besitze ein peripheres Nervensystem und brauche eine
Weile, um mich auf einen solch radikalen Paradigmenwechsel
einzustellen.«
»Ihnen sehe ich
alles nach, Portula.« Er drehte sich zur Konsole herum und nahm ein
paar Einstellungen vor. »Ich lasse den Antrieb in Bereitschaft, für
den Fall, dass sich eine Fluchtgelegenheit bieten sollte. Aber
darauf sollten wir uns nicht verlassen.«
»Das tue ich auch
nicht. Glauben Sie, die anderen Splitterlinge haben bemerkt, was
los ist?«
»Bestimmt.«
»Und was werden sie
tun?«
»Sie werden Mühe
haben, sich einen Reim darauf zu machen. Vielleicht werden sie
annehmen, Sie würden das Schiff entführen und nicht die
Robots.«
»Das glaube ich
nicht.« Kaum hatte ich es gesagt, wusste ich auch schon, dass er
Recht hatte. »Ich hätte Campion Bescheid gegen
sollen.«
»Sie würden
annehmen, Sie hätten einen Vorwand erfunden und würden nur
behaupten, die Robots führten Böses im Schilde.«
»Das tun sie doch
auch.«
»Aber auf Neume weiß
das keiner.«
»Abgesehen von
Campion. Er würde mir vertrauen. Er würde mir glauben, ganz gleich,
wie phantastisch die Erklärung klingt.«
»Dann tut es mir
leid, dass wir Campion nicht anfunken konnten. Auf lange Sicht
hätte das aber auch nicht viel geändert.« Hesperus legte mir seine
goldene Hand auf die Schulter. Seine Finger fühlten sich kalt und
hart an, gleichzeitig aber auch sanft. »Wahrscheinlich hätte es
ohnehin nichts genützt. Wenn die Robots bereits die Kontrolle über
das Schiff übernommen hatten, bevor Sie versucht haben, sie von
Bord werfen zu lassen – inzwischen erscheint mir das immer
wahrscheinlicher -, hätten sie keine Mühe gehabt, Sie daran zu
hindern, mit Neume Kontakt aufzunehmen.«
Ich schloss meine
trüben, schmerzenden Augen und wünschte, das ganze Universum würde
sich zu einem Bündel zusammenfalten und in der Ecke verstecken. Als
ich die Augen wieder öffnete, warteten Hesperus und das Universum
jedoch immer noch darauf, dass ich etwas sagte.
»Ich habe Angst«,
sagte ich. »Ich habe noch nie erlebt, dass mir die Kontrolle
entglitten wäre. Selbst als wir uns dem Luftgeist gestellt haben,
war das unsere freie Entscheidung.«
»Irgendwann passiert
das jedem von uns.« Er nahm seine Hand von meiner Schulter und
berührte blitzschnell mit Daumen und Zeigefinger meine Augenlider.
Wäre er langsamer gewesen, wäre ich zurückgezuckt, doch so
verspürte ich lediglich die Berührung kalten Metalls und einen
Stich, der zu kurz war, um ihn als Schmerz zu bezeichnen. Dann ließ
er seine Hand auch schon wieder sinken.
»Ich habe Ihre Augen
repariert. Im rechten Auge hatte sich teilweise die Netzhaut
gelöst. Beide hatten beschädigte Kapillaren. Ich hoffe, Sie können
jetzt wieder schärfer sehen.«
Erstaunlicherweise
war es so.
»Wie haben Sie das
gemacht?«
Er hielt mir seinen
Zeigefinger vor die Nase. Am Ende des goldenen Fingernagels ragte
ein kleines, harpunenartiges Gebilde hervor. Es war ein spitzes
Werkzeug von fraktaler Komplexität, dessen Details verschwammen, da
es immer wieder unscharf wurde, als ob es zwischen verschiedenen
Dimensionen hin und her wechselte. »Ich habe Sie geheilt«, sagte
Hesperus. »Es war ganz einfach.«
»Waren Sie schon
immer dazu imstande?«
»Von dem Moment an,
da wir uns begegnet sind.«
»Aber da steckt doch
noch mehr dahinter, oder? Sie haben sich verändert.«
»Ich habe keine
neuen Fähigkeiten erworben, aber ich sehe die Dinge jetzt in einem
neuen Licht. Und ich weiß sehr viel mehr als vorher.«
»Weil der Geist Ihr
Gedächtnis wiederhergestellt hat?«
»Ich habe vieles
erfahren, Portula. Das habe ich noch nicht alles
verarbeitet.«
»Aber jetzt ist kein
guter Moment, um darüber zu reden.«
»Erst müssen Sie
entscheiden, ob wir hier bleiben oder versuchen sollen, an Bord
eines anderen Raumschiffs zu gelangen.«
»Die Entscheidung
muss ich treffen, nicht wahr?«
»Ich weiß vieles,
aber nur Sie kennen die Raumschiffe hier im Hangar. Überlegen Sie
gut, Portula, denn von Ihrer Entscheidung hängt vieles
ab.«
»Dann sollten Sie
mich nicht unter Zeitdruck setzen«, sagte ich.