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Zuerst rannte Galya, ohne an den Schmerz zu denken, an das Geld, die Dokumente, die sie an ihre Brust gedrückt hielt. Als das Gebäude in Sichtweite kam, lief sie im Schritttempo weiter und überquerte die Straße, die am Eingang des Terminals entlangführte. Flughafenpolizisten rannten in den Nebel hinein, sie folgten dem Knallen der Schüsse. Galya bemerkten sie nicht.
Die Türen glitten auf, und ein Schwall warmer Luft stürzte auf sie ein. Mit besorgten Gesichtern hasteten weitere Polizisten zum Ausgang, Rauschen kam aus ihren Funkgeräten. Galya bemerkten sie immer noch nicht.
Sie folgte einem Schild, auf dem Departures stand. Die Pfeile führten sie vorbei an Geschäften und Restaurants, an Leuten mit Gepäckwagen voller Koffer, die Kaffee tranken und Toast aßen. Sie wussten gar nicht, in was für einer Welt sie lebten, welche Gefahren sich jenseits ihres Vorstellungsvermögens verbargen.
Galya wusste es.
Aber sie vergrub dieses Wissen tief in ihrem Inneren, damit der Mann, der weiter vorne an der Sicherheitsschleuse wartete, es ihr nicht im Gesicht ansah.
»Die Bordkarte bitte«, sagte er.
Galya reichte sie ihm.
Mit einem Hauch von Missfallen im Gesicht musterte er ihre Kleidung. Galya konnte beinahe seine Gedanken lesen. Noch so ein elender Parasit, noch so eine Gastarbeiterin, die jetzt, wo kein Geld mehr zu holen ist, ihre Arbeitgeber im Stich lässt.
Sie lächelte ihn an, als er ihren Pass einscannte und ihr anschließend zurückgab.
»Besser, Sie halten sich ein bisschen ran«, sagte er. »Die steigen wahrscheinlich schon ein.«
»Danke«, sagte Galya.
Sie stellte sich in die kurze Schlange vor der Sicherheitskontrolle, legte gehorsam die Schuhe und den Mantel, die Susan ihr überlassen hatte, in die bereitstehenden Schalen – die verbunden Füße waren unter dicken Socken versteckt – und wartete geduldig, bis sie an der Reihe war und durch die Magnetschranke gehen konnte. Auf der anderen Seite beschwerte sie sich nicht, als eine Frau vom Sicherheitsdienst sie abtastete.
Nach einem kurzen Gang erreichte sie das Gate, wo eine Flugbegleiterin ihre Dokumente kaum eines Blickes würdigte. Dann noch ein paar Schritte über die Rollbahn bis zum Flugzeug, und schon stieg sie ein. Sie fand Reihe 12 und setzte sich.
Als die Dame im Nachbarsitz sie fragte, ab alles in Ordnung sei, sagte Galya, ja, danke, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von der Wange.
Beim Fliegen glaubt jeder an Gott, dachte sie.
Sie sprach ein kurzes Gebet für die Seele von Jack Lennon.