92

Susan saß wartend an Lennons Bett, als er aufwachte. Sie hatte Ellen auf dem Schoß.

»Da bist du ja wieder«, sagte sie.

»Wo bin ich?«, fragte er.

»Im Royal. Vor zwei Tagen haben sie dich aus Antrim hierher verlegt.«

»Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte er heiser. Die Stimme in seinem Rachen kratzte wie Sandpapier.

»Das überrascht mich nicht«, sagte sie. »Du warst bis oben hin vollgepumpt mit Medikamenten.«

»Warst du da?«

»Ja«, sagte sie. »Ich habe im Krankenwagen deine Hand gehalten. Ich war jeden Tag bei dir.«

»Wie lange?«

Susan lächelte. »Na ja, gestern Abend habe ich mir dann selbst ein frohes Neues Jahr gewünscht.«

»Danke«, sagte Lennon.

Sie nickte.

Lennon sah seine Tochter an. Er rang sich ein Lächeln für sie ab. »Hallo«, sagte er.

Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. »Hallo.«

»Warst du auch ein braves Mädchen?«

Sie lächelte und machte: »Mmm.«

Er streckte seine rechte Hand nach ihr aus. Sie umklammerte zwei seiner Finger. Er wollte etwas sagen, etwas ganz Wichtiges, aber der Schlaf war schneller.

Zwei Tage später saß CI Uprichard an Lennons Bett.

»Das Besucherniveau geht rapide bergab«, bemerkte Lennon.

»Es wird noch weiter bergab gehen«, antwortete Uprichard. »Sie haben sich da ganz schön was eingebrockt.«

»Wie schlimm ist es?«, fragte Lennon.

»Machen Sie sich darüber jetzt erst mal keine großen Gedanken«, sagte Uprichard. »Konzentrieren Sie sich lieber darauf, dass Sie wieder gesund werden. Das ist im Moment für Sie das Wichtigste.«

»Wie schlimm ist es?«, fragte Lennon noch einmal.

Uprichard seufzte. »Ziemlich schlimm. So, wie es im Moment aussieht, sehe ich für Sie keinen Ausweg. Schon allein die Tatsache, dass sie dem Mädchen geholfen haben, sich der Gerichtsbarkeit zu entziehen, sorgt wahrscheinlich dafür, dass Ihre Tage als Polizeibeamter gezählt sind. Aber durch den Tod des jungen Connolly, auch wenn es Selbstverteidigung war … ich kann nur hoffen, dass sie dem Untersuchungsausschuss einen hieb- und stichfesten Fall präsentieren können.«

»Hat sich schon mal jemand mit Connolly beschäftigt?«, fragte Lennon. »Warum er da war?«

»Seine Frau hat eine Aussage gemacht«, sagte Uprichard. »Und wir haben uns Einblick in seine Bankkonten verschafft. Sie steckten bis zum Hals in Schulden. Darlehen, Kreditkarten, drei Monate mit der Miete im Rückstand. Dann waren da plötzlich drei große Einzahlungen von einem Schwarzgeldkonto. Eine wurde erst am Heiligabend überwiesen, die konnte erst nach den Ferien geklärt werden. Seine Frau sagte, sie hätten kurz davor gestanden, aus dem Haus zu fliegen. Und dann behauptete er, eine Geldquelle aufgetan zu haben, mit der sie eine Anzahlung auf etwas Eigenes leisten könnten. Anscheinend hat jemand ihm gutes Geld dafür bezahlt, dass er Sie verfolgt hat.«

»Es war Dan Hewitt«, sagte Lennon.

Uprichard stand auf. »Das habe ich nicht gehört.«

»Es war Hewitt. Er hat für Strazdas gearbeitet. Er hat Connolly dazu angestiftet.«

»Beweise, Jack«, sagte Uprichard und drohte Lennon mit dem Zeigefinger. »Beweise. Solange Sie davon nicht einen Sack voll haben, wagen Sie es lieber nicht, den Namen eines unbescholtenen Beamten in den Dreck zu ziehen.«

»Er war es«, beharrte Lennon. »Ich erwische ihn schon noch. Ich werde ihn erledigen.«

»Schluss jetzt.« Uprichards Gesicht wurde rot. »Schluss damit. So was höre ich mir nicht an.«

Mit gesenktem Kopf machte er sich auf den Weg zu Tür. Unterwegs blieb er noch einmal stehen und zuckte unwillig die Achseln. Schließlich gönnte er Lennon noch einen Blick über die Schulter.

»Fast hätte ich es vergessen«, sagte er. »Ich habe da was für Sie.«

Ohne Lennon anzusehen, kehrte Uprichard zum Bett zurück. Er ließ einen Umschlag auf das Laken fallen. Lennon nahm ihn, drehte und wendete ihn in den Fingern. Er war adressiert an »Polizeimann Jack Lennon, Revier Ladas Drive, Belfast, Nordirland«. Abgestempelt war er in »Kyyiv«.

»Ich habe es nachgeschlagen«, sagte Uprichard. »Das heißt Kiew. Er ist heute Morgen gekommen. Ich dachte mir, Sie wollten ihn vielleicht sehen.«

»Ja«, sagte Lennon. »Danke.«

Uprichard scharrte mit den Füßen. »Na ja, ich muss dann jetzt gehen. Gute Besserung, Jack. Wenn Sie aus dieser Grube herauskommen wollen, die Sie sich selbst gegraben haben, müssen Sie so fit wie möglich sein.«

Als er wieder allein war, betrachtete Lennon den Umschlag und studierte die säuberliche mädchenhafte Schrift. Erst wollte er ihn aufmachen, merkte dann aber, dass seine Lider zu schwer waren und die Augen zu trocken. Er schaute auf die Uhr auf der anderen Seite.

Wie auf ein Stichwort kam eine Schwester herein, um eine Dosis Schmerzmittel in den Tropf zu füllen, dessen Kanüle in seiner Hand steckte.

»Was haben Sie denn da?«, fragte sie.

»Einen Brief von einer Freundin«, sagte er.

»Wollen Sie den noch lesen, bevor ich Sie vollpumpe und Sie winke-winke machen?«

Er legte den Brief auf den Nachttisch.

»Später«, sagte er.

Racheengel
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