Beziehung
Beziehung und Kommunikation sind in ständiger Wechselwirkung: Ist eine Beziehung zum Beispiel gestört, zeigt sich dies auch und vor allem in der (verbalen und nonverbalen) Kommunikation. Umgekehrt wird durch Kommunikation eine Beziehung gestaltet, bestätigt, verändert, verbessert, verschlechtert, ruiniert, gerettet.
Beziehung heißt: Wie wir zueinander stehen. Dies ist zum Teil durch die Rollen festgelegt: Bist du mein Vorgesetzter, meine Kollegin, mein Sohn? Die Art der Beziehung zwischen zwei Personen ergibt sich aber auch aus der Art, wie sie miteinander umgehen, was sie voneinander halten, wie sie die Beziehung definieren möchten, wie sie sich behandelt fühlen. In jeder Kommunikation und Interaktion wird auch die Beziehungsebene betreten, wird auch die Beziehung definiert, verhandelt, um die Beziehungsdefinition gerungen. Selbst bei allem Bemühen um Sachlichkeit kann man diese Beziehungsebene nicht nicht betreten. Aus diesem Grund ist eine der vier Seiten des → Kommunikationsquadrates für die Beziehungsbotschaften reserviert, die in jeder Äußerung enthalten sind.
Eine → Äußerung von sich geben heißt also immer auch, eine bestimmte Art von Beziehung zu dem Angesprochenen auszudrücken. Oft zeigt sich dies in der gewählten Formulierung, im Tonfall und anderen nichtsprachlichen Begleitsignalen. Ein Beispiel: Hans Meyer kommt am Montag später als üblich ins Büro und wird von seinem Kollegen mit Blick auf die Uhr und folgenden Worten begrüßt: «Guten Morgen – oder eher: Guten Mittag!» Für die mitschwingenden Beziehungsbotschaften hat der Empfänger ein besonders empfindliches Ohr (→ Vier Ohren); denn hier fühlt er sich als Person in bestimmter Weise behandelt (oder misshandelt). Während sich die Sachbotschaften (→ Sache) überwiegend an den Verstand des Empfängers richten, treffen Beziehungsbotschaften zumeist ins Herz und können große Betroffenheit auslösen. Der Empfänger fühlt sich unmittelbar wertgeschätzt oder missachtet, akzeptiert oder abgelehnt, bestätigt oder in Frage gestellt usw. Zwei Arten von Botschaften lassen sich auf der Beziehungsseite unterscheiden: Du-Botschaften und Wir-Botschaften (s. Abb. 12).

Du- und Wir-Botschaften auf der Beziehungsseite
Aus Du-Botschaften geht hervor, was der Sender vom Empfänger hält, wie er ihn sieht. Im oberen Beispiel könnten die Du-Botschaften enthalten sein: «Du nimmst es nicht wichtig, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen. Du bist nicht zuverlässig.» Eventuell ist auch die Du-Botschaft «Du bist jemand, mit dem man Späße machen kann» enthalten. Die Interpretation ist von Tonfall und Mimik des Senders abhängig und von der vorausgegangenen Beziehungsgeschichte: Sind beide einander freundlich gesinnt? Gibt es Konkurrenz untereinander? Empfangene Du-Botschaften haben über die emotionale Augenblickswirkung hinaus, insbesondere in der Kindheit, großen Einfluss auf das → Selbstkonzept («So einer bin ich also!»). Diese Wirkung erklärt auch die Brisanz und persönliche Betroffenheit, mit welcher der Empfang von Du-Botschaften verbunden sein kann, vor allem wenn diese das eigene Selbstkonzept in Frage stellen.
Der zweite Aspekt der Beziehungsseite, die Wir-Botschaft, verdeutlicht, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger einschätzt: «So stehen wir zueinander.» Hierin ist die Beziehungsdefinition enthalten, die in den meisten Fällen implizit (→ Äußerung) ausgedrückt wird. Sie beinhaltet eine Aussage darüber, welche Art des Umgangs zwischen den Personen angemessen ist: «Wir stehen so zueinander, dass … beispielsweise wir uns duzen; wir über Privates reden, aber nicht über Probleme; ich von dir Dinge verlangen darf, du mich hingegen höchstens um einen Gefallen bitten darfst; etc.» Im oben genannten Beispiel könnte die Beziehungsdefinition lauten: «Wir stehen so zueinander, dass ich berechtigt bin, dein verspätetes Erscheinen vor versammelter Mannschaft zu kommentieren!» oder auch «Unsere Beziehung erlaubt es, Späße miteinander zu machen!»
Jedes Verhalten einem anderen gegenüber enthält unweigerlich eine Beziehungsdefinition, sie ist für den Sender ebenso unvermeidbar, wie es für den Empfänger unvermeidbar ist, darauf zustimmend oder ablehnend zu reagieren. Der Empfänger hat vier Möglichkeiten, auf eine Beziehungsdefinition zu reagieren (Haley 1978):
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Akzeptieren: Zustimmung zum Beziehungsangebot. Zum Beispiel: «Ja, ich bin im Stau stecken geblieben.»
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Durchgehen lassen: keine Zustimmung, aber auch keine offensichtliche Ablehnung oder Korrektur. Beispielsweise: «Ja – guten Appetit!»
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Zurückweisen: explizite Ablehnung. Beispielsweise: «Kümmere dich mal lieber um deine eigene Arbeit!» oder «Was fällt dir eigentlich ein, mich vor versammelter Mannschaft auf meine Verspätung anzusprechen?»
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Ignorieren: Kommentarloses Übergehen des Beziehungsangebotes bei gleichzeitiger Entwertung des Senders. «Hast du eigentlich das Protokoll von unserer Sitzung endlich fertig? Ich hoffe, diesmal mit nicht ganz so vielen Rechtschreibfehlern!»
Versuche, eine bestehende Beziehung umzudefinieren beziehungsweise sich gegen eine Beziehungsdefinition zur Wehr zu setzen, werden auch als Beziehungsmanöver bezeichnet. In den meisten Fällen finden diese implizit statt, zum Beispiel durch gekonterte Du-Botschaften. Dies wäre der Fall, wenn Hans Meyer in dem oberen Beispiel antworten würde: «Mensch Klaus, du bist heute ja wieder lustig! Pass lieber auf, dass du vor lauter Witzigkeit noch deine Arbeit schaffst!»
Auch bei scharfen Auseinandersetzungen auf der Sachebene (→ Sache) handelt es sich häufig um verdeckte Beziehungsmanöver, bei denen es eigentlich um die Abwehr von Du-Botschaften und/oder Beziehungsdefinitionen geht, welche als unangemessen, verletzend oder angreifend empfunden wurden. Auf unser Beispiel übertragen wäre das der Fall, wenn Hans Meyer und sein Kollege in einen Streitdialog darüber treten würden, ab wie viel Uhr die Mittagszeit beginnt. Diese Verflechtung von Sach- und Beziehungsebene wird auch als Pseudoscharmützel bezeichnet (→ Konflikt).
Literatur
Miteinander reden 1, S. 30f., 180ff., 206ff., 229ff. (S. 28, 156ff., 179ff., 198ff.)
Schulz von Thun, F.: Miteinander reden: Fragen und Antworten, S. 23ff.