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Es war einer von Eva Wilts besseren Tagen. Für sie gab es »halt so Tage«, bessere Tage und »diese Tage da«. »Halt so Tage« waren eben halt so Tage, wenn nichts schiefging und sie es schaffte, das Geschirr zu spülen und das Zimmer vorn zu saugen und die Fenster zu putzen und die Betten zu machen und das Bad mit Vim zu scheuern und Harpic ins Klobecken zu streuen, und wenn sie dann ins Gemeindezentrum »Harmo-nie« rüberging und beim Fotokopieren half oder alte Kleider zürn Verramschen sortierte und sich überhaupt nützlich machte und zum Mittagessen nach Hause kam und dann zur Bücherei ging und bei Mavis oder Susan oder Jean Tee trank und sich über das Leben unterhielt und wie selten Henry momentan auch nur auf die Schnelle mit ihr schliefe und wie sie ihre Chance verpaßt habe, als sie diesem Bankbeamten, der jetzt Direktor sei, einen Korb gegeben habe, und wenn sie dann nach Hause kam und Henry das Abendbrot machte und noch mal zum Yoga oder Blumenstecken oder Meditieren oder Töpfern wegging und schließlich mit dem Gefühl ins Bett stieg, was geschafft zu haben.

An einem von »diesen Tagen da« dagegen klappte nichts. Die Tätigkeiten waren genau dieselben, aber jede Einzelheit wurde ihr durch irgendein kleineres Mißgeschick vergällt, wie zum Beispiel, daß die Sicherung im Staubsauger durchbrannte oder ein Stück Mohrrübe den Abfluß im Spülbecken verstopfte, so daß Henry, wenn er nach Hause kam, entweder mit Schweigen begrüßt oder mit einer völlig ungerechtfertigten Aufzählung aller seiner Fehler und Schwächen überfallen wurde. An einem von »diesen Tagen da« nahm Wilt normalerweise den Hund auf einen ausführlichen Spaziergang mit, der ihn unter anderem zur Gaststätte »Am Fährweg« führte, und verbrachte eine ruhelose Nacht mit Aufstehen und ins Bad Müssen, womit er die Reinigungskräfte des Harpic zunichte machte, das Eva in alle Winkel des Klobeckens gestäubt hatte, und ihr so einen willkommenen Vorwand lieferte, am nächsten Morgen noch mal seine Fehler anzuprangern.

»Zum Kuckuck, was soll ich denn bloß machen?« hatte er nach einer dieser Nächte gefragt. »Wenn ich die Spülung ziehe, bist du sauer, weil ich dich damit geweckt habe, und wenn ich's nicht tue, sagst du, es sieht morgens so eklig aus.«

»Na, das tut's ja auch, und sowieso brauchst du nicht das ganze Harpic von den Seiten wegzustrullern. Und sag bloß nicht, das tätest du nicht. Ich habe dich dabei beobachtet. Du zielst rundherum drauf, so daß alles weggespült wird. Du machst das richtig absichtlich.«

»Wenn ich die Spülung ziehe, würde's eh alles wegschwemmen und dich obendrein auch noch wecken«, sagte Will, wohl wissend, daß er sich wirklich angewöhnt hatte, auf das Harpic zu zielen. Er hatte was gegen das Zeug.

»Warum kannst du nicht einfach bis zum Morgen warten? Und überhaupt geschieht dir ganz recht«, fuhr sie fort, um der Antwort, die sie erwartete, zuvorzukommen, »wenn du so viel Bier trinkst. Du sollst Clem ausführen und nicht Bier saufen in dieser ekelhaften Finte.«

»Pipi oder nicht Pipi, das ist hier die Frage«, sagte Wilt und tat sich Müsli auf. »Was erwartest du von mir? Daß ich mir einen Knoten in das verdammte Ding mache?«

»Das würde mir auch nichts ausmachen«, sagte Eva bitter.

»Mir würde das aber verdammt nochmal 'ne ganze Menge ausmachen, na, besten Dank.«

»Ich sprach von unserem Sexualleben, das weißt du genau.«

»Ach so«, sagte Wilt.

Aber das war an einem von »diesen Tagen da«.

An einem ihrer besseren Tage geschah irgendwas Unerwartetes, das das tägliche Einerlei mit neuem Sinn erfüllte und die in ihr schlummernden Hoffnungen erweckte, daß sich plötzlich alles irgendwie zum Besseren wendete und auch so bliebe. Diese Hoffnungen waren es, auf denen ihre Lebenszuversicht beruhte. Sie waren der geistige Ausgleich für die geistlosen Tätigkeiten, die sie in Anspruch nahmen und Henry nervten. An einem ihrer besseren Tage schien die Sonne strahlender, der Boden in der Diele leuchtete strahlender und Eva Wilt selber war strahlender zumute, und sie summte: »»Du sollst der Kaiser meiner Träume sein« . . .«, während sie die Treppe staubsaugte. An einem ihrer besseren Tage trat sie der Welt mit einer entwaffnenden Gutmütigkeit gegenüber, die in anderen Menschen genau dieselben Hoffnungen erweckte, die Eva erbeben ließen. An einem ihrer besseren Tage mußte Henry für sein Abendbrot selber sorgen und blieb, wenn er klug war, so lange wie möglich von zu Hause weg. Eva Wilts Hoffnungen ersehnten sich etwas sehr viel Anregenderes als Henry Wilt nach einem Tag Berufsschule. Und am Abend solcher Tage geschah es dann, daß er wirklich fast so weit war, sie umzubringen, und zum Teufel mit allem, was danach kam.

An diesem speziellen Tag war sie auf dem Weg zum Gemeindezentrum, als sie zufällig Sally Pringsheim traf. Es war eine dieser rein zufälligen Begegnungen, die nur dadurch zustandekam, daß Eva den Weg zu Fuß statt mit dem Fahrrad machte und durch den Rossiter Grove statt einfach die Parkview Avenue langging, was eine halbe Meile kürzer gewesen wäre. Sally kam gerade in einem Mercedes mit P-Kennzeichen aus dem Tor, das hieß, der Wagen war nagelneu. Eva bemerkte es und lächelte entsprechend.

»Wie ulkig, daß ich Sie gerade hier treffe«, sagte sie strahlend, als Sally hielt und den Schlag öffnete.

»Kann ich Sie ein Stück mitnehmen? Ich fahre gerade in die Stadt, um nach 'ner netten Kleinigkeit zu sehen, die ich heute abend anziehe. Gaskell hat irgendso 'n schwedischen Professor aus Heidelberg zu Besuch, und wir wollen mit ihm ins »Ma Tante«.«

Eva Wilt stieg erfreut ein, in Gedanken taxierte sie den Preis des Wagens und des Hauses und die Wichtigkeit, eine nette Kleinigkeit ins »Ma Tante« anzuziehen (wo, wie sie gehört hatte, Vorgerichte wie Garnelencocktails fast ein Pfund kosteten) und die Tatsache, daß Dr. Pringsheim schwedische Professoren ausführte, wenn sie nach Ipford kamen.

»Ich wollte gerade in die Stadt laufen«, schwindelte sie, »Henry hat sich den Wagen genommen, und es ist so ein herrlicher Tag.«

»Gaskell hat sich ein Fahrrad gekauft. Er sagt, das geht schneller und hält ihn fit«, sagte Sally, womit sie Henry Wilt zu einem weiteren Mißgeschick verurteilte. Eva nahm sich vor, dafür zu sorgen, daß Henry sich auf der Polizeiauktion ein Fahrrad kaufte und bei Wind und Wetter zum Dienst führe. »Ich habe gedacht, ich versuch's mal bei »Felicity Modem mit einem Seidenponcho. Ich weiß nicht, wie die sind, aber ich habe gehört, die sollen gut sein. Professor Grants Frau kauft dort, und sie sagt, sie haben die größte Auswahl.«

»Da bin ich sicher«, sagte Eva Wilt, deren Verbindung zu »Felicity Moden« darin bestand, ins Schaufenster zu gucken und sich zu fragen, wer in aller Welt sich Kleider für vierzig Pfund leisten könne. Jetzt wußte sie es. Sie fuhren in die Stadt und parkten im Parkhochhaus. In der Zwischenzeit hatte Eva eine Menge weiterer Informationen über die Pringsheims in ihrem Gedächtnis gespeichert. Sie kamen aus Kalifornien. Sally war Gaskell begegnet, als sie durch Arizona trampte. Sie war an der Universität von Kansas gewesen, hatte aber das Studium geschmissen, um in einer Kommune zu leben. Es hatte schon andere Männer in ihrem Leben gegeben. Gaskell mochte keine Katzen. Er kriegte davon Heuschnupfen. Die Befreiung der Frau bedeutete mehr, als den BH ins Feuer zu schmeißen. Sie bedeutete, sich dem Programm der Überlegenheit der Frau über den Mann total zu verschreiben. Liebe war was Tolles, solange man sie nicht an sich ran ließ. Naturdünger war in und Farbfernsehen out. Gaskeils Vater hatte eine Ladenkette besessen, die ausbeuterisch gewesen war. Geld war praktisch und Rossiter Grove öde. Vor allem mußte Picken Spaß machen, das mußte es einfach, wie man's auch immer ansah.

Eva Wilt versetzte diese Mitteilung in Hochspannung. In ihren Kreisen war »Fick« ein Wort, das die Männer gebrauchten, wenn sie beim Bier mit ihrer Potenz prahlten. Wenn Eva es benutzte, dann tat sie es in der Abgeschiedenheit des Badezimmers und mit einer sehnsüchtigen Nachdenklichkeit, die ihm seine Grobheit nahm und es mit herrlicher Kraft erfüllte, so daß ein guter Fick zur entferntesten und abstraktesten aller Hoffnungen wurde und mit Henrys gelegentlichem Morgen-gefummele überhaupt nichts zu tun hatte. Und wenn »Fick« dem Badezimmer vorbehalten war, dann war Ficken was noch Ungewöhnlicheres. Es verhieß eine geradezu immerwährende Betätigung, was ganz Ungeniertes, das so lässig wie befriedigend war und dem Leben eine neue Dimension verlieh. Eva Wilt stolperte aus dem Auto und folgte Sally im Zustand höchster Erregung in die »Felicity Moden«.

Wenn Ficken Spaß machte, dann war mit Sally Pringsheim einzukaufen eine Offenbarung. Das ging mit einer Entschlossenheit vonstatten, die wirklich atemberaubend war. Wo Eva gezögert und gezaudert hätte, da entschied Sally, und hatte sie entschieden, so tigerte sie weiter an den Kleiderstangen entlang, ließ Sachen, die ihr nicht gefielen, über Stühlen hängen, griff zu anderen, warf einen Blick drauf und sagte mit einer gelangweilten Zustimmung, die einfach ansteckend war, sie reichten wahrscheinlich zu diesem Anlaß, und verließ den Laden mit einem Stapel Schachteln mit Schantungponchos, seidenen Sommermänteln, Schals und Blusen im Wert von zweihundert Pfund. Eva hatte siebzig ausgegeben, und zwar für einen gelben Hausanzug und einen Regenmantel mit Aufschlägen und Gürtel, der, wie Sally sagte, hundert Prozent Gatsby war.

»Jetzt brauchen Sie nur noch den Hut, dann sind Sie's«, sagte sie, als sie die Schachteln im Wagen verstauten. Sie kauften den Hut, einen weichen Schlapphut, und gingen dann ins »Cafe Mombasa« Kaffee trinken, wo Sally, eine lange dünne Zigarre rauchend, sich angeregt über den Tisch lehnte und so laut über Körperberührung redete, daß Eva bemerkte, wie die Frauen an verschiedenen Tischen in der Nähe aufhörten, sich zu unterhalten, und ziemlich mißbilligend zuhörten.

»Gaskells Brustwarzen machen mich ganz wild«, sagte Sally, »sie machen auch ihn ganz wild, wenn ich dran nuk-kele.«

Eva trank ihren Kaffee und fragte sich, was Henry wohl täte, wenn sie sich einfallen ließe, an seinen Brustwarzen zu nuckeln. Ihn wild machen, war wohl kaum das richtige Wort, und außerdem bereute sie langsam, siebzig Pfund ausgegeben zu haben. Das würde ihn ebenfalls wild machen. Henry hielt nichts von Kreditkarten. Aber sie hatte zu viel Spaß, als daß sie sich vom Gedanken an seine Reaktion den Tag vermiesen lassen wollte.

»Ich finde, die Nippel sind so wichtig«, fuhr Sally fort. Am Nebentisch zahlten zwei Frauen und gingen.

»Das mag ja sein«, sagte Eva Wilt verlegen, »aber ich habe mit meinen nie viel anfangen können.«

»Wirklich nicht?« sagte Sally. »Dagegen müssen wir aber was tun.«

»Ich glaube nicht, daß irgend jemand viel dagegen tun kann«, sagte Eva. »Henry zieht seinen Schlafanzug nie aus, und bei mir ist das Nachthemd im Wege.«

»Erzählen Sie mir nicht, Sie haben im Bett was an. O Gott, Sie armes Ding. Und Nachthemden, lieber Himmel, wie demütigend für Sie! Ich finde, das ist typisch für eine von Männern beherrschte Gesellschaft, diese ganzen Kleiderunterschiede. Sie müssen ja an einem Streicheldefizit leiden. Gaskell sagt, das ist genauso schlimm wie Vitaminmangel.«

»Ach Gott, Henry ist halt immer müde, wenn er nach Hause kommt«, sagte Eva. »Und ich gehe viel aus.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte Sally, »Gaskell meint, die Erschöpfung des Mannes ist ein Zeichen von Penisunsi-cherheit. Ist Henrys groß oder klein?«

»Gott, das kommt drauf an«, sagte Eva heiser, »manchmal ist er groß und manchmal nicht.«

»Ich mag Männer mit kleinen viel lieber«, sagte Sally, »sie geben sich viel mehr Mühe.«

Sie tranken ihren Kaffee aus und gingen zum Auto zurück, während sie über Gaskells Penis und seine Theorie diskutierten, in einer sexuell ungeschiedenen Gesellschaft werde die Stimulierung der Brustwarzen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gefühls des Mannes für seine hermaphroditische Natur spielen.

»Gaskell hat darüber einen Artikel geschrieben«, sagte Sally, als sie nach Hause fuhren, »der heißt »Der Mann als Mutter«. Er ist letztes Jahr in »Leck mich« erschienen.«

»Leck mich?« sagte Eva.

»Ja, das ist eine Zeitschrift, die von der Gesellschaft zur Erforschung ganzheitlicher Sexualität in Kansas herausgegeben wird. G hat viel über Tierverhalten für sie gearbeitet. Er hat da seine Doktorarbeit über das Rollenspiel bei Ratten geschrieben.«

»Das klingt aber sehr interessant«, sagte Eva unsicher. Rolle oder rollen? Egal, was es war, es war imponierend, und natürlich reichten Henrys gelegentliche Aufsätzchen über »Der Berufsschulanfänger und die Literatur« in der »Allgemeinwis-senschaftlichen Vierteljahresschrift« schwerlich an Dr. Prings-heims Untersuchungen heran.

»Ach, ich weiß nicht. Das ist doch wirklich alles so wasserklar. Wenn man zwei männliche Ratten lange genug in einen Käfig steckt, muß eine einfach unweigerlich aktive Neigungen entwickeln und die andere passive«, sagte Sally gelangweilt. »Aber Gaskell war furchtbar wütend. Er dachte, sie müßten sich abwechseln. Das ist typisch G. Ich sagte zu ihm, wie albern er war. Ich sagte: »G-Mäuschen, Ratten sind doch praktisch sowieso alle gleich. Ich meine, wie kannst du von ihnen erwarten, sie könnten eine Existenzwahl treffen?«, und wissen Sie, was er gesagt hat? Er sagte: »Mein Schamlöckchen-Baby, Ratten sind das Musterbeispiel. Denk einfach immer daran, und du liegst nie falsch. Ratten sind das Musterbeispiele Wie finden Sie das?«

»Ich finde, Ratten sind ziemlich eklig«, sagte Eva ohne nachzudenken. Sally lachte und legte ihr die Hand aufs Knie.

»Ach, Eva-Liebes«, murmelte sie, »Sie sind so wundervoll erdnah. Nein, ich bringe Sie nicht zur Parkview Avenue zurück. Sie kommen auf einen Drink und zum Essen mit zu mir. Ich vergehe einfach danach, Sie in diesem zitronengelben Hausanzug zu sehen.«

Sie bogen in den Rossiter Grove ein.

Waren Ratten ein Musterbeispiel für Dr. Pringsheim, so waren Drucker III ein Musterbeispiel für Henry Wilt, wenn auch eines von ziemlich anderer Art. Sie waren ein Beispiel für alles überaus Schwierige, Unsensible und ausgesprochen Aufsässige an den Berufsschulklassen, und um alles noch schlimmer zu machen, meinten diese Halunken auch noch, sie seien gebildet, weil sie tatsächlich lesen konnten, und Voltaire sei ein Idiot, weil er für Candide alles danebengehen ließ. Wenn er sie nach den Kindergärtnerinnen und in seiner Vertretungsstunde bekam, brachten die Drucker III seine schlechtesten Seiten zum Vorschein. Das hatten sie offenbar auch bei Cecil Williams geschafft, der sie eigentlich hatte übernehmen sollen.

»Das ist jetzt schon die zweite Woche, die er wegen Krankheit fehlt«, berichteten sie Wilt.

»Das überrascht mich überhaupt nicht«, sagte Wilt, »ihr verdammte Sippschaft genügt, um jeden krank zu machen.«

»Wir haben een Typen so vergrault, da hat er sich vergast. Pinkerton hat er jehießen. Er nahm uns für 'n Jahr, und wir mußten dieses Buch »Juda der Unberühmte« lesen. Ein scheißdeprimierendes Buch war das. Alles über diesen blödsinnigen Juda.«

»Das Buch ist mir nicht ganz unbekannt«, sagte Wilt.

»Das nächste Jahr kam Old Pinky nicht wieder. Er fuhr zum Fluß runter und steckte einen Schlauch in den Auspuff und vergaste sich.«

»Ich kann's ihm nicht verübeln«, sagte Wilt.

»Na, Sie machen mir aber Spaß. Er sollte uns doch mit gutem Beispiel vorangehen.«

Will sah die Klasse finster an.

»Ich bin sicher, genau das wollte er, als er sich vergaste«, sagte er. »So, und nun macht weiter und lest leise, eßt leise und raucht so, daß euch niemand vom Verwaltungsflügel aus sehen kann, ich habe zu arbeiten.«

»Zu arbeiten? Ihr Scheißvolk wißt doch nicht, was Arbeit ist. Alles, was ihr könnt, ist den ganzen Tag am Schreibtisch hocken und lesen. Ist das vielleicht Arbeit? Mich harn se am Arsch, wenn ich's tu, und euch bezahlen die auch noch dafür ... «

»Halt die Klappe«, sagte Wilt überraschend heftig. »Halt deine blöde Schnauze.«

»Wer kann mir das schon vorschreiben«, sagte der Druk-ker.

Wilt versuchte, seine Wut im Zaum zu halten, und fand es ausnahmsweise mal unmöglich. Die Drucker III hatten was unglaublich Arrogantes.

»Ich!« brüllte er.

»Ach nee, und wer sonst noch? Sie würden's nicht mal schaffen, daß 'ne Maus die Klappe hält, und wenn Sie's den ganzen Tag probieren.«

Wilt stand auf. »Du verfluchter kleiner Scheißkerl«, schrie er, »du dreckige Rotznase . . .«

»Ich muß schon sagen, Henry, ich hätte mehr Beherrschung von Ihnen erwartet«, sagte der Leiter der Allgemeinbildung, als Wilts Nase eine Stunde später nicht mehr blutete und die Schulschwester ihm ein Pflaster auf die Augenbraue geklebt hatte.

»Naja, es war nicht meine Klasse, und sie haben mich damit auf die Palme gebracht, daß sie sich über Pinkertons Selbstmord lustig machten. Wenn Williams nicht wegen Krankheit gefehlt hätte, war's nicht passiert«, erklärte Wilt. »Er ist immer krank, wenn er Drucker III zu übernehmen hat.«

Mr. Morris schüttelte enttäuscht den Kopf. »Mir ist egal, welche Klasse es war. Aber Sie können einfach nicht herumlaufen und über Schüler herfallen . . .«

»Über Schüler herfallen? Nicht mal berührt habe ich ... » »Schon gut, aber Sie haben beleidigende Worte gebraucht. Bob Fenwick war in der Klasse nebenan und hat gehört, wie Sie diesen Allison einen verfluchten kleinen Scheißkerl und einen boshaften Trottel nannten. Ist es dann ein Wunder, wenn er Ihnen eine knallt?«

»Wahrscheinlich nicht«, sagte Wilt. »Ich hätte nicht wütend werden dürfen. Tut mir leid.«

»Wenn das so ist, vergessen wir doch einfach das Vorgefallene«, sagte Mr. Morris. »Aber denken Sie daran, wenn ich Ihnen eine Hauptlehrerstelle verschaffen soll, kann ich nicht dulden, daß Sie sich einen Klecks in Ihr Schreibheft machen, indem Sie sich mit Schülern prügeln.«

»Ich habe mich nicht geprügelt«, sagte Wilt, »er hat mich verprügelt.«

»Na, wollen wir nur hoffen, daß er nicht zur Polizei geht und Sie wegen tätlicher Beleidigung anzeigt. Das wäre das Allerletzte an Reklame, was uns noch fehlte.«

»Nehmen Sie mir einfach Drucker III ab«, sagte Wilt. »Ich hab diese Ungeheuer satt.«

Er ging den Korridor hinunter und holte sich Mantel und Aktentasche aus dem Lehrerzimmer. Seine Nase fühlte sich zweimal so groß wie normal an, und seine Augenbraue tat ekelhaft weh. Auf dem Weg hinaus zum Parkplatz kam er an mehreren Kollegen vorbei, aber keiner blieb stehen und fragte ihn, was geschehen sei. Unbeachtet verließ Henry Wilt das Schulgebäude und stieg in sein Auto. Er schloß die Tür und saß mehrere Minuten lang da und sah den Dampframmen bei der Arbeit an dem neuen Block zu. Hoch, runter, hoch, runter. Nägel in einen Sarg. Und eines Tages, eines unentrinnbaren Tages läge auch er in seinem Sarg, immer noch unbeachtet, immer noch Hilfslehrer (zweiter Klasse) und von allen total vergessen, bis auf irgendso einen Rüpel aus Drucker III, der sich sein Leben lang an den Tag erinnern würde, wo er einem Lehrer eins auf die Nase gab und nicht bestraft wurde. Wahrscheinlich würde er noch vor seinen Enkeln damit prahlen.

Wilt ließ den Wagen an und fuhr auf die Hauptstraße hinaus, voller Ekel vor den Druckern III, der Schule, dem Leben im allgemeinen und sich selber im besonderen. Jetzt verstand er, wieso Terroristen bereit sein konnten, sich zum Besten irgendeiner Sache zu opfern. Hätte er eine Bombe und einen Grund gehabt, er hätte sich und alle unschuldigen Leute drumherum mit Freuden ins Jenseits gesprengt, bloß um für einen herrlichen, wenn auch kurzen Augenblick zu beweisen, daß er von wirklicher Bedeutung sei. Aber er hatte weder Bombe noch Grund. Er fuhr stattdessen eilends heim und parkte vor der Parkview Avenue Nr. 34. Dann schloß er die Haustür auf und ging hinein.

In der Diele roch es merkwürdig. Irgendein Parfüm. Schwer und süß. Er stellte seine Aktentasche ab und sah ins Wohnzimmer. Eva war anscheinend nicht zu Hause. Er ging in die Küche, stellte den Teekessel auf und befühlte seine Nase. Er mußte sie sich im Badezimmerspiegel mal genau ansehen. Er war die Treppe halb hinauf, wo er wahrnahm, daß das Parfüm entschieden was Giftgasartiges an sich hatte, als ihn etwas zum Stehenbleiben zwang. Eva Wilt stand in der Schlafzimmertür und hatte einen verblüffend gelben Schlafanzug mit enorm gebauschten Hosen an. Sie sah wirklich fürchterlich aus, und um alles noch schlimmer zu machen, rauchte sie eine lange dünne Zigarette aus einer langen dünnen Zigarettenspitze. Ihr Mund war grell rot.

»Penis-Baby«, murmelte sie heiser und wiegte sich hin und her. »Komm hier rein. Ich will an deinen Brustwarzen nuk-keln, bis du mir mundmäßig kommst.«

Wilt kehrte um und floh die Treppe hinunter. Das Weib war blau. Es war einer ihrer besseren Tage. Ohne sich die Zeit zu nehmen, den Teekessel abzustellen, rannte Henry Wilt zur Haustür hinaus und stieg wieder ins Auto. Er blieb doch nicht da, um sie an seinen Brustwarzen nuckeln zu lassen. Für heute hatte er absolut genug.