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Im Schilf begrüßte Eva die Morgenröte des neuen Tages damit, daß sie die Luftmatratze zum zehnten Mal aufblies. Entweder hatte sie ein Loch, oder am Ventil war irgendwas kaputt. Egal, was es war, es hatte sie furchtbar langsam vorwärtskommen lassen, und schließlich gezwungen, weit entfernt vom Flußlauf im Schilf Schutz zu suchen. Hier hatte sie, im Röhricht eingekeilt, eine feuchte Nacht verbracht, die daraus bestand, daß sie von der Luftmatratze runterstieg, sie aufblies, wieder draufkletterte und versuchte, sich den Schlamm und das Grünzeug runterzuwaschen, die an ihr klebengeblieben waren, als sie runtergestiegen war. Dabei hatte sie das Unterteil ihres zitronengelben Hosenanzugs verloren und sich das Oberteil zerrissen, so daß sie, bis der Morgen dämmerte, weniger der spinnerten Hausfrau aus der Parkview Avenue Nr. 34 glich, als vielmehr einer Endkampfteilnehmerin im Schwergewicht bei den Schlammringmeisterschaften der Frauen. Außerdem fror sie furchtbar und war darum froh, als die Sonne aufging und die Aussicht auf einen heißen Sommertag mitbrachte. Jetzt mußte sie nur noch ans Land oder ins offene Wasser finden und jemanden dazu bewegen ... Da wurde sich Eva bewußt, daß sie in ihrem Auf zug wahrscheinlich einige Verwirrung stiften würde. Der gelbe Hosenanzug war überkandidelt genug gewesen, um sie nicht die Straße langgehen zu lassen, wenn sie ihn anhatte, aber jetzt, wo er zum größten Teil nicht mehr vorhanden war, wollte sie nun bestimmt nicht öffentlich gesehen werden. Andererseits konnte sie auch nicht den ganzen Tag im Schilf hocken bleiben. Die Luftmatratze hinter sich herziehend arbeitete sie sich weiter, teils schwimmend, größtenteils aber, indem sie mühevoll durch Schlamm und Wasser watete. Schließlich fand sie aus dem Schilf ins offene Wasser hinaus und sah in einiger Entfernung ein Haus, einen Garten, der zum Ufer hin schräg abfiel, und eine Kirche liegen. Es sah weit bis da rüber aus, und kein Boot war zu sehen. Sie würde eben rüberschwimmen müssen und hoffen, daß die Frau, die dort wohnte, mitfühlend und, besser noch, groß genug sei, um ihr ein paar Sachen zu leihen, bis sie nach Hause käme. Da entdeckte Eva, daß sie ihre Handtasche irgendwo im Schilf verloren hatte. Sie erinnerte sich, daß sie sie in der Nacht bei sich gehabt hatte, aber sie mußte von der Luftmatratze gefallen sein, als sie sie aufblies. Na ja, sie konnte jetzt ja nicht zurückgehen und sie suchen. Sie würde halt ohne sie weiterkommen müssen und Henry anrufen und ihm sagen, daß er mit dem Auto rauskommen und sie abholen solle. Er könnte auch was zum Anziehen mitbringen. Ja, so ginge es. Eva Wilt kletterte auf die Luftmatratze und paddelte langsam hinüber. Auf halbem Weg ging die Luftmatratze zum elften Mal unter. Eva ließ sie sausen, und strampelte in der Schwimmweste weiter. Aber auch die hinderte sie am Vorwärtskommen, und so beschloß sie, sich von ihr zu trennen. Wassertretend versuchte sie, sie aufzuhaken, und nach einem furchtbaren Gewühl schaffte sie es endlich, sie auszuziehen. Dabei ging der Rest des gelben Hosenanzuges baden, so daß, als Eva Wilt das Ufer erreichte, sie nicht nur fix und fertig, sondern auch pudelnackt war. Sie kroch in den Schutz eines Weidenbaums und lag nach Luft schnappend auf der Erde. Als sie sich erholt hatte, stand sie auf und sah sich um. Sie befand sich am hinteren Ende des Gartens und das Haus lag etwa hundert Meter entfernt auf dem Hügel. Nach Evas Maßstäben war es ein sehr großes Haus und dazu eins, in dem sie sich nie und nimmer wohlfühlen würde. Erstens sah es so aus, als habe es auf der Rückseite einen Hof und Ställe, und für Eva, deren Kenntnis großer Landhäuser sich auf das beschränkte, was sie im Fernsehen gesehen hatte, verband sich damit die Vorstellung von Knechten und Mägden, von Vornehmheit und gesellschaftlicher Förmlichkeit, was ihr Auftauchen in voller Nacktheit sicher ziemlich peinlich machte. Andererseits sah alles ausgesprochen heruntergekommen aus. Der Garten war verwuchert und ungepflegt; Ziersträucher, die wohl mal so geschnitten waren, daß sie wie Vögel oder andere Tiere aussahen, hatten sich wieder in merkwürdige und ein bißchen unheimliche Formen zurückverwandelt, verrostete Faßreifen lehnten halb versteckt im hohen Gras eines nicht gemähten Krocket-Rasens, ein Tennisnetz hing lose zwischen den Pfosten, und ein leeres Gewächshaus tat sich mit ein paar bemoosten Fensterscheiben groß. Schließlich waren noch ein verfallenes Bootshaus und ein Ruderboot zu sehen. Alles in allem machte das Anwesen einen düsteren und ehrwürdigen Eindruck, der durch eine kleine, zwischen den Bäumen versteckte Kirche zur Linken und einen verwahrlosten Friedhof hinter einem alten Eisenzaun nicht gerade gemildert wurde. Eva guckte unter der Trauerweide hervor und wollte gerade ihren Unterschlupf verlassen, als die Verandatür aufging und ein Mann mit einem Fernglas auf die Terrasse trat, durch das er in Richtung Aalfleet sah. Er trug eine schwarze Soutane mit steifem Kragenbündchen. Eva versteckte sich wieder hinter dem Baum und dachte über ihre schreckliche Lage und die nichtvorhandenen Kleider nach. Das war ja alles ungeheuer peinlich. Nichts in der Welt brächte sie dazu, ohne was auf dem Leib zu dem Haus, einem Pfarrhaus, hinaufzugehen. Die Parkview Avenue hatte sie auf solche Situationen nicht vorbereitet.
Der Rossiter Grove hatte Gaskell nicht auf die Situation vorbereitet, der er sich gegenübersah, als Sally ihn mit »Nöah-Baby, oberdeckmäßig ist alles klar, wird Zeit, daß wir uns verkrümeln«, weckte.
Er öffnete die Kajütentür und ging raus, wo er feststellte, daß Eva schon auf und davon war und die Luftmatratze und
die Schwimmwesten mitgenommen hatte. »Hast du sie etwa die ganze Nacht draußengelassen ?«fragte er. »Na, jetzt sitzen wir nicht nur im Aalfleet, sondern wirklich in der Kackelache. Kein Paddel, keine Luftmatratze, keine Schwimmwesten, kein gar nichts.«
»Ich habe ja nicht gewußt, daß sie so was Verrücktes machen und alles mitnehmen würde«, sagte Sally.
»Du läßt sie die ganze Nacht draußen im strömenden Regen, da mußte sie doch irgendwas machen. Inzwischen ist sie wahrscheinlich schon erfroren. Oder ertrunken.«
»Sie hat versucht, mich umzubringen. Glaubst du etwa, da würde ich sie reinlassen, wenn sie sowas versucht? Sowieso ist alles deine Schuld, weil du dir ja das Maul über diese Puppe verbrennen mußtest.«
»Das erzähl mal der Polente, wenn sie ihre Leiche den Fluß runter treiben sehen. Erklär ihnen halt, wie's dazu kam, daß sie mitten im Sturm baden gehen mußte.«
»Du versuchst bloß, mir Angst zu machen«, sagte Sally. »Ich habe sie nicht rausgeschmissen oder sowas.«
»Ich sage ja bloß, es wird verdammt brenzlig riechen, wenn ihr etwas passiert ist. Und nun erzähl mir mal, wie wir jetzt von hier wegkommen. Wenn du meinst, ich ginge ohne Schwimmweste ins Wasser, hast du dich geschnitten. Ich bin nicht Mark Spitz.«
»Ach, du großer Held«, sagte Sally.
Gaskell ging in die Kajüte und guckte in den Schrank neben dem Herd. »Und noch was. Mit den Lebensmitteln wird's langsam kritisch. Und Wasser. Es ist nicht mehr viel da.«
»Du hast uns in die Scheiße geritten, da zieh uns gefälligst auch wieder raus«, sagte Sally.
Gaskell setzte sich in die Koje und versuchte nachzudenken. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, irgendwelchen Leuten mitzuteilen, daß sie hier und in der Patsche saßen. Sie konnten nicht weit vom Land weg sein. Soweit er wußte, lag Land direkt auf der anderen Seite des Schilfs. Er ging raus und stieg auf s Kajütendach, aber außer der Kirchturmspitze in der Ferne konnte er jenseits des Schilfs nichts sehen. Wenn sie ein Stück Stoff nähmen und damit herumwedelten, sähe es vielleicht jemand. Er ging hinunter, holte sich einen Kissenbezug und machte zwanzig Minuten nichts weiter, als mit ihm her-umzuwedeln und zu schreien. Dann stieg er wieder runter in die Kajüte, holte die Karte raus und hockte über ihr in dem vergeblichen Versuch rauszufinden, wo sie wären. Er faltete die Karte eben wieder zusammen, als sein Blick auf die Scrabble-Steinchen fiel, die noch auf dem Tisch lagen. Buchstaben, einzelne Buchstaben. Wenn sie doch irgendwas hätten, was mit Buchstaben drauf in der Luft schwebte. Wie ein Drachen. Gaskell überlegte, wie er einen Drachen bauen könnte, und kapitulierte. Vielleicht wäre es schließlich doch das Beste, Rauchsignale zu geben. Er holte sich eine leere Büchse aus der Küche, füllte sie mit Dieselöl aus den öllachen neben dem Motor, tauchte ein Taschentuch hinein und kletterte auf das Kajütendach. Er zündete das Taschentuch an und versuchte, das öl zum Brennen zu kriegen, aber als es brannte, gab's nur ganz wenig Rauch, und die Dose wurde ihm viel zu heiß in den Händen. Gaskell kickte sie ins Wasser, wo sie zischend verschwand.
»Genie-Baby«, sagte Sally, »du bist der Größte.«
»Ja ja, wenn dir was Brauchbares einfällt, dann laß mich's wissen.«
»Schwimm doch.«
»Ersauf doch«, sagte Gaskell.
»Du könntest ein Floß oder sowas bauen.«
»Ich könnte Scheimachers Boot hier kaputthacken. Mehr brauchen wir nicht.«
»Ich habe mal einen Film gesehen, mit Gauchos oder Römern oder sowas, die kamen an einen Fluß und wollten rüber, und da haben sie Schweinsblasen genommen.«
»Und ausgerechnet jetzt haben wir alles, bloß kein Schwein.«
»Du könntest die Mülltüten aus der Küche nehmen«, sagte Sally. Gaskell holte sich eine Plastiktüte, blies sie auf und band sie oben mit Bindfaden zu. Dann drückte er sie zusammen. Die Tüte hielt die Luft nicht.
Gaskell setzte sich verzagt hin. Es mußte doch irgendeine simple Möglichkeit geben, Aufmerksamkeit zu erregen, und auf keinen Fall hatte er Lust, mit einer aufgeblasenen Mülltüte im Arm durch das trübe Wasser da rüberzuschwimmen. Er spielte mit den Scrabble-Steinchen rum und dachte nochmal über Drachen nach. Oder Ballons. Ballons.
»Hast du die Gummis mit, die du immer nimmst?« fragte er plötzlich.
»Du lieber Gott, ausgerechnet jetzt kriegt er einen hoch«, sagte Sally, »denk nicht an Sex. Denk lieber darüber nach, wie du uns hier rausbringst.«
»Habe ich ja«, sagte Gaskell, »ich brauch diese Gummis.«
»Willst du dich auf einem Floß aus Parisern den Fluß runtertreiben lassen?«
»Ballons«, sagte Gaskell. »Wir blasen sie auf, malen Buchstaben drauf und lassen sie im Wind schweben.«
»Genie-Baby«, sagte Sally und ging in die Toilette. Sie kam mit einem Schwammtäschchen zurück. »Hier sind sie. Und ich dachte schon einen Augenblick, du wolltest mich.«
»Die Tage des Weins und der Rosen«, sagte Gaskell, »sind vorbei. Erinner mich dran, daß ich mich von dir scheiden lassen will.« Er riß ein Päckchen auf, blies ein Präservativ auf und knotete es oben zu.
»Mit welcher Begründung?«
»Zum Beispiel, daß du lesbisch bist«, sagte Gaskell und hielt den Dildo hoch. »Und deine Kleptomanie und die Angewohnheit, andere Männer in Puppen festzuklemmen. Du erzählst es mir, und ich verwende es. Wie auch, daß du nymphomanisch bist.«
»Das traust du dich nicht. Deine Familie wäre entzückt von dem Skandal.«
»Wart's ab«, sagte Gaskell und blies noch ein Präservativ auf.
»Plastik-Depp.«
»Kesser Vater.«
Sallys Augen wurden schmal. So langsam glaubte sie, daß er meinte, was er von Scheidung sagte, und wenn Gaskell sich in England von ihr scheiden ließ, was bekäme sie dann Unterhalt? Sehr wenig. Kinder hatten sie nicht, und sie hatte das unbestimmte Gefühl, britische Gerichte seien in Geldsachen knickerig. Gaskell war das auch, und seine Familie ebenfalls. Reich und knickerig. Sie saß da und beobachtete ihn.
»Wo ist dein Nagellack?« fragte Gaskell, als er fertig war und sich dreizehn Luftballons in der Kajüte türmten.
»Leck mich«, sagte Sally und ging raus aufs Deck, um nachzudenken. Sie starrte in das trübe Wasser und dachte über Ratten und den Tod und darüber nach, wie das wohl wäre, arm aber emanzipiert zu sein. Das Ratten-Musterbeispiel. Die Welt war schlecht. Die Menschen waren Dinge, die benutzt und weggetan wurden. Das war Gaskells eigene Philosophie, und jetzt tat er sie weg. Aber ein falscher Schritt auf diesem öligen Deck konnte ihre Probleme lösen. Gaskell mußte bloß ausrutschen und ertrinken, und sie wäre frei und reich, und niemand würde jemals was erfahren. Ein Unfall. Ein natürlicher Tod. Aber Gaskell konnte schwimmen, und Fehler durften nicht passieren. Einmal versucht und gescheitert, und sie würde zu keinem zweiten Versuch mehr kommen. Er wäre auf der Hut. Es mußte ganz sicher und ganz natürlich sein.
Gaskell kam mit den aufgeblasenen Präservativen an Deck. Er hatte sie aneinandergebunden und auf jedes mit Nagellack einen einzelnen Buchstaben gemalt, so daß das ganze HILFE SOS HILFE ergab. Erkletterte auf das Kajütendach und warf sie hoch. Einen Augenblick schwebten sie in der Luft, wurden dann von dem leichten Wind erfaßt und fielen seitwärts aufs Wasser. Gaskell zog sie an dem Faden wieder ins Boot und versuchte es nochmal. Sie fielen wieder aufs Wasser.
»Ich warte, bis mehr Wind ist«, sagte er und band sie an die Reling, wo sie träge hin- und herbaumelten. Dann ging er in die Kajüte und legte sich in die Koje.
»Was machst du jetzt?« fragte Sally.
»Schlafen. Weck mich, wenn Wind ist.«
Er nahm die Brille ab und zog sich eine Decke über den Kopf. Draußen saß Sally auf einer Kiste und dachte über das Ertrinken nach. Im Bett.
»Mr. Gosdyke«, sagte Inspektor Flint, »Sie und ich, wir haben jetzt schon 'ne ganze Menge Jahre miteinander zu tun, und ich bin bereit, offen mit Ihnen zu sein. Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie haben ihn des Mordes beschuldigt«, sagte Mr. Gosdyke.
»Am Montag wird er dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Bis dahin verhöre ich ihn weiter.«
»Aber sicherlich läßt die Tatsache, daß er zugibt, eine lebensgroße Puppe . . .«
»In den Kleidern seiner Frau, Gosdyke, in den Kleidern seiner Frau. Vergessen Sie das nicht.«
»Das scheint mir noch nicht ausreichend. Woher nehmen Sie denn die Gewißheit, daß ein Mord begangen worden ist?«
»Drei Menschen verschwinden spurlos von der Erdoberfläche. Sie lassen zwei Autos zurück, ein Haus voll mit schmutzigen Gläsern und den Überresten einer Party . .. Das Haus sollten Sie mal sehen . . . Badezimmer und Treppenabsatz voller Blut. . .«
»Sie könnten doch im Auto von jemand anderem mitgefahren sein.«
»Sie könnten, aber sie sind's nicht. Dr. Pringsheim ließ sich nicht gern von jemand anderem fahren. Das wissen wir von seinen Kollegen am Biochemischen Institut. Er hatte eine tief sitzende Abneigung gegen englische Autofahrer. Fragen Sie mich nicht warum, aber er hatte sie.«
»Und Eisenbahnen, Busse? Flugzeuge?«
»Geprüft, nachgeprüft und nochmal nachgeprüft. Niemand, auf den ihre Beschreibung paßt, hat irgendein öffentliches oder privates Verkehrsmittel aus der Stadt raus benutzt. Und wenn Sie meinen, sie hätten eine Fahrradtour unternommen, irren Sie auch. Dr. Pringsheims Fahrrad steht in der Garage. Nein, Sie können vergessen, daß sie irgendwohin gefahren sind. Die sind tot, und der naseweise Herr Wilt weiß das.«
»Ich verstehe immer noch nicht, wieso Sie so sicher sein können«, sagte Mr. Gosdyke.
Inspektor Flint zündete sich eine Zigarette an. »Gucken wir uns nur mal an, was er getan hat, eingestandenermaßen getan hat, und sehen, was das ergibt«, sagte er.
»Er bekommt eine lebensgroße Puppe . . .«
»Woher?«
»Er sagt, er hat sie von seiner Frau. Wo er sie herhat, spielt keine Rolle.«
»Er sagt, er hätte sie zum ersten Mal bei Pringsheims gesehen.«
»Vielleicht hat er das. Ich bin bereit, ihm das zu glauben. Ganz egal, wo er sie herhatte, es bleibt die Tatsache, daß er sie absichtlich so anzog, daß sie wie Mrs. Wilt aussah. Er wirft sie in dieses Loch bei der Schule, ein Loch, von dem er weiß, daß es mit Beton gefüllt wird. Er stellt sicher, daß er vom Hausmeister gesehen wird, da er weiß, daß die Schule zu ist. Er läßt sein Fahrrad mit seinen Fingerabdrücken zurück und einem Buch im Gepäckkorb, das ihm gehört. Er legt mit seinen Notizblättern eine Spur zu dem Loch. Er taucht um Mitternacht vollkommen verdreckt bei Mr. Braintree auf und sagt, er habe eine Reifenpanne gehabt, obwohl er keine hatte. Und nun erzählen Sie mir doch bitte nicht, er hätte nichts im Schilde geführt.«
»Er sagte, er hätte bloß versucht, die Puppe loszuwerden.«
»Und mir hat er gesagt, er hätte den Mord an seiner Frau geprobt. Das hat er zugegeben.«
»Ja, aber nur in der Phantasie. Für mich heißt seine Geschichte, daß er diese Puppe loswerden wollte«, beharrte Mr. Gosdyke.
»Warum dann die Kleider, warum das Ding aufblasen und so zurücklassen, daß es unbedingt entdeckt werden mußte, als der Beton reingeschüttet wurde? Warum hat er das verdammte Ding nicht einfach verbrannt oder am Straßenrand liegengelassen? Es ergibt einfach keinen Sinn, wenn man es nicht als den wohlüberlegten Plan ansieht, unsere Aufmerksamkeit von dem wahren Verbrechen abzulenken.«
Der Inspektor machte eine Pause. »Tja also, wie ich es sehe, ist auf der Party irgendwas passiert, wovon wir keine Ahnung haben. Vielleicht überraschte Will seine Frau mit Dr. Prings-heim im Bett. Er tötete beide. Mrs. Pringsheim erscheint auf der Bildfläche und er tötet sie auch.«
»Wie?« sagte Mr. Gosdyke. »So viel Blut haben Sie doch gar nicht gefunden.«
»Er hat sie erwürgt. Er erwürgte seine Frau, und Prings-heim erschlug er. Dann versteckte er die Leichen irgendwo, geht nach Hause und legt die Spur mit der Puppe. Und am Sonntag beseitigt er die wirklichen Leichen .. .«
»Wo?«
»Das weiß der Himmel, aber das finde ich schon noch raus. Mir ist nur klar, daß ein Mann, der einen solchen Plan aushek-ken kann, sich irgendwas Teuflisches ausgedacht haben muß, wo er seine wahren Opfer hinbrachte. Ich war nicht überrascht, wenn ich hörte, er hätte am Sonntag illegal das Krematorium benutzt. Egal, was er getan hat, Sie können sicher sein, er hat es gründlich getan.«
Aber Mr. Gosdyke war immer noch nicht überzeugt. »Wenn ich doch bloß wüßte, warum Sie so sicher sind«, sagte er.
»Mr. Gosdyke«, sagte der Inspektor müde, »Sie haben zwei Stunden mit Ihrem Klienten zugebracht. Ich den größten Teil der Woche, und wenn ich aus Erfahrung eins weiß, dann das, daß dieser Kerl da drin genau weiß, was er tut. Jeder normale Mensch in seiner Lage wäre besorgt und beunruhigt, und ehrlich geängstigt. Jeder unschuldige Mensch, der erfährt, seine Frau sei spurlos verschwunden und es gebe Beweise, wie wir sie ja haben, daß sie ermordet worden sei, hätte einen Nervenzusammenbruch bekommen. Wilt nicht. O nein, er sitzt da drin so frech wie Sie wollen und sagt mir, wie ich die Ermittlungen zu führen hätte. Und wenn mich irgendwas davon überzeugt, daß dieser Mistkerl wirklich schuldig ist, dann das. Aber mehr noch, ich werde es beweisen.«
»Er scheint jetzt ein bißchen besorgt zu sein«, sagte Mr. Gosdyke.
»Dazu hat er auch Grund«, sagte der Inspektor, »denn bis Montag kriege ich die Wahrheit aus ihm raus, und wenn wir beide dabei draufgehen.«
»Inspektor«, sagte Mr. Gosdyke und erhob sich, »ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich meinem Klienten empfohlen habe, kein Wort mehr zu sagen, und falls er vor Gericht auch nur mit einem Kratzerchen am Leibe erscheint .. .«
»Mr. Gosdyke, Sie sollten mich besser kennen. Ich bin doch kein Vollidiot, und wenn Ihr Klient am Montag irgendeine Schramme am Leib hat, dann hat er sie weder von mir noch von einem meiner Männer. Das kann ich Ihnen garantieren.«
Mr. Gosdyke ging sehr verwirrt aus dem Polizeirevier fort. Er mußte zugeben, daß Wilts Geschichte nicht sehr überzeugend gewesen war. Mr. Gosdykes Erfahrung mit Mördern war nicht sehr groß, aber er hatte den scharfen Verdacht, daß Männer, die offen zugaben, sie hätten mit dem Gedanken gespielt, ihre Frau umzubringen, schließlich beim Geständnis landeten, daß sie's wirklich getan hätten. Außerdem war sein Versuch, sich mit Wilt darauf zu einigen, er habe die Puppe als Jux gegen seine Kollegen in der Berufsschule in das Loch geworfen, hoffnungslos gescheitert. Will hatte sich geweigert zu lügen, und Mr. Gosdyke war Klienten nicht gewohnt, die unbedingt die Wahrheit sagen wollten.
"Inspektor Flint ging in den Vernehmungsraum und sah Wilt an.
Dann zog er einen Stuhl heran und setzte sich.
»Henry«, sagte er mit einer Freundlichkeit, die er keineswegs empfand, »Sie und ich, wir werden jetzt mal ein kleines Schwätzerchen machen.«
»Was, schon wieder?« sagte Wilt. »Mr. Gosdyke hat mir geraten, nichts zu sagen.«
»Das«, sagte der Inspektor zuckersüß, »sagt er immer zu Klienten, von denen er weiß, sie sind schuldig. Na, werden Sie jetzt reden?«
»Warum eigentlich nicht? Schuldig bin ich nicht, und es hilft, die Zeit zu vertreiben.«