Selbsterfahrung in der Männergruppe „Der Streithahn“
Endlich war der dreizehnte Monat des Jahres gekommen. Die großen Menstruationsspiele im Milationspark standen vor der Tür. Alle Frauen in Egalia freuten sich schon, daß sie aus den Häusern ins Freie kommen, spielen und ein bißchen mit ihren Kameradinnen trinken konnten. Die Männer in Egalia dagegen fürchteten sich davor, sämtliche Sachen für Frau und Kind herrichten, die Kinder im Park herumschleppen und alle Festlichkeiten mit ansehen zu müssen. Den Kindern in Egalia erzählte dam, daß auch sie sich freuen müßten, denn die Menstruationsspiele seien nun mal das festlichste Ereignis des Jahres.
Baldrian, Fandango, Petronius und Lisello (sie waren dazu übergegangen, Herrlein Uglemose nur noch Lisello zu nennen) saßen im Maskulinistenzentrum auf dem Plattenberg und diskutierten. Es war ein warmer und klarer Herbsttag, und die Obstbäume trugen in diesem Jahr außergewöhnlich'gut. Sie saßen draußen auf der kleinen Veranda im zweiten Stock, erfreuten sich an der Nachmittagssonne und ließen sich einen besonders guten Jahrgang vom Apfelwein der alten Direktorin Uglemose munden. Sie hatten zwar etwas darüber gelästert, ob es nicht leicht unmaskulinistisch sei, Wein zu trinken, den eine Frau bereitet hatte, doch verwarfen sie diese Idee wieder, weil sie einsahen, daß sie dann ebensogut mit dem Essen aufhören könnten — jedenfalls bis auf weiteres. Sie hatten von einigen Männergruppen in Pax gehört, die Landwirtschaft in Kommunen betrieben, zu denen Frauen keinen Zutritt hatten. Aber in Egalia waren sie, soweit sie wußten, die ersten und einzigen Männer, die Land bebauten.
Die vier Männer hatten eine Selbsterfahrungsgruppe gebildet, der sie den Namen „Der Streithahn“ gaben, mit dem Ziel, sich gegenseitig zu unterstützen und eigene Vorurteile abzulegen. In der Zoologie galt der Hahn als das einfältigste Tier und wurde deshalb als Bezeichnung für Männer benutzt, wenn dam über sie etwas Verächtliches oder Geringschätziges sagen wollte. Die instinktive Art des Hahns, auf sich aufmerksam zu machen, hielt dam ferner für das blödeste Verhalten, das sich denken ließ. Es gab überhaupt etwas Urkomisches und zugleich Obszönes an diesem Tier, so daß ständig — auf mythische Weise — Vergleiche zwischen ihm und dem Mann angestellt wurden.
Herrlein Uglemose hatte zunächst gezögert, einer Gruppe beizutreten, denn er begriff sich eher als eine notwendige Figur im Hintergrund, als einen privilegierten Angehörigen der Oberschicht, der zufälligerweise ein Grundstück und ein Haus besaß, das er den jungen Leuten zur Verfügung stellen konnte. Allen in der Stadt über ihn kursierenden Gerüchten, daß er fallüstrisch sei, begegnete er mit Gleichmut. Daß ständig allerlei Gerüchte über ihn im Umlauf waren, hatte er sich hinzunehmen angewöhnt, als seien sie nahezu ein Bestandteil der natürlichen Ordnung. Aber er wußte überhaupt nicht, ob er sich der Männerbewegung zugehörig fühlte. Er glaubte vielmehr, er falle den Jüngeren nur zur Last und sei zu alt, um sich so zu verändern, wie die Maskulinisten es forderten, und darüber nachzudenken, wie sie sich faktisch verhielten, sich aber anders zu verhalten trachteten.
Fandango hatte ihn jedoch eindringlich gebeten, mitzumachen. Sie brauchten seine Kenntnisse und Erfahrungen, sagte er und fügte hinzu, die ganze Männerbewegung sei doch ein totgeborenes Kind, wenn dam nicht dafür sorgte, daß auch ältere Männer dabeisein konnten. Sie seien es doch, die oft die meisten Erfahrungen hätten. Und da die Männerbewegung auf der Selbsterfahrung der Männer aufbaue, sei es ausgemachter Blödsinn, sie nicht mit einzubeziehen. Dennoch zögerte Herrlein Uglemose, bis die anderen vorschlugen, den „Streithahn“ zu einer Gruppe des Patriarchats zu machen.
In der Gruppe war es urgemütlich. Bereits nach dem ersten Treffen hatten sie sie für geschlossen erklärt und den Eindruck gewonnen, daß sie für den Anfang schon weit gekommen waren. Falls andere über das zukünftige Patriarchat zu diskutieren wünschten, sollten sie lieber eigene Gruppen bilden.
Als erstes beschloß der Streithahn, die bevorstehenden Ereignisse im Milationspark zu erörtern. Dabei gingen sie zwangsläufig von ihren eigenen Erfahrungen mit der Menstruation aus.
Fandango erzählte, wie Ba, als sie noch zur Schule gingen, ein paarmal versucht habe, ihn hinter einen Busch zu zerren. Nie zuvor habe er darüber gesprochen und deshalb stets ein schlechtes Gewissen bekommen. Die ganze Zeit über habe er geglaubt, es werde ein großes Wunder geschehen. „Ich habe wohl angenommen, daß sie eures schönen Tages in eine rosarote Wolke gehüllt dasitzt und mir sagt, wie sehr sie mich liebt — dachte ich mir jedenfalls — und mir dabei sanft und zärtlich über den Rücken streicht oder so ähnlich.“ Doch das war nie geschehen. Statt dessen zeigte Ba ihm jedesmal ihre Brüste und Brustwarzen und erklärte ihm, wie groß und toll sie sich mit der Zeit noch entwickeln würden. Damals, fuhr Fandango fort, als sie zum ersten Mal ihre Menstruation bekam, habe sie die Klappe ihrer Hose aufgeknöpft, sich auf den Rücken gelegt und ihm erlaubt, sich das aus ihrem Gebärkanal sickernde Blut anzusehen; schließlich habe sie ihm versichert, daß sie sich jetzt allen Ernstes mit den Naturkräften eins wisse und sich ihnen verbunden fühle. Jetzt habe sie endlich die volle Reife erlangt, er dagegen werde nie eine vergleichbare Reife erreichen, sondern sei in alle Ewigkeit dazu verdammt, unreif zu bleiben, so wie er es jetzt sei. Fandango berichtete weiter, er habe sich stets geschämt, keine Menstruation zu bekommen, und je größer er geworden sei, desto mehr habe er sich seines eigenen flachen Körpers und seiner Weiterentwicklung geschämt.
Petronius konnte nie vergessen, wie Ba zum ersten Mal ihre Menstruation bekam. Sie sei früh morgens durch das Haus gestürmt, wobei sie in einem fort gebrüllt habe: „Pappaaaaa! Ich hab’ meine Menstruatioooooooon! Ich hab’ meine Menstruatiooooooon! Jippijee!“ Alle seien aus dem Bett gesprungen und hätten ihr gratuliert. Später sei sie zum Gesundheitsamt losgezogen, wo ihr diese riesigen Pakete mit Monatsbinden ausgehändigt worden seien, die sie dann am Mittagstisch aufgemacht habe. Eine Binde habe sie herausgezogen und ihm damit vor der Nase herumgefuchtelt, eine andere habe sie sich angelegt, sich dann vor ihm in Positur gestellt und ihm ganz verrückt vor Begeisterung einen Stoß vor die Brust gegeben. Ungefähr zur gleichen Zeit habe sein Vater ihn mit in die Küche genommen und ihm gesagt, daß es nun an der Zeit sei, mit dem Tragen eines PHs zu beginnen. Auch sei ihm — Petronius — aufgefallen, daß seine Mutter ihn sich immer gerade an ihren M-Tagen vorgeknöpft habe, um ihm klarzumachen, was richtig und was falsch in der Welt sei. An solchen Tagen habe sie sich stets durch besonderen Scharfsinn hervorgetan.
Baldrian hatte den Eindruck, daß seine Mutter aus ihrer Menstruation nie eine besondere Attraktion machte. „Sie sprach doch fast nie darüber. Stimmt’s nicht, Fandango?“ Der nickte zustimmend und meinte nur, daß Lis Ödeschär die M-Tage nicht besonders erwähnt habe. Doch Vater habe wohl ein paarmal gesagt, daß ihre großen Speerbeißerfänge fast immer an einem M-Tag seien. Baldrian fuhr fort: „Als Wolfram und ich klein waren, kannten wir ein Spiel, das wir in regelmäßigen Abständen spielten. Und das ging so: Wir waren zwei erwachsene Frauen, die ihre Menstruation gleichzeitig bekamen. Jede wohnte auf ihrem Frauenhof, und jede besaß zwanzig Stuten, die sie nacheinander ritten, wenn sie ihre Kornfelder inspizierten. Aber eigentlich wollte ich ja selber nie eine Menstruation haben. Mir hatte dam gesagt, daß ich ein unwahrscheinlich hübscher Mann sei, worüber ich mich natürlich freute und woran ich schließlich auch geglaubt habe. Eva bestand ja immer darauf, daß ich mit ihr schlafen sollte, wenn sie ihre Menstruation hatte, nur in letzter Zeit graut es mir ein wenig davor. Sie ist dann immer so gewalttätig und greift dann immer doppelt so hart zu wie sonst. Ihre Gefühle sind wohl so stark, daß es ihr einfach unmöglich ist, sich im Zaum zu halten.“
Nun war die Reihe an Herrlein Uglemose, den anderen seine Erfahrungen mitzuteilen. „Als ich klein war, glaubte ich, nur Frauen hätten Blut in sich. Deshalb nahm ich an, daß ein Mann, der mit einer Frau zusammen lebt, bei ihrem Tod sterben muß. Wenn Männer bluten, dachte ich, dann liegt das daran, daß bei ihnen Blut nur direkt unter der Haut vorhanden ist, aber nicht im Innern des Körpers wie bei den Frauen. Meine Mutter, die Rektorin Uglemose, brachte mir bei, daß alle Wibschen eine Menstruation bekämen, sobald sie halb erwachsen seien. Da geriet ich in eine frohe und zuversichtliche Stimmung und wartete viele Jahre auf meine erste Menstruation. Ich glaubte nämlich, wenn meine Mutter behauptet, daß alle Wibschen eine Menstruation bekommen, dann mußte das seine Richtigkeit haben. Eines Tages hörte ich von irgendwelchen Mädchen auf der Straße, daß Männer nie eine Menstruation bekommen. Ganz bestürzt rannte ich zu meiner Mutter nach Hause und sagte zu ihr, sie habe mir doch versichert, daß alle Wibschen, sobald sie halb erwachsen seien, eine Menstruation bekämen. Darauf antwortete meine Mutter nur mit einem rohen Lachen. Kurz danach stellten sich bei mir die ersten Samenergüsse ein, vor allem nachts, was mir schrecklich peinlich war, weil ich nie etwas darüber gehört hatte und annehmen mußte, daß es sich um eine Art männliche Menstruation handelte, deren Ergebnis nur etwas merkwürdig aussah. Und so war ich überzeugt, daß mit meinem Körper irgend etwas nicht stimmen konnte, denn der Erguß durfte ja genau wie bei der Menstruation nur einmal im Monat auftreten, falls das überhaupt stimmte. Aber ich bekam meine Samenergüsse viel häufiger, und so vermutete ich lange Zeit, daß ich todkrank sein mußte.“ Herrlein Uglemose wußte ferner zu berichten, daß in seiner Jugend ausschließlich Frauen zu den Menstruationsspielen zugelassen worden seien. Er habe geglaubt, es handele sich um ein Riesenfest für Frauen, in dessen Verlauf sie untereinander gewissermaßen ein sexuelles Milieu schufen, in dem sie sich schwängern konnten, wenn sie neun Monate später ein Kind bekommen wollten. Doch da sei er noch ganz klein gewesen. Später habe er dann nur noch voller Verzweiflung an sich beobachten können, wie er immer mehr in die Höhe geschossen und breitschultriger geworden sei und trotzdem schmale Hüften behalten habe, wodurch alles noch viel schlimmer geworden sei.
Die Männer erkannten vieles von dem wieder, was sie über ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse berichtet hatten. Sie schämten sich, einen Männerkörper zu haben. Sie schämten sich, einen Penis und einen Schambeutel zu haben. Ja, warum mußte das Ding denn auch Schambeutel heißen? Sollten sie nicht bald einen anderen Namen dafür finden? Sie schämten sich, daß sie keine Brüste, keine prallen Hüften, keine ordentlichen Schenkel und keinen richtigen Hintern hatten. Sie schämten sich, keine Menstruation zu bekommen. Sie schämten sich, wenn sie merkten, daß der Bart zu sprießen begann. Sie schämten sich, Haare auf der Brust zu haben, und sie schämten sich, das Haar auf dem Kopf zu verlieren. Sie schämten sich, daß sie, sobald sie halb erwachsen waren, eine tiefe, sonderbare Stimme bekamen und ihre schöne hellklingende Wibschenstimme, die sie als Kinder hatten, verloren. Sie schämten sich, daß sie Samenergüsse hatten. Sie schämten sich, weil sie nicht fähig waren, Kinder zu kriegen. Mitunter schämten sie sich so sehr, daß sie vor lauter Scham in den Erdboden hätten versinken mögen.
Warum waren die Brusthaare des Mannes etwas, dessen dam sich schämen mußte, während die Frau sich der Haare auf ihrem Geschlechtsteil keineswegs zu schämen brauchte? Warum durften Frauen auf ihre Haare, egal wo sie welche hatten, stolz sein, während Männer nicht darauf stolz sein konnten?
Mit Feuereifer gingen die Männer daran, einen Schlachtplan auszuarbeiten, über den sie immer wieder in trotzig-befreiendes Lachen ausbrachen.