Ein sinnfälligeres Frauenzeichen
Die Egalsunder Zeitung besprach das Buch überhaupt nicht. Es gab eine gewisse Literatur, die keine Literatur war. Die meisten Mitarbeiter des Blattes lasen derartiges Geschreibsel zu Hause unter der Bettdecke. Der Roman „Die Söhne der Demokratie“ zählte zu dieser Kategorie. Allein der erste Satz „Schließlich sind es noch immer die Frauen, die die Kinder bekommen“, der sich durch das ganze Buch zog, war ja bereits stark ins Sexuelle verdreht, so als sei etwas Verdächtiges daran, Kinder zu gebären, oder als sei es denkbar, daß so ein Satz einer Beweisführung dienlich sein könnte.
Wegen der traditionellen Haltung des Blattes, das sich als objektives und unvoreingenommenes Sprachrohr für alle Fragen verstand, wurde das Buch mit keiner Zeile erwähnt.
Donna Klaras Botschaft überlegte ernsthaft, ob nicht ein Antrag auf Einziehung des Buches gestellt werden sollte, weil die Mitarbeiter dieses Blattes den Roman als reine Pornographie empfanden. Müsse dam denn das Wort „Schwanz“ schreiben? Bei derlei Schilderungen verliere dam ja fast den Appetit, schrieb die Kritikerin in der Botschaft, ohne jedoch das beanstandete Wort zu erwähnen. („Wer in aller Welt hat ihnen denn gesagt, daß sie beim Lesen essen sollen?“ sagte Petronius zu Baldrian.) In der Tat komme allerdings das Wort „Votze“ bedeutend häufiger vor, und das wirke ja auch nicht weiter anstößig. Aber gebe es da nicht ein bißchen zuviel Geschwätz um all die Votzen, „Schamlippen“ und „Schambeine“ in diesem imaginären Patriarchat? Das könne doch nicht das einzige sein, was Männer im Kopf hätten? Darüber hinaus seien die Beischlafszenen in ihrem sprachlichen Ausdruck eindeutig pervers konzipiert. Eine Gesellschaft, die sich an solch einem tierischen Verhalten emporziehe und delektiere, zeige bereits deutliche Auflösungserscheinungen. Der Autor Petronius Bram lasse die Frauen sich auf den Rücken legen — dam bedenke, auf den Rücken! Nicht einmal das Männchen in der Tierwelt zwinge das Weibchen, sich so tierisch aufzuführen. Es handele sich hier um ein reines Manöver der Unterwerfung. Während die Frau die Beine spreize, liege der Mann über ihr und tobe sich auf ihr aus, als sei sein Glied eine Art Eroberungs- und Lustorgan für ihn! Ein ausgesprochenes Frau/Sklaven-Verhältnis sei das, bei dem der Mann, wohlgemerkt, die Frau sei. Hier nun müsse Donna Klaras Botschaft eine eindeutige Grenze für den Anstand in der Literatur setzen.
Viele wurden durch die Lektüre des Buches in ihrer Auffassung bestärkt — selbst wenn das keine der Kritikerinnen schrieb — , daß die Maskulinisten im Grunde fallüstrisch sein mußten. Bei dieser Beurteilung zeigte sich unterschwellig, daß sie auf das, was sie sagten, keine besondere Rücksicht zu nehmen brauchten.
Einige Wibschen konnten an dem Buch keinen Gefallen finden und setzten die Lektüre nicht weiter fort. Daß Männer als Muskelprotze herumliefen, brüllten, sich wichtig machten und den Ton angaben, während die Frauen ständig lächelten und sich wie unselbständige Sofapüppchen verhielten, war alles andere als lustig. Es war geradezu grotesk. Eine Kultur, in der die naturgegebenen Eigenschaften der beiden Geschlechter derart verdreht wurden, konnte dam nicht mehr als Kultur bezeichnen. Ba hatte Gelegenheit gefunden, das Buch noch als Manuskript zu lesen. Sie finde, sagte sie zu Ann, Petronius habe das Buch aus lauter Frustration und purem Neid auf sie geschrieben. Wenn Mädchen den Jungen mit Menstruationsbinden vor der Nase herumfuchtelten, würden sie gelb und grün vor Neid. Neurotisch würden sie dabei auch, und das könne zum Männeraufstand führen. Ihretwegen sollten sie ruhig einen Aufstand machen, aber würden sie je eine Menstruation bekommen? Da könne der Staat leider auch nichts machen, leider. Es sei ja eine ganz nette Idee, Männern den gleichen Wert wie Frauen zuzubilligen, aber den hätten sie nun einmal nicht.
Rektorin Barmerud las das Buch heimlich und fand, daß die Figur des Rektors Baskerud ihr in keiner Weise ähnlich sei. Sie sei ferner davon überzeugt, daß die Ideen zu diesem ziemlich extremen Männerbuch nicht an ihrer Schule gereift seien. Aber phantasievoll geschrieben sei das Buch bestimmt. In ihrem Innersten war Rektorin Barmerud stolz darauf, daß einer ihrer ehemaligen Schüler einen Roman veröffentlicht hatte.
In der Männerbewegung gab es geteilte Meinungen. Einige vertraten die Ansicht, wenn die Verhältnisse so wie in Petronius’ Patriarchat wären, würde kein Weg an der totalen Trennung der Geschlechter vorbeführen. Und das könne doch nicht der Sinn des Ganzen sein. Sie kämpften doch für Integration und Gleichstellung. „Männerkampf ist Klassenkampf! Klassenkampf ist Männerkampf!“ An dieser Devise müßten sie festhalten.
Andere glaubten, das Buch habe der gesamten Männerbewegung großen Schaden zugefügt. Waren nicht gerade die Männer von Natur aus friedfertiger und rücksichtsvoller als Frauen, und sollte die Männerbewegung nicht gerade darauf bauen, wenn sie eine neue Gesellschaft schaffen wollte. Es sei doch nicht sinnvoll, einfach nur die Verhaltensweisen der Frauen zu übernehmen.
Herrlein Uglemose hatte das Buch mit aufrichtiger Freude gelesen, sogar mehrere Male. „Ja — das Fräulein Uglesohn, das bin wohl ich“, sagte er aufgeräumt zu Petronius. Allerdings hatte er ein paar kulturhistorische Einwände. So zweifelte er zum Beispiel, ob es realistisch sei, daß in Petronius’ Roman die Mutter mit den Kindern zu Hause saß, während der Mann zur Arbeit loszog. Das Erbe müsse doch über das mütterliche Glied laufen. Das, so glaubte er, könne nicht geändert werden. Und im übrigen — wovon sollten die Männer denn leben? „Über eine solche Gesellschaft liegen uns weder schriftliche Quellen noch mündliche Überlieferungen vor“, sagte Herrlein Uglemose.
Der kleine mollige Fandango war sofort Feuer und Flamme und nahm sich fest vor, die Geschichte der Männer eingehend zu studieren.
Auch Baldrian mochte das Buch und meinte, es kämen so viele Dinge darin vor, über die er noch nie nachgedacht habe und über die nachzudenken er während der Lektüre des Romans gezwungen worden sei. Beispielsweise habe er nie daran gedacht, daß dam Frauen entgegenhalten könne, sie sollten sich während der Stillzeit das Kind selber an die Brust legen. Er sei oft verzweifelt, wenn er lese, daß die Frauen keine einzige Matrake für die Schwangerschaft bekämen, dafür aber noch bestraft würden.
Kristoffer fand das Buch einfach köstlich.
„Du solltest etwas schreiben, was die Leute aufrüttelt“, brummte Rut Bram verdrießlich. Aber Kristoffer hielt sich weiter den Bauch vor Lachen, bis Rut Bram ihn anbrüllte, ob er sein unbändiges Gelächter nicht einstellen könne. „So lustig kann es ja nun auch wieder nicht sein, zu lesen, wie Frauen lächerlich gemacht werden!“
Aber Kristoffer mußte bei der Lektüre des Buches immer wieder in hemmungsloses Lachen ausbrechen. Das Buch gab seinem Leben neuen Auftrieb. Schließlich marschierte er schnurstracks in Ruts Zimmer, schlug mit der Faust auf den Tisch und verkündete:
„Und jetzt gehe ich zum Ingenieurkursus, ob es dir nun paßt oder nicht! Und damit basta!“
Da beschloß Rut Bram, zumal da sie gerade ihre Menstruation bekam, mit ihrem Sohn ein letztes ernstes Wort zu reden.
„Patriarchat! Wenn ich das schon höre!“ brach es aus ihr hervor, als sie ihn sah. Sie hatte noch keine Zeit gefunden, den Roman zu lesen. „Es ist ja schön und gut, daß du schreibst, Petronius, und wie ich höre, schreibst du ja ganz lustig und einen flüssigen Stil. Aber hättest du nicht ein anderes Thema wählen können? Patriarchat! Das soll wohl eine Gesellschaft sein, in der die Männer alles lenken und bestimmen?!“
„Richtig! Herrlein Uglemose sagt, daß...“
„Unvorstellbar! Einfach unvorstellbar!“ unterbrach ihn seine Mutter. „’Unvorstellbar!’ Das ist dein Lieblingswort für alles, was nicht so ist, wie es jetzt ist!“
„Aber es ist auch unvorstellbar! Tut mir wirklich leid, Petronius. Möglicherweise hast du sogar recht, daß ich konservativ bin und die heutigen Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu erhalten wünsche, weil... weil... ja, weil ich selber Macht habe — ja, gewiß doch, bei meiner Ehre! Aber so bin ich wenigstens überzeugt, daß ich kraft meiner Machtausübung die richtigen Entscheidungen treffe.“
Sie stockte leicht. Petronius erwiderte nichts, weil er über diesen Ausspruch seiner Mutter einfach sprachlos war.
„Also ich finde es schon in Ordnung, daß du dich als Rednerin für die Männerbefreiung einsetzt, Petronius. Aber eine Gesellschaft, die von Männern befrauscht wird?! In der es die Männer sind, die für die Gesellschaft planen und sie regieren?! Einfach unvorstellbar!“
„Es ist keineswegs unvorstellbar! Denn solche Gesellschaften haben existiert. Wir hören nur nie etwas von ihnen, weil wir in dieser verdammten Frauengesellschaft leben.“
„Haben existiert! Eben! Sie haben existiert! Und wie glaubst du, ist es ihnen ergangen, Petronius?“
Petronius verschlug es noch immer die Rede.
„Was ist deines Erachtens mit all diesen Patriarchaten geschehen, von denen du behauptest, sie hätten existiert, und von denen wir nie etwas hören?“
Sie machte eine Pause. Er schwieg noch immer.
„Warum gibt es nicht einen einzigen Beweis dafür, daß sie existiert haben? Wie erklärst du dir, daß wir nicht eine einzige Quelle besitzen, die uns über diese Patriarchate Aufschluß geben könnte, wie?“
Petronius wußte nicht, was er sagen sollte. Er war verwirrt.
„Nein, Petronius. Du verstehst... Männer haben keinen wirklichen Kontakt zum Leben. Sie haben erst recht keinen physischen Kontakt zu ihren Nachkommen. Sie sind deshalb auch nicht imstande, sich zu überlegen, was aus der Bevölkerung der Erde wird, wenn sie selber einmal tot sind. In einer Gesellschaft, in der es Männern erlaubt ist zu bestimmen, würde alles Leben auf der Erde aussterben. Wenn Männer nicht niedergehalten werden, wenn dam ihnen keine Zügel anlegt und sie nicht zivilisiert, wenn Männer ihren Platz in der Gesellschaft nicht unmißverständlich zugewiesen bekommen, wird das Leben vergehen...“
Und wie immer hatte Rut Bram das letzte Wort.