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Nach mehrtägiger Folter brach Savonarola zusammen. Mit gebrochenen Gliedmaßen und zitternder Hand unterschrieb er das vierundzwanzig Seiten starke ›Geständnis‹, das später im Saal des Großen Rates verlesen wurde. Er sei nie ein Prophet gewesen und habe angebliche Offenbarungen verkündet, um sich Ansehen zu verschaffen und einen guten Namen zu machen. Schmerz füllte die Seelen seiner Anhänger, das von Savonarola errichtete Gebäude zu Boden fallen zu sehen, denn es war auf einer Lüge aufgebaut.

Am 25. April waren die Verhöre der Stadtregierung abgeschlossen. Domenian besuchte seinen Herrn nicht mehr, er war untergetaucht. Aber er ließ ihm durch einen Boten Nahrungsmittel und Arzneien zukommen, schickte ihm auch einen Bader, der sich um seine Wunden kümmerte, die der Scharfrichter nicht versorgt hatte. Nach kurzer Zeit untersuchten die geistlichen Instanzen den Fall. Savonarola saß in seiner Zelle, von allen verlassen, mit Schmerzen und in tiefer Verzweiflung. Aber er hatte es ja kommen sehen. Am 19. Mai trafen päpstliche Kommissare in Florenz ein. Sie hatten den klaren Auftrag von Papst Alexander VI., Savonarola zu Tode zu bringen.

›Sterben muss er‹, hatte der Papst gesagt. In den nächsten Tagen erfolgten weitere Verhöre. Obwohl niemand etwas Ketzerisches an ihm finden konnte, sollten er und seine Gefährten Domenico da Pescia und Silvestro Maruffi schon am folgenden Tag sterben.

Der Morgen des 23. Mai 1498 zog strahlend herauf. Die Vögel sangen, und die Menschen waren in einer erwartungsvollen Stimmung. Der Große Rat hatte alle Bürger von Florenz aufgefordert, an der Hinrichtung teilzunehmen. Schon früh wurde auf der Piazza della Signoria ein hölzernes Gerüst mit einer Art Bühne aufgerichtet. |379|Auf diesem Laufsteg sollten die Gefangenen zum Galgen und dem darunter befindlichen Holzstoß geführt werden.

Angelina hätte sich das Ereignis lieber nicht angesehen, aber ihre Eltern drängten sie so lange, bis sie sich dazu bereit erklärte. Als sie mit ihren Eltern und Geschwistern zur Piazza della Signoria ging, strömten Hunderte von Florentiner Bürgern mit ihnen zu dem Platz. Wie bei den vergangenen ›Fegefeuern der Eitelkeiten« und der Feuerprobe war die Piazza dicht gedrängt mit Menschen. Eben hatten sie noch mit Savonarola gebetet, geweint, seine Gebote befolgt, nun würden sie sich an seiner Hinrichtung weiden. Die Menschen folgten immer nur dem, der Erfolg für sie versprach, sei es im Himmel oder auf der Erde. Die Sonne schien inzwischen durch einen Schleier von Wolken, es war drückend schwül. Angelina entdeckte Francesco in der Menge, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Er stand bei Rinaldo, Pallina, Gratiosa und Verena. Francesco kämpfte sich zu ihr durch und stellte sich so dicht neben sie, dass ihre Körper sich berührten.

»Du bist bei meinen Eltern gewesen, habe ich gehört?«, flüsterte sie ihm zu.

»Ja, ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, gab er leise zurück.

Sie tastete vorsichtig nach seiner Hand. »Du hast mir gefehlt.«

Er lächelte. »Wenn das hier vorüber ist, helfe ich dir, diesen Priester dingfest zu machen!« Er drückte ihre Hand.

Einzelne Ausrufe wurden in der Menge laut. Savonarola, Silvestro Maruffi und Domenico da Pescia erschienen in der Tür des Palazzos, von Priestern und Mönchen eskortiert. Zwei Dominikanermönche nahmen ihnen den Ornat ab. Die drei mussten barfuß und in Unterkleidung auf das Gerüst steigen. Zwei Stunden lang dauerte die Prozedur des Degradierens, in umgekehrter Reihenfolge der Weihegrade des Ordens. Zunächst wurden Daumen und Zeigefinger der Delinquenten, mit denen sie normalerweise den Segen erteilten, mit einem Messer abgeschabt, und dann die Tonsuren vollkommen rasiert. Die Leute begannen unruhig zu werden. Kinder quengelten. Inzwischen war es ein Uhr mittags geworden. |380|Die päpstlichen Kommissare erklärten die drei der Ketzerei, der Kirchenspaltung sowie der ›Predigt neuer Dinge‹ für schuldig und verkündeten sogleich das Urteil: Tod durch Hängen, und danach sollte sofort die Verbrennung erfolgen.

Angelina hielt es kaum noch an ihrem Platz aus. Sie wollte weg, wollte mit Francesco an den Arno gehen, einfach nur seine Hand halten und mit ihm sprechen. Er würde ihr gewiss keinen Stein mehr in den Weg legen, dazu hatte er sie zu sehr vermisst, das wusste sie. Aber Angelina stand eingekeilt zwischen Francesco, ihrer Mutter und den Umstehenden. Sie roch den Schweiß der Menschen, hörte ihre anfeuernden Reden. Jetzt reckten sich die Hälse, Väter hoben ihre Kinder auf die Schultern, damit sie besser sehen konnten.

Silvestro Maruffi kletterte als Erster die Leiter zum Galgen hinauf. Der Scharfrichter folgte ihm und legte ihm die Schlinge um den Hals. Seine Lippen beteten lautlos. Alle wollten natürlich sehen, wie Savonarola den Tod seines Gefährten aufnahm. Er stand stumm und starr, er wollte als Märtyrer in die Geschichte eingehen, wie er es immer verkündet hatte. Angelina wollte das Furchtbare nicht sehen, sie blickte zu Boden. Francesco drückte ihren Arm. Angelinas Mutter und die anderen starrten wie gebannt auf das Schauspiel. Im letzten Augenblick hob Angelina den Kopf und sah, wie der Scharfrichter Silvestro von der kleinen Plattform stieß. Ein Stöhnen ging durch die Anwesenden. Silvestros Körper zuckte, ein Gurgeln kam aus seiner Kehle. Mit einem Knacken brach das Genick. Der Tote baumelte noch eine Weile am Strick. Domenico folgte ihm die Leiter hinauf. Auch er betete still, würdig ging er in den Tod und hing nun neben Silvestro.

Savonarola tat seinen letzten Gang in diesem Leben. Auch wenn die Menge atemlos auf ein Zeichen von ihm wartete, segnete er sie nicht und sprach auch nicht mehr. Er kletterte in seiner Unterkleidung, ohne Schuhe, die Leiter hinauf. Kaum war ihm die Schlinge um den Hals gelegt, als auch schon der Scheiterhaufen entzündet wurde. Die Flammen züngelten empor, es knisterte und knackte. Der Rauch erreichte die drei hängenden Gestalten.

|381|Ob wohl Botticelli dem Aufruf des Großen Rates Folge geleistet hatte? Würde er sich den Tod seines verehrten Meisters und seiner Gefährten mit ansehen? Angelina konnte ihn nirgends entdecken. Das Feuer hatte die toten Körper erreicht, zischend griffen die Flammen nach der Kleidung. Es roch nach verbranntem Fleisch. Angelina wurde übel. In jähem Erschrecken sah sie ein anderes Feuer vor sich. Es hatte genauso nach verbranntem Fleisch gerochen. War es die Hölle gewesen, die sie im Traum heimgesucht hatte? Sah sie den Leibhaftigen, der ins Fegefeuer gestoßen worden war und um den die anderen Teufel herumtanzten? Angelina hatte das Gefühl, selber innerlich zu verbrennen. Der Glutatem des Feuers wehte zu ihr herüber. Ein stechender Schmerz begann auf ihrer Brust zu klopfen, als bohre jemand eine glühende Nadel hinein.

Der Benediktuspfennig! Den hatte sie fast vergessen. Sie zog ihn an seiner Kette heraus und betrachtete ihn kurz. Vade retro, Satanas!, stand darauf, weiche von mir, Satan! Angelina sah ein Zucken der rechten Hand des Priors. Es sah aus, als wolle er die Menge noch ein letztes Mal segnen. Die Menschen klatschten Beifall und schrien: »Tod den Ketzern!«, andere weinten oder standen still im Gebet versunken. »Ein Wunder, ein Wunder«, tönte es von überall.

Aber Angelina sah noch etwas anderes. Am Fuß des Feuers machte sich ein Mensch zu schaffen, ein Mann in der Tracht der Dominikaner. Es war, als wolle er Savonarola aus den Flammen bergen. Angelina wusste, wer es war. Sie wollte zu dem brennenden Holzstoß rennen, wollte den Mann in die Flammen stoßen. Aber es war kein Durchkommen, die Menschen standen zu dicht beieinander. Eine ungeheure Erregung hatte sich aller bemächtigt. Francesco folgte ihrem Blick und flüsterte ihr ins Ohr: »Sobald sich die Menge ein wenig verlaufen hat, folgen wir diesem Mönch!«

Der Mann wurde durch andere Mönche von Savonarola weggerissen. Sie schlugen auf ihn ein. Die Menge, besonders die Frauen, setzten sich in Bewegung. Sie strömten nach vorn, wollten sich Knochen als Reliquien aus dem Feuer holen. Angelina und Francesco wurden mitgerissen. Angelina drehte sich um, sah ihre Familie |382|und Freunde ihr noch von ferne verzweifelt zuwinken. Als die Mönche und Bedienstete des Großen Rates versuchten, die Reliquiensammler zurückzudrängen, bemerkte Angelina, dass der Mönch floh. Francesco nahm sie an der Hand, und sie folgten dem Flüchtigen, so schnell sie konnten.

»Er wird zum Kloster San Marco laufen«, rief Angelina Francesco zu. Immer wieder versperrten warme, verschwitzte Leiber ihren Weg, Angelina blickte in weit aufgerissene, verklärte Augen. Schließlich kamen sie in eine Gasse, in der sich kaum noch Menschen aufhielten. Domenians Schritte trappelten vor ihnen auf dem festgestampften Boden. Er selbst war wie ein Schatten, der an den Mauern entlanghuschte und zielsicher in die Richtung des Klosters San Marco lief. Francesco und Angelina folgten ihm in gebührendem Abstand. Der Mann drehte sich nicht um und hielt in seinem Lauf nicht inne. Angelina betete darum, dass er sie nicht bemerkt hatte. Außer Atem kamen sie beim Kloster an. Der Mönch war verschwunden. Das Kloster wirkte völlig verlassen. Wahrscheinlich waren alle Mönche bei der Hinrichtung zugegen gewesen.

»In die Kirche!«, raunte Francesco Angelina zu. Sie rannten zur Pforte und stellten fest, dass sie verschlossen war. Eine der Nebenpforten war angelehnt. Von hier aus gelangten sie in den Innenhof mit dem Kreuzgang und zur Kirche. In dem kahlen Raum mit den Fresken und dem Kruzifix herrschte ein düsteres Zwielicht. Die Brandspuren waren noch deutlich erkennbar.

»Hier ist der Mönch auch damals verschwunden«, sagte Francesco leise.

»Ja, durch die Kirchentür an der Seite«, bestätigte Angelina flüsternd. Sie durchschritten langsam die Kirche.

»Hier führen Stufen hinunter«, bemerkte Francesco. »Da unten ist wahrscheinlich eine Krypta.«

Die beiden stiegen hinab. Sie gelangten in eine Grabkammer, die von einer blakenden Fackel erleuchtet war. An einer Stelle in der Wand, etwas versteckt, gähnte ein Loch.

|383|»Das muss ein Geheimgang zu den Kanälen sein«, sagte Francesco. »Botticelli hat mir einmal davon berichtet. Dort habe er Anregungen für seine religiösen Bilder erhalten. Aber ich wusste nie, ob sie nur in seiner Vorstellung bestanden oder ob es sie wirklich gibt.«

»Lass uns hineingehen«, sagte Angelina.

Francesco strich sich über das Kinn.

»Ich weiß nicht, ob das nicht eine Falle ist …«

»Aber wenn wir es nicht tun, werden wir das Rätsel niemals lösen!«, rief Angelina.

»Dir zuliebe«, antwortete Francesco. »Aber bleib in meiner Nähe!« Er nahm die Fackel und ging Angelina voran in das Dunkel des Ganges. Der Gang war so hoch, dass sie aufrecht gehen konnten. Bald kamen sie an Nischen in der Wand vorbei, aus denen fahle Schädel und Gebeine schimmerten. Angelina schreckte zurück.

»Das sind die Knochen der Mönche und Priester dieses Klosters«, erklärte Francesco.

»Es tut mir leid, dass wir ihre Totenruhe stören«, murmelte Angelina.

Ihre Knie wurden weich. Sie fühlte sich wie gelähmt, konnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. Aber sie musste weitergehen, sonst war alles, was geschehen war, umsonst gewesen. Der muffige, feuchte Geruch der Wände machte ihr das Atmen schwer. In der Ferne war das Gluckern von Wasser zu hören. Von rechts und links mündeten immer neue Gänge in den Hauptgang, in dem sie sich befanden. Angelina spähte in einen dieser Gänge hinein. Sie meinte in der Ferne ein schwaches Licht glimmen zu sehen.

»Wir sollten hier entlanggehen«, raunte sie Francesco zu.

»Das ist bestimmt nur der Widerschein eines Totenschädels«, meinte er.

Francesco blieb stehen, um eine neue Fackel an der alten anzuzünden. Angelina, in dem Glauben, er werde ihr gleich folgen, schlich sich vorsichtig in den Gang hinein. Das Licht kam immer näher. Angelina meinte Francescos Schritte hinter sich zu hören. |384|Ihre Augen waren auf den leuchtenden Punkt vor ihr gerichtet. Sie tastete sich im Dunkeln vorwärts, auf diesen Punkt zu. Dann erkannte sie ein Kohlebecken, das an der Wand angebracht war. Daneben stand ein Mensch, ein Mann in der Kleidung der Florentiner Kaufleute. Es war … sie strengte ihre Augen an … Tomasio! Im Schein der glühenden Kohlen sah Angelina das Zucken in seinen Augenwinkeln.

»Wie kommt Ihr denn hierher?«, fragte sie erstaunt und etwas verlegen, da sie bei ihrer letzten Begegnung so wütend gewesen war. »Folgt Ihr mir nach? Ich danke Euch, doch ich brauche keinen Schutz mehr!«

Es war Angelina, als hätte sie von weither ein Stöhnen vernommen. Sie wandte den Kopf. Wo blieb eigentlich Francesco?

»Euer Freund wird gleich hier sein«, sagte Tomasio. »Aber ich möchte Euch vor ihm warnen!«

»Vor Francesco? Warum in aller Welt wollt Ihr mich vor ihm warnen? Und wie seid Ihr eigentlich hierhergelangt?«

»Auf dieselbe Art wie Ihr, Angelina. Ich war heute bei Sandro Botticelli, und er bat mich, etwas für ihn aus einem Versteck zu holen, das er sich hier unten eingerichtet hat.«

Angelina blickte sich abermals nach Francesco um. Doch der Gang blieb dunkel und still. Ob er sich aus dem Staub gemacht hatte? Warum hätte er das tun sollen? Vielleicht hatte er Angst bekommen. Tomasio winkte sie näher zu sich heran.

»Im nächsten Gang ist eine Kammer, in der sich Botticelli öfter aufgehalten hat«, sagte er. Sein Augenlid zuckte. »Passt auf, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen.«

Tomasio entzündete eine Fackel an der Glut des Beckens und ging Angelina voran. Sollte sie fliehen? Die Dunkelheit des Ganges hinter ihr ließ sie zurückschrecken. Und wenn Tomasio recht hatte? Ihre alten Befürchtungen und Ängste stiegen in ihr auf. Wie, wenn Francesco alles nur vorgegeben hätte? Vielleicht hatte er doch Fredi und Matteo ermordet. Aber warum hätte er Eleonore umbringen sollen? Zu dem Zeitpunkt war Francesco ja gar nicht in |385|Florenz gewesen. Er könnte allerdings auch einen gedungenen Mörder damit beauftragt haben, so wie er die Fanciulli dazu gebracht haben könnte, ihn zu verprügeln. In diesem Moment schoss der Gedanke Angelina erstmals durch den Kopf: Was, wenn es zwei Mörder gab und nicht nur einen? Was, wenn der Priester einen Komplizen hatte?

Angelina folgte Tomasio in den Gang. Er schloss eine hölzerne Tür auf, die mit schweren Eisenstäben beschlagen war. Knirschend drehte sich der Schlüssel im Schloss. Angelina trat hinter Tomasio ein, dieser entzündete gerade mehrere Leuchter an den Wänden. Sie war überrascht von der Behaglichkeit, die der Raum ausstrahlte. Tomasio bat Angelina, auf einem der Stühle Platz zu nehmen. Er setzte sich ihr gegenüber.

»Wo ist Francesco?«, fragte sie.

»Jetzt hört Euch erst einmal an, was ich zu sagen habe«, sagte Tomasio.

Er lächelte sie an. »Erinnert Ihr Euch an das Fest, das Euer Vater auf seinem Landsitz bei Fiesole veranstaltete?«

Angelina erinnerte sich sehr gut daran. »Damals wurde mein künftiger Ehemann Fredi ermordet.«

»Francesco hat ihn getötet, weil er Euch für sich haben wollte«, meinte Tomasio. »Aber nicht, weil er Euch liebte. Er hatte es einzig und allein auf Eure Mitgift abgesehen.«

»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte sie stockend. Es war, als hätte sich der Boden unter ihr aufgetan.

»Das tut nichts zur Sache. Ich habe es von jemandem gehört, der vertrauenswürdig ist.«

»Und wer hat Matteo umgebracht und wer Eleonore?«

»Francesco war anwesend, als der Gatte Eleonores starb. Ihr seid doch miteinander an den Lago Trasimeno gegangen. Wer anders als er sollte einen Grund dafür gehabt haben?«

»Was meint Ihr damit?« Angelina ballte die Fäuste.

»Nun, es ist doch ein offenes Geheimnis, dass Francesco und die Gräfin Scroffa sich ziemlich … nahestanden.«

|386|Obwohl sie dieser letzte Satz traf wie ein Schlag in die Magengrube, zwang sich Angelina, Tomasio auf eine offensichtliche Ungereimtheit hinzuweisen.

»Wenn er Eleonore für sich haben wollte, wieso sollte er sie dann kurz darauf umbringen?«

»Nun«, sagte Tomasio und legte die Fingerspitzen aneinander, »die größte Liebe kann verfliegen, wenn man herausbekommt, dass der Liebhaber den eigenen Ehemann heimtückisch umgebracht hat. Sie hat es herausgefunden.«

»Aber als Eleonore starb, war Francesco gar nicht in der Stadt!«

»Kennt Ihr nicht die Giftmorde der Borgia und anderer römischer und florentinischer Familien?«, fragte Tomasio zurück. »Glaubt Ihr, sie hätten das Gift jeweils selber ins Essen gemischt? Für Geld lässt sich so mancher kaufen!«

»Ich glaube es nicht, ich will es nicht glauben«, rief Angelina. Sie hoffte, er würde ihr die Verwirrung nicht anmerken.

»Den Überfall durch die Fanciulli hat er selbst in die Wege geleitet«, fuhr Tomasio fort. »So dachten alle, dass der Mörder von außen gekommen wäre. Er war aber mitten unter euch.«

»Und was ist mit diesem Mönch?«, wollte Angelina wissen.

»Der Verrückte, der Euch bedroht hat?«

»Das war nicht das erste Mal, müsst Ihr wissen.« Angelina seufzte. »Ich bin so froh, dass Ihr mit meinem Vater im Dom aufgetaucht seid!«

»Ein Wahnsinniger!« Tomasio schüttelte mitleidig den Kopf. »Das ist gewiss ein glühender Anhänger Savonarolas gewesen. Dieser Ketzer hat vielen die Sinne vernebelt! Gott sei Dank ist dieser Teufel jetzt gerichtet und schmort in der Hölle!«

Tomasios Augen flackerten. »Ich aber, Angelina, ich habe Euch von Anfang an geliebt und wollte Euch immer vor allem Bösen beschützen. Wenn Ihr es nur zugelassen hättet!«

In Angelina war eine Welt zusammengebrochen. Und sie hatte Francesco vertraut, hatte geglaubt, dass er sie liebe, nachdem er ihr Bild aus den Flammen gerettet hatte!

|387|»Ach, hätte ich doch niemals das Kloster verlassen«, sagte sie mehr zu sich selbst.

»Ihr könnt es Euch immer noch überlegen«, sagte er. Sein Augenlid zuckte heftiger. »Ich warte nun schon so lange auf Euch. Und ich gebe Euch weitere Bedenkzeit. Wollt Ihr meine Frau werden?«

»Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen«, sagte Angelina. »Aber ich habe beschlossen, Euch nicht zu heiraten. Der Entschluss steht fest und ich werde nicht wanken.«

»Seid Ihr immer noch zornig auf mich wegen der Trennung von Euren Eltern?«

Angelina dachte nach. Nein, das war es nicht. Sie schüttelte den Kopf.

»Sagt mir nur eins, Angelina: Warum nicht?«

»Weil ich Euch nicht liebe«, gab Angelina zur Antwort. »Ich liebe Francesco, was immer er auch getan haben mag.«

Tomasios Gesicht verfinsterte sich, beide Lider zuckten, sein Gesicht verformte sich zu einer grotesken Grimasse. Er stand auf.

»Habe ich Euch nicht vor dem verrückten Mönch gerettet? Müsst Ihr immer so undankbar sein? Ich bitte Euch!«

»Es ist mein letztes Wort. Und jetzt lasst mich hinaus, ich will zu Francesco.«

Tomasios Augen glühten, fast erinnerten sie Angelina an die von Savonarola. Sie glaubte, einen Teufel vor sich zu sehen. Mit vor Hohn triefender Stimme sagte er:

»Noch einmal wirst du nicht davonkommen, Angelina. Dazu habe ich zu sehr gelitten.« Er stand mit einer schnellen Bewegung auf. Angelina erhob sich ebenfalls.

»Lasst mich jetzt hinaus, ich will zu Francesco und nach Hause!«, sagte sie laut.

Tomasio sprang mit einer schnellen Bewegung zur Truhe hin, öffnete sie und holte etwas heraus, das wie ein Stück Stoff aussah, dazu eine kleine blaue Flasche. Angelina rannte zur Tür und riss sie auf. Er war sofort hinter ihr und riss sie zurück. Sein Arm umklammerte |388|ihre Schultern. Sie wehrte sich verzweifelt, wand und drehte sich. Sie wollte um Hilfe rufen, aber er war schneller. Er drückte ihr das Tuch vor die Nase. Es roch sehr scharf. Halb erstickt rief sie in das Tuch hinein: »Hilfe, man will mich umbringen!« Ihr wurde schwarz vor den Augen, und sie sank zu Boden.