Kapitel 9
Wäre sehr dankbar für Tipps, wie man Brandflecke von der Decke wegbekommt! Muss in Zukunft daran denken, FondueAbende nicht zusammen mit Tequila-Abenden zu veranstalten – gefährliche Kombination. Bringt aber total viel Spaß!
Mit zusammengepressten Lippen loggte ich mich bei Facebook aus. Ich sollte die Zicke einfach von meiner Freundesliste löschen – es war wie das Herumknibbeln an einem Schorf. Du weißt, dass du alles nur noch schlimmer machst und die Wunde viel besser heilt, wenn du die Finger davon lässt, aber der Zwang, es trotzdem zu tun, ist fast unwiderstehlich.
Ich sah auf die Uhr: drei Minuten vor halb vier. Um halb hatte ich einen Termin, aber Carol Abbot war chronisch unpünktlich. Ich hatte eigentlich noch schnell eine Tasse Tee trinken wollen, bevor sie eintrudelte, stattdessen schrieb ich eine E-Mail an Stu.
Hey mein Lieber, warst du in der letzten Zeit mal in der Nähe des Hauses? Laut der Facebook-Updates meiner besten Feindin Chrissie findet da fast jeden Abend eine Party statt – und alles klingt sehr viel aufregender, als es zu meiner Zeit war. Allerdings haben mich ihre Bemerkungen über Brandflecken an der Decke ein wenig beunruhigt. Wenn die beiden das Haus im Rahmen ihrer Spaßorgien in eine Bruchbude verwandeln, wird das den potentiellen Käufern gar nicht gefallen.
Das Leben im sonnigen Waimanu plätschert relativ glücklich vor sich hin, auch wenn es hier im Gegensatz zu deinen Vorhersagen nicht von testosteronstrotzenden, kernigen Farmerburschen wie in McLeod’s Töchter wimmelt. Oder wenn doch, dann benötigt keiner eine Physiotherapie. Trotzdem kann ich mich nicht beklagen – erst gestern brachte mir ein Mann Ende vierzig mit Mundgeruch und Poren wie Mondkratern ein Afrikanisches Veilchen mit und lud mich ein, am Samstag mit ihm zum Rugby zu gehen. Es tut gut zu wissen, dass ich noch eine andere Möglichkeit habe, als meine Kleider mit Batikmustern zu färben, meine BHs wegzuwerfen und mit siebzehn Katzen in einem Schuppen zu leben. Das Einzige, was zwischen mir und dem totalen Glück steht, ist der Umstand, dass bei Tante Rose gerade Krebs diagnostiziert wurde. Sie ist entschlossen, sich von einer solchen Bagatelle nicht unterkriegen zu lassen, aber die Chemo setzt ihr ziemlich zu.
So, ich muss los und einen Knöchel verarzten. Bleibt es dabei, dass du zu dieser Orthopädentagung nach Wellington kommst? Wäre schön, dich zu sehen.
Alles Liebe, Jo.
Nachdem ich auf »Senden« gedrückt hatte, stand ich auf, um ein wenig mit Amber zu plaudern. Sie hatte zurzeit Probleme mit Männern (oder vielmehr ging der junge Bursche, auf den sie ein Auge geworfen, den sie aber nicht anzusprechen gewagt hatte, jetzt mit Freda von der Tankstelle aus), und sie brauchte Mitgefühl und Schokoladenkekse, um den Tag ohne Tränenausbrüche durchzustehen. Amber war schon an ihren besten Tagen immer ziemlich verschnieft, aber wenn sie in Tränen zerfloss, würde sie den Anmeldebereich der Klinik überschwemmen.
»Oh Gott, zwei hinter mir, vier vor mir«, sagte Rose am Dienstagabend matt.
Sie lag in ihrem Satinmorgenrock auf der Chaiselongue unter dem Küchenfenster. Dieses Möbelstück war das prächtigste, das ich je gesehen hatte. Es bestand aus schwerer, dunkler Eiche, wog ungefähr eine Tonne, hatte große Klauenfüße, und von der abgeschabten Samtrückenlehne glotzte ein Greif herab. Als kleines Kind hatte ich fest daran geglaubt, dass der Greif lebendig war, und offen gestanden würde es mich auch heute nicht überraschen, wenn er die Flügel ausstrecken und den Schnabel aufreißen würde.
»Ich weiß, dass du dich total beschissen fühlst, aber so, wie du daliegst, wirkst du trotzdem sehr elegant«, tröstete ich sie.
»Total beschissen«, wiederholte Tante Rose. »Also wirklich, Josephine, die englische Sprache hat so viele anschauliche Adjektive zu bieten, und du entscheidest dich für ›total beschissen‹?«
»Soll ich dich morgen zur Chemo bringen?«, fragte ich. Matt hatte sie bisher zu beiden Terminen begleitet, weil seine Mutter fürchtete, die Krebsstation im Krankenhaus würde zu viele schmerzliche Erinnerungen in ihr wecken. Scheinbar machte sich Hazel aber wegen der schmerzlichen Erinnerungen, die ihren Sohn heimsuchen würden, wenn er Rose zur Chemo brachte, weit weniger Sorgen (obwohl die Frau – und hier zitiere ich Hazel wörtlich – nur für das Glück ihrer kostbaren Kinder lebte).
»Es ist nicht sonderlich aufregend dort, Kindchen. Und musst du nicht zufällig arbeiten?«
»Halb so wichtig.« Ich tat meine Arbeit mit einem Fingerschnippen ab. »Wir können die Praxis ruhig mal einen Tag schließen – das verschafft Amber die Gelegenheit, die liegengebliebene Computerarbeit aufzuholen.« Tatsächlich würde Amber einen Tag, an dem ich nicht da war, eher dazu nutzen, Tausende von Werbeflugblättern für das Lions-Club-Grillfest ihres Vaters zu kopieren, sich eine Pediküre zu gönnen und am Computer Spider Solitaire zu spielen, aber egal.
Draußen begannen die Hunde, die wie ein Pelzhaufen auf der Hintertreppe gelegen hatten, hysterisch zu bellen. Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich sie über den Rasen auf Matts Wagen zustürmen. Percy, behindert durch seinen zunehmenden Leibesumfang, watschelte ihnen hinterher.
»Matthew?«, vermutete Rose.
»Und Kim.« Ich reichte ihr ein Glas Ginger Ale. Kim trug ihre Schuluniform, was um zwanzig vor sechs ungewöhnlich war, da sie immer behauptete, die Waimanu-Highschool-Uniform für Schülerinnen der dreizehnten Klasse müsse ein böser Geist entworfen haben, der nur danach getrachtet hatte, das unkleidsamste Outfit auf diesem Planeten zu erschaffen.
Matt blieb stehen, um Percy zwischen den Ohren zu kraulen, während Kim schnurstracks den Pfad hochkam.
»Wie geht es dir, Tante Rose?«, rief sie, als sie durch die Tür trat.
»Mittelprächtig«, erwiderte Rose. »Aber ich werde wohl am Leben bleiben. Und wie kommst du voran, auf der Straße des Wissens?«
»Im Moment mühsam«, räumte Kim ein, öffnete den Kühlschrank und begann darin herumzusuchen. »Hi, Josie. Bist du diese Woche schon von ein paar alten Lustmolchen eingeladen worden?«
»Nur das Übliche«, gab ich zurück. »Sehr frustrierend. Warum die Schuluniform?«
Kim wandte sich mit einem kalten Würstchen in der Hand vom Kühlschrank ab und verkündete nicht ohne Stolz: »Musste nachsitzen. Mum wird ausflippen.«
»Dummes Kind«, schalt Rose. »Was hast du angestellt?«
»Angeblich war ich zu dem alten Williamson, diesem Pädophilen, unverschämt.«
»Kim«, wies ihre Tante sie streng zurecht, »solche Dinge kannst du nicht einfach über andere Leute verbreiten – es ist sowohl üble Nachrede als auch extrem grausam. Es sei denn, es stimmt – dann müsstest du zur Polizei gehen.«
»Na ja.« Kim ließ den Kopf hängen. »Er sieht aber aus wie ein Pädophiler. Auf jeden Fall ist er ein Vollidiot.«
»Ist er nicht, das weißt du ganz genau«, hielt ich dagegen. »Und wenn man mal von seinen behaarten Ohren absieht – ich gebe zu, dass sie kein schöner Anblick sind –, dann ist er ein ziemlich cooler Typ.«
Kim machte sich nicht die Mühe, mir zu antworten, sondern bedachte mich nur mit einem vernichtenden Blick. Nun gut, es wird mir nie endgültig gelingen, von ihr nicht als Jo, die Modepuppe mit den Schickimicki-Großstadtklamotten, abgestempelt zu werden.
Matt zog an der Tür seine Arbeitsstiefel aus, küsste Rose auf die Wange und bemerkte: »Lehrern gegenüber frech zu sein ist auch nicht so cool, wie du vielleicht meinst.«
»Ach, halt doch die Klappe«, gab Kim gereizt zurück. »Woher willst du schon wissen, was cool ist?«
»Obwohl … man käme zwar nie auf den Gedanken, wenn man ihn heute so sieht, aber Matt war früher wirklich mal cool«, warf ich ein und riskierte damit einen weiteren Imageverlust.
»Das bin ich immer noch«, protestierte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Coole Leute stopfen ihre Jeans nicht in die Socken, mein Freund.«
Er blickte nach unten. »Auf diese Weise werden sie am Saum nicht nass und schlammig.«
»Coole Leute stören sich nicht an schlammbespritzten Säumen.«
»Wahrscheinlich stopft er sein Unterhemd auch in die Unterhose«, bemerkte Kim verächtlich.
»Ich trage keine Unterhemden«, entgegnete Matt sanft.
»Oder Unterhosen«, warf ich ein.
»Jo, du bist ein Idiot.«
»Ich weiß«, bekannte ich.
»Vor allem, wenn du Matt jemals cool gefunden hast.« Kim war immer noch auf Krawall gebürstet.
»Definiert mir ›cool‹«, verlangte Rose. »Ich kenne mich mit dem Vokabular der jüngeren Generation nicht so aus. Bedeutet das, dass der Schritt der Hose irgendwo zwischen den Knien hängt und du dir nicht die Mühe machst, beim Gehen die Füße zu heben?«
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Das ist alles andere als cool – so etwas machen nur dumme kleine Jungs, die es übertreiben müssen. Wirklich cool ist, wer seine Zeit nicht mit dem Versuch vergeudet, andere zu beeindrucken, weil er weiß, dass er der Größte ist, und sich deshalb nicht um die Meinung anderer schert.«
»Dann war ich nie cool.« Matt ging in die Speisekammer und nahm die Dose Erdnüsse heraus, die dort auf dem zweiten Regalbrett stand, solange ich denken konnte. »Als Teenager hab ich mir ständig alle Mühe gegeben, dich zu beeindrucken.«
»Tatsächlich?«, vergewisserte ich mich gerührt.
»Na ja, ich kannte keine anderen Mädchen. An irgendjemandem musste ich ja üben.« Er schüttete sich den halben Inhalt der Dose in die Hand und stopfte ihn sich dann in den Mund. Ich beobachtete ihn neidisch. Wenn ich solche Mengen Erdnüsse vertilgen würde, würde ich bald den Umfang eines Fesselballons annehmen. Zum Teufel mit den Männern und ihrem testosteronbefeuerten Stoffwechsel!
Kims finsteres Gesicht hellte sich auf, und an ihrer Miene ließ sich ablesen, dass sie einen Plan ausheckte: wahrscheinlich einen todsicheren Matt-und-Josie-sind-schon-ihr-ganzes-Leben-ineinander-verliebt-und-müssen-nur-dazu-gebracht-werden-es-zu-begreifen-Plan, der maximale Verlegenheit für alle Beteiligten garantierte.
»Hey, Kim«, sagte ich hastig, um sie abzulenken. »Es kann dir nicht schaden, wenn du dich bei Mr Williamson entschuldigst. Lehrer sind nämlich auch Menschen, weißt du?« Das erinnerte sie wunschgemäß an ihren Groll, und während der nächsten halben Stunde ignorierte sie mich ostentativ.