Kapitel 15
GUTEN TAG, MISS Donnelly«, sagte Bob mit der für ihn typischen schwerfälligen Galanterie. Er war ein netter Mann, doch selbst wenn ich über seinen Mundgeruch hinwegsehen könnte und mich nicht so oft krampfhaft davon abhalten müsste, rund um die Kreuzworträtsel der Tageszeitung verträumt die Unterschrift ›J. M. King‹ auszuprobieren, könnte ich mich für ihn nicht erwärmen. Er war so pedantisch, dass ich ihm schon nach einer Woche in seiner Gesellschaft sicher eine Bratpfanne über den Schädel gezogen hätte.
»Hi, Bob.« Betont eilig stopfte ich ein paar Unterlagen in meine Schultertasche. »Ich bin ein bisschen spät dran.«
»Ich habe Ihnen ein paar Kochrezepte mitgebracht.« Er zog einen kleinen Stapel Anleitungen für schnell zubereitete Gerichte, wie sie oftmals im Supermarkt ausliegen, aus der Tasche und hielt sie mir stolz hin. »Sie sagten doch, Sie bräuchten neue Anregungen.«
Ach ja. Als er das letzte Mal vorbeigeschaut hatte, hatte ich gerade Mrs Clarke hinausbegleitet und mich mit ihr über Mahlzeiten unterhalten, die appetitanregend sein könnten, wenn jemand gerade unter den Folgen einer Chemotherapie leidet. »Vielen Dank.« Ich versuchte so erfreut wie möglich zu klingen. »Das ist sehr aufmerksam von Ihnen. Aber jetzt muss ich wirklich los …«
Doch er brachte mich mit einer gebieterischen Geste zum Schweigen. »Schenken Sie mir nur einen Moment Ihrer kostbaren Zeit, meine Liebe.« Hinter ihm kicherte Amber wenig hilfreich über ihrer Computertastatur. »Im Workingman’s Club findet diesen Freitag ein kleiner Empfang mit Wein und Käse statt. Das hört sich doch gut an, nicht wahr?«
»Ich kann zurzeit abends nicht ausgehen«, entgegnete ich.
»Richtig, wegen Ihrer armen, kranken Tante. Aber ein bisschen Abstand und Abwechslung würde Ihnen bestimmt guttun.«
»Ich kann sie nicht allein lassen«, beharrte ich. »Da hätte ich einfach keinen Spaß an irgendwas. Danke für die Einladung, Bob, aber ich muss mich jetzt wirklich beeilen.«
»Das finde ich höchst bewundernswert«, murmelte er, dabei strahlte er mich liebevoll an. »Eine junge Frau wie Sie mit einem so erfreulich altmodischen Pflichtgefühl.« Zweifellos stellte er sich gerade vor, wie ich ihm in zwanzig Jahren oder so fröhlich den Hintern abwischte. Da konnte ich mir wahrlich was Besseres vorstellen!
»Amber, du schließt dann ab, ja?«, bat ich. »Wir sehen uns, Bob … und nochmals danke …« Dann stürzte ich wie ein aufgeschrecktes Kaninchen nach draußen.
In der Sicherheit meines Autos legte ich einen Moment den Kopf aufs Lenkrad. Diese Sache mit Bob wurde langsam lächerlich – ich konnte Rose nicht ewig als Grund für meine Abfuhr vorschieben. Vielleicht sollte ich mir eine Flip-Chart anlegen – vollgekritzelt mit Kurven und professionell wirkenden roten Pfeilen –, zum Vergleich der Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals mit Bob irgendwo hinging, mit jener, dass es in der Hölle schneite. Jemand klopfte ans Fenster auf der Fahrerseite, und ich fuhr mit einem Ruck hoch. Gut, jetzt war das Maß voll, ich würde die Beherrschung verlieren und den Mann gründlich zusammenstauchen – aber es war nur Kim, in ihrer Schuluniform und mit lässig über die Schulter geworfener Mappe. Ich kurbelte das Fenster herunter.
»Was um Himmels willen tust du da?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin auf der Flucht vor Bob McIntosh.«
»Ach so. Kannst du mich nach Hause fahren?«
»Sicher«, nickte ich. »Hast du wieder nachsitzen müssen?«
»Nein.« Kim klang gekränkt. »Ich hatte Gitarrenstunde.«
»Seit wann spielst du denn Gitarre?«
Sie trottete um das Auto herum und kletterte auf den Beifahrersitz. »Seit zwei Wochen. Ich kann schon drei Akkorde greifen. Jonno ist in einer Band, und ich werde die Hintergrundsängerin und Gitarristin.«
»Das ist ja toll«, erwiderte ich todernst.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte ich, als ich ein paar Tage später in Roses Küche trat. Sie schlug Eier in einer Schüssel auf und trug ein freches grünes Satinkäppchen mit einem Paar künstlicher Kirschen auf einer Seite. Es stammte aus einer Schachtel mit Hüten und Perücken, die ihr Mary-Anne Morris von der Apotheke mitgegeben hatte. Mary-Anne hatte ein paar Jahre zuvor ebenfalls im Kampf gegen den Krebs ihre Haare verloren.
»Das verdammte Ding ist geschrumpft«, sagte Rose. »Also schneiden sie es nächste Woche raus.« An diesem Morgen hatte ihre Abschlussuntersuchung stattgefunden, aber sie hatte all unsere Angebote, sie zu fahren, störrisch zurückgewiesen und behauptet, Matt und ich würden nur nach Vorwänden suchen, um nicht arbeiten zu müssen, und dieser Drückebergerei würde sie keinen Vorschub leisten.
»Gut. Und anschließend geben sie ihm mit einer weiteren Chemo den Rest?«
»Ja, aber diesmal wollen sie mir kein so starkes Zeug verpassen.«
»Also wirst du dir nicht wieder die Seele aus dem Leib kotzen?« Ich stellte die Tüten mit Lebensmitteln, die ich mitgebracht hatte, auf den Küchentisch und begann sie auszupacken.
»Josephine, du benutzt solche grässlichen Ausdrücke doch sicher nur, um mich zu ärgern, nicht wahr?«
»Ja«, gestand ich und grinste sie an.
»Das hatte ich gehofft. Aber die Übelkeit dürfte sich diesmal tatsächlich in Grenzen halten.«
»Denk nur an all den Wein, den du dann trinken kannst.«
Sie seufzte glücklich. »Das wird herrlich.«
Draußen begannen die Hunde zu bellen, und Rose spähte aus dem Fenster. »Ah«, sagte sie. »Kim, mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Also wirklich, dieses Kind wirkt besser als jeder Katastrophenfilm.«
Kim kam herein und schloss die Tür so heftig, dass man es schon als Zuknallen bezeichnen konnte. Sie nahm ihre neue Rolle als Rocklady sehr ernst; an diesem Tag trug sie Doc-Martens-Stiefel, eine schimmernde schwarze Strumpfhose und einen extrem kurzen karierten Rock. Der Saum lugte kaum unter dem abgetragenen T-Shirt hervor, das vermutlich Matt gehörte. Es war ihr viel zu groß, und auf der Vorderseite prangte das von Flammen umzüngelte Wort SEPULTURA und darüber ein höhnisch grinsender Totenkopf.
»Schickes Outfit«, lobte ich. Kim auf den Arm zu nehmen gehörte zu meinen liebsten Hobbys.
»Hi, Tante Rose«, sagte sie, ohne mich zu beachten. Sie beugte sich vor und gab ihrer Tante einen Kuss auf die faltige Wange. Ich freute mich schon darauf, wenn Rose wieder ein paar Pfunde zulegen würde. Der enorme Gewichtsverlust hatte sie stark altern lassen, und mit dreiundfünfzig war sie viel zu jung, um so vergreist und verhärmt auszusehen.
»Hallo, Liebes«, sagte Rose. »Wie war dein Tag?«
»Beschissen.« Kim thronte auf dem Küchentisch und ließ die Füße baumeln.
»Wie schade.«
»Hey, Jo, schmeißt du mir mal einen Apfel rüber?« Ich gehorchte, und sie biss genüsslich hinein. »Diese Schwachköpfe in der Schule sind so blöd, dass sie ihren eigenen Arsch im Dunkeln nicht finden würden.«
»Kim Amanda King!«, rügte Tante Rose sie scharf. »Diese Ausdrucksweise lässt darauf schließen, dass du zu dumm bist, anständiges Englisch zu sprechen. Wenn du dumm wärst, würde ich ja nichts sagen, aber das bist du nicht.«
»Sorry«, murmelte Kim.
»Welche Schwachköpfe in der Schule meinst du denn?«, erkundigte ich mich. »Ich meine, wer hatte das Pech, sich dein Missfallen zuzuziehen?«
»Der Direktor und der Konrektor. Das sind Idioten!«
»Was hast du denn verbrochen?«, fragte Rose mit deutlichen Bedenken.
»Ich hatte eine Zigarette in der Tasche.«
»Oh, Kim, fang bitte nicht an zu rauchen«, bat Tante Rose. »Denk doch an die Kosten, wenn schon nicht an die unbedeutende kleine Statistik, der zufolge jeder zweite Raucher an seinem Laster stirbt.«
»Nein, nein«, versicherte Kim ihr hastig. »Aber ehrlich – so ein Theater wegen nichts und wieder nichts. Mum ist ganz hysterisch geworden, und ich muss vor dem Disziplinarkomitee antanzen.«
»Wegen einer Zigarette?« Mein Argwohn wuchs.
»Nun ja, eigentlich war es ein Joint. Aber trotzdem …«
»Was?«, entfuhr es Tante Rose. Sie umklammerte den Schneebesen so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, richtete sich zu ihrem vollen Gardemaß auf und funkelte ihre Nichte an. »Du hast Marihuana in die Schule mitgenommen? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Tante Rose, es war nur ein einziger kleiner Joint …«, begann Kim verzagt.
»Ich will nicht mit dir diskutieren«, zischte Tante Rose. »Ich könnte sonst etwas sagen, was ich später bereue.« Sie nahm eine Wurst für die Hunde aus dem Schrank, stapfte in die Dämmerung hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
Einen Moment lang herrschte Stille, dann bemerkte Kim in einem etwas misslungenen Versuch, ihre Missetat auf die leichte Schulter zu nehmen: »Das hat das alte Mädchen umgehauen.«
»Du hältst besser den Mund«, befahl ich schroff und verstaute die restlichen Lebensmittel in der Speisekammer.
»Du musst dich gerade aufregen«, fuhr Kim auf. »Ich glaube dir nicht, dass du noch nie einen Joint geraucht hast!«
Tatsächlich hatte ich mir in meinem bisherigen behüteten Dasein nur ein Mal einen mit Chrissie geteilt – an einem Abend, an dem Graeme lange arbeiten musste –, und danach waren wir beide davon eingeschlafen. Kein Paradebeispiel für ausschweifende Zeiten. »Selbst in meinen dümmsten Teenagermomenten habe ich keine Drogen zur Schule mitgenommen«, fauchte ich. »Die könnten dich in hohem Bogen rauswerfen – und was machst du dann?«
»Schule ist sowieso nur Zeitverschwendung. Vielleicht schmeiße ich den ganzen Kram hin.«
»Eine hervorragende Idee! Dann kannst du für einen Hungerlohn an der Tankstelle Benzin zapfen. Und wenn du großes Glück hast, findest du einen Trottel – den, mit dem du dich triffst, zum Beispiel –, der dich schwängert. Da kannst du dein Leben gleich ruinieren, wenn du schon mal dabei bist. Aber keine Sorge, wenn du genug Dope rauchst, kümmert dich das nicht.«
Kim brach in Tränen aus, warf ihren halb aufgegessenen Apfel nach mir und rannte aus dem Haus.
Als ich mich bückte, um ihn aufzuheben, sah ich, dass meine Hände zitterten. Gut gemacht, Jo, dachte ich. Schlimmer hättest du gar nicht reagieren können – jetzt hast du jeglichen Einfluss verloren, den du vielleicht auf das Kind hattest. Ich wartete, bis ich sie im Auto ihrer Mutter die Auffahrt hinunterdonnern hörte und ging dann nach draußen.
»Was hast du zu ihr gesagt?« Tante Rose, die gerade die kitzlige Stelle zwischen Percys Ohren gekrault hatte, richtete sich auf. Percy grunzte indigniert, seufzte und watschelte davon.
»Ich hab es komplett vermasselt«, gestand ich. »Ich hab ihr gesagt, dass sie eine Idiotin ist. Und ich hab sie gefragt, warum sie die Schule nicht gleich schmeißt und sich schwängern lässt, wenn sie schon mal dabei ist.«
»Ausgezeichnet.«
»Häh?«, machte ich ungläubig.
»Dieses Kind hält dich für die tollste Erfindung seit der Glühbirne.«
»Jetzt nicht mehr.«
»Lass mich ausreden«, schnarrte Tante Rose. »Sie dachte, du würdest über die ganze Sache lachen, und stattdessen hast du ihr eine gesalzene Strafpredigt gehalten. Vielleicht bringt sie das ja zur Vernunft.«
»Oder sie geht hin und verpasst sich einen Schuss Heroin.«
»Das tut sie nicht«, sagte Rose. »Na ja, hoffentlich nicht. Ich hoffe, wir bringen sie heil durch die nächsten Jahre. Matthew hatte auch schwierige Phasen, aber er hatte wenigstens einen vernünftigen Vater.« Als sie sich zum Haus wandte, fügte sie hinzu: »Und natürlich muss man bei Jungen keine Angst haben, dass sie schwanger nach Hause kommen.«