Kapitel 5
AUS! PLATZ!«, BRÜLLTE ich.
Die Hunde gehorchten, doch das Ferkel zeigte sich unbeeindruckt, zwängte sich zwischen meine Beine und schmiegte sich liebevoll gegen mein rechtes Knie. Ich kraulte es zwischen den Ohren, woraufhin es die kleinen Schweinsäuglein schloss und leise, wonnevolle Grunzlaute ausstieß. Dieses Tier verfügte wirklich über einen unwiderstehlichen Charme.
»Tante Rose?« Ich spähte durch die offene Tür in die Küche.
»Hier draußen, Kindchen.«
Ich schlenderte, eine am Handgelenk baumelnde Plastiktüte schwenkend, durchs Haus und fand sie auf der Veranda ausgestreckt in einem Liegestuhl. »Hallo.« Ich bückte mich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich hab dir eine Kostprobe von Mums neuem Käse mitgebracht.«
»Wie schön. Ich kann nicht aufstehen, ich bin viel zu faul. Du könntest uns dazu etwas zu trinken holen.«
Ich ging in die Küche und kam mit zwei Gläsern Riesling, einem Messer für den Käse und einer offenen Packung Cracker zurück, die ich hinter dem Brotkasten entdeckt hatte. Rose nahm ihr Weinglas mit einem Seufzer entgegen und lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück. »Ich hab keine Ahnung, wie alt diese Cracker sind«, gab sie zu bedenken.
»Macht nichts. Wenn sie muffig sind, wird Percy sie fressen.« Das Schwein war außen um das Haus herumgetrottet und kauerte leise schnaufend am Fuß der Stufen in der Nachmittagssonne. »Wie geht es dir?«
»Ich fühle mich wie zerschlagen.« Rose nahm einen langen, dankbaren Schluck aus ihrem Glas.
»Warum?«
»Was weiß ich? Das Alter, nehme ich an. Schau mal, wie sich das Sonnenlicht in der Distelwolle fängt – sieht das nicht herrlich aus?«
Ich blickte über den Zaun in ein riesiges, silbern wogendes Meer aus kalifornischen Disteln. »Schon, aber ich bezweifle, dass Matt deine Ansicht teilen wird. Bist du mutig genug, den Käse zu kosten?«
»Warum nicht?«
Ich schnitt für jeden ein kleines Stück ab und reichte Rose ihres. Wir schnüffelten beide argwöhnisch – das Zeug roch mehr als streng –, dann bissen wir vorsichtig hinein.
»Du lieber Himmel!« Rose versprühte einige Crackerkrümel, bevor sie den Rest ihrer Portion über das Verandageländer schleuderte, einen großen Schluck Wein nahm und ihn im Mund kreisen ließ. Ich bewies sogar noch weniger Klasse, sprang auf und spuckte den Käse ins nächstgelegene Blumenbeet, wo Percy sofort interessiert auf die Suche ging.
»Da hast du ihn, Kumpel.« Ich wickelte den Rest des Käses aus und warf ihn Percy hin. »Wohl bekomm’s.«
»Das ist ein Giftanschlag auf eine alte Frau!« Rose schüttelte den Kopf. »Zu meiner Zeit hatte die jüngere Generation etwas mehr Respekt vor der älteren. Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig war, Percy den Rest zu geben – wahrscheinlich fällt er gleich tot um.«
»Nie im Leben«, widersprach ich. »Er ist aus härterem Holz geschnitzt. Aber Mum und Dad können den unmöglich auf dem Markt verkaufen. Sie würden aus der Stadt gejagt.«
»Sie müssen es mit Absicht getan haben. Was für einen Grund hast du deinen Eltern gegeben, dich so zu hassen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich versuche doch nach Kräften, eine gute Tochter zu sein.«
Eine lange, schläfrige Stille trat ein; wir tranken unseren Wein und verscheuchten träge die Wespen.
»Verdammte Biester«, brummte Tante Rose. »Sie sind im Pflaumenbaum. Ich müsste die Pflaumen pflücken, aber es ist mir einfach zu anstrengend.«
Ich runzelte die Stirn. Rose ist eine hingebungsvolle Nutzerin von Gaben der Natur – sie würde genauso wenig eine Ernte verderben lassen wie eine Affäre mit einem halbwüchsigen Latinotänzer beginnen. »Geht es dir nicht gut?«, fragte ich.
»Ich bin nur müde.«
»Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
Sie seufzte. »Stimmt. Ich habe auch schon daran gedacht, zu Dr. Milne zu gehen. Vielleicht leide ich unter Eisenmangel oder etwas Ähnlichem.« Sie lächelte. »Oder ich brauche einfach nur etwas mehr Wein – sei ein Schatz und schenk mir noch ein Glas ein, ja?«
An einem schwülen Nachmittag, der eher in den Februar als in den April passte, reichte mir Amber eine mit einem roten Punkt versehene Akte.
Hypochonder oder notgeiler Typ? fragte ich mich, als ich meinen Drei-Uhr-Termin hereinbat. »Hi, ich bin Jo Donnelly. Was kann ich für Sie tun?«
»Neville.« Mein neuer Patient streckte mir eine warme, feuchte Rechte hin und umschloss meine Hand wesentlich länger als unbedingt notwendig. »Sieh an, sieh an. Die kleine Josie Donnelly. Du hast dich ganz schön rausgemacht, das muss ich schon sagen.«
Auf so eine Bemerkung gibt es keine passende Antwort, also ging ich erst gar nicht darauf ein. »Was für Beschwerden haben Sie?«, fragte ich.
»Letzte Woche ist beim Squash irgendwas mit meinem Bein passiert, und seitdem wird es immer schlimmer statt besser.«
»Ist es morgens schlimmer oder erst, wenn Sie schon eine Weile auf sind?«
»Morgens tut es weh, und tagsüber wird es schlimmer.«
»Das klingt nicht gut. Waren Sie schon einmal hier? Ich rufe nur schnell Ihre Krankengeschichte ab.«
»Wharfe«, teilte er mir mit. »Neville Wharfe, Taylor’s Block Road.« Ich wandte mich kurz ab, um seinen Namen in den Computer einzugeben, und als ich mich wieder umdrehte, krempelte er gerade seine Hose hoch und entblößte dünne, kurze Beine mit knubbeligen Knien. »Der Schmerz sitzt eigentlich mehr in der Leistengegend, meine Liebe. Genau hier. Fühlen Sie mal, wie verhärtet alles ist.«
Zwanzig Minuten später verließ er als enttäuschter Mann die Praxis – ich hatte eine Reihe von Übungen mit ihm gemacht und mich geweigert, die Innenseite seines Oberschenkels zu massieren. Ich öffnete das Fenster, um den im Raum hängenden Geruch seines Rasierwassers zu vertreiben (er hielt es offenbar mit dem Motto: Viel hilft viel), und ging hinaus, um mit Amber zu sprechen.
»Bob McIntosh schaut gleich vorbei«, informierte sie mich mit düsterer Schadenfreude.
»Auch das noch!«, entfuhr es mir. Bob war ein krankhaft schüchterner Mann Ende vierzig mit wässrigen Augen, einem Atem, der einen Ochsen niederstrecken könnte, und riesigen Hautporen. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht damit, dass er durch die Gegend fuhr und den Leuten fragwürdige Kuhstallreinigungsmittel und Tierarzneien anzudrehen versuchte – Dad hatte sich früher jedes Mal hinter einer Hecke versteckt, wenn sein kleiner Transporter die Auffahrt hochkam. Unseligerweise hatte er nach dem ersten Blick auf mich beschlossen, dass ich passabel aussah und somit als potentielle Kandidatin für den Posten einer Ehefrau in Frage kam. Und trotz seiner angeborenen Schüchternheit ließ er sich nach diesem einmal getroffenen gewichtigen Entschluss nicht von seinem Vorhaben abbringen. »Hättest du ihm nicht sagen können, dass wir ausgebucht sind?«
»Das hab ich letztes Mal gemacht«, verteidigte sie sich.
»Na, dann hättest du eben behaupten sollen, ich hätte Lepra oder Beulenpest oder so etwas und könnte keine Patienten empfangen.«
Sie schüttelte nur kichernd den Kopf.
Ich war Bob gerade glücklich losgeworden (stechende Schmerzen im Rücken und Karten für ein Jazzkonzert in Hamilton, von dem er wusste, dass ich gerne hingehen würde – wie wäre es, wenn wir uns einen schönen Abend machen und vorher im Cossie Club eine Kleinigkeit essen?), als Kim hereinstürmte.
»Hey, Amber«, sagte sie. »Hey, Jo. Habt ihr ein paar Kekse? Ich sterbe vor Hunger!«
In Sekundenschnelle hatte sie in der winzigen Küche eine Packung Schokoladenplätzchen gefunden. Sie warf sich auf den einzigen uralten Lehnstuhl im Raum und strahlte mich glücklich an. Ich machte uns dreien eine Tasse Tee und trug Ambers zum Empfang, wo sie ihre Nägel sorgfältig mit Korrekturlack behandelte, statt Patientendaten in den Computer einzugeben.
»Soll ich dich später nach Hause bringen?«, fragte ich Kim, als ich ihr ihre Tasse reichte. Ich wusste, dass der Bus vor einer halben Stunde abgefahren war.
»Nicht nötig«, gab sie zurück. »Matt hat in der Stadt zu tun. Er hat gesagt, er holt mich ab, wenn er alles erledigt hat.«
»Was für ein netter Bruder.«
»Wie man’s nimmt.« Kim griff nach einem weiteren Keks und betrachtete ihn misstrauisch von allen Seiten. »Gestern hat er beschlossen, mir einen Vortrag über Safer Sex zu halten.«
Ich verschluckte mich fast an meinem Keks, denn das Bild von Matt in der verantwortungsbewussten Großer-Bruder-Rolle drohte mich schier zu überwältigen. Ich trank hastig einen Schluck Tee und gab mir größte Mühe, keine Miene zu verziehen.
»Nicht dass ich mit irgendwem schlafen würde«, fuhr Kim fort, dann sah sie mich durch die Wimpern hindurch an und fügte provozierend hinzu: »Noch nicht.«
»Denkst du etwa darüber nach?«, erkundigte ich mich. Himmel, sie war doch fast noch ein Baby!
»Weiß nicht«, sagte Kim. »Ja, vielleicht. Ich bin zwar nicht in Aaron oder sonst wen verliebt, aber es wäre eine gute Übung. Und ja, ich weiß über Verhütung Bescheid.«
»Das beruhigt mich kolossal«, versetzte ich. »Aber nach meiner Erfahrung – mit der es vermutlich nicht weit her ist – wird man nur bitter enttäuscht, wenn man mit jemandem schläft, zu dem man sich nicht sonderlich hingezogen fühlt. Es ist peinlich und unangenehm, und am Ende bereut man das Ganze nur.«
»Oh«, machte Kim nachdenklich.
»Aber vielleicht solltest du in diesem Punkt nicht gerade auf mich hören – was Beziehungen angeht, bin ich kein allzu gutes Vorbild«, fügte ich grinsend hinzu. »Momentan sieht es so aus, als müsste ich zwischen Bob McIntosh und der Aussicht wählen, eine exzentrische alte Jungfer mit vierzehn Katzen zu werden.«
»Alte Jungfer«, erwiderte sie prompt. »Definitiv alte Jungfer.«
»Ja, zu dem Schluss bin ich auch gekommen.«
»Oder …«, sie hob die Stimme, als wir die Eingangstür knarren hörten, gefolgt von der tiefen Stimme ihres Bruders im Duett mit Ambers Näseln, »… du könntest es mit Matt versuchen.«
»Da gibt es bloß ein unüberwindliches Hindernis«, wandte ich ein.
»Cilla ist nicht unüberwindlich«, protestierte Kim vehement, als ihr Bruder in der Küchentür erschien, und bedachte ihn mit einem betörenden Lächeln. »Hey, Bruderherz. Keks gefällig?«
»Nein, danke.« Er funkelte sie finster an. »Bist du so weit? Hi, Jose.«
»Ich habe meinen Tee noch nicht ausgetrunken«, maulte Kim. »Also, Josie … was gibt es an Matt auszusetzen? Abgesehen davon, dass er eine fürchterliche Nervensäge ist, meine ich.«
»Sein Name«, erwiderte ich todernst.
»Stimmt. Matthew klingt wirklich ein bisschen tuntig.«
»Mit Matthew könnte ich leben, aber stell dir vor, ich hieße Jo King.«
Matts Mundwinkel zuckten. »Du kannst gerne auch nach der Hochzeit deinen eigenen Namen behalten«, bot er mir an. »Ich denke da ziemlich fortschrittlich.«
»Ganz sicher nicht«, gab ich hoheitsvoll zurück. »Ich bin sehr traditionsbewusst. Du siehst, es ist unmöglich. Und außerdem interessiere ich mich nur für Ärzte, wie du weißt.«
»Auf welchen hast du es denn abgesehen?« Er warf seiner Schwester einen bösen Blick zu. »Auf Milne oder auf Oliver?«
In Waimanu gab es nur zwei männliche Ärzte. Einer ging auf die sechzig zu, der andere war Anwärter auf den Titel »Schweißdrüse des Jahres«.
»Egal«, sagte ich. »Ich bin nicht wählerisch. Los, Kim, steh auf. Um vier kommt ein Patient.«