11. Kapitel

 

Man stellte sich vor.

Connor musterte die Amazonen. Wunderschöne Frauen, obwohl sie etwas abweisend wirkten. Die Rothaarige hieß Lysa. Sie war nicht nur eine großartige Bogenschützin, sondern auch die Anführerin. Ihr Schiff lag im Norden. Sie waren zufällig und zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht und hatten, Connor schauderte es, ihm, Bob und vermutlich vielen anderen Barbs das Leben gerettet.

Wie, beim allmächtigen Gordur, hatte das mit der Axt passieren können? Das war schlichtweg lächerlich. Er musste eine lächerliche Figur abgegeben haben. In der rechten Hand den Carnusstab, links den Axtgriff. Hätte er damit dem Leitbullen auf den Schädel klopfen sollen?

Sie gingen gemeinsam ins Dorf.

»Was ist hier geschehen?«, fragte Lysa.

Bob berichtete in kurzen Sätzen.

Die Amazone schien nicht überrascht. »Die Drachen haben gewütet ... das dachte ich mir.«

»Ihr wisst davon?«, fragte Connor.

Die Dorfbewohner kamen vom Strand zurück, sammelten sich und Bama nahm ihren Helden in den Arm. »Ihr habt es geschafft! Ich bin so stolz auf dich.«

Connor grinste schief. Bob lief rot an.

»Wen habt ihr mitgebracht?«, fragte Bama.

Man stellte sich vor und Bob berichtete, wie der Kampf abgelaufen war, ohne seine drei Pfeile zu verschweigen.

Das war mutig, fand Connor und beschloss, die Sache ruhen zu lassen.

»Ihr Amazonen habt unseren Tapferen das Leben gerettet? Wer hätte das gedacht?«, sagte Bama.

Dankbar umringten die Barbs die hochgewachsenen Frauen.

»Es gibt zwei tote Crocker. Wir sollten ein Festmahl bereiten«, beschloss Bob. »Wir hoffen, ihr nehmt daran teil?«

»Gerne«, gab die Rothaarige zurück, während ihre zwei Kameradinnen schwiegen.

Ein paar Barbs wurden losgeschickt, um die toten Crocker zu entbeinen, vor allen Dingen die schmackhaften Oberschenkel wurden aus den Tieren geschnitten.

Währenddessen nahmen die Amazonen das Dorf in Augenschein. Lydia schüttelte den Kopf. »Das ist grauenvoll. Sie haben gewütet wie Bestien.«

Bob neben ihr bestätigte das. »Sie sind Bestien!«

»Dafür muss es einen Grund geben und wir meinen, den Grund zu kennen.«

Bob fügte hinzu: »Ein sterbender Troll meinte, die Drachen hätten etwas gesucht.«

»Ja, Häuptling Bob. Das haben sie«, bestätigte Lydia.

Bald drehte sich Fleisch an einem Spieß und Bier wurde ausgeschenkt. Die Amazonen besichtigten den Strand und die Grabstätten, den Platz, wo der Drache begraben worden war und die Drachenhaut unter dem Sand wartete, sie gaben Ratschläge, wie man Drachenhaut behandelte und hatten für jeden ein freundliches Wort.

Sie schienen längst nicht so gefährlich zu sein, wie man von ihnen sagte, zumindest nicht, wenn sie mit Barbs sprachen. Gegenüber Connor hielten sie Distanz und musterten den großen Mann nur aus den Augenwinkeln. Der Barbar bekam eine Gänsehaut und fragte sich, ob Planungen im Gange waren, um sich seiner zu bedienen. Was er grundsätzlich nicht ablehnen würde, denn alle drei Frauen waren wunderschön, geschmeidig und sehr, sehr weiblich. Das, vermutete Connor, war das Problem an der Sache. Amazonen waren wie Spinnen, denen die Männchen nicht widerstehen konnten - um schließlich dabei umzukommen. Also konzentrierte er sich auf etwas anderes und drehte den Spieß. Er trank zwei Humpen Bier und das Gebräu stieg ihm in den Kopf.

Schließlich saßen alle zusammen und feierten die Retterinnen.

Besonders die Barbfrauen hatten große Augen und manch eine sah neidisch drein. Das waren selbstbewusste Frauen, die sich keinem Mann unterordneten. Zwar waren die Frauen der Barbs nicht ohne, aber mit den Amazonen konnten sie nicht mithalten.

»Wo kommt ihr her?«, fragte Bama das, was alle wissen wollten.

»Wir sind mit unserem Schiff, der Wing gekommen und haben im Norden von Fuure in einer Bucht geankert«, sagte Lysa. »Wir durchstreiften die Insel und kamen rechtzeitig, um den beiden Helden zu helfen.«

Connor grunzte und trank einen Humpen.

Ein weggeflogenes Axtblatt! Das ist ein Witz!

»Und was führt euch zu uns?«, fragte Biggert.

»Wir suchen ein Drachenei«, gab Lysa zurück. »Unser Stamm ist krank. Viele von uns leiden. Unsere Heilerin benötigt die Schale eines Dracheneis, um ein Gegenmittel herzustellen. Gelingt uns das nicht, wird es bald keine Amazonen mehr geben. Durch Zufall erfuhren wir, dass Drachen unterwegs sind. Sie zogen einen Schweif der Zerstörung hinter sich her. Sie töteten auf Gidweg, der Insel der Zwerge, viele von ihnen und hinterließen Schutt und Asche, genauso wie bei euch.«

Bob stöhnte. »Umso besser, dass wir einen von ihnen töteten!«

»Ihr müsst sehr tapfere Leute sein. Einen Drachen zu töten ist ein schwieriges Unterfangen. Wer von euch ist der Held?«

Bob schnaufte. »Nun, eigentlich haben wir das gemeinsam gemacht, aber den Hammer habe ich geschwungen.«

»Dasch kanscht du bescher als mit Pfeil un Bogen umgehn«, nuschelte Connor, der sich wieder einen Humpen aus der großen Kanne füllte.

Bob zog ein Gesicht.

Lysa lächelte. »Ihr habt euch nichts vorzuwerfen. Es ist eine tapfere Tat, sich einer Herde Crocker entgegen zu stellen. Außerdem glaube ich, dass in dir, Häuptling Bob, ein wahrer Krieger steckt.«

Bob wurde rot und Connor kicherte.

Bama berichtete, nicht ohne Tränen zu vergießen, was mit ihrem Sohn, anderen Barbs und Bluma geschehen war. Sie berichtete außerdem, dass sie planten, ein Segelboot zu bauen.

Lysa nagte an einem Knochen und zog die Augenbrauen zusammen. »Sie wurde entführt? Warum?«

»Das wissen wir nicht!«

Lysa schüttelte den Kopf. »Wenn wir euch helfen können ...«

»Nehmt unsch auf euerm Schiff mit!«, platzte Connor heraus und warf mit einer fahrigen Geste seinen Humpen um. Lysa musterte ihn und verzog das Gesicht. »Säuft er immer so viel?«

Die Barbfrauen fuhren hoch. Nein, nein, das sei nicht so. Er sei ein guter Kerl, einer, dem man vertrauen könne, zwitscherten sie durcheinander. Connor zog eine Fratze und Lysa blickte weg.

»Und der Ärger, von dem du erzähltest, ist der noch da?«, fragte Lysa, zu Bama gewandt. Ihre zwei Begleiterinnen lauschten aufmerksam. Bisher hatten sie keinen Ton gesprochen.

»Vielleicht ist er in die Crocker gedrungen«, fuhr Bob dazwischen. »Normalerweise sind das sanfte Tiere.«

»Gezüchtete?«

»Ja!«

»Dann ist das in der Tat merkwürdig. Gezüchtete Tiere neigen nicht zu einer Stampede. Über Mythenland liegt definitiv ein grauer Hauch.«

Noch hatte sie auf Connors Bemerkung nicht reagiert, aber es sah aus, als überlege sie. »Ihr seid sicher, dass es auf Fuure kein Drachenei gibt?«

Bemtoc verschob seine Lederkappe ein Stückchen und sagte: »Wir können vermuten, dass die Drachen dieses Ei suchten. Sie drangen in die Trollhöhlen ein, soweit es ihre Körpergröße zuließ. Haben sie etwas gefunden? Ich weiß es nicht!«

»Ich wundere mich, dass sie auf der Zwergeninsel suchten«, sagte Börre. Sie schnaubte sich die Nase und ein Pfriem platschte in den Sand. »Wissen sie selbst nicht, wo das Ei ist oder gibt es mehrere?«

»Mmpf!«, sagte Bob. »Das könnte zumindest ein Grund sein, warum sie so wüteten. Allerdings erklärt das noch nicht, warum sie Bluma entführten.«

»Ihr wollt also ein Boot bauen, um nach Bluma zu suchen?«, fragte Lysa.

»Ja, so ist es«, bestätigte Biggert.

»Und ihr wollt Rache nehmen?« Ihre Augen blitzten.

Bob rutschte hin und her. Die Frage war ihm unangenehm. Nein, an Rache hatten sie nicht gedacht. Vergeltung lag nicht in ihrer Natur. Bis jetzt nicht.

»Wasser haftet nicht in den Bergen ...«, seufzte Biggert und alle sahen ihn neugierig an. Was meinte er damit? »Ebenso wenig wie Rache an einem großen Herzen! So sind wir Barbs.«

»Das mag man sehen wie ihr«, gab Lysa zurück. »Andererseits ist Rache auch eine Art wilder Justiz, deshalb ist es wichtig, sie auszuleben. Sie befreit die Seele.«

»Bisher hat Rache jeder Seele geschadet«, murmelte Biggert.

»Dass es so etwas gibt ...«, wandte eine der zwei Amazonen ein, die bisher nichts gesagt hatten.

»Ein Volk der Liebe«, fügte die andere hinzu.

»Nein, das sind wir nicht. Das ist übertrieben«, sagte Bob. »Aber wir konzentrieren uns auf das Wichtige. Und das bedeutet, wir wollen Bluma finden.«

Lysa musterte einen nach dem anderen. »Ihr seid euch darüber im Klaren, dass ihr vielleicht Blut vergießen müsst? Dass ihr mit eurem Leben spielt? Die Suche wird lange dauern.«

»Unn wenn wir Glück ham, finden wir’n Ei«, ließ Connor sich vernehmen. Er verdrehte die Augen und grinste einfältig. »Alscho – nehmt ihr uns mit?«

Er sprach aus, was alle dachten, auch wenn seine Worte schwer zu verstehen waren.

Lysa nickte. »So sei es. Zumindest für eine Überfahrt nach Dandoria, denn das ist unser nächstes Ziel. Wir werden noch heute die Insel durchsuchen. Ich habe neun treue Begleiterinnen an Bord, davon eine, die Schwingungen lesen kann. Sie alle werden ausschwärmen und suchen. Ich lasse drei von ihnen bei euch. Sie werden euch helfen, das Dorf wieder aufzubauen. Auf unserer Rückreise holen wir sie wieder ab. Wer von euch würde an Bord kommen?«

Alle Hände flogen hoch, wirklich alle!

Lysa lachte. »Das ist unmöglich.«

Bob erinnerte sich seiner Stellung als Häuptling und zählte auf: »Bama, mein Weib, Connor, der vermutlich ein Barbar ist, Bemtoc, unser Heiler und ich.«

»Nur vier?«

»Ja, Lysa. Niemand sonst soll in Gefahr gebracht werden.«

»Kennt ihr euch mit Seefahrt aus?« Die Amazone beantwortete sich die Frage gleich selbst. »Nein, vermutlich nicht, denn ihr habt keine Boote ...«

»Unser Fischer hatte eines. Ein kleines«, sagte Bemtoc.

»Wir lernen schnell«, gab Bob zurück.

»Ich komme mit, Lord von Fuure«, sagte Biggert.

»Wer wird während deiner Abwesenheit die Kinder unterrichten?«, wollte Bob wissen.

»Ich hätte eine Idee, wie der Unterricht gewährleistet ist ...«

»Nein!«, machte Bob klar. »Das Dorf benötigt dich hier. Nur du weißt, wie man viele Dinge bewerkstelligt. Wir alle hier vertrauen dir. Wir alle.«

Biggert sah aus, als überlege er, ob er grinsen oder brummeln sollte und sein Gesicht zog sich in die Breite. »Ich werde sowieso seekrank – glaube ich.«

»Wann krich ich endlisch schöne Schuhe?«, platzte Connor dazwischen und wackelte mit seinen Zehen.

Die schöne Amazone tastete nach ihrem Köcher, der über ihrer Schulter hing, und hob ihren Bogen auf. »Ich danke euch für das köstliche Mahl. Wir werden nun die Insel erforschen. Heute Abend werden wir uns wieder hier treffen und besprechen, wie es weitergeht. Wer möchte, kann uns begleiten.«

Zu ihren Begleiterinnen gewandt befahl sie: »Und ihr holt endlich den blinden Passagier aus dem Lagerraum. Der arme Zwerg ist genug bestraft. Bestimmt ist er fast verhungert!«

 

 

Bluma erwachte, als die Spitze einer Dämonenklaue auf ihre Stirn tippte. Sie starrte in eine schwarze Fratze, die von rotglühende Augen und langen Zähnen dominiert wurde.

Für einen Moment beschloss Bluma, wieder ohnmächtig zu werden, aber das klappte leider nicht. Also schrie sie los, was die Kehle hergab, was der Dämon dadurch zu verhindern wusste, dass er seine Klaue sanft auf ihren Mund legte. Seine Haut stank nach Schwefel und Aas und fühlte sich lederig an. Es sah aus, als forme sich die gigantische Gestalt permanent um, wie ein Brei, in dem man rührt, ohne jedoch seine Grundstruktur zu verlieren.

Bluma zitterte, doch sie schwieg.

Dann wollte sie etwas wissen, Fragen stellen, aber mehr als ein heiseres Krächzen brachte sie nicht hervor. Der Dämon hob sie hoch und drückte sie an sich. Er stank betäubend.

Jack, unter der massiven Tür begraben, stöhnte erbärmlich und heulte auf, als der Dämon über die Tür stapfte, als existiere sie gar nicht.

Der Dämon grollte, wobei sein ganzer Leib wallte wie ein Erdbeben, oder jedenfalls so, wie Bluma sich ein Erdbeben vorstellte. Der Dämon hetzte durch Gänge, Treppen hoch, Stufen runter, vorbei an Fackeln und Öllampen durch Stollen, durch Felshallen und sprang über kleine Bäche, Bluma an sich gedrückt. Unterwelt rauschte an ihr vorbei. Als sie es endlich wagte, ihre Umwelt genauer zu erforschen, bemerkte sie große Pflanzen und Blumen, die im Schatten wuchsen und blüten. Sie strömten einen widerlichen Gestank aus.

Sie balancierten über eine schmale Felsbrücke. Tief unter ihnen rauschte ein roter Fluss, Lava, die sich aus einer Felsgrotte ergoss. Mit einem weiten Sprung landete der Dämon auf einer Plattform, bückte sich, rutschte durch eine Öffnung, krabbelte durch einen niedrigen Stollen, wobei er Bluma so fest an sich drückte, dass diese fast erstickte, dann breitete sich vor ihnen eine Ebene aus, auf der Häuser und Brunnen standen, eine kleines Dorf unter Mythenland.

Drei, nein vier seltsame Gestalten, allesamt gruselig verwachsen, bauten sich vor ihnen auf. Sie verständigten sich in einer kollernden Grunzsprache, die Bluma nicht verstand. Das war nicht nötig. Sie hatten es auf ihren vermeintlichen Retter abgesehen – oder schleppte er sie mit sich, um sie bei Gelegenheit, wenn er Ruhe und Hunger hatte, zu braten und zu verschlingen?

Bei ihm musste es sich um den Dämonenmann handeln, von dem der Sanfte Jack geredet hatte. Der Dämon, der sich in einen Menschen verwandelte und von Murgon nicht gebrochen worden war.

Der Dämon klemmte sie unter den Arm, hatte den anderen Arm jetzt frei und aus seiner Klaue schossen glühende Strahlen. Er legte Magie um seinen und Blumas Körper, was entsetzlich kribbelte und zwei der vier Angreifer platzten auseinander wie reife Früchte. Die anderen, mit Schwertern und Stäben bewaffnet, aus denen Lichter pulsierten, gaben nicht auf. Ihre Energiekugeln prallten an der Schutzaura ab. Der Dämon brüllte so laut, dass Staub und Steinchen von der Höhlendecke rieselten und der Felsboden bebte.

Die Dorfbewohner huschten in ihre Behausungen wie Kakerlaken auf der Flucht.

Der Dämon wirbelte um die eigene Achse und plötzlich standen sie an einer anderen Stelle, hinter den Angreifern. Noch einmal ließ der Dämon seine magischen Kräfte los und schon war der Kampf vorbei.

Von den vier Angreifern gab es keine Überreste, lediglich die Waffen lagen verstreut herum. Der Dämon bückte sich und hob zwei Schwerter auf, die er Bluma in die Hand drückte. Die Waffen waren so schwer, dass die Barb sie um Haaresbreite fallen ließ.

Also wollte er sie wohl doch nicht fressen!

Warum sollte er sie ausrüsten, oder fehlten ihm zwei Spieße, an denen er sie über das Feuer hängen konnte?

Sie liefen weiter und die Umgebung änderte sich stetig.

Im Hintergrund ragte der Schatten einer Festung auf. Ein Gemäuer, erbaut in einer Höhle. Überhaupt gewann Blumas Faszination für diese Welt die Oberhand. Wolken über ihnen, Flüsse und Pflanzen, seltsame Pilzgewächse, blau schillernde Schwämme an den Wänden, hin und wieder Behausungen, vor denen Bewohner standen, die den Dämon zwar registrierten, sich aber nicht zu fürchten schienen. Über Felsgrate schoben sich die Tentakel absonderlicher Wesen, schmatzende Mäuler und mehräugige Fratzen.

Erstaunlich geformte Gestalten, halb Mensch, halb Tier oder welche, die einer kranken Phantasie entsprungen schienen, geifernde Quallenwesen, schleimige Blasen, zitternd zuckende Insektenwesen, und Missbildungen, die jeder Beschreibung spotteten.

In einer Felsnische ruhten sie aus und was nun geschah, würde Bluma ihr Leben lang nicht vergessen. Der Dämon bebte und seine Lederhaut zog sich zusammen, Fetzen fielen von ihm und er schrumpfte. Bluma schlug ihre Hände vor den Mund und sprang weg, nachdem sie aus seinem Arm gerutscht war. Die Schwerter fielen scheppernd hin. Der schwarze Körper zuckte und drehte sich, eine beißende Wolke Rauch umhüllte ihn, und als sie sich verzog, saß vor ihr ein Mann.

Ein schöner Menschenmann, soweit Bluma das beurteilen konnte.

Schwarze wellige Haare, die bis in den Nacken fielen, dunkle Augen, eine schmale Nase, fein geschwungene Lippen und ein energisches Kinn.

Der Mann war nackt.

Bluma beschloss, ihn nicht allzu genau anzusehen. Der Mann zog die Knie an den Körper, um seine Blöße zu verbergen. Er keuchte und drückte seine Handflächen gegen das Herz. Schweiß überzog seinen athletischen Körper, der fast haarlos war. Er schnappte nach Luft und nach einer Weile hob er den Kopf und musterte Bluma.

»Entschuldige bitte ...«, flüsterte er mit angenehmer Stimme.

»Wofür?«, flüsterte Bluma zurück.

»Das ich dich erschreckte.«

»Ach«, winkte Bluma ab. »Das war doch gar nichts. Der Sanfte Jack ist viel schrecklicher.« Sie hätte sich für ihre große Klappe ohrfeigen können. In Wirklichkeit dankte sie den Göttern, dass der Dämon sie nicht gefressen hatte.

Der Mann lächelte. »Mein Name ist Darius, Darius Darken.«

»Ich heiße Bluma und komme von der Insel Fuure. Ich bin eine Barb.«

Er nickte und lächelte. »Ich weiß, kleine Barb.«

Ich bin nicht mehr klein!, schoss es Bluma durch den Kopf, aber sie schwieg.

»Warum hast du mich gerettet?«, wollte sie wissen. Ja, diese Frage ging ihr die ganze Zeit im Kopf herum, nachdem sie gemerkt hatte, dass sie nicht zum Verzehr geeignet schien.

»Seitdem du in der Zelle gefangen warst, wuchs meine Kraft. Ich verstehe nicht warum, aber so ist es. Es gelang mir, den Bannzauber von Murgon aufzuheben und mich von den Ketten zu befreien. Den Rest hast du erlebt. Ich war neugierig, wer diese Kraftquelle war. Als ich sah, dass der Sanfte Jack dich quälte, war ich froh, nicht ohne dich geflüchtet zu sein.«

»Eine Kraftquelle? Ich?«

»Ja, du verfügst über eine tiefe Kraft. Weißt du nichts davon?«

»Nnnhnnh …«

»Wenn du geschult wirst, könntest du magische Dinge tun.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich? Eine Magierin?«

Er winkte ab. »Was immer es ist – du hast mich gestärkt. Ich frage mich, ob Jack das überlebt hat.«

Bluma kaute auf der Unterlippe.

»Er sagte mir, er habe bei dir versagt.«

Darius grinste. »Ja, ich habe ihm widerstanden. Das scheint ihn ja mächtig gekratzt zuhaben, wenn er das einem anderen Opfer erzählt. Das geschieht ihm recht. Er ist – oder war – ein ekelhaftes Monster.«

»Du brauchst Kleidung«, sagte sie.

»Alles zu seiner Zeit. Wir müssen uns erst einen Platz suchen, wo wir uns ausruhen können. Der Vorteil ist, dass kaum jemand meine Menschengestalt kennt. Sie suchen nach dem schwarzen Dämon, aber nicht nach mir.«

»Mich wird man auf jeden Fall erkennen. Eine Barb in Unterwelt ist so auffällig wie ein Crocker auf einem Tanzfest.«

Er nickte. »Das stimmt, aber da wird mir etwas einfallen. Wichtig ist, dass wir Unterwelt verlassen.«

»Geht das denn?«, fragte Bluma. »Schließlich bist du nicht nur ein Mensch, sondern gleichzeitig ein Dämon. Du würdest die Lebenden auf Mythenland zu Tode erschrecken. Ich frage mich, was ein Dämon macht und warum du deine Gestalt wechselst? Kann man dich mit Magie anrufen oder fährst du einfach so in die Seelen der Lebenden? Bist du tot oder lebst du? Das alles ist so verwirrend.«

»Dir geht es erst dann gut, wenn du alle Antworten kennst?«

»Kann man alle Antworten kennen? Nein, Darius. Aber so einige Fragen habe ich eben doch.«

»Das höre ich.«

»Wann wirst du dich wieder verwandeln? Wie kommst du hier hin? Bist du ein Versehen der Natur? Warum hasst Murgon dich so sehr, dass er dich foltern ließ?«

Darius lachte. Er blinzelte freundlich. »Ich glaube, wer mit dir zusammen ist, muss immerzu denken, nicht wahr?«

»Das mag sein«, sagte Bluma und lächelte verlegen.

»Dann bitte ich dich um Geduld. Auch beim Denken, kleine Barb, gibt es eine Zeit des Pflügens und eine Zeit der Ernte. Wir wollen jetzt erst mal den Pflug aus der Scheune holen, einverstanden?«

Ich bin nicht mehr klein!

»Wenn du meinst ...«, schmollte Bluma.

»Ja, das meine ich. Und nun lass uns aufbrechen und Kleidung besorgen. Ein nackter Mann ist ein hilfloser Mann.«

 

 

Frethmar Stonebrock blinzelte ins Sonnenlicht, das durch die Planken über ihm fiel.

Er hatte Hunger.

Er hatte noch nie so viel Hunger gehabt.

Er war völlig verzweifelt vor lauter Hunger!

Sein Magen knurrte so durchdringend, dass er nicht begriff, wieso man ihn noch nicht gefunden hatte. Er versteckte sich hinter einem Stapel Taue, die feucht waren und entsprechend stanken?

Mit Grausen erinnerte er sich daran, was er empfunden hatte, als das Schiff ablegte. Zwar war es ihm gelungen, unter Deck zu kommen, indem er durch die Gänge schlich und den Amazonen ein ums andere Mal auswich, aber an Deck kam er nicht. Er plante, die folgende Nacht abzuwarten, um sich von Bord zu schleichen.

Die Amazonen machten ihm einen Strich durch die Rechnung.

Es gab einen schrillen Pfiff, Befehle schwirrten hin und her, es quietschte und knarrte und jäh legte das Schiff ab. Unter Frethmar gluckerte Wasser und schließlich wurde ihm übel, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie auf See waren.

Liebe Güte, wohin fuhr das Schiff?

Was sollte er jetzt machen?

Er hatte, ohne es zu wollen, Gidweg verlassen, seine Freunde, seine Kameraden, seine Familie ...

Welche Freunde? Welche Familie?

Unwichtig, er war entführt worden. Und das von halbnackten Frauen, denen eine Brust fehlte. Er zitterte vor Angst und kam sich vor wie eine Maus in der Falle. Das hatte er jetzt davon. Warum konnte er nicht einmal vernünftig sein? Warum musste er seine knollige Nase in alles reinstecken?

Frethmar war sich klar darüber, dass er sich versteckt halten musste. Er hatte keine Lust, an einer Rahe zu baumeln, gekielholt zu werden oder als Fischfutter zu enden.

Also fand er sich vorübergehend mit seinem Schicksal ab und machte es sich gemütlich. Das funktionierte ganz gut. Hier unten kam, wie es schien, niemand hin, er war alleine und würde abwarten, was geschah. Nach wenigen Stunden begann sein Magen zu knurren. Er hatte heute nicht gefrühstückt, außerdem pochte sein Schädel, weil er zu viel gesoffen hatte. Seine Lippen klebten aneinander, und als er an seinen Barthaaren kaute, vergingen weder Hunger noch Durst.

Er schlief ein.

Als er erwachte, war er durcheinander. Alles war dunkel, es fiel kaum Licht durch die Planken, die über ihm waren. Also war es Nacht?

Wenn er seinem Magen trauen konnte, war es ganz sicher Nacht. Er krümmte sich zusammen und stöhnte. Gnädigerweise schlief er wieder ein.

Er träumte wild.

Er sah vor sich die schlanken Beine von zwei Amazonen. Er starrte zu ihnen hoch und war verwundert, wie freundlich sie aussahen. Sie blickten zu ihm und sagten etwas in einer fremden Sprache. Und sie hatten Brüste. Zwei! Er wollte etwas sagen, aber der Traum ließ das nicht zu. Also stöhnte er erbärmlich, was die Amazonen zum Lachen brachte. Als er die Augen das nächste Mal öffnete, war der Traum vorbei. Er war in Schweiß gebadet und Licht fiel durch die Ritzen.

Prall gefüllte Segel schoben das Schiff voraus und die Taue ächzten. Der Schiffsrumpf hob und senkte sich, dann hob er sich erneut, schwebte für eine Weile im Nichts und fiel auf das Wasser zurück. Frethmar kugelte herum und stieß sich die Stirn. Sein Magen rebellierte.

Er musste sich stellen.

Sonst würde er sterben!

Ihm war elend zumute aber ihm fehlte der Mut. Also kroch er in sich zusammen, verknotete sich regelrecht und hoffte, dass das Schiff endlich wieder ruhigere Gewässer fände. Und das diese fürchterliche Reise bald zu Ende sei.

Vor seinen Augen hopsten gebratene Hühner durch den Lagerraum und er meinte Met zu riechen. War er neben der Kombüse? Briet der Smutje etwas Leckeres? Es roch so fein, so herrlich, so schmackhaft!

Verzweifelt kramte er in seinem Proviantbeutel. Er fand seine Pfeife, etwas Tabak und einen Ersatzschnürsenkel. Nichts zu essen. Nun, er konnte Leder kauen. Sagte man nicht, das half über das Schlimmste hinweg? Er betrachtete seine Stiefel und ekelte sich. Nein, sie rochen nach seinen Füßen und so hungrig war er doch nicht.

So würde Frethmar Stonebrock, der Zwerg, sterben?

Er würde verhungern!

Das war kein ruhmreicher Tod. Er stellte sich vor, wie man irgendwann sein Skelett fand und sich fragte, welches Tier hier gestorben war. Das brachte ihn zum Weinen. Ein einsamer Tod war das Letzte, was er sich vorstellte. Vielmehr hatte er gehofft, irgendwann im Kreise seiner Familie im Bett zu sterben, während seine Söhne ruhmreiche Lieder über seine Heldentaten sangen und sein Weib heulte wie eine Sirene.

Ein weiterer Tag verging und Frethmar suchte nach Kakerlaken oder ähnlichem Getier. Er fand nichts, das Schiff war erstaunlich sauber. Typisch Weiber! Alles musste blitzen und blinken. So hatte er sich Amazonen nicht vorgestellt. Er hätte eher damit gerechnet, Töpfe voller Blut zu finden oder Leichen, die in Holzsärgen vor sich hin verwesten.

Er versuchte, seine Gedanken einzufangen, aber diese huschten davon wie Sommerwolken.

Ja, im Gras wollte er liegen. Seine Pfeife paffen und in den Himmel blicken. Vielleicht fiel ihm dabei ein Gedicht ein, vielleicht sogar eine Ode.

Er hatte die Orientierung längst verloren, als das Schiff aufhörte, sich zu bewegen. Ein Boot wurde ausgesetzt, Frauenstimmen erklangen, dann war alles ruhig. Über ihm liefen Amazonen Patrouille.

Er richtete sich auf und seine Sinne brannten. Hatte er jetzt die Möglichkeit, zu flüchten? Wo waren sie? Egal, wichtig war, dass er etwas essbares fand. Er würde seine Zähne ins Fleisch rammen, sogar begeistert auf einer Frucht kauen, den süßen Saft schmecken und endlich, endlich wieder satt sein. Außerdem war er so durstig, dass er an seinem Arm leckte, verwirrt darauf schaute und sich dämlich vorkam.

Er döste eine Weile und hätte fast einen Herzschlag gekriegt, als die Luke aufgerissen wurde und grelles Licht in den Lagerraum strömte.

Eine Leiter wurde herabgelassen und eine freundliche, aber bestimmte Stimme sagte:

»Komm hoch, blinder Passagier!«

Frethmar rappelte sich auf. Seine Beine waren verkrampft, sein Rücken schmerzte. Er strich sein Wams glatt, hängte den Proviantbeutel über seine Schulter, rückte den Gürtel gerade und fuhr sich hastig mit den Fingern durch Bart und Haare. Er untersuchte, ob alle Knöpfe geschlossen waren und die Stiefel zugebunden. In Ordnung, er machte einen guten Eindruck. Er streckte seine Finger aus und drehte bei jedem Ring die schönere Seite nach oben. Sein Herz klopfte wie ein Vorschlaghammer.

Während Frethmar das Kinn selbstbewusst nach vorne reckte und sich streckte, empfand er eine Mischung aus Zorn und Furcht. Sie wussten es und hatten ihn hungern lassen? Waren die beiden Amazonen etwa kein Traum gewesen, sondern bittere Wirklichkeit? Hatten sie sich über ihn, Frethmar Stonebrock, belustigt? War er zum Gespött einer ganzen Amazonenmannschaft geworden? Hatten sie bewusst die leckeren Essensdämpfe durch die Planken zu ihm hingewedelt und sich an seinem Magenknurren erfreut? War er für diese Frauen nur ein kleiner, vierschrötiger Ulk, den man nicht mal ernst genug nahm, um ihn hinzurichten?

»Nun mach’, Zwerg. Wir haben nicht viel Zeit. Der Strick wartet auf dich!«

Seine Beine gaben nach und er krampfte sich an die Taue. Der Strang wartete? Bei den Göttern, sie nahmen ihn also doch ernst. Sie würden ihn jetzt so bestrafen, wie es Sitte war. Vermutlich hatten sie nur gewartet, bis sie einen Hafen angelaufen waren, damit das Schiff stillstand und das Seil nicht schwankte.

Am Halse aufhängen, bis der Tod eintritt! So nannten es die Richter in Mythenland.

War das ein ehrenhafter Tod?

Gewiss nicht, aber besser, als zu verhungern. Wenn er Glück hatte, war es schnell vorbei, falls sie ihn nicht hochzogen, sondern fallen ließen.

Sein Magen verkrampfte sich und Schweiß floss durch die buschigen Brauen in seine Augen. Er wischte ihn weg, schließlich sollte niemand denken, er würde weinen. Obwohl ihm danach war. Er hatte Angst, grauenvolle Angst. Das Letzte, was er sehen würde, waren schöne Frauen mit eiskalten Augen. Langsam, sehr langsam stieg er die Leiter hoch, während Blitze durch seinen Körper zuckten und sein Darm sich verkrampfte. Was hatte er erwartet? Dass sie nett zu ihm waren? So etwas mochte es in Märchen geben, in der Realität dagegen sah das anders aus.

Und noch eine Stufe.

Sein Kopf schob sich über den Rand und er atmete frische Luft. Sie roch nach Grün und Salz. Dieses Odeur würde seine letzte Erinnerung sein und die wollte er genießen. Wobei er still und leise etwas dichtete.

 

Oh Palmenstrunk

Oh Palmenduft,

Oh Todesstrick

Der mich jetzt ruft.

Nie wieder lachen.

Weibern winken.

Fein Sachen machen.

Rotmet trinken.

Oh Meereswellen

Liebelei

Die Tränen quelln

Es ist vorbei!

 

Das war ein großartiges Gedicht. Es war ihm spontan eingefallen und am liebsten hätte er es vorgetragen, aber der Blick der Rothaarigen hieß ihn schweigen. Sie stand bereit, in der Hand einen Strick. Sie wartete auf ihn. Es sah aus, als hätte sich die ganze Mannschaft versammelt. Schlanke, braunhäutige Frauen, einige mit Tätowierungen, andere mit Silberschmuck behängt. Sie trugen Pfeil und Bogen. Gazellen, bereit zum Kampf. Gegen diese geballte Kraft und Grazie hatte ein stapfender kantiger Zwerg keine Chance.

Die Augen der Rothaarigen blitzten.

»Hallo Zwerg!«, donnerte sie mit erstaunlich angenehmer Stimme.

»Hallo«, krächzte er zurück und zog seine Beine von der Leiter. Er richtete sich auf und versuchte nicht ganz so stark zu zittern.

»Eigentlich wollte ich das meine Mannschaft machen lassen, da ich anderes zu tun habe. Dann aber dachte ich mir, dass ich durchaus etwas Erheiterung nötig habe.«

Erheiterung!

So also feierten Amazonen eine Hinrichtung?

Als Fest?

»Ich freue mich, dir eine Freude zu machen«, flüsterte Frethmar.

»Was glaubst du, haben wir mit diesem Strick vor, Zwerg?«

Er räusperte sich. Irgendwie wollten die Worte nicht so recht über seine Lippen. »Mich aufhängen, schätze ich.«

»Das stimmt, Zwerg!«

Die anderen Amazonen nickten zustimmend.

»Ich vermute, es hat keinen Sinn, wenn ich euch erkläre, warum ich an Bord des Schiffes war?«

»Interessieren würde es uns, Zwerg. Aber auf der Insel, vor der wir geankert haben, wartet eine wichtige Aufgabe auf mich.«

»Und weil du es eilig hast, möchtest du es schnell erledigen?«

»So ist es, Zwerg!«

Frethmar senkte den Kopf. »Ich werde nicht betteln, Amazone ...«

»Dann bist du nicht nur ein Dieb und Einschleicher, sondern ein mutiger Dieb und Einschleicher.«

»Es war ein Zufall, ein Unglück, Rothaarige.«

Eine der umstehenden Amazonen zischte: »Nenne sie Große Lysa.«

»Es war ein Unglück, Große Lysa.« Er bemühte sich um eine feste Stimme und war erstaunt, dass es ihm gelang. Er würde sterben wie ein ganzer Zwerg, hoffte allerdings, dass niemand in Gidweg von seinem unrühmlichen Ende erfuhr. Aufgehängt von Weibern. Bei Starklin und Sviufir. Das musste unbedingt ein Geheimnis bleiben.

Walberan würde das verbreiten und ganz Gidweg würde lachen. Sie würden sagen, sie hätten es stets geahnt. Genauso musste einer wie Stonebrock sterben. Die Neugier hatte ihm das Genick gebrochen. Seht Kinder – so kann es gehen, wenn man nicht brav ist!

Zwei Amazonen traten vor und flankierten ihn. Eine andere schnitt ihm den Rückzug ab. Mit einer geschmeidigen Bewegung warf die Große Lysa ihm die Schlinge um den Hals. So schnell, dass Frethmar kaum wusste, wie ihm geschah. Nun hatten sie es wirklich eilig. So kam er wenigstens nicht dazu, allzu viel über den nahenden Tod nachzudenken. Er ließ es geschehen. Das Seil um seinen Hals fühlte sich hart und feucht an. Alles in ihm schrie, er solle einen Fluchtversuch wagen, sich wehren, das nicht mit sich machen lassen.

Aber würde er sich dauerhaft der gerechten Strafe entziehen können? Sie würden ihn einfangen, denn sie waren schnell und gefährlich – allerdings hatte jede von ihnen zwei Brüste. Na, immerhin!

Hände griffen in die Schlinge, weiteten sie und zogen sie über Frethmars herabhängende Arme, verkanteten sie am Proviantbeutel, schoben und zogen, schließlich wurde das Seil zugezogen. Seine Arme klebten am Körper, das Seil war unter seinem Bart über den Bauch gespannt. Mit zwei, drei kräftigen Schlägen schubsten sie ihn zur Reling, öffneten eine Klappe und stießen ihn in die Tiefe.

Das Seil straffte sich.

Ein schmerzhafter Ruck durchfuhr Frethmar. Er hatte das Gefühl, seine Arme und Rippen würden brechen und sein Bauch platzen.

Er baumelte wie ein verschnürtes Paket nur eine Armlänge über einem Ruderboot, in dem eine Amazone erwartungsvoll nach oben blickte. Hin und her. Hin und her. Wuuusch! Und zurück! Über ihm kreischten und lachten die Amazonen. Sie klatschten in die Hände und hatten ihren Spaß.

Frethmar baumelte und baumelte, bis eine hilfreiche Hand ihn anhielt. Das Seil gab etwas nach und er fiel, ohne sich abstützen zu können, mit seinem ganzen Körpergewicht in das Boot. Er stöhnte und wand sich wie ein gefangener Fisch. Sein Hinterteil ragte in die Höhe, die Haare verdeckten sein Gesicht.

Das war ... entehrend!

Erniedrigend!

Schmachvoll!

Da oben waren mindestens zehn Weiber, die sich auf seine Kosten einen Spaß erlaubt hatten. Und er, Frethmar Stonebrock, war ein eingepacktes Opfer, wehrlos und seiner Würde beraubt.

Das durfte niemand erfahren. Niemals!

Er würde der Spott von Trughstedt, sei, ach was, der Spott der ganzen Insel, der Narr von Gidweg!

Die Amazone legte ein Ruder zur Seite und befreite Frethmar. Er stemmte sich hoch, wobei seine Arme brannten wie Feuer, kam auf die Beine, wedelte mit den Armen, versuchte im schwankenden Boot das Gleichgewicht zu halten, schaffte es und öffnete seinen Mund, um loszubrüllen. Die Schöne schüttelte den Kopf und legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen.

In der Hohen Sprache sagte sie ganz leise: »Halt die Klappe, Zwerg. Du lebst. Gibt es etwas Wichtigeres?«

Yepp, sie hatte Recht. Und Frethmar schwieg.

 

 

 

 

 

Im Schatten der Drachen
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