7. Kapitel
Dogdan der Unselige tauchte ins Wasser.
Seitdem er erkannt hatte, dass sein Auftrag sinnlos geworden war, plagte ihn sein Gewissen. Dogdan war ein Golem, geschaffen von Lord Murgon, den Dogdan seinen Vater nannte. Und das war nicht falsch.
Er war ein Golem, aus unzähligen Teilen anderer Lebewesen zusammengesetzt. Sein mächtiger Oberkörper bestand aus Leder, welches ihm mittels Magie auf das Fleisch verpflanzt worden war, sein Hals hatte eine festverankerte Beuge, sein kantiger Schädel trug sechs Augen, die rings herum in alle Richtungen glotzten. Vom Scheitel bis zur Schulter hörten mehrere Ohren jedes noch so feine Geräusch. Der Kiefer bestand aus den Zähnen eines kleinen Margolous, die bis links und rechts der klobigen Schnauze aus dem Unterbiss ragten.
Stützstempeln gleich waren die Beine mit Hörnern und Hauern bestückt, während jeder der vier Arme von einem anderen Wesen stammte, sodass Dogdan der Unselige in der Lage war, sich auf jede Situation einzustellen, egal, ob er schlängeln, fassen oder wischen sollte.
Was ihm fehlte, war Sprache.
Er beherrschte nur wenige Worte, da seine Stimmbänder noch nicht richtig mit dem Körper verwachsen waren. Genauso unvollständig wie seine Sprache war sein Rücken. Aus dem zuckenden bebenden Fleisch ragten Teile einer Wirbelsäule, die Murgons Wissenschaftler einem Dokk entnommen hatten.
Dogdan war unvollständig.
Dennoch reflektierte er.
Er hatte sich am Heck des schwarzen Schiffes, mit dem seine Beute aus Unterwelt geflüchtet war, festgeklammert und so nach Mythenland geraten. Und er hatte erkannt, dass ihm ein Rückweg verwehrt war, es sei denn, sein Vater wolle es so. Auf einer erstaunlich sensiblen Ebene begriff er, dass der Lord von Unterwelt ihn, Dogdan, vergessen hatte.
Er war nicht mehr nützlich.
Er hatte versagt.
Stets, wenn er die vielen Augen schloss, und versuchte, zu Murgon einen mentalen Kontakt herzustellen, prallte er gegen eine Wand, die ihn schaudern ließ.
Dogdan war in der Welt der Lebenden gestrandet.
Er hockte im Schatten eine Schiffes, seine Beine steckten im Schlick. Noch hatte er keine Entscheidung getroffen, doch er wusste, dass er diese treffen musste, oder er würde im Wasser verrecken.
Selbstverständlich dachte Dogdan nicht in klaren, logischen Zusammenhängen, ein entweder oder, ein möglich oder vielleicht, war ihm noch fremd. Trotzdem sponnen seine Gedanken Fäden, die er an zwei Enden zu fassen bekam und verknotete.
Der Golem spürte Traurigkeit. Und Sehnsucht nach jenem Ort, von dem er gekommen war. Er wollte zurück nach Unterwelt, denn er kannte nichts anderes. Er hatte Sehnsucht nach seinem Vater. Mit leeren Klauen durfte er nicht zurückkehren. Seine Aufgabe war es, die kleine Barb und den Mann zu jagen und zu fangen. Der Lord benötigte die Beiden, wofür, verschloss sich Dogdan.
Das war unwichtig geworden.
Dogdan wusste, dass seine Existenz sinnlos geworden war und dieser deprimierende Gedanke erfüllte jede Faser seines verwachsenen missgestalteten Leibes. Was blieb ihm anderes übrig, als an Land zu gehen? Er würde ein Teil dieser Welt werden müssen, wollte er nicht sterben.
Aus Erfahrung wusste er, dass man sein Aussehen fürchtete. Er hatte getötet, sehr oft und grausam und stets hatten seine Opfer geschrieen, gekreischt und waren schnell gestorben.
Seinen Hunger hatte Dogdan gestillt.
Selbst die Fische, welchen diesen Wasserbereich bevölkerten, waren geflohen, allerdings erst, nachdem Dogdan gewütet hatte.
Er war satt!
Und traurig.
Vorsichtig schob er seinen Schädel über den Wasserspiegel. Über ihm ragte der Bug jenes weißen Schiffes auf, welches er verfolgt hatte. Auf dem Schiff ging es hoch her.
Und Dogdan witterte.
Blut!
Auf dem Schiff floss Blut.
Kein Blut, für das er verantwortlich war.
Ein weiteres neues Gefühl durchströmte ihn. Neugierde! Oder Wissbegierde? Das konnte er nicht definieren. Er hörte laute Stimmen über sich und klegte seine Ohren gegen den Rumpf, in dem es rumorte. Er vernahm eine schluchzende Stimme und sein Instinkt sagte ihm, dass diese Stimme sich fürchtete.
Das war seltsam.
Normalerweise fürchtete man nur ihn, den Golem.
Konnte es sein, dass diese Stimmen auch vor anderen Dingen Angst hatten? Das war durchaus beruhigend, denn es zeigte ihm, dass jene Gefühle, die er für gewöhnlich hervorrief, nichts besonderes waren, sondern offensichtlich zur Existenz jedes Wesens gehörten wie das Wasser, in dem er stand und das Land, welches er nun betreten würde.
Er stemmte sich hoch und von seinem Oberkörper floss ein kleiner Wasserfall. Er machte zwei, drei Schritte und zog sich an einer Holzplatte hoch, die weit vom Land herausragte wie eine Zunge.
Dogdan wusste nicht, dass man jenen Ort einen Hafen nannte, aber er erkannte, dass dies ein wichtiger Ort sein musste, denn hier gab es allerhand Wesen unterschiedlichen Aussehens. Nur an einem wichtigen Ort mochten sich so viele Existenzen versammeln. Er zog sich auf den Steg und richtete sich auf, wobei er knurrte und schnappte.
Erstaunt nahm er wahr, dass das Leben zu verharren schien. Jeder starrte ihn an und manche rissen die Augen weit auf. Ein Moment der Lähmung. Dann brach ein schrecklicher Lärm los.
Die Wesen stoben auseinander wie Schleimdämonen in Unterwelt und suchten das Weite. Sie schrieen und brüllten und Dogdan erkannte, dass dies mit ihm zu tun hatte. Stets, wenn er auf Wesen traf, besonders jene, die wie er auf zwei Beinen liefen, war die Reaktion dieselbe. Schreie! Kreischen! Lärm!
Das erste Mal in seinem Leben lachte Dogdan.
Ein tiefes Grollen, ein feuchtes Schmatzen. Man würde sich an ihn gewöhnen. Er würde hier leben, würde lernen, wie man sich so verhielt, dass niemand sich mehr vor ihm fürchtete.
Denn er begriff, dass sich die Laute der Zweibeiner angstvoll anhörten. Das war unnötig, denn Dogdan hatte erkannt, dass Wasserlebewesen sehr gut schmeckten. Er würde sich in Zukunft von deren Fleisch ernähren. Niemand musste Angst vor ihm haben.
Er wollte nichts mehr, als in diesem Verbund zu leben.
Wo sollte er auch hin?
Unterwelt war so weit entfernt wie die zwei hellen Bälle über ihm, die so heiß glommen. Für Dogdan gab es nur noch diese Welt.
Vor ihm kauerte ein Wesen, welches ihn mit offenen Mund anstarrte. Ein winzig kleines Wesen. Es roch nach Unschuld. Dogdan war versucht, erneut zu lachen. Na bitte – nicht jeder fürchtete sich vor ihm. Dieses Wesen – ein Kind? – dachte nicht daran, wegzulaufen. Es starrte ihn an und klapperte mit den Zähnen. Es zitterte am ganzen Körper, was Dogdan erstaunte, denn er empfand die Luft als warm. Warum fror das kleine Ding?
Dogdan fasste einen Entschluss.
Er würde allen zeigen, dass er kein Unhold war.
Er würde das Ding umarmen und wärmen.
Jeder würde das sehen und man würde ihn willkommen heißen, damit er ihn endlich vergaß, seinen Vater, den Lord von Unterwelt.
Damit er ein neues Leben beginnen konnte.
Dogdan wusste nicht, dass man ihn den Unseligen nannte, denn der Sinn dieser Worte wäre ihm verschlossen gewesen. Hätte man ihn gefragt, wäre er sicher gewesen, über eine Seele zu verfügen.
Doch so weit dachte er nicht, als er sich bückte, und das kleine Ding hochhob.
Frethmar strich über die Klinge der Axt, die er einem Gardisten während des Kampfes auf der Burg abgenommen hatte. Connor hob sein Schwert, Lysa und Laryssa überprüften ihre Bögen.
Sie hielten nur einen kurzen Moment inne, dann liefen sie los. Es war unwichtig, über den Sinn ihres Tuns nachzudenken. Nachdem Agaldir den Namen des Schiffes genannt hatte, reagierten sie sofort.
Die Wing!
Lysas Schiff!
Auf diesem Schiff war ein Ork, der das Drachenei hatte und dieses Schiff lief aus. Was war mit den drei Amazonen geworden, die das Schiff bewachten? Lebten sie noch?
Manchmal ist es besser, die Gedanken auszuschalten, denn sie können in die Verzweiflung treiben. Dann ist es besser, zu handeln.
Die Gefährten hetzten durch die Strassen, hinunter zum Hafen. Wären ihnen jetzt Gardisten begegnet, wäre das deren sicherer Tod gewesen. Die Gefährten waren eins. Ein Ziel. Ein Gedanke!
Lediglich Bluma, die unbewaffnet war, fragte sich, warum Agaldir, wenn er so mächtig war, dies alles zuließ? Konnte er keinen Bann über die Wing spinnen? Das Schiff aufhalten? Und wenn er es nicht tat, was hielt sie, die Barb, davon ab? Ihr Bobba verfügte über einen Trinkschlauch, der mit dem Wasser des Lichtwurms gefüllt war.
Ein mächtiger Zaubertrank.
Agaldir war neben ihr. Die Barbs waren langsamer, ihre kurzen Beine trugen nicht so schnell wie die von Darius, Connor und auch Frethmar.
»Watrum hilft du uns nicht mit deiner Magie?«, keuchte Bluma, die sich beeilte, an die voraus eilende Gruppe Anschluss zu halten.
»Das wäre ein Frevel«, gab der Alte zurück.
»Frevel? Warum?«
»Wenn ein Magier in die Geschicke eingreift, wenn er den Lauf ändert, schwingt er sich zu einem Gott auf. Dies darf nur selten sein, da alles, was geschieht, Folgen hat. Nichts Schlimmes geschieht, ohne dass an anderer Stelle Gutes gewirkt wird. Nichts Gutes gibt es, ohne dass gleichzeitig Übles passiert. Ein immerwährender Ausgleich.«
Bluma verdrehte die Augen. Ihr Atem ging schwer, doch sie war nicht bereit, Agaldirs Erklärung zu akzeptieren.
Der Alte sagte: »Dies ist die erste Lektion, die ein angehender Magier lernen muss. Missbrauche niemals deine Macht. Zwar ist der Missbrauch reizvoll, denn er erhebt uns über das Schicksal, aber wir sind keine Götter. Und wehe, wir maßen uns an, welche zu sein.«
»Und was kann dann geschehen? Ist es nicht wichtiger, Unheil zu verhindern?«
Agaldir hielt inne und hielt Bluma am Arm fest. »Lass sie laufen. Wir sind nicht bewaffnet, sie hingegen sind Kämpfer. Wenn ich so schnell laufe, kann ich deine Frage nicht beantworten.«
Bluma starrte den Alten an.
»Woher, liebe Bluma, willst du wissen, ob wir Unheil verhindern, wenn wir die Wing aufhalten?«
Sie zögerte und er fuhr fort: »Es ist unser Unheil, ja. Aber wie gesagt, nur das Unsrige. Für denjenigen, der das Ei mit sich nimmt und das Schiff, mag es ein Erfolg sein, der sich später für uns alle auszeichnet.«
»Das ist – zynisch«, stieß Bluma hervor. »Mit dieser Sichtweise kann man alles, was geschieht, entschuldigen.«
»Was geschieht, ist ein Teil unserer Wahrnehmung. Doch welches Recht nehmen wir uns heraus, unsere Wahrnehmungen als die richtigen anzusehen?«
»Weil es unsere sind!«
»Seitdem es das Land der Mythen gibt, existiert eine übergeordnete Ordnung. Alles ist im Gleichgewicht und wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, ergibt sich daraus eine neue Form des Gleichgewichtes. Unser Ziel sollte es sein, die darunter liegende vollkommene Symmetrie, das ausgeglichene Verhältnis und die harmonische Ordnung zu entdecken. Dieses Land, die Natur, jenes, was manche den Göttern zuschreiben, ist wie wir es sind. Absolute Balance.«
Bluma staunte. So hatte sie es noch nie gesehen.
Doch sie wollte noch mehr wissen. »Macht man es sich mit dieser Denkweise nicht zu einfach? Wie kann ich handeln, wenn ich glaube, alles geschehe sowieso – weil es sein muss.«
»Ist es so?« Agaldir wies auf die bewaffneten Gefährten, die soeben die Gasse zum Hafen hinunter liefen.
Bluma erkannte, dass es viel zu lernen gab und am liebsten hätte sie den Blinden Magister gebeten, sie in eine Lehre zu nehmen, was selbstverständlich anmaßend war, weswegen sie es unterließ.
Ihr Blick folgte den Gefährten und sie zuckte zusammen, als Schreie ertönten. Zweibeiner unterschiedlicher Rassen rannten aus den Seitenstrassen, kamen vom Hafen und wirkten, als hätten sie direkt in den Schlund nach Unterwelt geblickt.
Die Gefährten waren in einer Gasse verschwunden, sodass Bluma nicht erkennen konnte, was dort geschah. Ein brüllender Laut ertönte.
"Roooaaar!"
Bluma kannte diesen Laut, doch ihr Verstand wehrte sich, ihn einzuordnen. Jedenfalls für einen Moment, dann wusste sie, dass er sie gefunden hatte.
Der Golem, welcher sie verfolgte.
Und bevor sie diese Einsicht realisieren konnte, sah sie ihn. Für einen Moment stand ihr Herz still und ihr Blick huschte von Agaldir zurück zu dem Monster, welches über den Kopfstein stapfte.
Menschen, Halblinge und Trolle stürzten an ihr vorbei. Sie flüchteten vor dem Grauen.
Mari weinte, als man ihren Mann wegschaffte.
Sreidel war an seinem schwachen Herzen gestorben, wie der Heiler sofort feststellte. Man hatte ihr gestenreich mitgeteilt, wie Leid dies allen täte, doch Mari glaubte ihnen kein Wort.
Sreidel war unbeliebt gewesen, ein Säufer, der gerne Streit suchte.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und staunte, dass ihre Trauer verwehte wie ein Blatt im Herbstwind. Sie erinnerte sich an den schönen blonden Mann, den Hünen und daran, dass sie sich auf der Stelle in ihn verliebt hatte. Welch ein Zufall, dass Sreidel ausgerechnet jetzt gestorben war.
Sie wischte die Bettdecke glatt und ihr Herz pochte stark, als sie den Schlafraum betrachtete. Zweifellos –etwas fehlte, aber dies war weniger bedeutend, als sie dachte. Sie wusste sehr gut, wie Trauer sich äußerte. Frauen weinten oder zeterten, Kerle soffen oder schluchzten. Nichts von alledem kam hier in Betracht. Sreidel war schlicht und einfach nicht mehr da – so, als sei er in eine Schenke gegangen, um nicht mehr wieder zu kehren. Und Mari spürte Erleichterung. Sie dankte dem Schicksal und ihre soeben noch geweinten Tränen kamen ihr befremdlich vor.
Morgen würde man Sreidel beerdigen.
Sie würde Protox bitten, einen kleinen Stein zu schlagen, damit man sich an Sreidels Namen erinnerte. Einen sehr kleinen und günstigen Stein.
Sie strich ihre glatten Haare zurück und streckte sich. Ihr Körper fühlte gut an unter dem Leinen, kraftvoll und voller Energie.
Erneut dachte sie an den Hünen, den man auf die Burg gebracht hatte. Für einen solchen Mann hatte die Götter sie geschaffen, nicht für einen, der nach Schnaps stank und gewalttätig war.
Die Sonne streckte schmale glühende Finger in den Raum und explodierte auf Splittern, die neben dem Waschtisch auf dem Boden lagen.
Was war das?
Sie bückte sich und zog erschrocken die Finger zurück. Ihr Zeigefinger blutete und sie lutschte ihn ab. Das waren unzweifelhaft die Überreste einer Phiole. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas besessen zu haben. Sie kannte diese Phiolen. Meist brachten Frauen sie mit, wenn sie zu Vira, der Hexe gegangen waren. Vira war eine Meisterin der Elixiere und eben in solchen Phiolen bewahrte sie ihre Tränke auf.
Mari blinzelte, als würden sich die Glassplitter auflösen und zu einem Traumbild verwehen. Doch nichts geschah. Wie kam dieses Behältnis in ihr Haus und warum lag es dort, als hätte es jemand hingeworfen?
Weil ich bei Vira gewesen bin!
Sie versuchte, diesen Gedanken sofort wieder zu verdrängen. Was, bei den Göttern, hätte sie bei Vira gewollt? Ihr Kopf fuhr herum und sie musterte das leere Bett.
Sreidel würde niemals zurückkehren, denn er war tot. An einem schwachen Herz gestorben. Aber ihr Mann war stark gewesen wie ein Bulle. Er hatte weder an Herzschmerzen gelitten noch an irgendeiner Schwäche, abgesehen der zum Alkohol.
Ich habe ihn vergiftet!
Diese Ungeheuerlichkeit schien Mari so befremdlich, dass sie anfing zu lachen. Spitze Kiekser drangen aus ihrer Kehle und erneut strömten Tränen. Ihr Körper zitterte und sie hatte eine Gänsehaut.
War das ein Traum?
Es konnte nicht anders sein!
Sie, Marielle, war keine Mörderin!
Andererseits – Sreidel war ein Unmensch gewesen und hatte den Tod mehrfach verdient. Es gab nur eine Lösung: Sie musste Vira aufsuchen und fragen, was geschehen war. Sie rannte hinaus, schlug die Tür hinter sich zu, hetzte durch den Wohnraum und stieß die Haustür auf. Die Sonne blendete sie einen Moment.
Sie zog die Tür hinter sich zu, wischte sich, ohne sich dessen bewusst zu sein, den immer noch blutenden Finger am Rock ab und starrte in die sich verjüngende Strasse hinunter. Sie war leer. Komplett leer.
Nein, nicht völlig.
Nur wenige Schritte entfernt standen zwei Personen.
Ein Zwerg und ein Mann.
Jener Mann, dem sie ihr Herz schenken würde. Und dieser Mann hatte ein Schwert gezückt, während der Zwerg neben ihm eine Axt wog.
Sie starrte die Beiden mit offenem Mund an.
Hinter ihr ertönte ein grausig klingender Laut. Ein dumpfer Ton, der klang, als würde ein Dämon seinen Zorn herausbrüllen.
Sie wirbelte herum und fing an zu schreien.
Dogdan war traurig.
So also empfing man ihn in dieser Welt? Alle flohen vor ihm, brüllten, kreischten, rannten weg. Warum? Er hatte nicht vor, jemandem Leid anzutun. Vielmehr wollte er, dass man ihn freundlich begrüßte. Er wusste, dass ihm noch viele Worte fehlten und war bereit, diese zu lernen.
Auf einer intuitiven Ebene erkannte er, dass er in der Lage war, zu lernen. Alles, was er bisher getan und erlebt hatte, hatte sich ihm erschlossen, indem er lernte. Sein Vater hatte ihm nur wenig Wissen mit auf den Weg gegeben.
Und Dogdan lernte stets schnell.
Wie man Wassertiere tötete.
Wie man Zweibeiner tötete.
Wie man alles tötete, was sich ihm in den Weg stellte. Aber er lernte auch, dass es so etwas wie Kommunikation geben musste. Sonst würde ja immerzu einer den anderen töten. Da dies nicht geschah, musste es für das Miteinander dieser Wesen einen tieferen Sinn geben. Worin dieser Sinn bestand, würde Dogdan herausfinden. Wenn man ihn ließ.
Nein, niemand musste sich vor ihm fürchten.
Er war satt!
Er war neugierig!
Einmal meinte er, als er sich zu dem kleinen Wesen gebückt hatte, welches ihn anstarrte, mit diesem gewissermaßen verbunden zu sein. Er erkannte, dass es sich bei diesem Wesen um etwas handelte, das auch noch viel lernen musste. In seiner Brust hatte sich Verständnis geregt und er hatte gedacht: Wenn du noch lernen musst, dann tue es!
Das kleine Wesen hatte ihm mit klappernden Zähnen hinterher gestarrt. Dogdan wusste, dass es sich vor ihm fürchtete und hätte fast darüber gelacht. Dieses kleine Ding war wie er. Wie konnte er es dann töten? Das wäre gewesen, als würde er sich selbst töten!
Nun stand er auf einer Strasse zwischen Häuserwänden, die für ihn wie Felsen mit eckigen Löchern waren und sah ein Wesen mit sehr hellen Haaren und zwei Wesen, die bewaffnet waren. Mit Waffen kannte sich Dogdan aus. Sein Vater hatte ihn bestens damit ausgestattet, doch irgendwo, Dogdan konnte sich nicht erinnern, waren sie ihm abhanden gekommen.
Der eine, er war größer, hatte ein Schwert, der Kleine eine Axt und dazwischen jenes Wesen, welches so laut kreischte, dass es Dogdan in den vielen Ohren klingelte.
Warum hörte sie nicht mit dem Gekreische auf? Das war unsinnig. Er wollte nichts von ihr. Er wollte lernen und seine Ruhe haben. Und er hatte kein Interesse, gegen die Bewaffneten zu kämpfen.
Erkannten sie seine Einsamkeit nicht?
Begriffen sie nicht, dass er heimatlos war?
Dass er nie wieder in seine Welt zurück konnte?
Dogdan wusste nicht, was Traurigkeit war. Er hatte noch nie etwas wie Trauer empfunden, aber nun hatte er Mitleid. Mit sich selbst. Er sah sich in den Augen des kleinen Dings, welches er verschont hatte und er sah den Schrecken in den Augen der Schreienden. Obwohl er sich dagegen zu wehren versuchte, entfachte dieses Verhalten Zorn bei ihm.
Außerdem gab es noch etwas, dass ihn störte.
Noch konnte er nicht einordnen, was es war, aber ihm war, als liefen winzige Funken über seinen Körper. Alle seine Sinne waren gespannt. Er hob den Schädel und schnupperte.
Irgendetwas stimmte nicht, störte ihn, unterbrach seiner Konzentration und förderte einen Instinkt zutage, der ihm von seinem Vater, dem Lord von Unterwelt eingepflanzt worden war. Den Jagdtrieb! Er bewegte seine noch intakten Arme und stampfte zornig auf. Er drehte sich langsam um.
Was er erblickte, verwirrte ihn so sehr, dass er meinte, sein Rückgrat breche auseinander und sein Margoulusgebiss fing an zu klappern. Klebriger Speichel rann aus seinem Maul und Hitze wallte über seine Haut.
Seine Beute!
Dort war sie.
Der Mann und die Barb. Ja, es handelte sich um einen Mann, denn so war es ihm beigebracht worden und es handelte sich um eine Barb. Nie würde Dogdan vergessen, was die Drachen – inzwischen wusste er, dass es sich um Drachen gehandelt hatte – was diese ihm angetan hatten. Einer seiner Arme war unbrauchbar und der Drachenhauch hätte ihn um Haaresbreite verbrannt. Dogdan war sich sicher, dass die Barb daran nicht unschuldig war.
"Groooar!"
Ohne das es ihm bewusst wurde, war er unterwegs. Sein Instinkt triumphierte über das, was man vielleicht Vernunft nennen konnte.
Dogdan der Unselige würde töten!