22
Cardinal und Delorme fuhren zum Regent Hotel und gingen auf ihre Zimmer, Delorme im Erdgeschoss und Cardinal im dritten Stock. Als die Klapperkiste von einem Fahrstuhl ewig nicht kam, wich er in das feuchtkalte Treppenhaus aus.
Cardinal stand der Sinn jetzt nur noch nach einer Dusche und einem Nickerchen vor dem Essen, doch er hatte kaum die Schuhe ausgezogen, als es an der Tür klopfte. Er machte auf, und Calvin Squier grinste ihm wie ein alter Kumpel aus der Burschenschaft entgegen.
»John, hören Sie. Bevor Sie was sagen, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Ich weiß, dass ich Ihnen da oben große Probleme gemacht habe, und ich möchte nur, dass Sie wissen –«
Cardinal machte die Tür zu.
»John, ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«
»Wie kommt es, dass ich jedes Mal, wenn Sie mir helfen, in der Scheiße lande?«, fragte Cardinal durch die Tür.
»Nein, ehrlich, diesmal bin ich auf Ihrer Seite, hundert Prozent. Und nach Ihren Befragungen heute kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie die Information, die ich für Sie habe, nicht bitter nötig hätten. Außerdem ist etwas passiert, worüber ich mit Ihnen reden möchte.«
Cardinal machte die Tür mit einem Ruck auf. »Woher wissen Sie, dass ich jemanden befragt habe?«
»Hier im Flur kann ich nicht reden.«
Cardinal trat zur Seite, und Squier schob sich an ihm vorbei, indem er seinen Mantel aufknöpfte.
»Lassen Sie den ruhig an«, sagte Cardinal. »Sie bleiben nicht. Und wie haben Sie mich überhaupt hier gefunden? Ich vermute, Sie haben mich auch verwanzt.«
Squier schien getroffen. »Natürlich nicht. Sehen Sie, was Sie nicht wahrhaben wollen, ist, dass ich Ihnen traue, obwohl Sie mir nicht trauen.« Er hielt die Hände hoch, wie um weitere Beschuldigungen abzuwehren. »Ich weiß, ich weiß. Ich hab Ihnen Probleme gemacht. Deshalb bin ich hier. Ich will alles tun, um es wieder gutzumachen.«
»Sie könnten damit anfangen, dass Sie mir erzählen, wer Simone Rouault angerufen und versucht hat, ihr den Mund zu stopfen.«
»Also, ich war’s nicht, das garantier ich Ihnen.«
»Frankokanadier. Ein älterer Mann. Angeblich vom CSIS. Nach meiner Erfahrung ist das durchaus denkbar.«
»Könnte eins von den hohen Tieren in Ottawa gewesen sein. Ich hab keine Möglichkeit, das nachzuprüfen. Sehen Sie, das wollte ich Ihnen ja sagen: Ich hab gekündigt.«
»Sie haben gekündigt?«
»Sie haben richtig gehört. Calvin Squier und der CSIS sind geschiedene Leute.«
»Ich bin sicher, dass es für beide Teile das Beste ist.«
Squier setzte sich auf das Bett in seiner Nähe. Er seufzte tief, wie unter einer Woge der Verzweiflung.
»John, es kommt der Moment im Leben eines Mannes, wo er sich sagt, halt mal, Junge, und dann das Richtige tun muss. Um die Wahrheit zu sagen, bin ich über die Art, wie der CSIS diese Sache gehandhabt hat, von Anfang an nicht glücklich gewesen. Ich versuche, einfach ein guter Soldat zu sein, meinen Job zu machen und nicht zu viele Fragen zu stellen, aber wenn es so weit geht, dass eine laufende Morduntersuchung von vorn bis hinten behindert wird, na ja, da ist bei mir die Grenze erreicht.«
»Ach, sieh mal einer an. Und was mag wohl zu diesem Sinneswandel geführt haben?«
»Na ja, es war, glaube ich, als Sie mich festgenommen haben. Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich arbeite – arbeitete – für eine wichtige Organisation, und ich wollte daran glauben, dass meine Vorgesetzten moralisch handeln. Aber es ist schon erstaunlich, wie es einem zu völlig neuen Einsichten verhelfen kann, wenn man mit Handschellen, das Gesicht nach unten, am Boden liegt. Auf einmal dämmerte mir, dass ich für Leute arbeite, denen solche Kleinigkeiten wie Wahrheit und Gerechtigkeit vollkommen egal sind.«
»Und die amerikanische Schiene?«
»Also, jetzt machen Sie sich über mich lustig, und wahrscheinlich hab ich’s nicht besser verdient. Aber Sie wissen genau, was ich gesagt habe. Ich bin zum CSIS gegangen, weil ich an bestimmte Dinge glaube. Und ich habe begriffen, dass meine Vorgesetzten diese Überzeugungen nicht teilen. Glauben Sie nicht, Sie wären der Einzige, den sie an der Nase herumgeführt haben. Sie haben nicht mal mir Einsicht in die Akten über Shackley gewährt. Wieso war er Code Rot, wollte ich schon mal als Erstes wissen. Niemand wollte mir Auskunft geben, und sie haben auch die Akte nicht rausgerückt – falls sie überhaupt noch existiert. Und deshalb haben sich unsere Wege getrennt.«
»Und Sie sind hergekommen, um sich zu entschuldigen.«
»Und zu helfen, wenn ich kann.«
»Entschuldigung angenommen, Squier, leben Sie wohl.« Cardinal hielt ihm die Tür auf.
»Warten Sie, John. Lassen Sie mich zu Ende bringen, weshalb ich hergekommen bin, und dann werde ich Sie in Ruhe lassen. Sie waren heute bei Sauvé. Ich bin sicher, der ehemalige Korporal war nicht von großer Hilfe für Sie.«
»Sie sind mir doch nicht gefolgt«, sagte Cardinal und machte die Tür wieder zu. »Niemand ist mir gefolgt.«
»Nein, aber Sie denken logisch, und Sauvé war logischerweise die erste Station. Er hat nicht maff gesagt, stimmt’s? Sie haben gegen eine Wand geredet, möchte ich wetten.«
»Mehr oder weniger.«
Squier machte sich auf seinem Palmtop eine Notiz. »Gut. Wir kommen noch auf Sauvé zurück. Wetten, dass Sie auch bei Theroux nicht weit gekommen sind?«
»Wir haben mit seiner Frau geredet. Sie hat sich als äußerst hilfreich erwiesen.«
»Tatsächlich? Hat sie Ihnen auch erzählt, dass ihr Mann Raoul Duquette gar nicht umgebracht hat?«
»Woher wissen Sie das?«
»Schauen Sie in die Akte, John. Sie sagt das, seit Theroux verurteilt wurde.«
»Nicht offiziell. Sie sagt, Yves Grenelle hätte ihn ermordet.«
»Na ja, damit kommt sie allerdings nicht weit. Offiziell hat niemand je von Grenelle gehört. Und bei CAT würde Ihnen jeder sagen, dass es äußerst unwahrscheinlich ist. Yves Grenelle war ganz und gar Häuptling, kein Indianer. Er war kein Mitglied der Chénier-Zelle; er war kein Mitglied der Befreiungszelle. Bestenfalls war er Kontaktmann zwischen beiden. Sie müssen mir nicht glauben; sehen Sie in den Akten nach.«
»Simone konnte sich gut vorstellen, dass Yves Grenelle Duquette umgebracht haben könnte. Soweit sie wusste, war er ein gewalttätiger Rüpel, der die Welt regieren wollte – oder schon mal Quebec.«
»Sie haben also auch mit Simone Rouault geredet. Mann, Sie sollten sehen, was der CSIS alles über sie hat. Diese Frau verdient einen Orden. Wissen Sie, wie viele sie ins Kittchen gebracht hat?«
»Sie nimmt siebenundzwanzig für sich in Anspruch.«
»Das sind alle, von denen sie weiß. Sie wurde über vieles im Unklaren gelassen.«
»Das wurde sie zweifellos«, sagte Cardinal und musste an den Ausdruck in ihrem Gesicht denken, als sie an Lieutenant Fougère dachte.
»Großartige Frau ganz ohne Zweifel, aber nicht in der Lage zu entscheiden, wer Raoul Duquette ermordet hat oder nicht.«
»Sie kannte immerhin Miles Shackley.«
»Natürlich. Er und Fougère arbeiteten eng zusammen, und sie tanzte nach Fougères Pfeife. Aber Rouault war eine Informantin an der Basis, John – effizient, aber an der Basis.«
»Demnach hätten sie Informanten in den höheren Rängen gehabt? Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Daniel Lemoyne für die CIA arbeitete?«
Squier grinste. »Der alte Fuchs.«
»Soweit ich es beurteilen kann, war Simone Rouault die beste Informantin, die die Mounties je hatten.«
»Sagen wir mal so, sie ist vorläufig die Einzige, die Ihnen helfen kann. Lieutenant Fougère ist tot, und Lemoyne und Theroux wollen nicht reden.«
»Derjenige, mit dem ich wirklich reden muss, ist Yves Grenelle.«
»Yves Grenelle ist seit 1970 wie vom Erdboden verschluckt, und man hat nie mehr von ihm gehört. Arbeiten Sie mit dem, was Sie haben. Sauvé ist Ihr Mann. Er war im CAT-Team. Zum Teufel, er hat CAT praktisch geleitet. Und trotz seiner kriminellen Neigungen weiß er alles, was man über FLQ wissen sollte.«
»Leider ist er auch eine Sphinx.«
»Zeigen Sie ihm das hier.« Squier griff in seine Mappe und zog einen einmal gefalteten braunen Umschlag heraus.
Cardinal nahm ihn und machte ihn auf.
»Ein Video?«
»Ich hab’s als kleines Abschiedsgeschenk beim CSIS mitgehen lassen. Im Unterschied zu denen bin ich nicht der Meinung, dass kein Handlungsbedarf besteht, wenn ein amerikanischer Staatsbürger auf unserem Boden getötet wird. Vielleicht kann Sie das für den Ärger, den Sie mit uns hatten, ein bisschen entschädigen. Jedenfalls denke ich, dass sich unser ehemaliger Mountie und Knastbruder als wesentlich kooperativer erweisen wird, wenn er erst mal einen Blick auf das da geworfen hat.«
Squier stand auf. »Ich bin froh, dass ich mit Ihnen arbeiten konnte, John. Wissen Sie, ich werd mir jetzt erst mal eine Auszeit nehmen, um meine Optionen zu sondieren. Und ich werde ernsthaft darüber nachdenken, ob ich zur Polizei gehen soll. Und das verdanke ich einzig und allein Ihnen.«
»Das würde ich mir nie verzeihen.«
»Bei meinem nächsten Job möchte ich sichergehen, dass ich wirklich Menschen helfe. Von diesem Führ-jeden-hinters-Licht-Getue hab ich endgültig die Nase voll. Wenn es das ist, was Ottawa will, stehe ich ihnen dafür jedenfalls nicht mehr zur Verfügung.«
Cardinal dachte, Squier würde tatsächlich salutieren, doch er knöpfte nur seinen Mantel zu und schüttelte ihm ein letztes Mal die Hand.
»Kämpfen Sie weiter für die Guten«, sagte er. Und dann war er draußen.
Cardinal wartete einen Moment und ging dann hinunter, um bei Delorme an der Zimmertür zu klopfen. Delorme kam in Jeans und T-Shirt, das Haar noch nass von der Dusche.
»Was ist los?«, fragte sie. »Ich dachte, wir treffen uns nachher zum Essen.«
»Calvin Squier, vormals beim Canadian Security Intelligence Service, möchte sich mit einem Kuss versöhnen.« Cardinal hielt das Video hoch. »Er hat Geschenke mitgebracht.«
»Stark. Und worauf schauen wir uns das an?«
Sie fuhren zur RCMP-Zentrale zurück. Sergeant Ducharme hatte sein Büro schon verlassen, und das erwies sich als problematisch. Der junge Mountie am Empfang hatte es nicht eilig damit, Polizisten aus anderen Provinzen, geschweige denn aus anderen Behörden hereinzulassen. Nachdem er nicht nur eine, sondern gleich zwei Vorgesetzte um Rat gefragt hatte, rief er schließlich Sergeant Ducharme zu Hause an und bekam grünes Licht.
Es folgte eine langwierige Suche nach einem leeren Büro. Zu guter Letzt durften Cardinal und Delorme es sich in einem Vernehmungszimmer mit einem Fernseher und einem Videogerät bequem machen. Das Video war eine knappe halbe Stunde lang, und als es zu Ende war, drehte sich Delorme zu Cardinal um und sagte: »Wie’s aussieht, hat Ihr CSIS-Mann einmal einen Treffer gelandet.«
»Ich nehme alles zurück, was ich über ihn gesagt habe. Lassen Sie uns essen gehen, und ich will gerne auf Calvin Squier anstoßen.«
Zwanzig Minuten später saßen sie in einer Nische des Embassy Restaurant auf der Peel Street. Genauso wie die Bezeichnung »Hotel« für das Regent etwas anmaßend war, so erwies sich die Kategorie »Restaurant« für das Embassy als ein wenig hochgegriffen. Zugegeben, es hatte Tischtücher und gepolsterte Sitzbänke. Es hatte eine Hostess und gedämpftes Licht und auch Kellnerinnen in verführerischem Outfit und schließlich auch noch ein Schild mit der Aufschrift Bitte warten Sie, bis wir Ihnen einen Platz anweisen. Doch alles andere – von den Speisekarten über die Vinylpolster zu den fischlosen Aquarien in Sargformat – erinnerte eher an Fressbude.
»Was haben die wohl mit den Goldfischen gemacht?«, murmelte Delorme, als sie die Speisekarte studierten.
»Wahrscheinlich an ein besseres Restaurant verkauft«, sagte Cardinal. »Ist das hier für Sie in Ordnung oder sollen wir woanders hingehen?«
»Ich bin müde und halb verhungert. Bleiben wir hier.«
»Wissen Sie schon, was Sie nehmen? Ich will ein Steak.«
»Ich die Meeresfrüchte spezial.«
»Da wäre ich vorsichtig. Vielleicht bekommen Sie eine große Portion kleine Goldfische.«
»Ist mir egal. Ich werd’s mit reichlich Bier runterspülen.«
Sie bestellten bei einer feindseligen jungen Frau, in deren Lebensentwurf offenbar Kellnern nicht vorkam. Cardinal war einfach nur froh, dass sie auf Englisch nach ihren Wünschen fragte.
Als das Bier kam, nahm Cardinal einen Schluck von seinem Labatt’s und blickte nachdenklich auf die Flasche. »Schmeckt irgendwie seltsam.«
»Sie machen es anders für den Quebecer Markt.«
»Wieso?«
»Weil die Frankokanadier sensiblere, kultiviertere Geschmacksnerven haben.«
»Ah, sicher. Berühmt dafür.«
Delorme schnitt ein Gesicht. Sie hatte ihr Haar offen gelassen, so dass es in dicken, lockigen Wellen über ihre Schulter fiel, und sie trug ein rotes T-Shirt, das besser aussah, als einem T-Shirt zustand. Über ihrem Brustbein war eine winzige schwarze Katze eingestickt.
Als ihr Essen kam, war es zu ihrer Überraschung ausgezeichnet. Cardinals Steak war zart und genau halb durch, so wie er es mochte. Und aus Delormes Gesicht sprach der reine Hochgenuss.
»Sind die Meeresfrüchte okay?«
»Okay? Sie sind phantastisch.«
Das gute Essen hob ihre Stimmung. Während sie aßen, sprachen sie davon, wie gut sie am ersten Tag vorangekommen waren und was sie am zweiten Tag schaffen wollten. Sie hatten immer noch kein klares Motiv für den Mord an Shackley, doch falls ihnen das Schicksal wohlgesinnt wäre, würde sich vielleicht bald eines abzeichnen. Nach einer Weile kamen sie auf persönlichere Dinge zu sprechen. Cardinal fragte sie nach einem Freund, den Delorme ein-, zweimal erwähnt hatte.
»Eric – hieß er nicht Eric? Nach dem, was Sie mir über ihn erzählt haben, schien er ein netter Kerl zu sein.«
»O ja, er war ein netter Kerl – außer dass er meinte, er könne alles ficken, was ihm unter die Augen kommt. Manchmal kann ich verstehen, wieso Frauen lesbisch werden.«
Für eine Weile herrschte Schweigen. Delorme sah einen Moment lang zur Seite und lehnte sich dann ein wenig vor. »John, wir haben nie wieder darüber gesprochen, seit Sie letztes Jahr beinahe gekündigt hätten, aber ich frage Sie nur unter Freunden: Macht Rick Bouchard und Co. Ihnen immer noch Druck?«
»Ein bisschen.«
»Ich hab’s geahnt. Und wie?«
»Er hat eine Karte geschickt. Er hat meine Privatadresse.«
»Er hat sie zu Ihnen nach Hause geschickt? Was wollen Sie unternehmen?«
»Bouchard hat seine Strafe noch nicht ganz abgesessen. Ich kann nur hoffen, er baut Mist und kriegt noch ein paar Jährchen obendrauf.«
»Ich würd mich nicht drauf verlassen.«
»Und einiges wird wohl auf das Konto Wichtigtuerei gehen. Er ist seit zwölf Jahren im Gefängnis. Wird er wirklich riskieren, postwendend zurückzuwandern, nur um mir nachzustellen? Höchstwahrscheinlich nur Prahlerei unter Knastbrüdern.«
»Hoffentlich. Lassen Sie’s mich wissen, wenn ich etwas tun kann.«
»Danke, Lise. Können wir jetzt das Thema wechseln?«
»Worüber sollen wir sprechen?«
»Erzählen Sie mir vom schlimmsten Rendezvous, das Sie je hatten.«
»Oh, schwer zu sagen. Die Auswahl ist groß.“
Delorme fing eine Geschichte über ein Blind Date und einen Typen mit einem heißen Schlitten an, das mit einem Knöllchen wegen Geschwindigkeitsübertretung begann und mit einem Platten im strömenden Regen endete. Die ganze Zeit staunte Cardinal, wie verwandelt Delorme war, außerhalb des Berufs. Sie hatte ein wunderbar ausdrucksvolles Gesicht. Im Kommissariat war sie von einer unterkühlten Effizienz, die jeden auf Distanz hielt und außerdem schwer zu deuten war. Doch jetzt, nach der Arbeit und in einer anderen Stadt, ließ sie den Schutzpanzer fallen. Ihre Gesten wurden ausdrucksvoller – sie rollte die Augen, als sie ihre Fahrt mit dem heißen Schlitten beschrieb, und senkte die Stimme zu der gedehnten Sprechweise eines Blödians, als sie wiedergab, was der Kerl gesagt hatte. Cardinal war gerührt, dass sie ihm eine Seite offenbarte, die emotionaler, weiblicher und vielleicht, dachte er, auch französischer war.
Nachdem das Geschirr weggeräumt war, blieben sie noch eine Weile zusammen sitzen.
»Wollen Sie noch ein Bier?«, fragte Cardinal.
Delorme zuckte die Achseln, so dass für einen Moment ihre Brüste betont wurden. Sie winkte der Bedienung am anderen Ende des Raums. »Ich hätte gern noch ein Bier. Und noch ein Labatt’s für meinen Vater?«
Als sie zum Hotel zurückkamen, rief sie eines der Mädchen am Empfang zu sich. Sie sprach französisch.
»Ms. Delorme, es tut mir leid, aber wir haben ein Problem. Auf dem Erdgeschoss ist ein Rohr gebrochen und hat alle Zimmer unter Wasser gesetzt. Ich fürchte, Sie können nicht in diesem Zimmer übernachten.«
»Das macht nichts. Bringen Sie mich woanders unter.«
»Das ist ja das Problem. Wir sind völlig ausgebucht. Es gibt keine anderen Zimmer.«
»Haben Sie das mitbekommen?«, sagte Delorme zu Cardinal.
»Mehr oder weniger.«
»Ich schwör’s Ihnen, das nächste Mal geh ich ins Queen Elizabeth.«
Sie drehte sich wieder zu der Empfangsdame um und sprach wieder französisch mit ihr. Cardinal verstand nicht alles, doch er nahm mit Bewunderung zur Kenntnis, dass Delorme weder die Beherrschung verlor noch die Stimme hob.
Sie drehte sich erneut zu Cardinal um. »Es gibt ein Holiday Inn rund zwei Kilometer von hier. Sie bezahlen mir die Nacht.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nichts anderes haben?«, sagte Cardinal zu der Empfangsdame. »In Ihrem ganzen Hotel muss es doch …«
Das Mädchen antwortete mit einem starken Akzent. »Normalerweise ja, es wäre kein Problem. Aber heute Abend haben wir ein Highschool-Hockeyteam hier, das einen ganzen Stock belegt. Es tut mir leid.«
Cardinal fühlte mit Delorme. Auf einmal sah sie sehr klein und müde aus.
»Wie wär’s, wenn Sie mein Zimmer nehmen würden?«, sagte er. »Ich geh ins Holiday Inn.«
»Auf keinen Fall. Ich setze Sie nicht vor die Tür.«
»Also, die andere Möglichkeit ist, dass wir beide in meinem Zimmer übernachten. Es sind zwei Doppelbetten drin.«
Delorme schüttelte den Kopf.
»Benehmen wir uns wie zwei erwachsene Menschen«, sagte er ruhig. »Ich werde nicht über Sie herfallen.«
»Wollen Sie, dass die ganze Dienststelle über uns Witze reißt? Nein, danke.«
»Wer soll es denn erfahren? Ich werd’s bestimmt niemandem erzählen.«
»Ich sollte woanders hingehen.«
»Es ist ein langer Tag gewesen. Sie sind müde. Und wir wollen morgen früh anfangen. Schlafen Sie in meinem Zimmer.«
»So wahr mir Gott helfe, John, wenn Sie irgendjemandem davon erzählen – und ich meine, irgendjemandem –, rede ich nie wieder mit Ihnen.«
Cardinal legte sich schlafen, während Delorme im Badezimmer war und sich die Zähne putzte. Er wollte Catherine anrufen, kam sich aber mit Delorme in einem Zimmer komisch vor. Er zog ein Taschenbuch heraus und zwang sich, ein paar Seiten zu lesen.
Als die Badezimmertür aufging, starrte er entschlossen weiter in das Buch, aber er konnte aus den Augenwinkeln heraus sehen, dass Delorme noch angezogen war. Er rollte sich auf die Seite, von ihr abgewandt, und dann hörte er, wie sie sich auszog, den Reißverschluss ihrer Jeans aufmachte.
Ein tiefer Seufzer, als sie sich hinlegte. Das Zimmer war überheizt. Was hatte sie wohl unter diesen Decken an?
Cardinal drehte sich noch einmal auf den Rücken und überlegte krampfhaft, was er sagen sollte. Er wollte auf keinen Fall etwas sagen, das zu persönlich klang, das sie als Provokation auslegen konnte, aber ihm war auch nicht danach, noch einmal mit dem Fall anzufangen. Ging es Delorme auch nur annähernd ähnlich wie ihm? Überlegte sie, was sie sagen sollte? Stellte sie sich gewisse Dinge vor? Wie zur Antwort drehte Delorme ihm den Rücken zu und knipste ihre Lampe aus. Natürlich ließ das Raum zur Interpretation. Hoffte sie, dass er den ersten Schritt machte? Schön, wie ihr Haar hinter ihr in Locken über das Kissen fiel, ihre Hüfte sich unter der Decke wölbte.
Beim Essen hatte sie so getan, als ob er ihr Vater wäre. Weiß ich wenigstens, woran ich mit ihr bin, dachte Cardinal, die zwölf Jährchen oder so, die wir auseinander sind, hat sie mir ganz schön aufs Brot geschmiert. Er knipste seine eigene Lampe aus und beschloss, nicht mehr an sie zu denken.
Es funktionierte nicht, und er lag lange wach.
Delorme war bereits auf und vollständig angezogen, bevor der Weckruf Cardinal aus dem Schlaf holte.
»Ich bin schon unten im Frühstückszimmer«, sagte sie, und dann war sie draußen.
Sie fuhren Richtung Eastern Townships und über einen Knüppeldamm zu Sauvés Haus. Die Sonne war herausgekommen, und von den umliegenden Äckern blies eine steife Brise herüber. Die Felder erinnerten an einen Sumpf, der wie Metall unter der Sonne glitzert. Cardinal führte auf dem Handy ein paar Telefonate mit dem britischen Konsulat. Eine unglaublich höfliche junge Frau sagte, sie werde die notwendigen Erkundigungen einholen, und jemand würde ihn bald zurückrufen.
»Geht’s Ihnen gut?«, fragte Delorme irgendwann. »Sie wirken ein bisschen grantig.«
»Nur müde«, sagte Cardinal. »Ich hab nicht gut geschlafen.«
»Tatsächlich? Ich schon.«
Cardinal fragte sich, ob sie es ihm unter die Nase reiben wollte, dass er ihr körperlich völlig gleichgültig war. Aber wahrscheinlich sagte sie nur die Wahrheit: Physische Anziehungskraft war ihr gar nicht in den Sinn gekommen.
Sie bogen in Sauvés Auffahrt ein und blockierten damit Sauvé selber, der gerade rauswollte. Er lehnte sich auf die Hupe, so dass Krähen und Eichelhäher von den Bäumen aufflatterten. Als Cardinal sich nicht rührte, warf Sauvé seine Lkw-Tür auf und kam zu ihnen herübergehinkt. »Ich hab Ihnen schon mal klar gemacht, dass ich den Mounties nichts zu sagen habe, oder der Sûreté oder irgendeiner anderen Polizei. Und jetzt verschwinden Sie endlich aus meiner Einfahrt.«
»Mr. Sauvé, haben Sie einen Videorecorder? Wir haben vorsichtshalber einen mitgebracht, für den Fall, dass Sie keinen haben.«
Von innen war Sauvés Haus in noch schlimmerem Zustand als sein Eigentümer. In den Fenstern klapperten Plastikplatten hin und her und versuchten vergeblich, den Quebecer Winter draußen zu halten. Eine Wand im Wohnzimmer bestand nur noch aus Streben. Abgebröselter Putz lag im Flur verstreut. Im Wohnzimmer stand ein klumpiges Sofa mit einer Wolldecke, auf der Cardinal und Delorme Platz nahmen. Sauvé setzte sich in einen Sessel, aus dessen einer Lehne die Füllung austrat. Um seine Füße strich eine Katze mit kahlen Stellen im schwarzen Fell.
Sauvé hatte eine Flasche Molson in der Hand und saß schief im Sessel, so dass er mit dem gesunden Auge fernsehen konnte. Das Band war nachts aus verschiedenen Blickrichtungen auf einem Parkplatz gedreht worden. Darauf war Sauvé zu erkennen, wie er aus seinem Lkw stieg und Kisten mit der Aufschrift Verkehrsministerium ablud. Zwei Männer stiegen aus einem Lieferwagen und untersuchten die Kisten, bevor sie ihm einen Umschlag reichten. Sauvé fuhr weg, während sie die Kisten in ihren Lieferwagen luden. Als das Band zu Ende war, schleuderte Sauvé sein Bier quer durchs Zimmer, so dass es an der Wand zerschmetterte. Der Hopfengeruch erfüllte den Raum und mischte sich mit dem Geruch nach Schimmel.
»Gewisse Stellen sind bereit, diese Episode zu vergessen«, sagte Cardinal, »vorausgesetzt, Sie unterstützen uns bei unseren Ermittlungen. Und vorausgesetzt natürlich, dass Sie sofort aufhören, der French-Self-Defence-League Sprengstoff zu verkaufen.«
Sauvé rieb sich die Stoppeln an seinen Wangen. An der Hand fehlten drei Finger. Sein Auge glühte vor Zorn. »Eines wüsste ich gerne, Detective. Bilden Sie sich wirklich ein, es bestünde ein großer Unterschied zwischen den Mounties und den Leuten, die Sie hinter Schloss und Riegel bringen?«
»Bis jetzt sind mir noch keine Mounties begegnet, die ihre Mordopfer an Bären verfüttern. Aber ich führe ein behütetes Leben.«
»Miles Shackley ist vor ein paar Tagen nach Algonquin Bay raufgekommen«, sagte Delorme. »Wir könnten uns denken, dass Sie wissen, wieso.«
»Also, wissen Sie was, Schwester? Ich hab keine Ahnung. Ich habe Miles Shackley seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen.«
»Und trotzdem hat er Sie vor drei Wochen angerufen. Wie kommt das wohl?«
»Er war ein alter Spion, und er konnte sich schlecht an den Ruhestand gewöhnen, okay? Er hatte Anwandlungen von Nostalgie, hat alte Freunde angerufen. Wollte noch mal die Stätten seines Wirkens sehen, Kriegsgeschichten erzählen. Wieso sollte er mich nicht anrufen?«
»Sie haben im CAT-Kommando zusammengearbeitet, richtig?«
»Ja. Und unsere Aufgabe bestand darin, in der FLQ Informanten zu rekrutieren. Das haben wir getan.«
»Und Sie beide haben mit Lieutenant Fougère gearbeitet?«
»Anfänglich nicht. Ich hab mit Fougère zusammengearbeitet, nachdem er es vermasselt hatte. Oh, entschuldigen Sie, habe ich schlecht über die Toten geredet? Tut mir leid. Lieutenant Fougère kam mit der glorreichen Idee der Operation Coquette. In erster Linie, weil er die Coquette vögelte.«
»Sie meinen Simone Rouault?«
»O ja. Eine richtige Hure. Fougère rekrutiert seine Freundin, um die FLQ zu infiltrieren, und die bringt die ersten drei Monate damit zu, sich bei einem Kerl namens Claude Hibert einzuschmeicheln. Das einzige Problem dabei: Hibert war zufällig mein Informant.«
»Er arbeitete schon für CAT?«
»Er war mein Informant – schon bevor ich zu CAT kam. Ich hatte ihn schon seit anderthalb Jahren. Fougère und seine kleine Hure haben Monate vergeudet. Deshalb mussten Shackley und ich ihn an die Hand nehmen. Shackley war CIA und eine richtige One-Man-Show. Einer der wenigen Leute auf der Welt, auf die man wirklich zählen kann. Als wir das Vereinte CAT-Team ins Leben riefen, kam er aus freien Stücken dazu. Hätte er nicht gemusst. Er schob bis dahin eine ruhige Kugel in New York.
Und einfallsreich, der Junge. Nicht wie Fougère. Als Shackley zu uns kam, hatte er schon einen Agenten platziert. Die CIA-Vorschriften besagten, dass er uns nicht klar sagen durfte, wer es war und wo. Er konnte die Früchte mit uns teilen und ihren Wahrheitsgehalt abwägen, alles Übrige war streng geheim.«
»Aber Sie hätten es erfahren müssen. Sonst hätten Sie leicht denselben Fehler machen können wie Fougère.«
»Das müssen Sie Langley sagen. Am Ende war es eigentlich egal, weil Shackley und Langley selten einer Meinung waren. Er hat mir gesagt, wer sein Mann vor Ort war: ein Kerl namens Yves Grenelle.«
»Hat Yves Grenelle Raoul Duquette ermordet?«
»Lesen Sie Ihre Akten. Daniel Lemoyne und Bernard Theroux haben Raoul Duquette getötet. Sie haben sich dazu bekannt.«
Cardinal stand auf. »Na schön. Sie haben’s offenbar eilig, wieder ins Gefängnis zu kommen. Für den Verkauf von Sprengstoff an eine terroristische Vereinigung, das sollte für mindestens acht Jahre reichen. Und als Ex-Cop werden Sie sich im Zellenblock bestimmt größter Beliebtheit erfreuen.«
»Ich sage die Wahrheit. Lemoyne und Theroux –«
»Jeder weiß, dass sie die Ermordung Duquettes gestanden haben. Wir wissen auch, dass es so was wie Zellensolidarität gab, wonach derjenige, der geschnappt wurde, die Schuld auf sich nahm und wer davonkam, eben davonkam. Yves Grenelle kam davon, richtig?«
»Klar, er kam davon. Und?«
»Und er war Shackleys Agent, richtig?«
»Klar, er war Shackleys Agent. Und?«
»Und er hat Duquette getötet, richtig?«
»Wenn er es getan hätte, dann hätte ich nichts damit zu tun.«
»Aber Shackley vielleicht. Mit einem Mal, mitten in der Oktoberkrise, war das gesamte CAT-Kommando wie wild hinter Shackley her. Wieso?«
»Vielleicht, weil er ein hartes Spiel spielte. Er hat nicht herumgeredet.«
»Was im Klartext heißt? Dass Grenelle mehr als ein Informant war? Er war ein Provokateur, nicht wahr? Genau wie Simone Rouault. Jemand, der mehr Straftaten beging, als er vereitelte?«
»Und wenn schon?«
»Nun ja, wenn Detective Fougère seine Freundin Ölgesellschaften berauben und Bomben legen ließ, dann war Miles Shackleys Mann vermutlich zu ganz anderem fähig. Wie zum Beispiel, Raoul Duquette zu töten.«
Sauvé zuckte die Achseln. »Möglich.«
»Das kann aber nicht CIA-Praxis gewesen sein. Wie soll es in ihrem Interesse sein, in einem befreundeten Nachbarland Unruhen zu schüren?«
»Sie haben ganz recht. So was macht die CIA doch nicht. Das kann Ihnen jeder Chilene sagen. Oder Sie könnten mal bei den dankbaren Guatemalteken nachfragen.«
»Wollen Sie sagen, das war doch ihre Praxis?«
»Jesses Maria. Kein sonderlich ausgeschlafener Menschenschlag da oben in Ontario, wie? Fürs Protokoll, nein, ich glaube nicht, dass es CIA-Praxis war, in Kanada Unruhen zu schüren. Keine offizielle Praxis.«
»Aber?«
»Kein Aber, Ende der Geschichte.«
»Was meinen Sie, wie sich das Band da in den Sechs-UhrNachrichten macht? Sollen wir’s ausprobieren?«
»Also, gut, verdammt noch mal! Sie fragen mich Dinge, die ich unmöglich wissen kann! Inoffizielle CIA-Praxis? Supergeheime, verdeckte Operationen? Wie soll ich das wissen? Ich war Mountie, verdammt noch mal. Wenn Sie wissen wollen, was ich glaube, können Sie das kostenlos haben. Aber es basiert nur auf Hörensagen und auf Vermutungen, und der einzige Grund, warum ich die überhaupt anstellen kann, ist der Umstand, dass Shackley und ich eng zusammengearbeitet haben. Wir sind uns näher gekommen, weil wir beide schwarze Schafe waren und wir beide gerne Dinge zu Ende brachten.«
»Schön. Wir hören.«
Sauvé machte einen tiefen Seufzer. Er fing an, monoton zu reden, als ob er zu diesem Thema schon häufig Vorträge gehalten hätte. »Die USA waren unter Nixon von Kanada äußerst irritiert. Zuerst schlagen wir vor, dass sie das Embargo gegen Kuba aufheben. Die Yanks sehen rot bei dem Thema Kuba. Zweitens nehmen wir ganze Flugzeugladungen an Vietnam-Kriegsdienstverweigerern auf – das garantiert uns in Washington nicht unbedingt Liebe und Verständnis. Drittens, es ist der Höhepunkt des Kalten Krieges, und Trudeau erklärt uns zur nuklearwaffenfreien Zone. Nuklearwaffenfrei! Nicht dass wir eine richtige Armee hätten. Die Staaten geben Milliarden für die Verteidigung aus, und sie finden, dass wir uns um unseren Beitrag drücken. Und viertens, Trudeaus Haar ist zu lang. Sie denken, ich mache Witze, aber wir reden hier von Richard Milhous Nixon, der personifizierten Paranoia.
Die Nixon-Bande wollte ihren Nachbarn im Norden Haltung beibringen, und zwar sofort. Sie wollten einen Konservativen an der Macht sehen, jemanden, der bei solchen Kleinigkeiten wie Vietnam oder dem Kalten Krieg und Atomwaffen einer Meinung mit ihnen ist. Und das war, nach Ansicht des Nixon-Ministeriums der realen Welt, am besten zu erreichen, indem man der kanadischen Bevölkerung eine solche Scheißangst machte, dass sie einen anderen wählen. Sie hatten ein großes Problem.«
»Pierre Trudeau.«
»Pierre Trudeau. Das waren die Tage der Trudomania. Wie machen sie den Kanadiern klar, was wirklich gut für sie ist? Also hecken sie diesen Plan aus. Quebec fängt an zu brodeln. Warum es nicht zum Überkochen bringen? Würde dem übrigen Kanada ganz schön Angst einjagen. Und wenn die Leute erst mal sehen, was für ein Schlappschwanz Pierre Trudeau ist, schmeißen sie ihn raus, und wir bekommen einen heißblütigen Konservativen an seiner Stelle. Das war natürlich keine Strategie, müssen Sie wissen. Es war ein »Was, wenn«. Ein Szenario.
Shackleys Job war es vermutlich, die Machbarkeit auszuloten. Das tun sie in einem Geheimdienst andauernd – Kriegsspiele inszenieren, eine Theorie austesten. Also platziert Shackley einen Spitzel in der FLQ. Er kriegt den Mann haargenau an die richtige Stelle. Und dann, als es gerade so richtig losgehen kann, ziehen sich die Typen um Langley zurück. Sagen ihm Nein danke und nicht Ja bitte. Doch Shackley ist es ernst, sehen Sie, also hält er sich Grenelle auf eigene Faust. Deshalb ist er damals verschwunden, und deshalb war, nach den Entführungen von Hawthorne und Duquette, jeder Cop in Montreal, der nach Daniel Lemoyne und Bernard Theroux suchte, auch hinter Miles Shackley her.«
»Sie meinen, er hat Grenelle beauftragt, Duquette zu töten?«
»Und wenn schon?« Sauvé spuckte in seinen Propankocher und löste ein plötzliches Zischen aus, wie ein Knistern im Radio. »Raoul Duquette ist seit dreißig Jahren tot.«