Warenhaus Pitacio

Mit fünfundzwanzig Jahren vertrug es Giosue nicht mehr, daß ihn alle im Dorf »Pitacio« nannten; und so ging er in die Stadt, um dort zu arbeiten. Er blieb dort fünfzehn Jahre und kehrte gut gekleidet, gut mit Geld ausgestattet und gut verheiratet ins Dorf zurück. Er eröffnete einen hübschen Laden auf dem Hauptplatz und ließ auf das Geschäftsschild schreiben:

 

GIOSUE BIGATTI & SOHN

EMPORIO – (WARENHAUS)

Haushaltsartikel

 

Der Sohn, von dem das Schild sprach, hatte noch nicht das Alter von zehn Monaten erreicht, aber den Sohn gab es jedenfalls, und er hieß Anteo Bigatti. Aber die Leute dachten nicht einmal eine Minute lang nach: »Giosue Bigatti & Sohn Emporio-(Warenhaus)«, sagten sie. Und da Giosue Bigatti Pitacio hieß, wurde Anteo Bigatti eben Emporio Pitacio genannt. Anteo traf keinerlei Schuld, aber das Schicksal der Bigatti war tragisch, und der Übername blieb an ihm haften. Sein Vater und seine Mutter versuchten nicht einmal, dagegen anzukämpfen; und als eines Tages der sechsjährige Anteo weinend aus der Schule kam, weil seine Kameraden ihn Emporio Pitacio genannt hatten, antwortete der Vater: »Laß sie reden, Anteo. Wenn du groß bist, wirst du ihnen zeigen, wer du bist!«

Anteo behielt diese Worte im Kopf, und so steckte er es in der Folgezeit immer, ohne mit der Wimper zu zucken, ein, wenn sie ihn Emporio oder Pitacio nannten.

Mit sechzehn jedoch begann ihm die Sache lästig zu werden, weil ihn auch die Mädchen Emporio riefen. Deshalb sagte er zu seinem Vater:

»Laß mich in der Stadt studieren.«

Niemand im Dorf wußte, was zum Teufel Emporio in der Stadt lernte. In den Ferien kam er zurück, und als Freunde versuchten, ihm auf den Zahn zu fühlen, entzog er sich, indem er sagte: »Ich mache Handelspraxis.«

Als Emporio zweiundzwanzig wurde, platzte die Bombe im Dorf. Emporio studierte Gesang. Es stand in der Provinzchronik der Zeitung: Anteo Bigatti hatte sich bei der Prüfung am Konservatorium besonders ausgezeichnet.

Und es gab keinen Zweifel, denn in der Auslage des Warenhauses mit Haushaltsartikeln war die Zeitung aufgeklebt und die Nachricht von der Prüfung im Konservatorium dick und rot umrandet.

Man wartete, bis Emporio zu den Ferien zurückkehrte, aber er kam nicht. »Er hat sich in Nebel aufgelöst«, sagten die Leute.

Fünf Jahre danach starb der alte Bigatti. Die Alte blieb einige Monate, um im Geschäft zu weinen, dann, eines Morgens, wurden die Rolläden nicht mehr hochgezogen und blieben fortan stets geschlossen: Die Eheleute Pitacio waren wieder vereint.

»Vielleicht ist auch er gestorben«, kommentierten die Leute, da sie Emporio weder beim Begräbnis des Vaters noch bei dem der Mutter sahen. Aber Emporio war nicht gestorben, und eines Tages tauchte er auf der Seite 3 einer Zeitung wieder auf: »Sensationeller Erfolg des Tenors Anteo Bigatti in Argentinien.« Die Leute im Dorf waren erstaunt, denn sie konnten sich nicht vorstellen, daß Emporio Pitacio irgend etwas Großartiges vollbracht haben könnte. Dann waren sie jedoch gezwungen, es einzusehen, denn der Name Anteo Bigatti wurde immer berühmter, und als die wichtigste Tageszeitung des Landes ein Interview veröffentlichte, das Anteo Bigatti dem Korrespondenten in New York gegeben hatte, war das Dorf ganz aus dem Häuschen.

In diesem Interview behauptete Anteo Bigatti, daß – sobald er seine zahlreichen Verpflichtungen in den wichtigsten Bühnenhäusern Amerikas beendet hätte – er in Europa und somit auch in Italien singen würde. Und das war gut. Aber etwas weiter unten behauptete man, daß Anteo Bigatti »in Castelletto, einem kleinen Ort am Ufer des Po geboren wurde…«

»Verdammte Schweine!«, schrien die Leute im Dorf, »Anteo Bigatti ist hier geboren, nicht in Castelletto! Anteo Bigatti gehört uns!« Peppone ließ das Geburtsregister fotokopieren und schickte die Kopie mit einem stolzen Protestschreiben an die Zeitung. Der Chefredakteur benutzte die Gelegenheit, um einen Sonderberichterstatter ins Dorf zu schicken, der Material für einen Artikel über die Kindheit des großen Tenors sammeln sollte. Es stellte sich heraus, daß alle irgend etwas über die außergewöhnliche Berufung zum Gesang, die Anteo Bigatti schon als kleiner Junge gezeigt hatte, zu erzählen wußten, und es stellte sich ebenfalls heraus, daß alle schon seinerzeit gewußt hätten: »Dieser Junge wird Großes vollbringen.«

Nur Don Camillo erklärte, als ihn der Journalist befragte, daß er überhaupt nichts begriff:

»Er war derjenige, der im Chor am schlechtesten sang. Ich erinnere mich, daß ich mich gezwungen sah, ihn wegen völligem Fehlen von Stimme und Gehör auszuschließen. Von seiner Art war der Junge schweigsam, griesgrämig und ziemlich unsympathisch.«

Die Zeitung druckte auch prompt die Äußerungen Don Camillos, und die Sache war so ungeheuerlich für das Dorf, daß Peppone eine öffentliche Versammlung abhielt, um empört jene zu tadeln, »die, obwohl sie das Kleid der Diener der christlichen Religion tragen, jede Gelegenheit dazu benutzen, die berühmten Künstler zu verleumden, die den fruchtbaren Keimlingen des gesunden arbeitenden Volks entsprossen sind.«

Er sagte weiters, daß »der Ort sich rühmte, einen Sohn wie Anteo Bigatti zu haben, auch wenn das mittelalterliche Dunkelmännertum des Klerikalismus diese strahlende Karriere zu behindern versuchte, indem es die Schönheit seines Gesangs verleugnete, der heute auf den größten Bühnen der Welt ertönt und das Prestige des Landes und des Geburtsorts hochhält!«

Don Camillo ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen. Er antwortete überaus schlicht:

»Ich kann dem lieben Gott nicht vorwerfen, daß er mir kein feines musikalisches Gespür gegeben hat, zumal er mir eine viel wichtigere Tugend geschenk hat: die der Aufrichtigkeit.«

Es verging einige Zeit, und jedesmal, wenn eine wichtige Zeitung über Anteo Bigatti schrieb, wurde der Ausschnitt mit der Nachricht in die Auslagen der wichtigsten Kaffeehäuser und Geschäfte geklebt. Am Tag, an dem Presse und Rundfunk mitteilten, daß Anteo Bigatti nach Italien gekommen war, wurde das Dorf von einem solchen Begeisterungssturm erfaßt, daß es notwendig wurde, auf der Stelle ein Komitee zu gründen.

»Anteo muß hierher kommen!« sagte das Dorf. »Zuallererst muß er hierherkommen in den Ort, der ihn zur Welt gebracht, ihn inspiriert und in seinen ersten Kämpfen unterstützt hat. Er muß hierherkommen zu seinen Freunden, zu seinen Spielkameraden und zu den Menschen, die eifrig seine Toten bewacht haben! Seine Stimme ist die Stimme dieser Erde: Es ist unsere Stimme, und wir haben das Recht, sie vor den anderen zuhören!«

Das Komitee arbeitete Tag und Nacht, und schließlich beschloß es:

»Jemand muß auf der Stelle nach Mailand fahren, Anteo auffinden, ihm die stürmischen Willkommensgrüße des ganzen Dorfs überbringen und ihn überreden, wenigstens für einen Abend hierherzukommen, um für uns zu singen. Wir garantieren ihm eine perfekte Organisation und die Anwesenheit aller wichtigsten Persönlichkeiten der Provinz sowie der nationalen Presse.«

Die Schwierigkeiten begannen, als es darum ging, denjenigen zu finden, der nach Mailand gehen sollte, um mit leidenschaftlichen Worten den berühmten Tenor zu überreden. Peppone wandte ein, daß er gerne gegangen wäre, aber aufgrund seiner politischen Position wollte er vermeiden, daß Anteo, der aus Amerika kam und wahrscheinlich irrige Ansichten über Kommunisten hatte, veranlaßt würde, die Beweggründe des Bürgermeisters falsch zu interpretieren.

So beschloß man, um jedes Mißverständnis auszuräumen, daß mit dem Bürgermeister auch der Pfarrer fahren sollte. Und Don Camillo war gezwungen, anzunehmen. Was ihn zwang, war vor allem seine unbezähmbare Neugier, zu sehen, was nach so vielen Jahren aus dem griesgrämigen kleinen Jungen geworden war, der ein Gehör wie ein Dachziegel hatte.

Peppone war festlich gekleidet mit gebügelten Hosen, blankpolierten Schuhen, Kragen, Krawatte und Füllfeder in der Jackentasche, und er benahm sich, als ob sie ihn in- und auswendig in Stärke getaucht hätten. Die Worte kamen ihm nur bis zum Kragenknopf und kehrten dann verschreckt zurück, um im Magen zu kochen.

»Redet Ihr, Hochwürden«, sagte er, als sie vor dem großen Mailänder Hotel standen. »Redet ruhig auch in meinem Namen. Versucht aber vielleicht, mich dabei nicht allzu groben Unsinn reden zu lassen.«

»Keine Angst, Genosse«, versicherte ihm Don Camillo: »Ich werde dich den üblichen Blödsinn reden lassen.«

Lange Zeit mußten Don Camillo und Peppone warten, bis ihnen der Weg freigegeben wurde. Als sie vor Anteos Zimmertür standen, waren sie beide ziemlich aufgeregt. Ein völlig steifer Typ empfing sie.

»Ich bin der Sekretär«, erklärte er. »Der Commendatore ist sehr müde, ich bitte Sie, sich kurz zu halten.«

Anteo lag ausgestreckt im Schlafrock in einem riesigen Lehnstuhl aus rotem Samt. Er las gerade in einer Zeitung und hob langsam den Kopf.

»Bitte«, hauchte er mit ferner Stimme, »reden Sie nur.«

Peppone stieß mit dem Ellbogen Don Camillo an, der neben ihm stand und mit offenem Mund den berühmten Tenor anstarrte.

»Also«, stotterte Don Camillo, »wir sind hier, der Bürgermeister und ich, um den herzlichen Willkommensgruß des Dorfes zu überbringen.« Anteo Bigatti deutete ein schwaches Lächeln an:

»Des Dorfes?« fragte er ruhig, »entschuldigen Sie bitte, was für ein Dorf?«

Don Camillo, dem es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen war, sich zurechtzufinden, schaltete nun entschlossen den Vorwärtsgang ein:

»Unser Dorf«, antwortete er, »Ihres, meines und jenes des Herrn Bürgermeisters. Das Dorf, wo sie geboren sind, kurzerhand.«

Anteo Bigatti lächelte wiederum und verzog dabei einen Mundwinkel:

»Sehr interessant und sehr nett«, antwortete er, »wirklich ein liebenswerter Gedanke.«

Don Camillo begann Nebel zu sehen: Zum Glück war es Peppone inzwischen gelungen, seinen »Kragenkomplex« zu überwinden und seinen Worten den nötigen Atem zu verleihen:

»Commendatore«, sagte Peppone, »unser Dorf ist stolz auf Sie und hat stets mit Spannung Ihre Welterfolge verfolgt. Und so sind wir alle hier, über politische Unterschiede hinweg, um Sie um das Privileg Ihres Besuchs zu bitten.«

»Ich verstehe«, antwortete er. »Aber meine Verpflichtungen sind so wichtig und so zahlreich, daß es mir gänzlich unmöglich ist.«

Der Sekretär breitete die Arme aus und schüttelte den Kopf.

»Unmöglich«, sagte auch er, »absolut unmöglich.«

Don Camillo griff wieder ein:

»Wir begreifen völlig, was Sie sagen, Commendatore. Der berühmte Tenor muß wirklich außergewöhnlich schwerwiegende Verpflichtungen haben, wenn er nicht in der Lage ist, dem Sohn wenige Stunden zu gewähren, um nachzusehen, ob seine Eltern in einem Friedhof oder am Ufer eines Kanals begraben wurden.«

Anteo Bigatti erblaßte. Dann errötete er. Aber Don Camillo drehte, nachdem er seinen vergifteten Pfeil abgeschossen hatte, dem berühmten Tenor den Rücken zu und segelte majestätisch zur Tür. Peppone folgte ihm. Sie schafften es nicht, die Treppe zu erreichen, als schon der Sekretär keuchend herbeieilte:

»Ich bitte Sie, meine Herrn. Hier liegt ein Mißverständnis vor. Machen Sie sich keine Sorgen, lassen Sie mich machen, ich werde alles regeln und die Möglichkeit finden, die eine oder andere Verpflichtung zu verschieben. Morgen erhalten Sie ein Telegramm von mir. Inzwischen vermeiden Sie jede Erklärung an die Presse. Hier ist alles klar und einfach, und man darf nicht, was klar und einfach ist, komplizieren.« Don Camillo bemerkte, daß er den Trumpf in der Hand hatte, und ließ nicht locker:

»Sicherlich«, antwortete er: »Wir haben einen feierlichen Empfang für den Commendatore organisiert, der am Abend so nett sein wird, einige Arien für uns im Dorf auszuführen. Überdies dient dies wohltätigen Zwecken. Wir werden die Autoritäten und die Presse einladen. Eine Angelegenheit, die des Commendatore würdig ist.«

Der Sekretär schluckte das hinunter.

»Lassen Sie mich machen«, antwortete er, »sicherlich wird der Commendatore singen. Aber keine Presse, keine Autoritäten… Sonst müßte er große Strafen bezahlen, angesichts der Verträge, die er unterschrieben hat. Ja, es soll eine Familienangelegenheit sein.«

Peppone strahlte:

»Gewiß«, rief er, »Anteo und wir sind Söhne derselben Heimaterde. Eine intime Sache, eine familiäre, ohne Fremde.«

Peppone und Don Camillo verließen das Hotel und gingen ein gutes Stück schweigend. Dann seufzte Don Camillo:

»Peppone, ich sage dir, daß ich anständiger gehandelt hätte, wenn ich ihm, anstatt ihm jene Schmeichelrede zu halten, eine Ohrfeige verpaßt hätte. Gott hätte mir die Ohrfeige verziehen, aber er wird mir wohl schwer jene Worte verzeihen.«

Aber Peppone platzte vor Zufriedenheit, und er kümmerte sich nicht im geringsten um Don Camillos seelische Beklemmung.

Am nächsten Morgen kam das Telegramm. Der Commendatore sagte zu, er werde kommen und singen, und er legte den Termin fest. Peppone rückte sogleich mit einem triumphalen Plakat heraus, und das Dorf bereitete sich vor, seinen berühmten Sohn würdig zu empfangen. Der große Saal wurde erneuert: die Wände neu ausgemalt, die Türen neu gestrichen. Lautsprecher wurden aufgestellt, damit auch die Leute, die draußen bleiben müßten, was hören könnten.

Anteo Bigatti traf am Nachmittag des festgelegten Tags ein, und die Leute erwarteten ihn schon seit dem Morgen. Als auf dem Hauptplatz das riesige amerikanische Auto des Tenors erschien, blieben nicht einmal die Katzen in den Häusern.

Anteo war in miserabler Laune: Er stieg aus dem riesigen schwarzen Wagen, den der Staub der Straßen in der Bassa grau aussehen ließ. Er berührte mit seinem zierlichen Finger und dem überaus gepflegten Nagel einen Kragenaufschlag seines herrlichen zweireihigen Nadelstreifenanzugs und machte eine angewiderte Grimasse.

»Eine Zumutung: Auch ich bin voll Staub. Voll Schweiß und Schmutz! Führt mich bitte in mein Zimmer, ich muß mich wieder in Ordnung bringen.«

Die Leute klatschten und schrien: »Es lebe Anteo!«, aber Anteo hatte es nur eilig, sein Zimmer zu erreichen. Die Tatsache deprimierte ihn, daß er zwar ins Dorf mit einem herrlichen Auto gekommen war, dieses aber, weil es voller Staub war, nicht einmal mehr den halben Effekt erzielte, den es hätte erzielen können. Und dann war auch er in Unordnung. Sein Gesicht glänzte und schien abgespannt.

»Schnell, schnell, das Zimmer des Commendatore!« stöhnte schon der Sekretär, der um den Tenor herumschwirrte wie ein Jagdflugzeug um einen Bomber. Als er dann endlich das Zimmer sah, bedeckte sich der Sekretär das Gesicht mit den Händen:

»Jesus, Jesus! Das ist unmöglich! Wenigstens das Zimmer hätte ein wenig anständig sein müssen!«

Der Wirt war sehr beschämt, denn er hatte seine weißeste Wäsche aus den Schränken geholt und hatte auf die Möbel die schönsten Dinge des Hauses gestellt, einschließlich des versilberten Pokals, den er beim Kegel-Turnier gewonnen hatte.

»Schnell, das Bad!« rief Anteo, als er kam und sich auf einen Sessel warf. »Schnell, ein warmes Bad auf der Stelle, oder es geschieht ein Unglück.«

Alle waren aus dem Zimmer gegangen und standen verdattert vor der geschlossenen Tür herum. Da huschte der Sekretär heraus:

»Bitte«, flehte er, »das Bad. Das Bad, bitte. Der Commendatore ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Das Bad!«

Sie sahen einander alle ins Gesicht, dann stotterte Peppone:

»Das Bad… das Bad gibt’s nicht… Sie müssen verstehen, das hier ist ein Dorf… «

Der Sekretär sperrte die Augen auf.

»Und wie soll ich das dem Commendatore sagen? Hier geschieht noch eine Tragödie!«

»Wir setzen sogleich Wasser auf und richten den Wäschebottich her!« schlug der Wirt vor. Aber der Sekretär beachtete ihn nicht einmal. Er meinte, daß man ein Bad finden müßte.

»In der Palazzina gibt es ein Bad!« rief der Schmächtige. »Wir richten es her, und so wird er das Bad dort nehmen.«

Peppone, der Schmächtige und der Graue liefen zur Palazzina, und der Frau Hauswart sagten sie, daß sie nicht der Schlag treffen solle, weil sie aus Gründen des Gemeinwohls das Bad requirieren müßten.

Tatsächlich gab es das Bad. Der verrückte Trambini hatte es im Jahr 1920 installieren lassen, als ihn die adelige Manie überkam. Der Badwärmer wurde mit Holz betrieben und war einer jener hohen kupfernen Kästen. Die Wanne aus emailliertem Eisen war gelb vor Dreck und voller Kartoffeln und Zwiebeln.

Der Schmächtige eilte in die Werkstatt, um eine Säure zu holen, und während der Graue und die Alte sich beeilten, die Wanne und die Kammer auszuräumen, machte sich Peppone an den Heizkessel heran. Er arbeitete fieberhaft, und es gelang ihm, ihn mit Wasser anzufüllen. Er war dicht, und Peppone zündete das Feuer an.

Als der Schmächtige eine Viertelstunde später mit der Säure zurückkehrte, explodierte der Heizkessel. Die Mannschaft machte sich traurig auf den Rückweg und fand vor dem kleinen Gasthof den Sekretär vor, der sie mit finsterer Miene erwartete.

»Wir haben das Bad gefunden«, erklärte Peppone, »aber der Heizkessel ist explodiert.«

Der Sekretär sah ihn an, dann sagte er mit einer Stimme, die vor Ekel zitterte:

»Das macht nichts. Der Commendatore nimmt gerade ein Bad in einem Wäschetrog!«

Die Leute hatten sich alle vor dem Gasthof versammelt und warteten. Sie wußten, daß Anteo Bigatti ein Bad nahm, und respektierten sein Ruhebedürfnis.

Nach einer halben Stunde begann man in die Hände zu klatschen und zu rufen: »Es lebe Anteo!«, »Raus mit Anteo!« Es kam die Musikkapelle, die ihre stärkste Nummer anstimmte, und Anteo mußte sich am Fenster zeigen. Er trug einen wunderschönen seidenen Morgenrock, lächelte und winkte mit der Hand, auf der ein riesiger Brillant in der Sonne blinkte. Dann ging der Sekretär hinunter und bat die Leute, den Commendatore in Ruhe zu lassen, da er Erholung und Stille benötige.

Es schien, daß alles endlich ruhig war und gut vorangehen sollte, doch gegen Abend verlangte der Commendatore etwas zu essen, und sie brachten ihm einen Riesenteller mit Salami und Schweinswurst, eine gebratene Ente und einen Berg Lasagne.

Der Sekretär fing fast zu weinen an:

»Etwas zu essen für einen Sänger, nicht für eine Löwenmutter!« jammerte er: »Leichte Sachen, eine kleine kräftige Brühe, eine Scheibe Magerschinken, eine Gurke, ein bißchen Portwein…«

Der Wirt, der sechs Schweins- und acht Salamiwürste angeschnitten hatte, bevor er zwei perfekte Stücke gefunden hatte, fühlte seine Kräfte schwinden.

Das Süppchen, das auf die schnelle Tour gemacht wurde, erwies sich als ungenießbar, der Schinken schmeckte ranzig, der Lambrusco konnte nicht einmal entfernt an den Portwein erinnern. Die Gurke mußte durch ein schreckliches Büschel Radieschen ersetzt werden. Der Commendatore sah wie Zeus aus, dem man statt Nektar eine Scheibe Mortadella vorgesetzt hatte.

Inzwischen galoppierten die Stunden, der Saal war gesteckt voll, der Hauptplatz gefüllt. Auch das war alles schlimm, denn nachdem er wie ein Panzer arbeiten mußte, um die Leute auf dem Platz auseinanderzubringen, fand Anteo Bigatti den Saal eben gesteckt voll, der aber ganz leer sein sollte, damit der Commendatore sich mit dem Pianisten absprechen und Töne und Akustik prüfen konnte.

So wurden die Leute alle gezwungen, hinauszugehen, und das war ein Chaos. Und dann gab es auch noch das Unglück mit dem Pianisten, der nichts verstand. Schließlich klappte alles aber doch, und die Leute durften in den Saal zurück.

Peppone hatte sich einen schönen schwarzen Anzug ausleihen müssen, in dem er schier platzte. Als die Musikkapelle auf dem Platz die Nationalhymne spielte, schritt er zur Bühne vor und führte mit einer majestätischen Geste Anteo Bigatti ein, der einen vorzüglich sitzenden Frack des besten Schneiders vom Piccadilly trug. Der Applaus war furchterregend. Anteo verbeugte sich lächelnd, wie er es getan hätte, wenn er statt im Saal seines Dorfs auf der Bühne der Metropolitan Opera gestanden hätte.

Peppone wickelte eine gewaltige Rede ab, die mit den Worten schloß: »Und jetzt möchten wir, daß der große Anteo Bigatti, unser großer Anteo, bevor er zu singen beginnt, ein paar Worte an seine Freunde richten möge.«

Die Sache war Anteo schrecklich unangenehm, und nachdem er ziemlich lange gezögert hatte, ging er ins Proszenium und sagte mit gleichgültiger Stimme:

»Ich singe für Euch>Celeste Aidac.«

Die Leute schwiegen und betrachteten Anteo Bigatti, der langsam die statuengleiche Pose der göttlichen Stimme einnahm, die dabei ist, der schmutzigen und stinkenden Welt einen der wundervollen Juwelen aus ihrem Schrein zu schenken.

Alles geschah unter völligem Schweigen. Einem fast übernatürlichen Schweigen. Anteo Bigatti war bereit, und der riesige Brillant an seinem Finger explodierte mit tausend Strahlen.

Das Klavier leitete ein. Die Lippen Anteos öffneten sich. Die Stimme trat heraus, und die Leute waren wie erschrocken. Sie hielten den Atem an, aus Angst, die Luft zu trüben, in der sich jener silberne Gesangsfaden spannte. Und nachdem er sich gespannt hatte, begann er in langsamen Drehungen allmählich hochzusteigen, bis er dann die ersten Sterne am Himmel erreichte und dort einen Augenblick verweilte, um einen Schwung zu holen, der ihn auf die Spitze des Unendlichen gebracht hätte. Und an dieser Stelle brach unerbittlich und unmißverständlich ein gewaltiger und fürchterlicher Mißton aus.

Ein atomarer Mißton, der Anteo Bigatti erschreckte und den Leuten das bißchen Atem nahm, das ihnen geblieben war.

Aber das war nur die Frage einer Zehntelsekunde. Sogleich brüllte eine Stimme los:

»Emporio, geh und sing in Argentinien!«

Und hundert weitere platzten los:

»Pitacio, geh zu Bett!«

»Pitacio!… Pitacio!… Pitacio!«

Es war so etwas wie eine Rebellion, ein Aufstand, eine Revolution. Es war ein wilder unbarmherziger Aufschrei. Ein wütendes Zischen von hundert Dampfdruckkesseln.

Dann spritzte ein Lachstrahl mitten im Saal hoch, und andere Lachstrahlen schossen ein wenig überall hoch, bis das Lachen ein reißender Fluß wurde. Anteo Bigatti erblaßte und blieb eine Weile unbeweglich stehen, dann schlüpfte er durch die kleine Bühnentür und verschwand. Wenige Minuten später betrat er den Gasthof.

»Armer Emporio Pitacio, jetzt haben sie dir wohl Magerschinken und Gurke gegeben!« schrie ihm grinsend der Wirt nach.

Anteo Bigatti packte nicht einmal die Koffer. Mit Hilfe des Chauffeurs und des Sekretärs raffte er planlos seine Sachen zusammen und warf sie ins Auto. Der riesige Buick setzte sich in Bewegung und verschwand eilig im Nebel.

Es war neun Uhr. Die Leute setzen ihr Lachen bis ein Uhr fort, dann gingen alle zu Bett, weil sie es vor lauter Lachen nicht mehr aushielten. Um halb zwei platzte und verlosch der letzte »Pitacio«-Schrei, und um zwei Uhr versank das Dorf in bleischweren Schlaf.

Der Hauptplatz war menschenleer. Die Lampen bewegten sich nicht, weil kein Windhauch wehte. Um Viertel nach zwei huschte ein riesiges schwarzes Gespenst bis zum Ende des Platzes und blieb dort stehen. Ein Mann stieg aus dem Schatten des Gespensts, und als er zur Mitte des Platzes kam, blieb er wieder stehen.

Plötzlich durchschnitt eine sehr hohe Stimme wie mit einer Klinge die Stille. Und die Stimme wurde immer kräftiger, bis sie ein voll entfalteter Gesang wurde. Ein Gesang, der schnell den Laubengang um den Platz herum durchlief, dann bis zum Himmel und die Nacht erfüllte.

Alle erwachten, öffneten die Fenster und betrachteten verwundert durch den offenen Spalt der Jalousien Emporio Pitacio, der zurückgekommen war und nun mitten auf dem menschenleeren Platz sang.

Eine, zwei, fünf, zehn Arien; eine nach der anderen, eine schwieriger als die andere, und die letzte war gerade jene, die Emporio wenige Stunden vorher im Saal unterbrechen mußte: »Celeste Aida«.

Als er an jene hohe Stelle kam, wo der Mißton losgegangen war, sprang seine Stimme los, um jene Note zu entern, die vielleicht niemand bislang auch nur streifen konnte, und er faßte sie fest am hohen Stiel und pflückte sie wie eine Blume, und wie eine Blume legte er sie vor den staubigen Rolladen mit der verblaßten Aufschrift: GIOSUE BIGATTI & SOHN (EMPORIO – (WARENHAUS) Haushaltsartikel

Dann kehrte Emporio Pitacio in seinen großen Wagen zurück und verschwand. Niemand atmete, die Jalousien schlossen sich leise, und Don Camillo, der auch aufgestanden war, um zuzuhören, ging wieder zu Bett und flüsterte:

»Herr Jesus, macht, daß die Seelen seiner Eltern ihn gehört haben.«