SECHS
Santa Barbara, Kalifornien
Der Abendverkehr auf dem Highway 101 war dicht, als Liz in ihrem Toyota-Sportwagen zur Party des Dekans fuhr. Sie war angespannt und überdreht und befand sich ganz in den Klauen des Fight-or-Flight-Syndroms, dieses atavistischen Überlebensmechanismus, der in den subkortikalen Bereich des menschlichen Gehirns einprogrammiert ist. Sie war wie ein Auto, dessen Fahrer mit einem Fuß das Gas voll durchdrückte und mit dem anderen voll auf der Bremse stand. Die friedliche, geordnete Welt, die sie sich in den vergangenen fünf Jahren geschaffen hatte, war mit einem Schlag zertrümmert worden, und das hatte sie gewaltig ins Rotieren gebracht.
Sie hatte Kirk eine Nachricht hinterlassen, in der sie ihm kurz schilderte, was passiert war, und ihn bat, sich genau zu erinnern, was er bei seinem Anruf im Sheriff’s Department gesagt hatte. Dann machte sie sich auf die Suche nach jemandem, der vielleicht einen Fremden gesehen hatte, der in ihr Büro eingebrochen war, oder einen Jogger, der sie vom Kliff gestoßen hatte, oder den falschen Deputy, der mit ihr gesprochen hatte. Nachdem sie nichts Brauchbares herausgefunden hatte, stornierte sie ihren Paris-Urlaub und hinterließ auf Sarahs Handy eine Nachricht, um sich deswegen zu entschuldigen. Sie musste so lange in Santa Barbara bleiben, bis sie die Wahrheit aufgedeckt hatte.
Sie war bereits in Verzug gewesen, als sie nach Hause gefahren war, um sich für die Party umzuziehen. Und dort kam es zu einer jener unerfreulichen Wendungen, die einen erschrocken innehalten lassen. Sie war angegriffen worden. Irgendeine mächtige Organisation wollte ihren Tod. Natürlich brauchte sie eine Schusswaffe, um diese Leute erledigen zu können, bevor diese Leute sie erledigten. Sie war als Erstes zu ihrem Wandsafe gegangen, hatte ihre alte 9mm Walther herausgenommen – sie war gereinigt und gut geölt – und hatte sie geladen.
Ihre Handgriffe waren flüssig und hatten etwas von der Tröstlichkeit unermüdlichen Trainings. Aber sie hatten auch alles wieder heraufbeschworen: Ihre dreijährige Außendiensttätigkeit für die CIA – die langen Phasen der Langeweile, akzentuiert von schweißtreibenden Spitzen höchster Gefahr. Ihre Machtlosigkeit, als ihr Mann vom islamistischen Dschihad gefangen genommen und ermordet wurde. Die Zeit in Lissabon, wo sie schockierte Zeugin der letzten blutigen Einsätze des Carnivore geworden war. Dann die drei gefährlichen Jahre im Untergrund, als sie mit ihren Eltern, ständig auf der Flucht, untergetaucht war, während sie gleichzeitig versucht hatte, ihre Rückkehr aus der Kälte vorzubereiten.
Sie blickte auf die Pistole in ihrer Hand hinab. Ein Teil von ihr wollte den Schutz durch die Waffe, so oberflächlich er auch sein mochte. Gewalt konnte so einfach sein, so eine verlockende Lösung. Aber letzten Endes biss sie sich selbst in den Schwanz, bis sie zu einem sinnlosen, sich selbst rechtfertigenden Kreislauf wurde, der wesentlich mehr Probleme schuf als löste. Gewalt korrumpierte Individuen und Gesellschaften.
Sie schüttelte energisch den Kopf. Nein. Sie wollte sich nicht noch einmal verführen lassen. Es musste andere Möglichkeiten geben, auf diese Angriffe zu reagieren. Sie entlud die Pistole, legte sie in den Safe zurück, zog sich an und ging wieder nach draußen zu ihrem Auto. Sie käme zwar ziemlich spät zu der Party, aber das machte nichts. Sie musste sich eine Weile alles aus dem Kopf schlagen und abschalten und eine neue Perspektive finden. Und sie musste mit Kirk über den Mann sprechen, der sich als Harry Craine ausgegeben hatte.
Im letzten schwachen Licht des Tages war die blutrote Bougainvillea, die an Dekan Derrick Quentins Veranda emporwucherte, ein leuchtender Farbklecks vor dem weißen Hintergrund der Hauswand. Liz hatte nur ihre Handtasche dabei, als sie an der Bougainvillea vorbei das Haus betrat, wo die Party bereits in vollem Gang war. Kollegen grüßend, bestellte sie einen großen Martini Belvedere, den sie dringend nötig hatte, und mischte sich unter die Gäste. Fast alle hatten von dem Überfall auf sie gehört, und sie erzählte die Geschichte immer wieder, während sie nach Kirk suchte. Mehrere Leute erwähnten, dass auch er nach ihr suchte.
Als sie ihren Martini schließlich ausgetrunken hatte, ließ sie das Glas in der Küche stehen und ging durch die Maschendrahttür in den Garten hinter dem Haus. Ein Dutzend Professoren standen auf der Terrasse, tranken und diskutierten in der hereinbrechenden Dämmerung über Freud und Jung und Rank, aber Kirk war nicht unter ihnen.
Sie ging nach vorn zur Veranda. Der Martini hatte ihre Anspannung etwas abzubauen geholfen, und sie streifte mit den Fingern über die Bougainvillea. Tropisch üppig rankte sie sich den ganzen Giebel des dreigeschossigen Hauses hinauf. Während sie die herrlichen Blüten bewunderte, hörte sie jemand ihren Namen sagen. Neugierig spähte sie zwischen den dichten Blättern hindurch.
Kirk und der Dekan standen auf der Seite des Hauses und unterhielten sich leise. Hinter ihnen fuhr ein Taxi die Straße hinunter, aber trotz des Motorengeräuschs versuchte sie, der Unterhaltung zu folgen.
»Ich musste Helios wegen Liz sofort Bescheid geben«, rechtfertigte sich Kirk. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Sie wissen, er will umgehend informiert werden, wenn etwas außer der Reihe passiert.«
Erstaunt zog Liz die Augenbrauen hoch. Wer war Helios? Kirk informierte jemanden über sie?
»Dass Sie allerdings Liz gegenüber so getan haben, als hätten Sie im Sheriff’s Department angerufen, war verdammt riskant, Kirk«, sagte der Dekan. »Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, und sie könnte es ohne weiteres merken. Das wäre eine Katastrophe.«
Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Kirk hatte gelogen?
Kirk lachte leise. »Das wird sie nicht. Sie ist in mich verliebt. Sie vertraut mir. Was tatsächlich passiert ist, wird ihr nie in den Sinn kommen …«
Wut flammte in ihr auf. Was bildete sich dieser selbstgefällige Dreckskerl … Was? Was hatte er da gesagt?
Kirk redete immer noch. »Außerdem haben Sie doch selbst gesehen, wie schnell Helios diesen falschen Deputy geschickt hat, um mit ihr zu sprechen. Die Stiftung wollte die Cops offensichtlich heraushalten. Und Sie werden mir doch Recht geben, dass wir uns unbedingt an unsere Abmachungen mit der Stiftung halten müssen, oder nicht?«
Liz biss die Zähne aufeinander, um nicht auf der Stelle zu explodieren. Warum erstatteten Kirk und der Dekan Meldung über sie? Was ging da vor sich? Dieser Dreckskerl Kirk hatte sie hintergangen, und der Dekan ebenfalls. Noch beunruhigender war allerdings, dass der Auftraggeber der beiden, ein gewisser »Helios«, offensichtlich über enorme Macht und weitreichende Mittel verfügte und dass, wie sie befürchtet hatte, eine größere Organisation – »die Stiftung« – hinter dem Ganzen steckte.
Sie fand eine größere Öffnung in der Bougainvillea. Die zwei Männer standen unter einem Pfefferbaum dicht beieinander. Kirks Haltung war kerzengerade – keine Spur von der üblichen angetrunkenen Schlaffheit, in die er auf Partys rasch verfiel. Im Vergleich mit ihm war der Dekan klein und schmächtig, aber sein Blick war scharf wie der einer Klapperschlange, und er wirkte genauso nüchtern wie Kirk.
Kirk fuhr fort: »Weiß Gott, wie die Aylesworth-Leute reagiert hätten, wenn ich es nicht gemeldet und die Polizei Wind davon bekommen hätte.«
»Trotzdem gefällt mir die Sache nicht. Ganz schön beunruhigend. Bisher hat unser Arrangement bestens funktioniert. Alle haben davon profitiert, besonders Liz. Vor fünf Jahren hätte ihre Qualifikation auf keinen Fall für einen so renommierten Lehrstuhl ausgereicht.«
Diese Schweine! Alle miteinander! Dann steckte also die Aylesworth Foundation dahinter – worum auch immer es sich dabei handelte. Ja, ihre Qualifikation war nicht ausreichend gewesen, aber ihre Ernennung … Liz gestattete sich nicht, die Verleihung ihres Lehrstuhls vor sich zu rechtfertigen. Im Augenblick war das das geringste ihrer Probleme.
Besorgt und wütend zugleich beugte sie sich vor. Sie wollte kein Wort verpassen.
»Wir haben davon profitiert, ohne Frage.« Kirk lachte. »Nicht, dass ich mir da etwas vormache. Ich hätte nie einen so bequemen Job an einer so großen Universität bekommen, wenn Helios mich nicht damit beauftragt hätte, sieben Tage die Woche rund um die Uhr ein Auge auf Liz zu werfen.«
»Das ist natürlich richtig«, sagte der Dekan. »Der Verwaltungsrat war nicht unglücklich über die zwei mit Drittmitteln finanzierten Lehrstühle, die ich da an Land gezogen hatte, und für den Institutshaushalt war es auch kein Schaden. Trotzdem würde ich gern wissen, warum er sie hier unterbringen wollte. Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, dieser Überfall heute und der Einbruch in ihrem Büro müssen etwas mit unserem Arrangement zu tun haben.« Er runzelte die Stirn. »Ich mache mir Sorgen, dass wir da vielleicht für irgendwelche hochbrisanten Zwecke eingespannt werden, von denen wir gar nichts wissen, und dass das Ganze eines Tages auf uns zurückfällt und uns schadet.«
Liz kochte innerlich vor Wut. Ihr Lehrstuhl, ihre Sonderstellung an der Universität, ihre Forschungsarbeit – das alles war von diesem Helios und der Aylesworth Foundation initiiert worden. Nicht, weil man ihre Arbeit und ihre Ideen über das Wesen der Gewalt für relevant hielt, sondern weil irgend so ein Arschloch mit einem Decknamen wissen wollte, wo sie war und was sie tat.
Außer sich vor Wut, wandte sie sich der Treppe zu, die in den Garten hinunterführte. Wörter, Sätze, ganze Absätze des Abscheus durchfluteten sie. Nachdem sie ihnen in aller Deutlichkeit gesagt hätte, wie verabscheuenswürdig sie waren, würde sie alles aus ihnen herausbekommen, was sie wussten. Alles, was ihnen gesagt worden war. Alles. Wie war Helios’ richtiger Name? Waren sie ihm einmal begegnet? Zumindest eine Telefonnummer musste es geben, unter der sie ihn angerufen hatten, um ihm Bericht zu erstatten.
Sie hielt inne. Mit angehaltenem Atem blieb sie im Schutz der Bougainvillea stehen. Ihre Aufmerksamkeit verlagerte sich auf den Bürgersteig vor dem Haus. Irgendetwas hatte sich dort verändert – ein Schatten war vorbeigehuscht, ohne dass es dafür einen Anlass gab. Sie verfolgte ihn zu der Silhouette eines Mannes, der an dem weißen Lattenzaun, der den Garten umgab, hinter einem Baum stand. Sie blickte wieder zu Kirk und zum Dekan. Sie schauten auf das Haus, nicht auf die Straße.
Den Zaun als Deckung benutzend, bewegte sich der Schatten den Bürgersteig entlang und beobachtete dabei das Haus und den Garten. Wegen der senkrechten Zaunlatten war es unmöglich, sein Gesicht ganz zu sehen. Aber etwas daran kam ihr bekannt vor. Erschrocken erkannte sie den Mann wieder – es war der »Deputy Sheriff«, der am Nachmittag ihre Aussage zu Protokoll genommen hatte.
Im selben Moment hatte sie bereits eine Entscheidung getroffen. Das erbärmliche Duo im Garten konnte warten. Der Mann auf der dunklen Straße kam direkt von Helios. Er war derjenige, der sie direkt zu Helios und den Hintergründen des Überfalls auf sie führen konnte. Lautlos machte sie kehrt und ging auf demselben Weg, auf dem sie gekommen war, auf die andere Seite des Hauses zurück, wo die Gefahr, gesehen zu werden, am geringsten war. Sie streifte sich den Riemen ihrer Handtasche über den Kopf und warf sich die Tasche auf den Rücken, wo sie ihr nicht hinderlich wäre, falls sie laufen musste. Sie setzte die Füße möglichst lautlos auf.
Als sie die Vorderseite des Hauses erreichte, spähte sie um die Ecke. Die langen violetten Schatten des hereinbrechenden Abends fielen über Quentins Vorgarten auf die von alten Jacaranda-Bäumen gesäumte Straße. Es waren etwa ein Dutzend Autos zu sehen, aber von dem falschen Deputy keine Spur.
Liz rannte die Treppe hinunter und über den langen Weg zum Gartentor, wo sie sich auf die Hacken niederließ, um erneut den Bürgersteig hinunterzuspähen. Immer noch nichts. Sie konzentrierte sich ganz aufs Lauschen. Aus dem Haus drangen gedämpftes Gelächter und Gesprächsfetzen der Partygäste nach draußen. Dann hörte sie links von sich eine Autotür auf- und zugehen … ein Stück die Straße hinauf. Sie erkannte das Geräusch sofort – es kam von einem automatischen Fensterheber.
Liz öffnete das Gartentor und schlich auf das Geräusch zu. Sie kam an einem Jacaranda-Baum und zwei Autos vorbei und beobachtete die Schatten unter den Straßenlaternen. Wind kam auf und brachte das Laub zum Rascheln, während sich die Zweige, wie in einem seltsamen Schwebezustand, nicht bewegten. In der Luft lag der unverkennbare Geruch von frisch gemähtem Gras.
Sie schaute zum Haus zurück, das inzwischen fast nicht mehr zu sehen war, und dann wieder auf den verlassenen Bürgersteig und die stille Straße, die sich die sanft gewellten Hügel hinaufschlängelte. Von irgendwo dort oben ertönte das schrille Jaulen eines Kojoten.
Wohin war der Mann verschwunden? Wachsam schlich sie weiter den Hügel hinauf. Und blieb stehen, lauschte, spürte … Fast schien es, als pflanzten sich die leise laufenden Schritte durch den Bürgersteig bis in ihr Bewusstsein fort. Sie wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um in der linken Hand einer dunkel gekleideten, maskierten Gestalt ein Messer aufblitzen zu sehen.
In der Absicht, sie niederzustechen, stürzte sich der Angreifer von hinten lautlos auf sie.
Von einem heftigen Adrenalinstoß aufgeputscht, wich sie aus und versuchte auf die Straße hinaus zu entkommen, wo die Beleuchtung besser war. Aber sie blieb mit einem Fuß an einer Baumwurzel hängen und verdrehte sich den Knöchel. Sie stolperte, und ihre Handtasche schlug gegen ihren Rücken.
Im selben Augenblick war er bereits neben ihr. Er legte den rechten Arm um ihre Kehle und riss sie in den Schatten des Baumes zurück. Er hatte dieselbe Größe wie der Mann, der sie vom Kliff gestoßen hatte. Nach Luft schnappend, leistete sie nur schwachen Widerstand und tat genau das, was ein gründlich ausgebildeter Angreifer zu erwarten gelernt hatte: Sie griff mit beiden Händen nach seinem Arm und wand und wehrte sich und versuchte sich loszureißen. Ihr einziges Plus waren die vielen Jahre, die sie intensiv Sport getrieben hatte. Sie war kräftig und beweglich. Sie spürte, dass er Mühe hatte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Aber sein Arm drückte ihr weiter die Kehle zu. Sie atmete keuchend und unterdrückte den Impuls, ihm den Arm zu zerkratzen. Stattdessen rammte sie beide Ellbogen in ushiro-empi-uchi-Stößen nach hinten. Ein Ellbogen traf den Angreifer an der Seite, und sie spürte mehr, als dass sie hörte, wie er ein Ächzen unterdrückte.
Einen Augenblick lang lockerte sich der Griff um ihren Hals. Sie versuchte zu schreien, aber er drückte sofort wieder fester zu. Sie wehrte sich heftiger, zappelte und wand sich, um Atem ringend, in der dunkler werdenden Nacht. Vor Sauerstoffmangel wurde ihr schwindlig.
Als sie das Messer im Licht der Straßenlaterne aufblitzen sah, überkam sie kurz heftige Panik. Er wollte ihr von links ins Herz stechen. Wenn er schlecht traf, wäre ihr Tod langsam und schmerzhaft. Sie würde verbluten. Wenn er dagegen gut traf, wäre sie in wenigen Sekunden tot.
In ihrer Verzweiflung merkte sie, es gab noch einen Hoffnungsschimmer: Seine Aufmerksamkeit war jetzt ganz auf das Messer gerichtet, und sie hatte auch eine Waffe – ihre Handtasche, die immer noch an ihrem Rücken hing.
Mühsam nach Atem ringend, beobachtete sie, wie er mit dem Messer ausholte, um zuzustechen. Sie musste den richtigen Zeitpunkt abpassen und sich zunutze machen, dass seine ganze Aufmerksamkeit auf das Messer gerichtet war …
Plötzlich stieß er damit nach ihr. Im selben Moment warf sie sich nach rechts und drehte sich mit dem ganzen Gewicht herum. Dadurch konnte sie sich kurz von ihm lösen, und ihre Handtasche schwang nach links.
Mit der Wucht einer vorschnellenden Faust traf das Messer die Handtasche und durchbohrte sie. Liz zuckte zurück, aber die Spitze ritzte sie nur ganz leicht. Der Griff des Arms um ihren Hals lockerte sich, und der Angreifer versuchte fluchend, das Messer herauszuziehen.
Sofort riss Liz noch einmal die Arme hoch. Aber statt wie zuvor zu versuchen, seinen Arm von ihrem Hals wegzuziehen, drückte sie ihn diesmal mit aller Kraft nach oben und grub ihre Zähne durch den Stoff in seinen Unterarm. In ihren Mund spritzte Blut.
Er stöhnte und versuchte sich loszureißen.
Schwitzend und mit brennenden Lungen verbiss sie sich wie ein Pitbull nur noch fester. Als sein Arm in einem Schwächeanfall zu zittern begann, ließ sie ihn los und entwand sich ihm. Im selben Moment löste sich das Messer aus ihrer Handtasche.
Er drehte sich und geriet kurz aus dem Gleichgewicht. Das war ihre Chance. Vielleicht ihre einzige.
Sie lehnte sich zurück und setzte zu einem Tritt nach seinem Kinn an. Er bekam große Augen hinter seiner Maske, als ihn ihr Fuß traf. Sie hatte genau den richtigen Augenblick abgepasst – als er angreifbar war –, und er wusste es. Ein kurzes Aufblitzen von Wut, dann zuckte sein Kopf zurück. Von der Wucht des Tritts herumgewirbelt, drehte er sich hilflos um seine eigene Achse und fiel bäuchlings in das Gras neben dem Bürgersteig. Dort blieb er, sein Körper von dem Sturz seltsam verdreht, reglos liegen.
Schwer atmend stand Liz über ihm und sah sich nach dem Messer um. Sie rieb sich die Kehle und schluckte mehrmals. Wo war das Messer?
Und dann dämmerte es ihr. Bestürzt sah sie auf den am Boden liegenden Mann hinab. Seine Hüften waren angewinkelt, die linke oben, ein Fuß unter dem anderen Bein, eine Hand unter dem Oberkörper. Aber seine Brust lag flach auf dem Gras.
Kopfschüttelnd schlang sie die Arme um ihren Körper.
Fast im selben Moment hörte sie Schritte. Sie wollte schon wegrennen, doch dann sah sie, wer es war. Drei Meter weiter kam der falsche Deputy zwischen zwei geparkten Autos hervor und ließ die SIG Sauer 9mm in seiner Hand sinken. Er nickte ihr zu, steckte die Waffe weg und ging auf den Angreifer zu. Wortlos wälzte er ihn auf den Rücken. Das Messer steckte in der Brust des Mannes, der Griff immer noch in seiner blutigen Hand.
Liz schaute weg. Erinnerungen an die Gewalt und das ganze Morden in ihrer Vergangenheit schossen ihr durch den Kopf. Der Angreifer, ein Fremder, war ihretwegen tot. Er hatte sie umzubringen versucht, aber sie fragte sich, ob das wirklich eine Rolle spielte. Letztendlich war sein Tod genauso unnötig, wie ihrer es gewesen wäre.
Der falsche Deputy sah zu ihr hoch. »Nicht übel. Helfen Sie mir, ihn zu Ihrem Auto zu schaffen.«
»Wer sind Sie?«, fragte sie. »Wer hat Sie geschickt?«