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Niemand schenkte dem Mann, der das Polizeigebäude durch einen Seiteneingang betrat, besondere Aufmerksamkeit. Er schien einer der zahlreichen Journalisten zu sein, die zu der Pressekonferenz in den City Police Barracks von Savannah erschienen waren.
Ohne seine weiße Kutte und die Kapuze sah er wesentlich zivilisierter aus als in der vergangenen Nacht. Nur seine leicht geröteten Augen erinnerten daran, dass er als Großmeister bei dem Lynchmord dabei gewesen war.
Die Pressekonferenz fand im ersten Stock statt. Der Lieutenant in seiner Paradeuniform, Special Agent Matthew Sunflower in einem Maßanzug und der Pressesprecher der Polizei saßen auf dem Podium und entledigten sich der unangenehmen Pflicht, die nach einem so grausamen Mord wie an Homer Middleton unabdingbar war. Alle Fernsehstationen und Zeitungsredaktionen des Countys waren vertreten.
Der Pressesprecher begrüßte die versammelten Medienvertreter, betonte die gute Zusammenarbeit zwischen Behörden und Presse, eine Bemerkung, die den meisten Journalisten ein spöttisches Lächeln entlockte, und schilderte in nüchternen Worten, was auf der Middleton-Farm geschehen war. »Die Savannah Police und das FBI werden natürlich alles daransetzen, um den Mörder so schnell wie möglich festzunehmen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Wir sind dem Killer mit allen verfügbaren Einheiten auf der Spur.« Er zeigte sein professionelles Lächeln und fuhr fort: »Bevor Sie Ihre Fragen stellen, möchte ich Special Agent Matthew Sunflower vom FBI und Lieutenant Frank Stabler vom Savannah-Chatham Metropolitan Police Department bitten, kurz ihre Sicht der Dinge zu schildern. Lieutenant …«
Sehr zum Missfallen von Sunflower ergriff der Lieutenant zuerst das Wort. Nach den üblichen Floskeln und Beschwichtigungsformeln sagte er: »Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Ihnen noch keine konkreten Ermittlungsergebnisse mitteilen können, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir allen Spuren gewissenhaft nachgehen.«
»Special Agent Sunflower …«
Sunflower hatte sich sorgfältig auf seinen ersten Auftritt vor den versammelten Medien von Savannah vorbereitet und trank einen Schluck Wasser, bevor er das Mikrofon zu sich heranzog und das Wort ergriff: »Ich freue mich, Sie alle kennenzulernen, meine Damen und Herren. Wir vom FBI haben die Leitung in diesem heiklen Fall übernommen, weil der Doppelmörder, mit dem wir es hier zweifelsfrei zu tun haben, in zwei Bundesstaaten aktiv war und anscheinend den Eindruck erwecken will, den berüchtigten Ku-Klux-Klan zu neuem Leben zu erwecken. Seit den Sechzigerjahren, in denen auch das FBI und die Polizei – das können wir nicht leugnen – eine sehr zweifelhafte Rolle bei der Aufklärung rassistisch motivierter Verbrechen spielten, ist viel Zeit vergangen, und wir alle freuen uns, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten seitdem mit neuen Gesetzen gestärkt wurde. Deshalb, und das sage ich besonders den afroamerikanischen Vertretern unter Ihnen, werden wir mit allem Nachdruck verhindern, dass es zu einem neuen Aufflammen der Rassenunruhen von damals kommt. Die Männer, die Homer Middleton auf widerwärtige Weise gelyncht haben, haben weder etwas mit dem Klan von damals noch mit einer terroristischen Vereinigung zu tun – sie sind eine gemeine Verbrecherbande, weiter nichts. Wir werden sie fassen, meine werten Damen und Herren, das verspreche ich Ihnen im Namen des FBI.«
Der Mann, der durch den Seiteneingang gekommen war und lässig an einem Pfeiler lehnte, lachte sich innerlich ins Fäustchen. Habt ihr eine Ahnung, dachte er, während ihm ein Bekannter zuwinkte, es kommt noch viel schlimmer, als ihr euch vorstellen könnt. Der Ku-Klux-Klan ist zurück!
Niemand ahnte, dass der Killer unter ihnen war, auch Melinda Stone nicht, die mit ihrem Kameramann wie immer in der ersten Reihe stand und die erste Frage stellte, noch bevor der Pressesprecher dazu auffordern konnte: »Special Agent Sunflower, Sie sind also auch der Meinung, dass wir es mit einem Serienkiller zu tun haben, der sowohl den Mord an Angela Rydell als auch den Lynchmord an Homer Middleton auf dem Gewissen hat?«
»Alles spricht dafür, Miss.«
»Und warum waren die Polizei und das FBI dann nicht in der Lage, den Lynchmord zu verhindern? Nachdem der Killer den ersten Mord des Klanführers Jeremy Hamilton kopierte und die Tochter des damaligen Opfers auf die gleiche Weise umbrachte, lag es doch nahe, dass er sich beim zweiten Mal einen Angehörigen von Abraham Middleton schnappen würde, dem wahrscheinlichen zweiten Opfer von Hamilton. Warum haben Sie nichts unternommen, Special Agent Sunflower?«
»Aber das haben wir doch, Miss Stone.« Er hatte sich den Namen der Reporterin vom Pressesprecher ins Ohr flüstern lassen. »In der näheren Umgebung gibt es nur zwei Angehörige von Abraham Middleton, die wir beide rund um die Uhr bewachen ließen. Aber wie Sie sicher wissen, ist ein vollkommener Schutz so gut wie unmöglich, es sei denn, wir hätten die möglichen Opfer in Schutzhaft genommen. Dem Killer ist es gelungen, unseren Schutzring zu durchbrechen.«
»Mit sieben Klansmännern?« Als erfahrene Reporterin spürte Melinda Stone, dass sie den FBI-Agent in die Enge getrieben hatte. »Könnte es sein, dass Ihr Schutzring nur aus einem Streifenwagen bestand, der zu jeder vollen Stunde an der Farm vorbeifuhr und sie aus der Ferne betrachtete?«
Sunflower beherrschte seinen aufwallenden Zorn, verlor aber sein überlegenes Lächeln. »Wir haben getan, was in unserer Macht stand, Miss Stone. Es gab in dieser Nacht noch etliche andere Unruheherde in Savannah und Umgebung, das kann Ihnen Lieutenant Stabler sicher bestätigen, und unsere personellen Möglichkeiten waren sehr begrenzt, von denen des Sheriffs von Effingham County, in dessen Zuständigkeitsbereich der Mord eigentlich fällt, ganz zu schweigen. Es sprach nichts dafür, dass der Mörder von Angela Rydell beim zweiten Mal mit sieben Männern zuschlagen würde. Wenn ich mich recht erinnere, kam dieser Verdacht auch in den Abendnachrichten Ihres Senders nicht auf. Sie können aber sicher sein, dass es einen weiteren Mord nicht geben wird.« Er befand sich wieder auf sicherem Terrain. »Noch einmal wird es diesem dreisten Killer und seinen vermummten Mitläufern nicht gelingen, uns zu überlisten. Das FBI hat die Leitung dieses Falls übernommen, und Sie können versichert sein, dass wir mit aller Macht daran arbeiten werden, diese furchtbaren Verbrechen vollständig aufzuklären.«
»Und warum fängt das FBI erst jetzt damit an?« Die Reporterin ließ nicht locker. »Wenn ich mich recht erinnere, soll Jeremy Hamilton noch einen weißen Studenten der sogenannten Freedom Riders, einen schwarzen Pfarrer und den Besitzer eines Diners umgebracht haben. Wenn sein Nachahmer die Morde bis in die letzte Einzelheit kopiert und in der gleichen Reihenfolge vorgeht, wie es bis jetzt den Anschein hat, wären Angehörige des Studenten und des Pfarrers die nächsten Opfer. Der Student wurde mit einem Bus in die Luft gesprengt, der Pfarrer verbrannte in seinem Haus. Gibt es Nachkommen dieser Opfer, und was tun Sie, um diese Menschen zu schützen? So schnell, wie der Killer vorgeht, haben Sie nicht mehr viel Zeit.«
Das professionelle Lächeln war in Sunflowers Gesicht zurückgekehrt. »Ich werde den Teufel tun und vor laufenden Fernsehkameras erläutern, wie wir gegen den Mörder und seine Komplizen vorgehen. Ich versichere Ihnen aber, dass wir die möglichen Opfer mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln schützen werden und alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Sehen Sie sich die Erfolgsquote des FBI an, und Sie werden zugeben müssen, dass die Chancen, den Mörder zu finden, mehr als gut stehen.«
»Haben Sie denn schon einen bestimmten Verdacht?«, fragte Melinda Stone. »Gibt es eine heiße Spur?«
Sunflower lächelte. »Lassen Sie mich nur so viel sagen, verehrte Miss Stone, wir sind dicht an ihm dran.«
»Denkst du«, flüsterte der Mann, der durch den Seiteneingang gekommen war. Er verließ das Polizeigebäude auf demselben Weg und ging zu seinem Wagen.