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Die Überreste der Hütte glühten noch, als Jenn und Harmon um ein Uhr früh am Tatort eintrafen. Ein junges Farmer-Ehepaar, das von einem Kinobesuch in Savannah zurückgekehrt war, hatte das brennende Haus entdeckt und die Polizei angerufen. Der Sheriff und einer seiner Deputys, die Detectives, die Keane aus den Augen verloren hatten, die Crime Scene Unit, der Gerichtsmediziner und der Lieutenant und Agent Sunflower waren bereits dort.
»Das kommt davon, wenn man über eine Viertelstunde braucht, um sich von seiner Frau zu verabschieden«, lästerte Jenn. Sie parkte hinter den anderen Wagen. »Man könnte denken, ihr seid noch in den Flitterwochen.«
»Und ich hab’s langsam satt, ständig Überstunden machen zu müssen, nur weil du nicht genug kriegen kannst. Warte mal ab, bis du verheiratet bist, dann hast du auch keine Lust mehr, überall deine Nase reinzustecken.«
Sie stieg aus und schlug die Tür zu. »Hab ich alles schon ausprobiert, Harmon. Nach zwei Monaten hatte ich die Schnauze voll. Ich tauge nicht für die Ehe.«
»Bis der Richtige kommt.«
»Blödsinn.«
Sie gesellten sich zu den anderen und wurden von Jonas, einem der beiden anderen Detectives, auf den neuesten Stand gebracht: »Zwei Leichen. Father Roy Keane junior und Mary Levitt, die Ehefrau eines Nachtklubbesitzers. Die Kollegen von der Spurensicherung konnten sie nur anhand ihrer Wagen identifizieren. Anscheinend hatten die beiden ein Verhältnis. Der Ehemann war auf Geschäftsreise in Chicago und ist schon auf dem Rückweg.« Er grinste schwach. »Wird ihm nicht besonders gefallen, dass seine Frau es mit einem Pfarrer getrieben hat. Ein Geistlicher und die Frau eines Nachtklubbesitzers, das hab ich noch nie erlebt.«
Sie näherten sich dem niedergebrannten Haus, sahen die Kollegen von der Spurensicherung mit Schutzmasken in den Trümmern herumstochern.
»Von den beiden ist nicht viel übrig. Brandstiftung. Der Benzinkanister liegt noch im Gras. Keine Fingerabdrücke, so viel wissen wir schon. Der Täter trug Handschuhe. Muss ein qualvoller Tod gewesen sein.« Er starrte in den qualmenden Trümmerhaufen. Wäre eine Bombe in das Haus eingeschlagen, hätte es nicht schlimmer aussehen können. »Wir hätten besser auf ihn aufpassen sollen, dann wäre das nicht passiert. Aber woher sollten wir ahnen, dass er sich heimlich aus dem Haus schleicht, um sich mit einer Geliebten zu treffen? Er hat die Bedrohung wohl nicht ernst genommen.«
»Oder er war so verliebt, dass er das Risiko bewusst eingegangen ist. Ziemlich verantwortungslos, wenn ihr mich fragt. So seid ihr Männer eben.«
»Klischees, alles nur Klischees.«
Der Lieutenant und der FBI-Mann waren näher getreten und beendeten damit den kleinen Schlagabtausch. Jenn begrüßte die beiden Männer: »Guten Abend, Lieutenant! Special Agent Sunflower! Sieht ganz so aus, als wollte der Killer uns in die Irre führen. Die gleiche Vorgehensweise wie damals, nur die falsche Reihenfolge.«
»Weil Ihre Leute nicht aufgepasst haben«, sagte der FBI-Agent, auch an den Lieutenant gewandt. »Sie hätten den Hintereingang im Auge behalten sollen, dann wäre ihnen der Pfarrer nicht entwischt. Ein Anfängerfehler.«
»Woher hätten sie ahnen sollen, dass der Pfarrer sich rausschleicht und mit einer verheirateten Frau trifft?« Jenn brachte allein der Anblick des arroganten Agents auf hundertachtzig. »Beim FBI mag das ja gang und gäbe sein, aber hier im tiefen Süden macht man so was nicht. Jedenfalls nicht, wenn man als Pfarrer arbeitet und die Zehn Gebote über dem Bett hängen hat. Keane hat sich die Suppe selbst eingebrockt … und auch noch eine Unschuldige mitgerissen. Wo war eigentlich das FBI?«
»Detective!«, wies sie der Lieutenant zurecht. »Halten Sie sich bitte zurück! Wir ziehen alle an einem Strang und wollen doch nicht den Erfolg dieses …«
Er unterbrach sich und starrte auf den Wagen, der in diesem Moment vom Highway abbog und über die Schotterstraße zu der niedergebrannten Hütte fuhr. Im Licht der vielen Scheinwerfer, die inzwischen den Tatort beleuchteten, war deutlich zu erkennen, dass es sich um einen Übertragungswagen von WASV handelte. »Melinda Stone!«, erschrak er.
»Anscheinend haben Sie eine undichte Stelle in Ihrem Revier.« Auch Sunflower war alles andere als erfreut. »Woher wissen die sonst, dass hier was passiert ist?« Er beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie die blonde Reporterin ausstieg und näher kam, gefolgt von ihrem jungen Kameramann. Ein zweiter Kameramann filmte das heruntergebrannte Haus, bis er vom Sheriff und dem Deputy gestoppt wurde. »Ziemlich aufdringlich, diese Reporterin. Aber ich weiß, wie man mit solchen Leuten umgeht. Lassen Sie mich nur machen, Lieutenant.«
Melinda Stone hatte die Verantwortlichen bereits entdeckt und kam rasch näher. Der kleine Scheinwerfer über der Kamera leuchtete ins Gesicht des FBI-Mannes. »Special Agent Sunflower«, begann sie, das Mikrofon in der Hand, »das Morden nimmt kein Ende. Obwohl Sie der Öffentlichkeit versprochen hatten, den Killer so schnell wie möglich zu fassen, befindet er sich immer noch auf freiem Fuß. Der Klansmann hat erneut zugeschlagen und hat einen afroamerikanischen Pfarrer und pikanterweise seine verheiratete Freundin bei lebendigem Leib in dieser verlassenen Hütte verbrannt. Roy Keane junior, der ermordete Pfarrer, ist der Sohn von Roy Keane, dem Mann, der vor vierzig Jahren von Jeremy Hamilton und seinen Klansmännern ermordet wurde. Wie konnte es zu diesem Mord kommen?«
»Eine Verkettung von tragischen Umständen«, redete sich Sunflower heraus. »Wir hatten den Pfarrer als mögliches weiteres Opfer unter Polizeischutz gestellt und die Kollegen vom Savannah Police Department haben ihn rund um die Uhr bewacht. Leider wussten wir nichts von dem heimlichen Liebesverhältnis des Geistlichen. Er ignorierte unseren Schutz und schlich sich heimlich aus dem Haus, um sich mit einer Frau zu treffen. Damit konnten wir nicht rechnen.«
»Die Tote ist Mary Levitt, die Frau eines Nachtklubbesitzers.« Melinda Stone war wie immer bestens informiert. »Wissen Sie schon Näheres über die Liebesbeziehung der beiden?«
Sunflower hatte so eine Frage erwartet. »Nein, aber ich bin sicher, Ihr Sender wird die verbotene Beziehung zum großen Thema machen. War’s das dann, Miss Stone? Wir haben viel zu tun.«
»Nur noch eine Frage.« Melinda Stone blieb hartnäckig. »Wenn der Klansmann, wie der Killer inzwischen überall genannt wird, auch weiterhin Jeremy Hamilton nacheifert, stehen noch mindestens zwei Opfer auf seiner Liste. Wie wollen Sie diese beiden Morde verhindern?«
»Durch akribische Arbeit«, erwiderte Sunflower, »zu der wir aber nur kommen, wenn Sie uns nicht die Zeit rauben. Jetzt zählt jede Minute, Miss.«
Die Reporterin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und wandte sich an Jenn: »Detective McAvoy, bei unserem letzten Interview hatten Sie mir empfohlen, mich um den kleinen Eisbären im Zoo zu kümmern. Leider interessieren sich unsere Zuschauer mehr dafür, wie Sie den Klansmann daran hindern wollen, einen weiteren Mord zu begehen. Haben Sie denn schon eine Idee, wer der geheimnisvolle Killer sein könnte?«
»Ich bin Polizistin, keine Hellseherin«, beherrschte sich Jenn einigermaßen, aber auch nur, weil der Lieutenant und der FBI-Agent direkt neben ihr standen. »Ich halte mich an Fakten. Und manchmal dauert es eben etwas länger, bis wir einen Täter am Wickel haben. Und jetzt verschwinden Sie endlich und lassen Sie uns arbeiten!«
Die Reporterin antwortete mit einem Lächeln und wandte sich der Kamera zu. »So weit Detective McAvoy, die wie die gesamte Polizei von Savannah und das FBI bisher nicht in der Lage war, dem grausamen Treiben des Klansmannes ein Ende zu bereiten. Melinda Stone, WASV Savannah.«
»Zicke!«, flüsterte Jenn wütend.