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Der Killer lachte sich ins Fäustchen. Er hatte die Polizei zweimal hereingelegt und würde sie auch ein drittes, viertes und fünftes Mal an der Nase herumführen. Nicht einmal dieser Klugscheißer vom FBI würde ihn stoppen.
Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr und über Savannah lag tiefe Dunkelheit. Das Gewitter war an der Stadt vorbeigezogen und ging über den Bewohnern der benachbarten Countys nieder, dafür war der Nebel zurückgekehrt und dichte Schwaden hingen in den mächtigen Eichen in der Altstadt.
Ideale Bedingungen für den Killer, der mehrere falsche Führerscheine besaß und sich erneut einen unscheinbaren Mietwagen vom Flughafen besorgt hatte, diesmal in Charleston, damit er nicht auffiel. Sein eigener Wagen stand zwischen Hunderten von anderen Fahrzeugen auf dem Parkplatz.
In dem Mietwagen, einem dunklen Dodge Caliber, war er nur einer von vielen. Wie bei jeder seiner Hinrichtungen, wie er seine Morde nannte, trug er cremefarbene Latexhandschuhe. Nach seiner Tat würde er sie in irgendeiner Mülltonne entsorgen. Im Kofferraum transportierte er einen Kanister mit Benzin. Den leeren Behälter würde er am Tatort zurücklassen, so wie Jeremy Hamilton es vor vierzig Jahren getan hatte. Er würde den Cops überhaupt nichts nutzen. Seine Kutte und seine Kapuze lagen in seiner Aktentasche, dem besten Versteck, das man sich vorstellen konnte. Niemand würde sie dort finden, nicht einmal seine Frau.
Er fuhr in die Außenbezirke nordwestlich der Stadt und hielt an einer roten Ampel. Das Licht verschwamm in dem Nebel, der über die feuchte Straße zog, zu einem Farbklecks. Außer ihm war kaum jemand unterwegs.
Er lächelte grimmig. Sie würden große Augen machen, wenn sie merkten, dass er sie hereingelegt hatte. Cops waren einfache Menschen, die es gerade mal schafften, zwei und zwei zusammenzuzählen, und der Typ vom FBI war auch nicht viel besser.
Sie arbeiteten methodisch, hatten sich gerade daran gewöhnt, dass er die Morde von Jeremy Hamilton genau kopierte, und sie hatten nicht den geringsten Schimmer, dass er weder die Reihenfolge noch die Vorgehensweise beibehalten würde. Er wäre doch bescheuert, wenn er weiterhin nach Schema X arbeiten und die Cops dazu einladen würde, ihm eine Falle zu stellen. Da könnte er sie auch gleich anrufen: Hallo, Detective, bis morgen dann, um 16 Uhr 42 an der Kreuzung südlich von Pembroke. Sperrt den Highway, dann habt ihr uns sicher, mich und meine Komplizen!
Nein, so dumm war er nicht. Er ging fantasievoller vor, wollte den Leuten etwas bieten, um sie auf seine Seite zu ziehen. Viele sympathisierten doch mit ihm, vielleicht sogar die meisten. Niemand konnte im Ernst wollen, dass sich Nigger oder Latinos noch mehr breitmachten als bisher. Es reichte doch, dass es einer von ihnen ins Weiße Haus geschafft hatte. Genug damit! Amerika den Amerikanern! Dieses wunderbare Land gehörte der weißen Rasse. Gott selbst hatte ihr diesen heiligen Boden zum Geschenk gemacht. Gott schütze Amerika!
Er war kurz davor, die Nationalhymne anzustimmen, so feierlich war ihm plötzlich zumute. Beinahe hätte er sogar die grüne Ampel übersehen. Kein Problem, bis auf einen UPS-Lieferwagen, der neben ihm abbog, war er sowieso allein. Er fuhr über die Kreuzung und blieb auf der West Lathrop Avenue. Im Schein einiger Straßenlampen waren bereits die Umrisse der St. Mark’s Church zu sehen. Er steuerte darauf zu, fuhr im Schatten einiger Eichen an den Straßenrand und parkte einen halben Block vom Eingang der Kirche entfernt.
Kaum hatte er die Scheinwerfer gelöscht und den Motor abgestellt, gingen die Flügeltüren der Kirche auf. Die Abendandacht war vorüber. Die wenigen Gläubigen, die mit Father Roy Keane jr. gebetet hatten, verabschiedeten sich von ihm, gingen zu ihren Autos und fuhren davon. Schwarze in feinen Anzügen und Kleidern. Es bereitete ihm beinahe körperliche Schmerzen, das Gesindel im Sonntagsstaat zu sehen. Wann kapierten diese Nigger endlich, dass sie in einer Stadt wie Savannah nichts zu suchen hatten? Wann verschwanden sie endlich?
»Bald«, gab er sich selbst die Antwort, »schon sehr bald!« Sobald er seine Hinrichtungen durchgeführt hatte und der Klan wieder in aller Munde war. Noch drei Morde und unter den Niggern würden wieder Angst und Schrecken regieren. Ein paar gewöhnliche Morde wären nicht genug gewesen. Man musste deutliche Zeichen setzen, wenn man Großes erreichen wollte. Jeremy Hamilton war ein gefürchteter Klansmann gewesen. Allein, dass nun sein Name in einem Atemzug mit den Hinrichtungen genannt wurde, war den Aufwand wert. Seine Taten würden in die Annalen eingehen. Er würde Geschichte schreiben.
Und die Cops würden auch bei dem Pfarrer und der alten Niggerin, die sich damals mit dem Studenten eingelassen hatte, zu spät kommen. Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass er die Reihenfolge geändert hatte und zuerst den Pfarrer bestrafte. Und sie hatten noch weniger Ahnung, dass er sich für die Alte etwas ganz Besonderes ausgedacht hatte.
Zuerst hatte er vorgehabt, seine Klansmänner mitzunehmen, aber sie waren noch nicht reif für diese verantwortungsvollen Taten. Besonders der Apotheker ging ihm mit seinem ständigen Gejammer auf die Nerven. Buddy war okay, auch Stephen Hamilton und Pete Kirshner zeigten gute Ansätze. Bei der letzten Hinrichtung würde er sie vielleicht mitmachen lassen, für die Krönung seiner Serie wollte er eine feierliche Kulisse.
Er beobachtete, wie Father Roy Keane jr. sich von den letzten Gläubigen verabschiedete und in der Pfarrei verschwand. So wie nach jeder Spätandacht an zwei Werktagen in der Woche. Der Killer hatte ihn mehrfach beobachtet und kannte den Tagesablauf seines Opfers genau. Die Vorbereitung war wichtiger als die Tat selbst, damit legte man den Grundstein für den späteren Erfolg. So war es bei Angie Rydell und Homer Middleton gewesen, und so würde es auch bei dem Pfarrer sein. Gleich würde das Licht in der Pfarrei angehen, man würde den Schatten des Mannes hinter den erleuchteten Fenstern sehen, und zehn Minuten später würde er in legerer Freizeitkleidung aus dem Haus schleichen und in seinem Kombi vom Hof fahren.
Doch nichts geschah. Das Licht ging an, der Schatten war hinter den Fenstern zu sehen, dann wurde es dunkel, aber der Pfarrer erschien nicht. Wich er ausgerechnet heute von seinem starren Wochenplan ab? Hatte er es sich anders überlegt? War seine Freundin krank geworden oder anderweitig verhindert? Gegen dumme Zufälle war man auch mit sorgfältiger Planung und Umsicht nicht gefeit.
Der Killer hatte einiges zu verlieren, und wenn irgendetwas nicht so lief, wie er es geplant hatte, war er doppelt vorsichtig, darum sah er sich jetzt aufmerksam um. Ein Blick in den Außenspiegel bewahrte ihn vor größerem Ärger. Nur weil in diesem Augenblick ein Mann aus einem Chevy gegenüber der Pfarrei stieg, sich eine Zigarette anzündete und mit dem Fahrer sprach, kam er dem seltsamen Verhalten des Pfarrers auf die Spur. Der Mann wurde bewacht. Von den Gestalten im Chevy.
Detectives des Savannah Police Departments, dazu brauchte man kein Hellseher zu sein. Sie blickten alle paar Minuten zum Pfarrhaus hinüber und behielten auch die Straße im Auge. Sie waren also doch schlauer, als er gedacht hatte. Sie waren anscheinend fest entschlossen, keinen weiteren Mord mehr zuzulassen, und überwachten den Pfarrer und wahrscheinlich auch die weißhaarige Niggerin aus dem Altersheim. Eine Vorsichtsmaßnahme, die ihnen wenig nützen würde. Er würde sie beide erwischen.
Doch was würde Keane tun? So wie er sich beim letzten Mal auf seine Geliebte gestürzt hatte, würde er auf sein heimliches Date mit ihr bestimmt nicht verzichten. Eine solche Frau ließ man nicht warten, auch dann nicht, wenn einem die Cops auf den Zehen standen.
Nein, eine solche Liebesnacht würde Keane sich nicht entgehen lassen. Als Pfaffe glaubte er doch sowieso nicht, dass ihm ein Killer auf den Pelz rücken konnte. Gott würde ihn beschützen. Woher sollte er auch wissen, dass ihn selbst Gott nicht vor seiner Hinrichtung bewahren konnte? Er würde so wie sein Vater sterben, in einem lodernden Höllenfeuer, und seine schöne Freundin mit ihm. Wenigstens im Jenseits wären die beiden vereint. Der Killer grinste bei dem Gedanken.
Er startete den Motor und fuhr aus der Parklücke heraus. Im Rückspiegel beobachtete er, wie sich die Detectives unterhielten und ihn kaum beachteten. Selbst wenn sie seine Nummer notierten, würden sie ihm nicht auf die Spur kommen. Er bog hinter der Kirche nach links ab und parkte hinter dem Garten der Pfarrei. Jetzt zahlte sich aus, dass er die Kirche genau studiert hatte und auch die Hinterausgänge kannte. Einer führte in den verwilderten Garten.
Er hatte richtig kombiniert. Schon wenige Minuten nachdem er geparkt hatte, kam der Pfarrer durch den Garten geschlichen und stieg in einen kleinen Lieferwagen, den er wahrscheinlich für Besorgungen und andere Dienstfahrten benutzte. Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht, wie der Killer annahm, fuhr er davon und bog zur Hauptstraße ab.
Der Killer hatte keine Eile. Er wusste genau, wohin der Pfarrer fuhr, und hielt großzügig Abstand. Die Detectives blieben ahnungslos zurück. Sie würden einen ziemlichen Rüffel bekommen, wenn die Leichen des Pfaffen und der Frau am nächsten Morgen gefunden wurden. Mit etwas Hirn hätten sie auch den Hinterausgang bewacht. Aber woher sollten sie auch wissen, in welcher Mission der Pfarrer nachts unterwegs war?
Wie schon am letzten Donnerstag fuhr Keane auf der Interstate 95 in südwestlicher Richtung aus der Stadt und bog ein paar Meilen außerhalb auf eine einsame Landstraße ab. Der Killer blieb weit hinter ihm, achtete sorgfältig darauf, dass er mit den Scheinwerfern seines Wagens nicht in den Rückspiegel seines Opfers geriet. Wahrscheinlich übertriebene Vorsicht, denn der Pfarrer hatte jetzt sicher nur seine Geliebte im Kopf. Sinnliche Gedanken, die bald in einem Höllenfeuer zerstört werden würden.
Als das einsam gelegene Haus, das Keane ansteuerte, hinter einem Hügel auftauchte, lächelte der Killer in stiller Vorfreude. Nur noch wenige Minuten, dann würde er eine weitere Aufgabe seiner Mission erfüllt haben.