7
Es war kurz nach zwei Uhr nachmittags, als wir aus dem Haus traten. Hinaus in die frische Luft voller Leben.
Milo fuhr über Laurel Canyon in südliche Richtung bis zum Sunset und bog auf dem Strip nach Westen ab. Ein Unfall auf der Höhe von Holloway und die übliche Schar leichengeiler Gaffer hielt uns auf, und so war es schon kurz vor drei, als wir auf dem Weg nach Beverly Glen durch Beverly Hills fuhren. Weder Milo noch ich waren sehr gesprächig. Alles war schon gesagt. Er rauschte über den Kiesweg zu meinem Haus. Robins Truck stand im Carport.
»Danke für deine Zeit.«
»Wo machst du jetzt noch hin?«
»Ich fahre zum Grundbuchamt, mal nachschauen, was die sonst noch über Mr. Stargill haben. Und dann rufe ich Heidi Ott an.«
Er sah müde aus, und in seinem Tonfall lag kein Hauch von Optimismus. Ich sagte: »Viel Glück«, und schaute ihm nach, als er davonfuhr.
Ich ging hinauf zu meinem Haus. Selbst nach drei Jahren kam es mir manchmal immer noch wie ein Fremdkörper vor. Das alte Haus, das ich gekauft hatte, als ich anfing nennenswert Geld zu verdienen, war eine Mischung aus Redwood und Idiosynkrasie gewesen. Ein Psychopath, der versessen darauf war, mich umzubringen, hatte es bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Unter Robins Aufsicht war an seiner Stelle ein weißes, luftiges Haus entstanden - um etliches geräumiger und praktischer und dennoch von einem unbestreitbaren Charme. Ich sagte ihr immer wieder, wie gut es mir gefiel, und das stimmte auch tatsächlich, war aber nicht die ganze Wahrheit. Doch ich hoffte, dass sich meine geheimen Vorbehalte eines Tages auflösen würden.
Ich hatte eigentlich damit gerechnet, sie in ihrem Atelier anzutreffen, doch sie saß in der Küche und las die Morgenzeitung. Spike lag zusammengerollt zu ihren Füßen und schnarchte. Mit seinem schwarz-rosa Bauch sah er aus wie ein lebender Rollbraten, der sich bei jedem Atemzug aufpumpte, während seine Lefzen beim Ausatmen über den Boden schlabberten. Er ist eine französische Bulldogge, die Miniaturausgabe der englischen Rasse, mit aufrecht stehenden Ohren wie eine Fledermaus, und seine Eitelkeit würde für eine ganze Ballettkompanie reichen. Als ich eintrat, hob er ein Augenlid - ach, du schon wieder - und senkte es sogleich wieder, wobei er einen Seufzer ausstieß, der vor Langeweile nur so troff.
Robin stand auf, breitete die Arme aus und schlang sie um meine Hüften. Sie presste ihren Kopf an meine Brust. Sie duftete nach Holz und Parfüm, und ihre Locken kitzelten mich am Kinn. Ich schob meine Hand unter ihr rostrotes Haar und küsste ihren Nacken. Sie ist knapp einssiebenundfünfzig, doch ihr Hals ist lang und schlank wie bei einem Model. Ihre Haut war heiß und ein wenig feucht.
»Wie war’s?«, fragte sie und strich mir durch die Haare.
»Nichts Großartiges passiert.«
»Keinen Ärger mit den Typen aus der Anstalt, hm?«
»Nichts.« Ich drückte sie fester an mich, rieb mit der Hand über ihre feste Schultermuskulatur, ließ meine Hand über die zarten Rückenwirbel gleiten, folgte ihren zauberhaften Kurven und dann wieder hinauf zu ihrem klassischen Kinn und den seidigen Augenlidern.
Sie machte eine Schritt rückwärts und umfasste mein Kinn mit einer Hand. »Der Laden hat wohl romantische Gefühle in dir geweckt?«
»Dass ich endlich wieder da raus bin, weckt romantische Gefühle in mir.«
»Na ja, ich bin jedenfalls froh, dass du noch in einem Stück bist.«
»Es war nicht gefährlich«, sagte ich. »Kein bisschen.«
»Fünftausend Mörder, und es war nicht gefährlich?«
»Zwölfhundert, aber wir wollen keine Haare spalten.«
»Zwölfhundert«, sagte sie. »Wie konnte ich Dussel mir da Sorgen machen.« Bei den letzten Worten kam eine gewisse Schärfe in ihren Tonfall.
»Es tut mir Leid«, sagte ich. »Aber es gab wirklich keine Probleme. Die Leute, die da arbeiten, sind jeden Tag dort, und es kommt nie zu Zwischenfällen. Und wie’s aussieht, sind sie der Ansicht, dass es in der Anstalt sicherer ist als draußen auf den Straßen.«
»Man kann sich auch alles schönreden. Und in der Zwischenzeit wird diese Psychologin in den Kofferraum von ihrem Wagen gestopft.«
»Bisher gibt es keine Anzeichen, dass ihre Arbeit damit in irgendeinem Zusammenhang steht.«
»Auch gut. Hauptsache, du bist wieder da. Hast du schon was gegessen?«
»Nein. Und du?«
»Nur ein Glas Saft heute Morgen.«
»Lass uns essen gehen.«
»Oh, der Herr kann Gedanken lesen.«
»Mister Allwissend.«
Wir gaben Spike einen Beißknochen und fuhren nach Santa Monica zu einem indischen Buffetrestaurant, das den ganzen Nachmittag über geöffnet hatte. Reis und Linsen, frittiertes Fladenbrot gefüllt mit Zwiebeln, Spinatcurry mit Rahmkäse, scharfe Auberginen und Yogi-Tee. Der Ober ließ uns allein.
Als sie die Hälfte dessen verspeist hatte, was auf ihrem Teller aufgetürmt war, sagte Robin: »Ich will nicht weiter drauf rumhacken, aber wenn du das nächste Mal in so einem Laden zu tun hast, dann ruf mich bitte an, sobald du wieder draußen bist.«
»Hast du dir wirklich solche Sorgen gemacht?«
»Axtmörder und Vampire. Und weiß der Himmel, was sonst noch alles.«
Ich legte meine Hand auf ihre. »Rob, die Männer, die ich heute gesehen habe, waren absolut friedlich und gefügig.« Wenn man von dem bärtigen Typ auf dem Hof absah, der auf mich losgehen wollte. Oder von der Schlägerei auf dem Flur. Die Plastikfenster. Die R&F-Räume.
»Wie kommt’s, dass sie so friedlich und gefügig sind?«
»Medikamente und eine strukturierte Umgebung.«
Keine Einwände ihrerseits, aber beruhigt wirkte sie auch nicht gerade. »Ihr habt dort also nichts rausgekriegt?«
»Bis jetzt jedenfalls nicht. Später waren wir noch im Haus von Ciaire Argent.« Ich beschrieb ihr, wie es dort ausgesehen hatte. »Was hältst du davon?«
»Wovon?«
»Von der Art und Weise, wie sie gewohnt hat.«
Sie trank einen Schluck Tee und dachte ein paar Momente lang nach. »Ob ich so leben wollte? Nicht für immer, aber vielleicht eine Zeit lang. So was wie Urlaub von allen Komplikationen.«
»Was ich da gesehen habe, war nicht bloß >die Dinge vereinfacht<. Robin. Es war … das blanke Nichts. Traurig.«
»Willst du damit sagen, sie war depressiv?«
»Ich weiß nicht genug über sie, um eine Diagnose stellen zu können«, sagte ich. »Aber auf mich hat das Haus einen … unorganischen Eindruck gemacht. Völlig leer.«
»Gibt es irgendwelche Anzeichen, dass sie sich selbst vernachlässigt hat?«, sagte sie.
»Nein. Und alle beschreiben sie als eine angenehme, verlässliche Persönlichkeit. Distanziert, aber nichts, was auf einen offensichtlich pathologischen Zustand hindeutet.«
»Also war sie vielleicht glücklich und zufrieden.«
»Möglich«, sagte ich. »Das Einzige, was sie aufbewahrt hat, waren Bücher. Vielleicht war sie ja wirklich ein Kopfmensch.«
»Würde doch passen. Sie hat den Rest so weit zurechtgestutzt, dass sie sich auf das konzentrieren konnte, was ihr wirklich etwas bedeutete.«
Ich erwiderte nichts.
»Du bist nicht dieser Ansicht«, sagte sie.
»Wenn, dann hat sie beim Zurechtstutzen reichlich radikal zugelangt«, sagte ich. »Im ganzen Haus war kein einziger persönlicher Gegenstand. Nicht mal ein Familienfoto.«
»Vielleicht hatte sie mit ihrer Familie nicht viel zu tun. Oder sie hatte Probleme mit ihnen. Doch selbst wenn, was ist daran so besonders? Es gibt Millionen von Leuten, denen es genauso geht. Und selbst wenn sie Probleme im Umgang mit anderen hatte, was hat das mit ihrer Ermordung zu tun?«
»Wahrscheinlich nichts.« Ich lud mir ein paar Löffel Reis auf meinen Teller, stocherte ein wenig in den Körnern herum und biss ein Stück Brot ab. »Wenn sie so scharf war auf intellektuelle Stimulation, warum hat sie den Job in der Forschung hingeschmissen und ist nach Starkweather gewechselt?«
»Woran hat sie denn geforscht?«
»Alkoholismus und dessen Wirkungen auf das Reaktionsvermögen.«
»Irgendwas Weltbewegendes?«
»Kam mir nicht so vor.« Ich gab ihr eine Kurzfassung von Claire Argents Studien. »Eigentlich sogar ziemlich belanglos.«
»Möglicherweise ist ihr irgendwann aufgegangen: Sie war immer ein braves Mädchen, das seit der Uni nur getan hat, was von ihr erwartet wurde. Und auf einmal hatte sie.es satt, immer nur Papier vollzuschreiben, sondern wollte wirklich mal jemandem helfen.«
»Da hat sie sich aber keine besonders einfache Klientel ausgesucht.«
»Kann sein, dass es die Herausforderung war, die sie motiviert hat. Das und der Reiz, sich mit etwas ganz Neuem auseinander zu setzen.«
»Die Leute in Starkweather kann man nicht heilen.«
»Dann fällt mir auch nichts weiter ein.«
»Ich will auch keinen Wettbewerb veranstalten«, sagte ich. »Ich blicke bei ihr auch nicht durch. Und ich denke, dass in dem, was du gesagt hast, eine Menge Wahres steckt. Sie hat sich irgendwann letztes Jahr scheiden lassen. Vielleicht wollte sie wirklich ausbrechen, und zwar auf verschiedenen Ebenen.«
Sie lächelte und streichelte mein Gesicht. »Wenn du für die Falten auf deiner Stirn bezahlt wirst, muss Milo einiges hinlegen, wenn nicht, hat er ein gutes Geschäft gemacht.«
»Worüber ich mir noch den Kopf zerbreche, ist der Fall Richard Dada, der Möchtegern-Schauspieler. Oberflächlich betrachtet, hatten er und Ciaire Argent wenig gemeinsam. Aber was sie miteinander verbindet, sind negative Kriterien - keine Freunde, keine Feinde, keine merkwürdigen Angewohnheiten. Beide waren ausgesprochen sauber und reinlich. Keine Partnerbeziehungen. Vielleicht hat es mit Einsamkeit zu tun und dem Verlangen, diese Lücke zu füllen. Einsame Herzen, die an den Falschen geraten sind.«
»Eine Frau und ein Mann?«, sagte sie. »Ein bisexueller Killer?«
»Das hieße, dass Dada schwul war, und dafür hat Milo keinerlei Anzeichen gefunden. Oder vielleicht hatte es mit Sex ja gar nichts zu tun - vielleicht ging es nur um Gesellschaft, ein Club von Leuten mit den gleichen Interessen. Kann aber auch sein, dass die beiden Fälle nichts miteinander zu tun haben.«
Ich nahm ihre Hand, hob sie an meine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. »Mister Romantic. So langsam sollte ich mal einen Zahn zulegen, bevor ich dich noch in die Isolation treibe.«
Sie lächelte und hauchte mir einen Kuss zu. Und mit einer Stimme wie Bette Davis fügte sie hinzu: »Lass mal den Spinat rüberwachsen, Süßer. Und dann kannst du die Rechnung zahlen, mich zum nächsten Baskin-Robbins schleifen und mir ‘ne Ladung Mandel-Karamel-Eis spendieren. Und danach heimwärts mit Gebrüll, wo du gerne versuchen kannst, unsere Beziehung zu vertiefen.«