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Wie sich später herausstellte, war der Explorer schon seit zwei Monaten bei einem Revier in Hollywood als gestohlen registriert gewesen, nachdem er von einem Supermarktparkplatz an der Ecke Western und Sunset entwendet worden war. Im Kofferraum lagen fünf Paar Nummernschilder, drei gefälschte Zulassungen, zwei Videokameras, ein Dutzend Kassetten, Einwickelpapier von Schokoriegeln und Coladosen. Im Fach für den Reservereifen waren außerdem Barbiturate, Thorazin und Amphetamine versteckt.
Die Nachforschungen über Hedy Haupt ergaben, dass sie aus Yuma, Arizona, stammte. Der Vater unbekannt verzogen, die Mutter Sachbearbeiterin bei der Wohlfahrt, ein Bruder, der in Phoenix als Feuerwehrmann arbeitete. Hedy hatte während der neunten, zehnten und elften Klasse an der Yuma High School immer einen Notendurchschnitt von 2,0 gehabt und sowohl im Leichtathletik- wie im Basketballteam eine herausragende Rolle gespielt. Während der letzten Klasse war sie »in schlechte Gesellschaft geraten«, ihre Noten hatten sich drastisch verschlechtert, und sie hatte die Schule abgebrochen. Danach bei Burger King gejobbt und schließlich weggelaufen. Während der folgenden acht Jahre hatte ihre Mutter sie zweimal zu Gesicht bekommen, einmal zu Weihnachten vor fünf Jahren und dann während eines einwöchigen Besuchs im vergangenen Jahr, bei dem ihr Freund, ein junger Mann namens Griff, sie begleitet hatte.
»Ich hatte kein gutes Gefühl bei dem Kerl«, erzählte Mrs. Haupt Milo. »Er hat dauernd eine Kamera mit sich rumgeschleppt und andauernd Aufnahmen von uns gemacht. Außerdem ist er nur in Schwarz rumgelaufen, als wäre jemand gestorben.«
Milo und Mike Whitworth fanden die Videobänder, als sie sich durch die Berge von Diebesgut in der Garage am Orange Grove wühlten. Insgesamt sechzehn Kassetten in schwarzen Plastikhüllen, die unter Filmausrüstungen und -zubehör im Wert von mehreren tausend Dollar versteckt waren, mit dem Derrick Crimmins ohnehin nicht umgehen konnte.
Sechzehn Todesszenen.
Das erste Opfer, das wir wieder erkannten, war Richard Dada - Kassette Nummer vier. Jung und gut aussehend, redete er voller Enthusiasmus von seinen Karriereplänen, völlig im Unklaren darüber, was ihm bevorstand. Schnitt zur nächsten Szene. Richards Kopf, der an den Haaren nach hinten gezerrt wurde, die Kehle freigelegt für den finalen Schnitt. Dann sein Körper, wie er mit einer Kreissäge in zwei Hälften zerteilt wurde. Mit im Bild waren die Arme des Mörders in dunklen Hemdsärmeln, jedoch kein Gesicht. Stationäre Kamera. Auf diese Weise war nur eine einzige Person notwendig, um einen Mord zu begehen und gleichzeitig die Tat abzufilmen. Zooms und Schwenks auf anderen Bändern deuteten darauf hin, dass mindestens zwei Killer am Werk waren. Der Timecode auf dem Band mit dem Mord an Richard Dada besagte, dass er um ein Uhr nachts getötet worden war.
Ellroy Beattys Band bestand aus zwei Sequenzen: eine Aufnahme von dem obdachlosen Mann, wie er, eine Schnapsflasche am Mund, in der Nähe der Gleise saß, und dann vier Monate später, als er mit dem Gesicht nach unten bewusstlos auf eben diesen Gleisen lag, gefolgt von einer Totalen auf den herannahenden Expresszug. Die Kameratechnik war miserabel. Der Kameramann war anscheinend nicht in der Lage, das Gerät ruhig zu halten, und der Moment, in dem der Zug den Mann überrollte, war völlig verschwommen. Als Nächstes kam Bruder Leroy, ebenfalls in zwei Sequenzen. Zuerst besoffen lächelnd, während er davon erzählte, dass er Bluessänger werden wollte. Dann vier Monate später mit einem ähnlichen Lächeln im Gesicht, bis schließlich ein schwarzes Loch auf seiner Stirn aufplatzte und er zusammenbrach.
Beide Brüder waren in der gleichen Nacht ermordet worden. Ellroy als Erster, denn sein Todeszeitpunkt wurde durch den Zugfahrplan bestimmt. Leroy war zwei Stunden später an der Reihe gewesen.
Inmitten des Kassettenstapels fand sich auch die mit Ciaire Argents letztem Tag auf dieser Welt. Ebenso wie die anderen war auch sie völlig überrascht. Crimmins hatte sie vor einer kahlen weißen Wand gefilmt. Ob es sich dabei um ihr eigenes Wohnzimmer handelte, ließ sich nicht festeilen. Sie redete über Psychologie, darüber, dass sie mehr über das Phänomen Wahnsinn in Erfahrung bringen wollte, und machte Andeutungen über das Projekt, das sie und der Kameramann bald in Angriff nehmen würden. Dann sagte sie: »Oh, tut mir Leid, ich soll vergessen, dass du überhaupt da bist, richtig?«
Keine Antwort seitens des Kameramannes.
Ciaire sprach noch weiter über die Ursachen von Wahnsinn. Darüber, dass man keine voreiligen Schlüsse ziehen dürfe, weil man selbst von Psychotikern noch etwas lernen könnte. Dann strich sie sich über die Wimpern - kokettierte mit der Kamera - und lächelte kurz. Ein Lächeln, das fünf Sekunden dauerte, bevor ein Kissen auf ihr Gesicht gedrückt wurde. Eine Totale von ihrem leblosen Körper, dann eine Großaufnahme von einem Rasiermesser …
Zwölf weitere Heimvideos. Alle ohne Etikett. Sieben weibliche Opfer - fünf davon Teenager mit verängstigten Augen. Zwei attraktive blonde Frauen Mitte dreißig. Fünf männliche Opfer: ein spindeldürrer Junge mit Kinnbart, höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt, sowie vier erwachsene Männer - ein Asiate, ein Schwarzer, zwei Latinos.
Zusammengefaltet in einer leeren Kassettenhülle steckten zwei Blätter.
Titelseite: Das Monster hat entschieden. Niemand kann es aufhalten.
Zweite Seite: Besetzung
Über dieser Seite brüteten wir eine ganze Weile. Der »schwule Schauspieler« war aller Wahrscheinlichkeit nach Richard Dada, die »vertrocknete Professorin« Ciaire. Darüber hinaus gab es noch »die Alk-Zwillinge (wie geschaffen für das Monster)« und drei weitere Kategorien - »aufgeblasener Geschäftsmann«, »Koksnutte« und »Mädchen im Kaufhaus«, für die es keine Entsprechung auf Band gab. »Mexentussi« passte auf Suzy Galvez, »die heißblütige Frau des Sheriffs« bezeichnete Marvelle Haas. Der »jugendliche Lude« war eventuell der Junge mit Kinnbart, der durch einen Messerstich in die Brust getötet und dann zerstückelt worden war. Andererseits hätte er auch der »Straßenpunk« sein können, und ich tippte, was den Zuhälter anging, eher auf Christopher Soames. Der von Glück sagen konnte, dass sein Vorsprechtermin geplatzt war.
Am Ende der Seite die Frage: »Noch mehr? Definitiv. Wie viele??????????«
Die Aufgabe, die unbekannten Opfer zu identifizieren, wurde einem sechsköpfigen Sonderkommando aus Detectives des LAPD und dem Sheriff übertragen. Nach zwei Monaten konnten drei der jungen Mädchen mit Ausreißerinnen aus der Vermisstenkartei in Übereinstimmung gebracht werden; man nahm an, dass sämtliche Mädchen in Hollywood auf der Straße lebten, eine Szene, die Heidi Haupt aller Wahrscheinlichkeit nach bestens vertraut war. Zwei Mädchen und der Junge mit dem Kinnbart blieben namenlos, ebenso die jüngere der beiden blonden Frauen - vermutlich »die Stripperin« - und der Schwarze (der »Niggermacho«). »Mex 1« und »Mex 2« wurden als Hernando Alas und Sabino Real identifiziert, zwei Cousins aus El Salvador, die vor einem Farbengeschäft in Eagle Rock gewartet hatten, in der Hoffnung, dass einer der Arbeitsvermittler, die tagtäglich an dem Laden vorbeifuhren, um billige Gelegenheitsarbeiter aufzulesen, sie anheuern würde. Niemand konnte sich daran erinnern, wer die beiden eingesammelt hatte, doch wenigstens wurden Alas und Real schließlich von Angehörigen, die im Union District wohnten, eindeutig identifiziert.
Ein Handelsvertreter koreanischer Herkunft namens Everett Kim - er war mit einem Baseballschläger erschlagen worden und firmierte unter der Bezeichnung »das Schlitzauge« - konnte im Rahmen der Nachforschungen als Mitglied des Fallschirmspringerclubs in Glendale identifiziert werden, in dem Crimmins und Hedy Haupt sich kennen gelernt hatten. Die Ex-Frau eines weiteren Mitglieds, eine Zahnpflegerin aus Burbank namens Allison Wisnowski, wurde als »die Krankenschwester« identifiziert.
Vier Monate später waren bei der Feststellung der Identität der Opfer keine weiteren Fortschritte gemacht und nur eine Leiche gefunden worden: eine der jugendlichen Ausreißerinnen, eine Sechzehnjährige namens Karen DeSanits, die von Campern im Bouquet Canyon entdeckt worden war.
In dem Explorer war ein weiteres Videoband gefunden worden; die Szene war kaum zu erkennen, weil das Licht so schlecht war. Es handelte sich um Hedy Haupt, alias Heidi Ott, die unsicher lächelnd aus dem Allradwagen stieg, die Kamera an jemand anderen weiterreichte, ihr den Rücken zudrehte und leicht mit den Hüften wackelte. Sie bewegte sich langsam und verführerisch wie ein Vamp. Dann drehte sie sich um und lächelte.
Sie sagte: »Wie bin ich? Sexy genug?« Und dann verschwand ihr Kopf in einem Lichtblitz. Keine Bezeichnung auf der Liste. Vielleicht hatte Derrick Crimmins ihr die Rolle der »Koksnutte« zugedacht, konnte aber auch sein, dass er sich erst noch etwas dazu ausdenken wollte.
Er schuf Charaktere, um sie dann zu vernichten.
Zusammengefaltet in der Brusttasche von Crimmins’ schwarzem Hemd steckte eine Kopie der Titelseite von Blood Walk, die wir in seiner Nachtkommode gefunden hatten. Die Rückseite war voll geschrieben mit den gleichen zackigen Hieroglyphen, die er auch schon für die Produktionsplanung verwendet hatte:
Das Monster: Kombination aus Wahnsinn/das Böse und übernatürlichen Psychofähigkeiten, kann die Zukunft voraussagen und sich in die Gedanken der Leute einschleichen. Sitzt hinter Schloss und Riegel in der Irenanstalt. Hochsicherheitstrackt genauso wie Hanniball Leckter. Und genau wie Leckter kann auch niemand das Monster aufhalten, er kann durch Wände gehen, sich einfach durch die Gegend beamen wie irgendwelche Auserirdischen aus Raumschiff Enterprise. Kommt und geht, wies im grade past, mordet nach belieben. Ganz verschiedene Leute, alle möglichen Typen, einfach weil er Spas dran hat und ihm dabei einer abgeht. Er ist nicht dauernd verrückt, er macht einfach nur seine Arbeit, seine Lebensaufgabe, aber niemand wird das je verstehen, weil ale anderen sind in einer anderen Dimension. Und niemand kann ihn aufhalten, genausowenig wie Freddie Krüger oder Jason oder Michael Meyers.
Außer der Tollkühne Rächer. Er versteht ihn, denn sie sind zusammen aufgewachsen. Er hat auch übernatürliche Kräfte, aber er setzt sie zum Guten ein und nicht zum Bösen. Früher war er ein kleinerJunge, aber jetzt ist er ein Mann, muskulös und schweigsam, eine Mischung aus John Wayne oder Dirty Harry, aber mit einem Sinn für Humor. True Lies in Kombination mit James Bond. Action nur dann wenn auch wirklich nötig. Die Frauen fahren voll auf ihn ab, genauso wie auf James Bond aber er hat für so was keine Zeit, weil nur Er weiß, wozu das Monster in der Lage ist, und nur er kann das große Blutbad verhindern das ansonsten unausweichlich wäre.
Er trägt schwarz, aber er ist der Held. Immer kreativ bleiben nicht alles so machen wie die anderen. Die Actionszenen am Schluss nur mit ihm und dem Monster. Der Kampf der Urgewalten. Erst am Ende stellt sich raus, wie’s ausgeht. In der letzten Szene stirbt das Monster den schlimmsten aller Tode. Geht in Flammen auf, oder wird durch einen Riesenfleischwolf gedreht. Oder in Säure aufgelöst. Jedenfalls ist er tot.
Oder vielleicht auch nicht.
Wenns gut läuft gibts immer ne Fortsetzung.