Donnie kommt zum Essen
Punkt sieben Uhr klingelte es an der Tür. Marjorie hatte die große Auflaufform herangeschafft und war extra nochmal zu Sears gefahren, um den Fisch und den Käse aufzustocken.
Es würde genug zu Essen da sein.
Ein Mann darf nicht sparsam sein, wenn er Gäste erwartet. Und irgendwie war sogar Donnie heute so etwas wie ein Gast, zumindest kam es Herb so vor.
Marjorie stürzte zur Tür und blieb dabei an der Durchreiche hängen. Mitgerissen von ihrem eigenen Schwung knallte sie gegen die gegenüberliegende Wand und brachte beinahe das kindische Bergpanorama zu Fall, das dort hing. Herb lachte schallend auf, als sie sich die schmerzende Schulter rieb. Gemächlich stand er aus dem Sessel auf, während Marjorie die Gäste einließ. Ein Mann weiß, was sich gehört, Beinschiene oder nicht.
»Hi, Marjorie«, hörte er Donnie aus dem Flur.
»Hallo, Donnie, schön dich zu sehen.« Sie kicherte blöde. »Euch beide.«
»Danke schön. Das ist Kim. Kim, das ist Marjorie. Herberts Frau.«
Herbert? Was zur Hölle stimmte manchmal bloß nicht mit diesem Hosenscheißer? Herbert! Warum nicht gleich Mister Bouthillier?
»Alles okay, Marjorie?«, fragte der Hosenscheißer.
»Was? Na klar, Donnie, warum fragst du?«
»Habe da gerade so ein Rumsen gehört.«
»Ach das«, lachte Marjorie. »Bin an der Durchreiche hängen geblieben. Reines Ungeschick.«
»Ach so.«
Dann lachten sie beide ein bisschen, der Schwachkopf und Herbs tollpatschige Frau. Die Chinesin lachte nicht, oder Herb hörte es nicht. Wollte ihr Herb auch nicht geraten haben über seine Frau zu lachen.
Dann kamen sie endlich rein.
Herb nickte Donnie beiläufig zu.
»Donnie.«
»Hi, Herb. Herb, das ist Kim. Kim, das ist mein Bruder Herbert.«
Sie war es.
Oder nicht?
Scheiße auch. Sie hatte Schlitzaugen. Natürlich. Hatte sie ja auch auf dem Foto gehabt, dass Donnie ihm gezeigt hatte. Und lange, schwarze Haare. Aber die hatten sie doch alle, die Schlitzaugen-Lemminge oder hatte schon mal wer von einem blonden Chinesen gehört?
Herb nickte dem Mädchen zu und ließ sie dabei keine Sekunde aus den Augen. Der erste Eindruck ist der entscheidende, in jeder Hinsicht.
Hübsch war sie ja. Aber die Haare trug sie ein wenig kürzer als das Mädchen auf der Parkbank. Oder?
In ihren Augen war keine Spur eines Erkennens und irgendwie verspürte Herb darüber sogar einen Anflug von Erleichterung. Sie kam zu ihm rüber, lächelte, schüttelte ihm die Hand, sagte artig ihren Namen auf.
Kim Chang oder sowas ähnliches, aber sie sprach das ›Ch‹ in Chang irgendwie seltsam aus. Weich, rollend, ganz bestimmt nicht amerikanisch.
Mann, hatte die eine kleine Hand. Wie ein Kind. Schon klar, dass Donnie sowas gefiel. Weicheier werfen scheinbar immer ein Auge auf solche Frauen, die selbst keine halbe Portion sind. Vermutlich konnte die nicht mal was Vernünftiges kochen. Nur solchen Schlitzaugenfraß, wenn überhaupt. Und vermutlich war das Donnie auch noch scheißegal.
Armer, irrer Donnie.
Der würde vielleicht eines nicht mehr all zu fernen Morgens aufstehen und feststellen, dass er der Gefickte war und nicht die kleine Chinamatratze, die er am Abend zuvor bestiegen hatte.
Er wäre nicht der erste, dem das passierte.
»Kann gleich losgehen«, sagte Marjorie, »Bestimmt seid ihr schon hungrig.« Dann stolperte sie in die Küche. Das Mädchen machte keine Anstalten, ihr zu folgen. War wohl doch nicht so gut erzogen.
Donnie zog der Kleinen den Stuhl heraus wie ein richtiger Gentleman und sie bugsierte ihren kleinen strammen Arsch darauf, während sie einfach nicht aufhörte mit diesem Chinagrinsen. Und Herb hörte nicht auf, sie anzustarren. Es war schließlich sein Haus.
War sie es?
War sie es nicht?
Waren ihre Haare kürzer?
Oder nicht?
»’N Bier, Donnie?«, fragte Herb und löste seinen Blick von ihr, mit einiger Mühe.
»Danke, Herb, aber ich glaube, heute verzichte ich mal. Ich muss ja dann noch fahren.«
Er tätschelte ihre Hand und sie lächelte ihn an. Echt zum Kotzen. Marjorie kam mit dem Tablett rein.
Herb nahm die Weinflasche vom Tisch.
»Schon klar, Donnie. Dann nehme ich an, willst du auch nichts von diesem edlen Tropfen hier?«
Herb hob die Flasche an und die anderen ließen ein anerkennendes Raunen hören. Gerade so, als ob sie etwas davon verstehen würden.
»Na ja, höchstens ein klitzekleines Tröpfchen.«
»Ein klitzekleines Tröpfchen, ja?« Herb grinste breit, und Donnie ließ sein verzweifeltes Keuchen hören. »Der kleine Donnie möchte also ein klitzekleines Tröpfchen. Dann soll Donnie ein klitzekleines Tröpfchen bekommen.«
Im letzten Moment zog er die Flasche zurück und schwenkte sie über Kims Glas. »Aber erst die Dame.«
Sie bedankte sich mit einem schüchternen Lächeln.
Donnie starrte sie an, als wäre sie eine Mischung aus einem Hundewelpen und einer Sexgöttin, und vermutlich war sie das für ihn auch. Sie blieb weiterhin völlig cool. Keine Spur von Wiedererkennen, nur dieses Dauerlächeln.
Andererseits: Die Schlitzaugen lächelten doch ständig, verbargen ihre Gefühle hinter diesem Grinsen wie hinter einer Maske. Das wusste jeder. Die kriegen das schon als kleine Kinder beigebracht. Oh, verdammt, er war sich einfach nicht sicher.
Während sie aßen, dachte Herb nach.
In einem Moment sah sie aus wie die Kleine vom Park, und dann wieder überhaupt nicht mehr. Oder doch? Üble Sache. Regelrecht zum Verrücktwerden.
Sie sprachen über irgendwelchen Blödsinn und die Kleine versuchte ein paar Satzfetzen in einigermaßen passablem Englisch, wobei sie nie ganz das Rollen bleibenließ, besonders beim ›r‹ und beim ›l‹.
Für Herb klangen ihre schüchternen Kommentare wie auswendig gelernt. Ja, nein, bittel sehl, das ist sehl gut, dankelsöhn. Ihre neuen Fans Donnie und Marjorie hingegen waren ganz Feuer und Flamme, während Herb nur hin und wieder mal einen Scherz oder eine Bemerkung einwarf. Die meiste Zeit brütete er dumpf vor sich hin und versteckte seine Überlegungen hinter seiner Maske des Lächelns.
Zum Beispiel diese: Vielleicht würde er sich heute Abend noch kurz auf Marjorie draufrollen (War immerhin ihr Glückstag heute), und ihr die alte Schlange geben und dabei an Donnies kleine Schlampe denken. Das hätte was. War ein süßes Ding, diese Kim. Und verdammt jung, höchstens Ende Zwanzig, aber auch das ließ sich bei den Asiatinnen nicht mit Bestimmtheit sagen.
Herb stellte sich vor, wie es wohl sein würde, seinen mächtigen Prügel in ihren engen Schlitz zu treiben. Sicher nicht allzu schön ― für sie. Jetzt grinste er wirklich, vielleicht ein bisschen zu breit.
Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als Marjorie ihn sanft am Ellenbogen stieß.
»Schatz?«
»Ja, verdammt«, brummte er, »was ist denn?«
»Donnie fragt, wo du den Wein her hast? Er schmeckt sehr gut.«
»Na, aus dem besch...«, begann Herb, aber dann unterbrach er sich. »Aus ’nem Spezialgeschäft. Kenn da so einen Weinhändler. Ein paar Blocks von hier, die Straße runter. Der hat sich spezialisiert ... auf die guten Sorten. Hält mir immer ein paar Flaschen von dem guten Zeug unter der Ladentheke bereit.«
»Siehst du«, erklärte Donnie seiner Angebeteten, »Herb ist ein respektierter Mann hier in der Nachbarschaft.«
Die Kleine lächelte und tat beeindruckt. Verstehen konnte sie Englisch demnach recht gut. Verstellte sie sich also vielleicht auch nur, was das Sprechen betraf?
Irgendwann kam Marjorie mit dem Nachtisch, irgendeine Puddingpampe. Die gute Hälfte der Lasagne stand noch unangetastet auf dem Tisch, und schönen Dank auch. Die Gäste schlangen den Nachtisch runter und redeten noch ein bisschen Unfug, den Marjorie mit ihrem üblichen dümmlichem Gekicher quittierte.
Irgendwann standen die beiden endlich auf. Hatten offenbar noch eine Menge vor heute Abend.
»Vielen Dank für die Einladung, Marjorie«, sagte Donnie.
»Vieleln Dang!«, sagte die Kleine und die beiden anderen Clowns lachten ein bisschen gutmütig über ihre drollige Aussprache, dann grinsten sie alle drei Herb an.
»Danke für den tollen Abend, Herb. Und den Wein.«
»Keine Ursache, Donnie«, sagte Herb. Und schenkte ihm sein patentiertes, einäugiges Herb-Augenzwinkern.
Nimm sie ordentlich ran, Donnieboy.
Dann drückte Herb die Hand der Chinesin. Klein wie eine Kinderhand und ganz zart. In China dürfen die Frauen keiner körperlichen Arbeit nachgehen, wusste Herb, und letztlich zahlte sich das wohl doch irgendwie aus. Clevere Burschen, diese Chinesen.
»Donnie, Kim«, sagte Marjorie, »Ihr müsst von der Lasagne mitnehmen. Es ist noch so viel übrig und ... sie hat euch doch geschmeckt, oder?«
Eine Fangfrage. Herb grinste.
»Na klar, Marjorie, die war ganz ausgezeichnet«, behauptete Donnie. Klar, dachte Herb, wenn man zerkochten Fisch und labbrige Nudeln mag.
»Na siehst du, Donnie. Ich geb euch was mit. Tut sie in den Kühlschrank, dann könnt ihr morgen davon essen, ja?«
»Das ist doch nicht nötig, Marjorie, wirklich!«
»Na na, keine Widerrede! Ich bestehe darauf.«
»Okay, dann ... vielen Dank!«
»Aber klar doch«, sagte Marjorie und rannte in die Küche, um Silberfolie zu holen. Die beiden zogen ihre Schuhe an. Die Kleine trug so schwarze Absatzschuhe mit hohen Absätzen. Nuttenschuhe, natürlich. Jetzt war sie beinahe so groß wie ein richtiges Mädchen. Armer dummer Donnie, dachte Herb, wo bist du da bloß reingeraten?
Marjorie kam zurück mit der Auflaufform, eingewickelt in Aluminiumfolie.
»Und was essen wir morgen?«, verlangte Herb zu wissen und ließ es klingen wie im Scherz.
Marjorie warf ihm einen erschrockenen Blick zu und stammelte dann: »Ich mach dir deinen Lieblingsburger, ja? Mit Zwiebeln und Speck. Wie du ihn magst, Schatz. Ich muss eh noch einkaufen fahren.«
Herb nickte, und Donnie nahm die Auflaufform entgegen. Dann die offizielle Verabschiedung und die beiden gingen hinaus in die Nacht. Die Absätze der kleinen Schlampe klackerten nuttig in der Einfahrt.
Herb schloss die Tür.
»Sie ist nett«, sagte Marjorie und strahlte ihn an, »Donnies Freundin.«
»Kein Grund, ihnen so aufdringlich dein Essen aufzuschwatzen.«
»Tut mir leid, Herb.«
»Hol mir ein Bier. Von diesem scheiß Wein muss ich kotzen.«
»Klar, Herb. Aber so schlecht fand ich ihn eigentlich gar nicht ...«
Mit einer Kopfbewegung unterbrach er sie und deutete in Richtung Küche. »Ich mach das mit den Abfällen.«
»Oh, du bist ein Schatz, Herb Bouthillier«, plärrte Marjorie und eilte in die Küche, um den Plastiksack mit den Abfällen zu holen, die bei der Zubereitung ihres verschwenderischen Mahls angefallen waren.
Herb nahm ihr den Sack ab und öffnete die Tür zur Garage. Er ging immer durch die Garage zu den Mülltonnen. Einmal war es der kürzere Weg und zweitens führte dieser Weg am Fenster des Badezimmers der Meyers vorbei, und deren Tochter vergaß manchmal, die Vorhänge zuzuziehen, wenn sie unter der Dusche stand. Und Mann, hatte die kleine Myers ein schönes Paar Titten für ihr Alter.
Heute nicht. Heute duschte niemand im Haus der Myers. Dafür stellte Herb fest, dass die Tonnen vorn auf der Straße standen. Natürlich. Morgen früh würden sie abgeholt, er hatte sie ja selbst rausgestellt.
Also ging er auf die Straße, den Müllsack am ausgestreckten Arm, damit er sich keine Fischsoße auf die Klamotten tropfte. Er hob den Deckel und war gerade dabei, den Sack in die Tonne zu wuchten, als er mitten in der Bewegung innehielt.
Er hatte Donnies meckerndes Ziegenlachen gehört, unverkennbar.
Rechts und gar nicht weit weg von ihm, nur ein Stück die Straße runter. Herb schlüpfte zurück in den Schatten zwischen den Akazien. Stellte den Sack ab. Lugte hinter den Akazien hervor. Schaute nach rechts. Sie hatten ihn offenbar nicht bemerkt. Kein Wunder, wie sie da so eng umschlungen standen. Sie an ihn gedrängt. Sie sprachen miteinander, diskutierten über irgendwas und dann drückte Donnie das Flittchen noch fester an sich. Eine gute Minute standen sie so herum, dann bewegte sich etwas. Herb kam ein unschöner Verdacht, als er das Geräusch eines Blechdeckels hörte, der von einer Mülltonne genommen und gleich darauf wieder draufgelegt wurde. Schließlich startet Donnie seinen Wagen, parkte aus und die beiden düsten davon. Herb schlenderte die Straße runter bis zu der Straßenlaterne, unter der die beiden Turteltäubchen gestanden hatten.
Er hob den Deckel der Mülltonne an, vor der die beiden sich einen abgelacht hatten. Die unappetitlichen Reste von Marjories berühmter Fischlasagne starrten ihn an.
Finster schüttelte Herb den Kopf.
Ein Mann sollte stets wissen, wie man sich als Gast zu benehmen hatte. Und er sollte dieses Wissen unbedingt an die Frau an seiner Seite weitergeben.
Unter allen Umständen. Selbst wenn diese Frau eine heimtückische Schlitzaugenfotze war.
Dann vielleicht ganz besonders.