Donnie und Kim

»Der Wein ...« Kim verzog das Gesicht. »Nicht sehr gut.«

Donnie musste lachen. Wenn sie das Gesicht verzog, kräuselte sich ihre Nase und das war bestimmt das Entzückendste, das Donnie je gesehen hatte. Sie war so unglaublich süß, wenn sie das tat. Und er war solch ein unglaublicher Glückspilz.

»Oh, Mann«, sagte er, »ich dachte, er lässt uns überhaupt nicht mehr gehen. Herb kann einem manchmal richtig das Ohr abkauen. Naja, ich schätze, er war eben schon immer so.«

»Ohr ... abkauen?« Kim schaute ihn fragend an.

»Das heißt, er redet viel, Baby. So viel, dass einem die Ohren davon abfallen. Also nicht richtig, natürlich. Ist nur so eine Art Redewendung.«

»Verstehe. Aber ... Marjorie die ist sehr nett.«

»Das ist sie, Kim. Vielleicht hätten wir den Fisch nicht wegschmeißen sollen, obwohl die Lasagne ... oh, Mann, mir ist immer noch schlecht davon. Aber sie hat es nur gut gemeint, ich bin mir sicher.«

»Ist ein nette Frau. Herb machen viele Witze.«

»Ja, nicht wahr? Er ist manchmal ein bisschen verdreht, aber er kann echt ein witziger Bursche sein. Er ist mal Polizist gewesen, weißt du?«

»Polizist ...«, sie guckte ihn aus großen Augen an. Gott, zum Anbeißen war das.

»Ja, ein richtiger Streifenbulle. Aber dann haben sie ihn im Dienst angeschossen. Mannomann. Haben ihn am Bein erwischt und ihm das Auge rausgeschossen und seinen Partner Mike ...«

»Auge?«

»Ja«, sagte Donnie und deutete auf sein eigenes.

»Deshalb trägt er immer diese getönte Brille, wenn er rausgeht. Herb hat links ein Glasauge. Da, wo ihn der Splitter getroffen hat. Mittenrein.« Donnie schüttelte den Kopf. »Ist ein richtiger Held, Herb. Hat einen Orden bekommen und das alles, bevor er aus dem Dienst ausgeschieden ist.«

»Wow«, machte Kim und das fand Donnie richtiggehend entzückend. Er mochte es, wenn sie staunte. Gott, er mochte alles an ihr. Und seit ein paar Wochen war er auf dem besten Weg, sich ernsthaft in sie zu verlieben. Ach Quatsch, dachte er, das ist doch längst passiert. Auch wenn es vielleicht nicht ideal war, wegen Herb und der Tatsache, dass ausgerechnet Chinesen ihm das damals angetan hatten, so war Kim doch das Beste, das ihm seit einer sehr langen Zeit passiert war.

Und hatte nicht auch er ein bisschen Glück verdient?

»Ja«, sagte er und nickte bedächtig, »Die Sache hat seinen Partner das Leben gekostet, Mike. Und Herb wäre um ein Haar auch dabei gestorben.« Dass es die Leute der Chinesenmafia gewesen waren, die Herb und seinen Partner damals erwischt hatten, behielt er lieber für sich.

»Oh je.«

»Ja. Aber Herb hat es überlebt. Und mir später die ganze Story erzählt. Wusstest du, dass ich früher auch Polizist werden wollte?«

»Mein Held!«

»Du bist süß, Kim.«, Und Teufel auch, wenn das nicht die Wahrheit war. »Aber sie haben mich nicht genommen. Wegen meines Asthmas, weißt du.«

»Ich bin froh.«

»Ach ja?« Donnies Ein-Mann-Computerservice

– Ihr Rechner wieder munter und gesund in unter einer Stund’! (Oder Geld zurück!) –

war sicher nicht das nächste Ding am Börsenhimmel und es war auch ganz bestimmt nichts Heldenhaftes daran. Aber es bezahlte die Rechnungen. Und das Haus gehörte ihm ganz allein, seit Tante Bertha gestorben war.

Ein Anfang war es allemal.

»Ja.«, sagte Kim und nickte. »Ich bin froh, du kein Polizist. Dann hast du kein falschen Auge und keine schlimmen Bein.«

»Komm her«, sagte er und sie kam zu ihm. Er schloss sie in seine Arme, wie er es vorhin unter den Akazien getan hatte. Roch den Duft ihres nachtschwarzen Haars, spürte ihren warmen Körper, der sich an ihn drängte. Verlor sich in ihr, als sich endlich ihre Lippen fanden. Ja, Donnie, dachte er, es ist wirklich zu spät, du bist längst bis über beide Ohren verknallt in dieses Mädchen.

Komme, was da wolle.

»Was ist das?«, fragte sie und deutete auf die hässliche, goldfarbene Gipsskulptur. »Ist ein Pferd?«

»Das? Hm, keine Ahnung. Herb hat es mir zum Geburtstag geschenkt. In dem Jahr, als er ... als er vom aktiven Dienst zurückgetreten ist. Hat ihn eine Stange Geld von seiner Invalidenrente gekostet, hat er gesagt. Also ja, es könnte ein Pferd sein oder was meinst du?«

»Hm, weiß nicht. Sieht komisch aus.«

»Da hast du recht. Ich hätte mir das Ding auch nicht freiwillig gekauft. Aber Herb, du weißt ja, wie er ist. Ich glaube, es würde ihm das Herz brechen, wenn ich das Ding woanders hinstellen würde und verkaufen kann ich es natürlich auch nicht. Also steht es neben der Couch und setzt Staub an. Bringt mich ja nicht um, den hin und wieder wegzuwischen und Herb freut sich, da bin ich sicher.«

Kim nickte und wandte sich ihm zu.

»Hast du mehr Wein?«

*

Später lauschte er ihrem gleichmäßigen Atem, als sie eng an ihn gekuschelt neben ihm lag. So sanft, so beschützenswert, so ... ihm fiel kein Wort für das ein, das er für sie empfand. Er wusste nur, dass es sich ziemlich genau am anderen Ende des Spektrums der Gefühle bewegte, die er in Herbs Keller empfand, während ihrer sogenannten Pokerrunden.

Er mochte Herb, denn sein Bruder war ein cooler Typ. Ein Cop und ein Held, nicht zu vergessen. Herb war so ein Typ, dem niemals jemand auf dem Schulhof das Pausenbrot geklaut hatte, und er hatte Donnie mehr als einmal vor einer Tracht Prügel bewahrt. Herb hatte eher zu der Sorte Schüler gehört, die anderen das Pausenbrot abnahmen. Und dennoch hing er gern mit Donnie herum.

Und das war cool, klar.

Aber vielleicht wurde es dennoch allmählich Zeit, dass sich Donnie mal mit ein paar anderen Leuten traf.

Was Donnie betraf, so hatte er allmählich genug von Herbs Keller, und von den Filmen, die dort während ihrer als Pokerrunden (als ob man zu zweit Pokern könnte!) getarnten Fernsehabende liefen. Dabei war das anfangs sogar ziemlich gut gewesen. Ein bisschen Popcorn und Salzbrezeln und jede Menge Bier. Sie hatten den Superbowl geschaut, wenn auch als Aufzeichnung. Ansonsten jede Menge Actionstreifen, bei denen es richtig zur Sache ging oder auch mal einen Horrorfilm.

Das war okay gewesen, nur ein bisschen abendlicher Nervenkitzel vor der Mattscheibe.

Und als Herb mit den anderen Filmen angefangen hatte, den Pornosachen, die er bei irgendeinem Versandhandel bestellte ― was war denn schon dabei gewesen?

Schließlich schaute jeder Mann sowas, sogar die verheirateten. Die ganz besonders, vermutlich.

Also hatte Herb manchmal, wenn er genug intus hatte, einen von diesen Filmen reingeschoben und ja, anfangs hatte Donnie das sogar ein bisschen erregend gefunden. Besonders, wenn er abends allein gewesen war und noch mal über die eine oder andere Szene nachgedacht hatte.

Aber in letzter Zeit waren die Filme härter geworden, von noch schlechterer Qualität als die üblichen Sexfilmchen und ― irgendwie düster.

Roh und gewalttätig.

Auf gewisse Weise weit verstörender als die härtesten Horrorfilme, und Donnie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so einen geschaut hatten. Das würde aufhören, nahm er sich vor. Ab sofort. Oder bei nächster Gelegenheit.

Er würde eben in nächster Zeit sehr viel für die Firma zu tun haben.

Sicher würde Herb das verstehen.

Kim regte sich und vertrieb Donnies düstere Gedanken. Vertrieb sie wie ein Wind, der düstere Wolken vor einem blauen Himmel auseinandertreibt, als wäre das gar nichts.

»Hey«, sagte Donnie und küsste sie auf die Stirn.

»Hey«, sagte sie und schenkte ihm ihr strahlendes, makelloses Lächeln. Er wollte in der Schwärze ihrer Augen ertrinken, dachte er, und Mann, wäre das eine poetische Art zu sterben. Donnie schüttelte den seltsamen Gedanken ab und sie schob ihren wendigen Körper auf ihn. Küsste seine Brust. Das war elektrisierend.

»Badezimmer?«, fragte sie und Donnie sagte:

»Im Flur, zweite Tür links.«

Sie nickte und stand auf. Ging durch das Zimmer, nackt und wunderschön, wie sie war, und ohne jede Hemmung.

*

Donnie machte ihr Pancakes zum Frühstück und sie hatte Appetit. Er mochte es, ihr beim Essen zuzuschauen.

»Was lachst du?«, fragte sie, »Etwas an meinem Mund, eine Krümel?« Hastig wischte sie sich mit ihrer Serviette über den Mund.

Donnie schüttelte den Kopf. »Alles in Ordnung. Er ist perfekt, weißt du? Dein Mund.«

»Was machen wir?«, fragte sie und grinste ihn an, während sie sich ein weiteres Stück Pancake in ihren entzückenden Mund schob.

»Na ja«, sagte Donnie. »Ich weiß jedenfalls, was ich machen möchte«.

»Was denn?«

»Ich will mit dir unter die Bettdecke schlüpfen und den ganzen Tag dort herumliegen und gar nicht wieder aufstehen.«

»Okay«, sagte sie. Die einfachste Sache der Welt.

»Es geht nicht. Ich muss mir den Rechner vom alten Wierman ansehen. Dem die Werkstatt gehört. Er sagt, die Software spinnt herum, seit sie das neue Rechnungsprogramm draufgespielt haben. Aber ich glaube, er braucht nur eine neue Festplatte.«

»Musst du. Heute?«

»Ja. Tut mir leid. Aber wir haben noch ein bisschen Zeit. Du ...«, er zögerte. »Du kannst vielleicht warten, bis ich zurück bin. Es dauert vermutlich nur eine Stunde oder so. Wenn du willst, natürlich.«

»Okay. Gehen in Bett. Ist noch bisschen Zeit.«

»Was denn, jetzt?«

Sie nickte, steckte ihren gekrümmten Zeigefinger und zog ihn mit sich in Richtung Schlafzimmer. Mühelos.

»Aber das Frühstück ...«

»Gehen in Bett. Wenn du mich fängst.«

Donnie musste lachen, »Was?«

»Du mich fängst, dann Sex.«

Sie grinste ihn an, zog den Finger aus seinem Hosenbund und fetzte los.

Donnie hinterher, lachend.

An der Couch hätte er sie beinahe eingeholt, aber sie entwischte im letzten Moment, setzte über die Couch, strahlte ihn an. Er ihr gegenüber, das Polster der Couch zwischen ihnen. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und sah ihn an, als müsse sie angestrengt nachdenken.

»Du willst nicht mehr Sex jetzt?«, fragte sie und setzte eine Unschuldsmiene auf.

Donnie langte nach vorn, packte sie an der Hüfte und zog sie zu sich heran. Sie kicherte und quiekte und strampelte mit den schlanken Beinen, aber Donnie ließ sie nicht los. Er stieg nun selbst auf die Couch und hob sie in die Höhe. Sie war leicht wie ein Kind. Sie kicherte und strampelte weiter.

»Nein!«, rief sie, »Ich kitzelig!«

»Das hättest du dir vorher überlegen müssen, junge Dame!«, rief Donnie lachend, als sie sich in seinen Armen wand. Er schwang sie herum, um sie neben sich auf den Boden zu stellen. Im Flug der Bewegung blieb ihr rechter Fuß an der hässlichen Goldskulptur hängen, die Herb ihm geschenkt hatte.

Sie rief »Au!« Und das Ding knallte aufs Parkett, wo es in tausend Teile zersprang.

Kim erstarrte, als der Knall durch das Zimmer hallte.

Donnie stellte sie neben sich auf dem Boden ab.

Jetzt lachte Donnie nicht mehr.

»Scheißescheißescheiße«, flüsterte er und kniete sich neben die Reste der Skulptur auf den Boden. Die Diskussion, was die Figur eigentlich darstellen sollte, hatte sich hiermit wohl erübrigt. Sie stellte jetzt nur noch einen Haufen Scherben dar, das war alles. Herb würde nicht begeistert sein, überhaupt nicht.

Shit.

Zwischen den Scherben glitzerte etwas.

»Was zur Hölle ...«, sagte Donnie und griff sich einen der glitzernden Steine aus den Trümmern der Scheußlichkeit aus goldbepinseltem Gips. Er hielt ihn in die Höhe. Der Stein glitzerte im Sonnenlicht, wie Donnie noch nie etwas hatte glitzern sehen.