Herb hat eine Theorie
Donnie tappte durch den Flur und tastete nach dem Lichtschalter. Er knipste das Licht an, trat ins Wohnzimmer und fuhr zusammen.
»Herb«, keuchte er und sein Rucksack glitt aus seinen Händen zu Boden.
»Herb, was machst du hier?«, und »Oh, Scheiße!«, als er den Blick ein wenig schweifen ließ. Die chinesischen Kroaten hatten sich seine Wohnung ordentlich vorgenommen, aber Herbs intensive Suche nach der Vase hatte sie in ein regelrechtes Schlachtfeld verwandelt.
Herb saß auf der Couch, mit feuchten Haaren.
»Komm her, Donnie, wir müssen reden.«
Donnie tat es und setzte sich neben Herb auf die Couch. Sein Blick fiel auf das kleine, in Öltuch gewickelte Päckchen. Dann schaute er woanders hin.
»Ich weiß, was hier läuft, Donnie.«
»Okay, Herb.«
»Die haben dich rausgesucht, von Anfang an.«
»Aber ... aber das verstehe ich nicht, Herb. Oh Mann. Ich meine, wieso ich? Was gab es denn bei mir zu holen?«
Donnie war ein Nervenbündel.
»Nichts, vermutlich. Gar nichts besonderes, nur eben der übliche Kram.«
»Ja, und der ist versichert. Ich werde die Schlösser wechseln lassen und ...«
»Darum geht’s nicht.«
»Nein? Worum denn dann, Herb?«
»Es geht um meine Skulptur.«
»Die Skulptur? Echt jetzt, Herb?«
Donnie wirkte beinahe ein bisschen aufgebracht. Naja, das musste wohl an seinen strapazierten Nerven liegen. Er ruderte auch gleich zurück. »Ich meine, ich fand sie ja echt schön und so. War ein tolles Geschenk, hab mich wirklich gefreut, aber ...«
»Du kapierst es nicht, Donnie.«
»Was kapiere ich nicht?«
»Was ein Mann zulässt, dass ihm passiert, das passiert ihm immer wieder.«
»Meinst du das jetzt so auf der metaphysischen Ebene?«
»Ich meine: Scheiße, du musst da hingehen und deine Stellung klarmachen. Ihnen zeigen, dass sie sich mit dem Falschen angelegt haben. Und dann musst du dir die Skulptur zurückholen.«
»Was? Oh, Mann, Herb, ich weiß nicht. Vielleicht waren es ja wirklich die Kroaten? Ich werde nochmal bei Kim anrufen und ...«
»Donnie, bist du wirklich so beschissen dumm wie du aussiehst, Mann?«
»Na hör mal, Herb ...«
»Kapierst es denn immer noch nicht? Deine kleine Ling-Ling steckt doch in diesem ganzen Scheiß mit drin bis zu ihrer kleinen Nase. Eine gut aussehende, junge Tussi, die freiwillig mit einem Kerl wie dir rumhängt ...«
»Also, ich finde ...«
»Halt die Klappe, Donnie! Die mit einem wie dir rumhängt und kaum ist die Bude ausgeräumt, ist sie verschwunden und nicht mehr erreichbar. Ist doch klar: Die sitzt jetzt in irgendeinem schönen Penthouse, lässt sich von ihrem Komplizen durchbumsen und dabei planen die beiden schon den nächsten Coup. Und während sie das tun, lachen sie über dich. Sie lachen über dich, Mann!«
»Ehrlich, Herb, das glaub ich nicht. Du meinst, sie ist abgehauen, mit dem Geld? Mit allem?«
»Klar wie Kloßbrühe. Ist alles schon tausend Mal passiert. Und solche einsamen Herzen wie du, Donnie ― die sind die perfekten Opfer.«
»Du meinst, sie ist mit ... mit der Beute abgehauen?«
Jetzt erst schien es Donnie wirklich zu begreifen. Offenbar war seine Leitung noch ein bisschen länger, als Herb das bisher angenommen hatte. Dafür wurde er jetzt weiß wie eine Kalkwand, der gute Donnieboy.
»Da steckt immer eine ganze Gang dahinter«, sagte Herb beiläufig, »Und jetzt zu den guten Nachrichten.«
»Gute ... Nachrichten?«, stammelte Donnie.
»Ja, Mann. Ich hab alles beobachtet, sie und ihren Komplizen.«
»Was?«
»Ja, als sie das Ding geplant haben. War reiner Zufall. Hab sie da sitzen sehen, im Park, als ich Joggen war und mir nichts weiter dabei gedacht. Halt zwei Schlitzaugen, die irgendeine Scheiße zu bereden hatten. Aber dann fiel mir auf, dass ich das Mädchen kannte. Es war nämlich dein Mädchen, Donnie, und sie war da mit einem anderen Kerl. Einem Chinesen. An dem Tag, bevor du sie angeblich vom Flughafen abgeholt hast.«
»Was?« Jetzt sah Donnie richtig fertig aus. Kapierte es, endlich. »Wieso ... Aber ich habe sie ... wieso hast du nichts gesagt, Herb?«
»Nun, ich wollte dich nicht beunruhigen, schätze ich. Junge Liebe und all das.«
»Was?«
»Beruhige dich, Mann. Ich war mir nicht sicher, okay? Nicht zu einhundert Prozent. Du weißt, für mich sehen diese Schlitzaugen alle gleich aus.«
»Und jetzt bist du dir sicher?«
»Ja. Ist mir wieder und wieder durch den Kopf gegangen, die Szene, wie sie da im Park saß mit dem Chinamann, und ganz eng an ihm dran. Und dann wart ihr bei uns zum Essen.«
»Ja?«
»Ja, und da hab ich sie getestet. Hab ihre Körpersprache beobachtet und das alles. Aber sie war glitschig wie ein Fisch, das sag ich dir. War nichts aus ihr rauszubekommen. Bis mir einfiel, woher ich den Chinesen kannte.«
»Den Typ, der mit ihr im Park gesessen hat?«
»Und die ganze Sache ausgeheckt, ja. Also hab ich mir von den Kollegen im Revier ein paar Akten besorgt und ...«
»Du warst im Revier? Und durftest dir die Akten ansehen?«
Herb machte eine wegwerfende Geste. »Einmal Bulle, immer Bulle.«
»Und?«
»Und es stellte sich raus, dass der Kerl ein waschechter Ganove ist. Nur ein kleiner Fisch, ein bisschen Drogen hauptsächlich. Spielt den Laufburschen für ein paar Zuhälter. Schuldet ein paar Leuten einen Gefallen. Wie das so ist.«
»Oh, Mann.«
»Ja, und er steht im Verdacht, der Drahtzieher hinter einer Serie von Einbrüchen zu sein, bei denen die Hausbesitzer nicht zu Hause waren und keine Alarmanlage besaßen. Als hätte er’s gewusst. Es ist in solchen Fällen einigermaßen schwierig, an die Kohle von der Versicherung zu kommen. Zu viele Zufälle, verstehst du? Ein bisschen, als wenn du deinen Hausschlüssel unter der Bastmatte vor dem Eingang liegen lässt.«
»Scheiße. Oh, Mann, Herb, das ist eine Riesenscheiße!«
»Korrekt.«
»Oh, fuck!«, Donnie vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Ich kapiere bloß eins nicht: Wenn sie mit allem abgehauen ist, warum hat sie dann die verdammte Auflaufform mitgenommen? Was zur Hölle hätte sie damit anstellen sollen?«
»Tja, keine Ahnung. Vielleicht mag sie ja Fischlasagne?«
Herb warf Donnie einen intensiven Blick zu, aber der schaute weg, Tränen in den Augen.
»Oh, Scheiße, was mach ich denn nun bloß?«
»Na, na, Donnie, wer wird denn gleich heulen wie ein Mädchen? Onkel Herb hat die Lösung.«
Donnie guckte ihn mit großen Augen an wie ein Kaninchen, das den Todesstoß erwartet.
»Die Lösung?«, fragte Donnie.
Herb nickte.
»Also, was wir machen, ist folgendes: Ich habe den Namen und die Adresse von diesem Kerl. Der Wichser heißt Tommy Chang. Da gehen wir jetzt hin und holen zurück, was uns gehört.«
»Aber wer sagt dir denn, dass dieser Tommy Chang überhaupt mit uns reden wird?«
»Oh, das wird er«, sagte Herb und sein Blick wanderte zu dem Päckchen auf dem Tisch. »Das wird er auf jeden Fall.«