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Es gab da eine Siebzehnjährige namens Mia. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag sie auf dem Bett. Wer hatte in der Vergangenheit eigentlich geglaubt, dass er den vollen Durchblick hätte? Ich schnaubte verächtlich. Wie lächerlich. Nur allzu gern wollte ich dieser Mia den Schwarzen Peter zuschieben und so tun, als hätte ich mit dieser Person, die all das eben erfahren hatte, nichts gemein. Doch Mia, das war ich. Diese dumme, dumme Mia, die ihr Herz an Menschen gehängt hatte, die für irgendeinen dämlichen Sinn in den Tod gehen wollten. Denen nichts wichtiger schien, nicht die Familie, keine Freunde – nicht mal ihr eigenes Leben.
Ich hatte mich nach unserem Ausflug ziemlich schnell von Iason verabschiedet. Ich brauchte erst einmal Abstand. Jetzt lag ich hier. Allein. Verwirrt. Und völlig ratlos.
Plötzlich kam mir eine Idee! Ich fuhr hoch, stützte mich auf die Unterarme, während ich den Gedanken zu Ende spann. Ich musste verhindern, dass sie zurückgingen, dann konnten sie ihren dämlichen Sinn für ihr dämliches Loduun auch nicht erfüllen.
Doch wie sollte ich das anstellen?
Wie ein nasser Sack ließ ich mich wieder ins Kissen fallen. Sie würden irgendwann gehen wollen. Iason hatte mir das heute deutlich zu verstehen gegeben. Nie würde ich sie überzeugen können, wenn der Drang, ihren Sinn zu erfüllen, so stark war, wie Iason es beschrieben hatte.
Ihre Zukunft erschien mir wie eine erste Skizze auf Zauberpapier. Gezeichnet von niemand Geringerem als dem Schicksal selbst. Ähnlich wie bei uns Irden und doch völlig anders, denn unser Morgen bestand nur aus vagen Konturen, während ihres schon gleich nach der Geburt festgelegt war. Das Schicksal erschuf sie, nicht die Umstände, oder gar sie sich selbst. Eine Vorstellung, die bei mir Angst weckte, und in meinen Loduunern Freude. Das Leben selbst würde die Umrisse ihrer Zukunft nur noch mit Farben füllen, in all ihren Schattierungen, die nötig waren, um zu begreifen. Ein Bild, das erst fertig wäre, wenn ihr Sinn sich erfüllte – was auch gleichzeitig das Ende ihres Lebens hieß.
Ob sich ihr Schicksal ebenso auf der Erde erfüllen könnte? Möglich wäre das immerhin. Wie also etwas aufhalten, von dem ich gar nicht genau sagen konnte, wo, wann und wie es passieren würde? Sie wussten es ja selbst nicht einmal.
Ich hielt das nicht mehr länger aus, ich musste irgendetwas tun. Also raffte ich mich aus dem Bett auf und machte Ordnung in meinem Zimmer. Die herumliegenden Kleider kamen in den Schrank zurück, die Schnellhefter auf einen Stapel in das Regal. Meine Hand verweilte am Fenstergriff, als ich durchlüften wollte.
Wer von ihnen würde als Erster sterben? Die süße Hope? Silas? Etwa Ariel? Oder mein Tony?! Nein, Tony nicht. Er hatte ja einen fortwährenden Sinn. Aber wer sagte das eigentlich? Woher wollte Iason wissen, ob Tony vielleicht nicht nur geboren wurde, um eine bestimmte Person glücklich zu machen? Vielleicht hatte diese Person ja auch nur ein ganz kurzes Leben, und dann? Oh nein!
Was, wenn es Iason war? Ich riss das Fenster auf und rang nach Luft.
Konnte ich das durchstehen? Oder sollte ich dem Tulpenweg den Rücken kehren? Um dies zu entscheiden, mobilisierte ich die innere Waage in meinem Kopf. Sie hatte mir schon bei so mancher Entscheidung gute Dienste erwiesen.
Zwei Schalen, die einander gegenüber im Lot standen. Auf die eine Seite kam das Pro für die Loduuner, auf die andere das Kontra. Anschließend würde ich ja sehen, was mehr wog.
Erst wollte ich den Kontra-Pott füllen. Denn dazu fielen mir Unmengen ein. Ich begann einen beachtlichen Berg anzuhäufen.
Sinn mit Tod zur Folge, schleuderte ich hinein.
Keine Gegenwehr, sondern geradezu kniefälliges Einverständnis, schlug ich obendrauf.
Mehr noch: Sie wollten so leben! Rein damit!
Das war krank, einfach krank!, feuerte ich außerdem dazu.
Nicht nachvollziehbar, und so anders, dass mir schlecht wurde. Die Schale quoll fast über davon …
Aber warum kippte die Waage dann nicht?
Die andere Schale war doch leer? Kein Gegenargument schaute aus ihr heraus?
Ich wurde neugierig. Bedächtig näherte ich mich dem leeren Becken, Schritt für Schritt und voller Verwunderung, weil es mir so eigenartig vorkam.
Als ich dort war, streckte ich mich, reckte mich noch ein bisschen mehr … und noch ein bisschen. Vorsichtig spähte ich über den Rand.
Und was ich sah, war ein winziges Ding. Ganz allein lag es da und hielt zitternd wie ein kleiner Schmetterling dem schweren Gegengewicht stand. Nichts anderes war ihm beigefügt.
Ich nahm eine Bewegung an der Waage wahr. Ganz zart war sie, kaum mit bloßem Auge sichtbar. Die Waage geriet ins Wanken, dann kippte sie.
Und das winzige Ding wog mehr.
»Liebe«, flüsterte eine Stimme in mir.