7
 
Demon hatte ihr Gesicht schon so oft in seinen Träumen gesehen, dass er nicht bemerkte, dass er ebenfalls einschlief. Ihr Gesicht war das Letzte, was er sah, ehe sich seine Augen schlossen, und es war das Erste, was er in der Dämmerung sah, als er aufwachte.
Demon runzelte die Stirn und reckte seinen steifen Hals. Als er zum Feuer schaute, entdeckte er nur einen Haufen schnell auskühlender Asche. Er erstarrte und wirbelte dann herum, um zum Fenster zu sehen.
Die schweren Läden waren geschlossen, doch ein kleiner Strahl blassen Lichts stahl sich durch einen Spalt.
Er fluchte leise und sah dann zu Flick, die noch immer schlief wie ein Engel. Mit fest zusammengebissenen Zähnen stand er auf und ging leise zur Tür. Als er sie öffnete, bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen – der Tag war angebrochen.
Demon riss die Tür weit auf und holte tief Luft. Der Duft des feuchten Waldes stieg ihm in die Nase, tief sog er ihn ein und atmete dann langsam wieder aus.
Ein Geräusch hinter ihm veranlasste ihn, sich umzudrehen. Er stand noch an der Tür und sah zu, wie Flick langsam aufwachte.
Sie öffnete nicht einfach die Augen. Stattdessen huschte ein Ausdruck von Bewusstsein über ihr Gesicht, und ihre vollen Lippen verzogen sich ein wenig. Mit noch immer geschlossenen Augen stieß sie ein leises Geräusch aus, dann reckte sie sich genüsslich, streckte den Rücken, entspannte sich wieder, und ihre Augenlider flatterten.
Und erst dann öffneten sich langsam ihre Augen.
Sie sah ihn direkt an, dann riss sie die Augen weit auf und blinzelte, doch kein Anflug von Erschrecken störte ihr zufriedenes Aussehen. Stattdessen verzog sich ihr Mund zu einem schläfrigen, warmen Lächeln.
»Ist es schon Morgen?«
Der ein wenig raue Ton ihrer Stimme, die noch vom Schlaf gefärbt war, erreichte ihn, ging ihm unter die Haut und nahm ihn gefangen. Er konnte nicht sprechen, konnte nicht denken – er konnte sich nur noch nach ihr sehnen, mit einem brennenden Verlangen, das ihn erschreckte, mit einem absoluten Bedürfnis, sie zu besitzen, das ihn beinahe von den Beinen riss. Dieses mächtige Gefühl zu unterdrücken, es zurückzuhalten, erforderte all seine Kraft. Er zitterte.
Sie lächelte noch immer und wartete auf seine Antwort, und er begriff, dass sie, weil er mit dem Rücken zur Tür stand und alles Licht von draußen kam, den Ausdruck der Leidenschaft in seinen Augen nicht sehen konnte und auch sonst nichts. Deshalb riss er sich zusammen. »Beinahe«, brachte er hervor.
Der Ton seiner Stimme war rau. Er wartete nicht auf ihre Reaktion, sondern wandte sich ab, um sicher zu sein, dass sie ihn nicht eingehend betrachten konnte, um nicht den Beweis dieses eindringlichen Verlangens auf seinem Gesicht zu erkennen. Er blickte über die Lichtung, dann räusperte er sich. »Ich werde die Pferde satteln.«
Mit diesen Worten floh er vor ihr.
Natürlich dauerte es nur wenige Minuten, bis sie ihm zu Hilfe kam.
Ivan war schlecht gelaunt, und Demon nahm dies zum Anlass, seine Aufmerksamkeit nicht auf Flick zu richten. Er fühlte ihren fragenden Blick und ignorierte ihn mit zusammengebissenen Zähnen. Er wagte nicht einmal, ihr beim Satteln zu helfen – wenn sie ihm heute Morgen die Hand auf den Schenkel legte, würde er für seine Reaktion nicht garantieren können. Sobald er Ivans Gurte festgezurrt hatte, griff er nach den Zügeln und führte den ruhelosen Hengst aus dem Stall.
Die Hütte der Köhler war auf dieser ganz besonderen Lichtung gebaut worden, weil sich dort vier Wege kreuzten, die durch den Park führten. Einer war der Weg, auf dem sie gestern in der Nacht hierher gekommen waren, ein anderer Weg führte zum Herrenhaus. Ein dritter Weg verlief von hier aus in Richtung Osten zu dem Weg, auf dem Flick normalerweise zu dem kleinen Haus ritt, in dem sich Dillon versteckte, und der auch zu Demons Gestüt führte. Demon hielt Ivan mitten auf der Lichtung an und warf dann einen Blick in die vierte Richtung, in der der Weg an einer kleinen Landstraße im Westen endete.
Und dort entdeckte er Hugh Dunstable, den Verwalter des Generals, einen Mann in mittleren Jahren, der durch den Morgen herangeritten kam.
Demon erstarrte.
Dunstable hatte ihn bereits entdeckt und hob lächelnd die Hand an den Hut. »Ah! Morgen, Sir.«
Demon nickte freundlich, doch ein Lächeln schaffte er nicht. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken umher, während Dunstable näher kam.
»Nehme an, Sie sind in den Regen gestern Abend gekommen.« Dunstable blieb neben ihm stehen und strahlte ihn an. »Zweifellos war das ein heftiger Regen. Ich bin selbst hineingeraten; er kam so plötzlich. Ich war bei den Carters, um dort Whist zu spielen – auf dem Rückweg hat es mich erwischt. Als ich zu Hause ankam, war ich nass bis auf die Haut.«
»Genau.« Demon warf einen schnellen Blick zu dem Stall, der im Schatten lag. »Der Regen war viel zu heftig, um das Risiko einzugehen, nach Hause zu reiten.«
Dunstable schnaufte. »Auf diesen Wegen? Sie hätten die Gesundheit dieses feinen Tieres riskiert.«
Das feine Tier wählte ausgerechnet diesen Augenblick, um zu schnauben, mit den Füßen zu scharren und Dunstables Pferd anzustoßen. Demon fluchte und zog die Zügel an. Dunstable lachte leise und beruhigte sein Pferd. »Ja – es muss ein Erlebnis sein, ein solches Pferd zu reiten. Es fällt nicht schwer, zu erraten, wie Sie Ihren Spitznamen bekommen haben.«
Es war wohl kaum sein Geschick im Reiten von hochklassigen Pferden, das Demon seinen Spitznamen eingebracht hatte, aber Demon machte sich nicht die Mühe, den Mann zu korrigieren, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, zu beten.
Doch das nützte ihm nicht viel. Seine inbrünstige Bitte an die höchste Autorität, dass Flick genügend Verstand besaß, sich nicht aus dem Stall hervorzuwagen, wurde ihm verweigert, denn in diesem Augenblick erschien sie und lächelte Dunstable fröhlich an, während sie Jessamy aus dem Stall nach draußen führte.
»Guten Morgen, Mr. Dunstable.«
Sie sah hinauf zum Himmel und bemerkte daher auch nicht den Ausdruck auf Dunstables Gesicht – zunächst einmal purer Schock, der sich sehr schnell in Entsetzen wandelte und für einen Augenblick durch Vermutungen ersetzt wurde, um dann wieder reines Entsetzen auszudrücken.
Als Flick den Blick senkte und meinte: »Und es scheint ein wundervoller Morgen zu werden«, hatte sich Dunstable wieder gefasst, und sein Gesicht hatte einen unbeweglichen Ausdruck angenommen. Er murmelte eine unverständliche Antwort auf Flicks Bemerkung, und der Blick, mit dem er Demon ansah, war kalt und tadelnd.
Demon reagierte auf die einzig mögliche Art – hochmütig. Mit einem Blick kühler Arroganz schaute er Dunstable an, dann zog er herausfordernd eine Augenbraue hoch.
Dunstable, der nur ein wenig höher stand als ein Dienstbote, auch wenn er schon lange in den Diensten des Generals war, wusste nicht, wie er reagieren sollte. Demon bedauerte es, den alten Mann an seinen Platz zu verweisen, doch all seine Instinkte weigerten sich, jemanden denken zu lassen, dass Flick zu einer Indiskretion fähig wäre.
Zu seiner Erleichterung war sie damit beschäftigt, ihre Steigbügel zu richten, deshalb entging ihr vollkommen, was sich zwischen den beiden Männern abspielte.
»Es sieht ganz so aus, als wären alle Wolken verschwunden. Ich würde behaupten, bis zum Mittag wird es richtig warm werden.« Sie reckte sich und sah sich nach einem Baumstamm um, den sie benutzen konnte, um auf ihr Pferd zu steigen.
Demon ließ die Zügel los und trat neben sie, legte seine Hände um ihre Taille, hob sie hoch und setzte sie auf Jessamys Rücken.
Wenigstens das weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie zog scharf den Atem ein und sah zu ihm hinunter, dann strich sie sich schnell die Röcke glatte. »Danke.«
Sie richtete den Blick ihrer blauen Augen auf Dunstable. »Ich kann gar nicht glauben, wie sehr der Park überwuchert ist – wir müssen Hendricks sagen, dass er viel mehr zurückschneiden muss. Wirklich, man kann ja kaum noch den Himmel sehen, selbst hier, selbst an einem so herrlichen Morgen. Ich denke wirklich …«
So plapperte sie fröhlich weiter und war sich gar nicht bewusst, dass ihre Wangen noch vom Schlaf gerötet waren, ihr Haar zerzaust und ihr Samtrock verknittert. Sie bot das perfekte Bild einer jungen Dame, die gerade erst einen stürmischen Morgen erlebt hatte.
Wie es zu erwarten war, führte sie die Gruppe in Richtung auf das Herrenhaus.
Dunstable folgte ihr. Man musste es ihm lassen, er stieß immer die richtigen Geräusche aus, wenn Flick gerade einmal in ihrem Loblied auf den herrlichen Morgen innehielt.
Die Hände in die Hüften gestützt, sah Demon den beiden nach, dann stieß er den Atem aus. Er ging zurück zu der Hütte, schloss die Tür und schwang sich auf Ivan. Dann hielt er inne.
Lange starrte er den Weg entlang hinter Flick und Dunstable her. Dann biss er die Zähne zusammen, schob sein Kinn entschlossen vor und folgte den beiden.
 
Als die Gruppe endlich Hillgate End erreicht hatte, hatte Demon die Situation wieder voll im Griff. Zweifellos hatte er Flick kompromittiert, auch wenn alles vollkommen unschuldig gewesen war.
Er hatte sie und Dunstable schließlich eingeholt, nur um zu hören, wie sie fröhlich erzählte, dass sie beide in der Hütte Schutz gesucht hatten, kurz nachdem der Regen begonnen hatte. Also wusste Dunstable jetzt auch, dass sie zusammen in der Hütte gewesen waren, allein, die ganze Nacht. Natürlich hatte Flick, weil sie Dillon beschützen wollte, kein Wort von dem Grund ihrer Anwesenheit dort verraten und nicht erklärt, warum sie mitten in der Nacht mit einem Frauenheld im Park gewesen war.
Es war nicht so schwierig, sich vorzustellen, was Dunstable sich dachte. In der Tat fiel es schwer, an eine noch schlimmere Situation zu denken, in die eine junge, unverheiratete Frau aus gutem Haus sich bringen konnte, als dabei gesehen zu werden, wie sie am frühen Morgen ihr Rendezvous mit einem Schwerenöter ersten Grades beendete.
Demon hatte genügend Zeit, sich an alle Einzelheiten ihrer gemeinsamen Nacht zu erinnern, an jede Nuance, jede mögliche Auswirkung. Ihre Rückkehr zum Herrenhaus ging nur langsam voran, denn der Boden unter den Hufen der Pferde war nass und schlüpfrig. Sie trotteten dahin, Flick zuerst, gefolgt von Dunstable, und dann kam Demon. Nachdenklich schweigend überlegte Demon, welche Möglichkeiten er hatte – nicht viele – und zu welchem Ergebnis das führen würde, während Flick Dunstable mit ihrem fröhlichen Geplauder unterhielt.
Sie beschrieb den kleinen Stall und war begeistert, weil Jessamy und Ivan trocken geblieben waren, dann wieder pries sie den herrlichen Morgen. Sie hatte allerdings die Maus nicht erwähnt – und wenn Demon daran dachte, wie lange sie sich an ihn geklammert hatte, war das vielleicht auch besser so. Der Himmel allein wusste, welches Bild sich Dunstable von der ganzen Geschichte machen würde.
Schließlich hatten sie das Gelände erreicht, das zum Herrenhaus gehörte, und nur Minuten später ritten sie auf den Stallhof.
Flick stieß einen tiefen Seufzer aus. In Gedanken war sie bereits bei dem Bad, das sie nehmen wollte. Sie zügelte ihr Pferd und wollte gerade aus dem Damensattel gleiten, als Demon neben ihr auftauchte. Er griff nach ihr, legte die Hände um ihre Taille und hob sie von ihrem Pferd.
Flick zog scharf den Atem ein – beinahe war sie schon an seine Berührungen gewöhnt, an das plötzliche atemlose Gefühl. Dann strahlte sie ihn mit einem sonnigen Lächeln an und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich danke dir wirklich sehr, dass du gestern Abend Mitleid mit mir hattest und mich nach Hause begleitet hast. Ich bin dir wirklich sehr dankbar dafür.«
Er sah sie an – sie konnte in seinem Blick und in dem eigenartigen Ausdruck auf seinem Gesicht nichts lesen. Er nahm ihre Hand, doch anstatt sie zu drücken und dann wieder freizugeben, hielt er sie fest. »Ich bringe dich noch ins Haus.«
Flick starrte ihn an. Eigentlich hätte sie ihm jetzt die Hand entzogen und ihm widersprochen, doch Dunstable, der langsamer von seinem Pferd gestiegen war, war noch immer in ihrer Nähe. Demon ging los, und Flick warf Dunstable über ihre Schulter hinweg noch ein strahlendes Lächeln zu, dann musste sie sich beeilen, um mit Demon Schritt zu halten.
Mit entschlossenen Schritten ging Demon den Weg zum Haus entlang, duckte sich unter der Glyzinie hindurch und eilte dann über den Weg unter den alten Bäumen und die Wiese zur Terrasse. Er hatte ihre Hand nicht auf seinen Arm gelegt, er hielt sie noch immer fest und zog sie mit sich.
Flick versuchte, ihn wütend anzustarren, doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Sein Gesicht war entschlossen. Doch wozu er entschlossen war, davon hatte sie keine Ahnung.
Als sie noch einen Blick zurückwarf, entdeckte sie Dunstable, der sie noch immer vom Torbogen des Stallhofes aus beobachtete. Sie warf ihm ein Lächeln zu und fragte sich, was, zum Teufel, mit Demon los war.
Demon blieb erst stehen, als sie auf der Terrasse vor den offenen Türen des Morgenzimmers angekommen waren. Er gab ihre Hand frei und bedeutete ihr, das Zimmer zu betreten. Mit einem viel sagenden Blick schritt Flick über die Schwelle. Ihr langer Rock wehte um ihre Beine, als sie sich zu ihm umwandte. »Warum reitest du nicht zur Heide? Wir müssen doch Bletchley beobachten.«
Demon blieb vor ihr stehen, sah auf sie hinunter und runzelte die Stirn. »Gillies und die anderen kümmern sich um ihn, bis ich komme. Im Augenblick habe ich viel schwerwiegendere Dinge zu erledigen.«
»Wirklich?«, fragte sie.
Er biss die Zähne zusammen. »Ich muss mit dem General sprechen.«
Flick riss die Augen auf. »Worüber?« Sie hatte keine Ahnung, doch sie beschlich ein Gefühl der Unsicherheit.
Demon sah ihren fragenden Blick und wusste, dass sie nicht verstand. Innerlich fluchte er. »Ich muss mit ihm über unsere augenblickliche Situation reden.«
»Unsere Situation? Was für eine Situation?«
Mit störrisch vorgeschobenem Kinn ging er um sie herum, doch sie trat einen Schritt zur Seite und versperrte ihm den Weg. »Wovon redest du überhaupt?«
»Ich rede von der vergangenen Nacht, die wir zusammen verbracht haben, allein.« Die letzten Worte betonte er ganz besonders, und er sah in ihrem Blick, dass sie langsam verstand.
Dann blinzelte sie und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Und? Es ist nichts – nichts Indiskretes – passiert.«
»Nein«, stimmte er ihr zu, und seine Stimme klang gepresst. »Aber das wissen nur wir beide. Alles, was die Gesellschaft sehen wird, ist, dass die Möglichkeit bestanden hat, und in den Augen der Gesellschaft ist das alles, was zählt.«
Das Geräusch, das sie ausstieß, war offensichtlich verächtlich. Ihre Blicke trafen sich, und Demon wusste, wenn sie die Möglichkeit bestritt, dass etwas hätte geschehen können, würde er ihr den Hals umdrehen.
Sie hätte es beinahe getan, er sah es in ihren Augen. Doch nachdem sie ihn eingehend betrachtet hatte, schlug sie einen anderen Weg ein. »Aber keiner weiß etwas davon. Nun ja« – sie winkte ab -, »nur Dunstable, und der hat sich ganz sicher nicht vorgestellt, dass irgendetwas Skandalöses passiert ist.«
Benommen sah er sie an. »Sag mir, macht Dunstable immer ein so versteinertes Gesicht?«
Sie verzog den Mund. »Nun ja, er ist wohl eher ruhig. Ich rede meistens.«
»Wenn du heute Morgen genauer hingesehen hättest, dann hättest du festgestellt, dass er vollkommen schockiert war.« Wieder wollte er an ihr vorbeigehen, doch wieder versperrte sie ihm den Weg.
»Was hast du vor?«
Er wollte ihr nichts antun – er wollte es nicht riskieren, die Fassung zu verlieren. Deshalb bedachte er sie nur mit einem wütenden Blick. »Ich werde mit dem General reden und ihm genau erklären, was passiert ist.«
»Du wirst ihm doch nichts von Dillon erzählen?«
»Nein. Ich werde nur sagen, dass ich dich gestern Abend entdeckt habe, wie du allein über meine Felder geritten bist, und dass ich darauf bestanden habe, dich nach Hause zu begleiten.« Er machte einen Schritt auf sie zu, doch damit sie sein Gesicht sehen konnte, wich sie einen Schritt vor ihm zurück. »Ich werde es dir überlassen, ihm zu erklären, warum du so spät noch ausgeritten bist.«
Er nutzte ihr Erschrecken, um an ihr vorbeizugehen, und sie machte ihm Platz, ohne es richtig zu bemerken. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an, und noch ehe sie ihm widersprechen konnte, redete er weiter. »Der General wird sofort begreifen, dass die ganze Gesellschaft – ganz sicher all die wichtigen Matronen in Newmarket – glauben werden, dass wir beide die Nacht zusammen auf dem Lager in der Hütte der Köhler verbracht haben, ganz abgesehen von dem, was wirklich in dieser Hütte geschehen ist.«
Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen. »Das ist doch lächerlich«, antwortete sie. »Du hast nicht einen Finger gerührt …« Sie hielt inne, und ihr Blick wurde ausdruckslos.
»Um dich anzufassen?« Demon lächelte angespannt. »Nicht nur einen – alle zehn.« Und als sie ihn erschrocken ansah, fügte er hinzu: »Kannst du leugnen, dass du in meinen Armen gelegen hast?«
Sie presste die Lippen zusammen, und ihr Gesicht nahm einen rebellischen Ausdruck an, und sie schob das Kinn vor. Ihre Augen, die normalerweise so sanft blickten, blitzten jetzt wütend. »Das war wegen einer Maus
»Der Grund dafür tut nichts zur Sache. Soweit es die Gesellschaft betrifft, genügt es, dass du die Nacht mit mir allein verbracht hast, um deinen Ruf zu ruinieren. Die Art von Benehmen, die von der Gesellschaft erwartet wird, macht es nötig, dass ich dir den Schutz meines Namens biete.«
Flick starrte ihn an, dann schüttelte sie entschlossen den Kopf. »Nein.«
Er sah auf sie hinunter und zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Nein?«
»Nein, das ist wirklich dumm.« Sie hob beide Hände und wandte sich ab. »Du bauschst die Sache viel zu sehr auf. Die Gesellschaft wird überhaupt nichts sagen, weil sie nichts davon weiß. Dunstable wird nicht darüber reden.« Sie wandte sich ab und ging davon. »Ich werde zu ihm gehen und es ihm erklären.« Sie hob den Kopf und sah, dass Demon bereits an der Tür war. »Nein! Warte!«
Sie lief durch das Zimmer auf ihn zu. Und sie hätte ihn auch festgehalten, doch er wandte sich um und hielt stattdessen sie fest. Seine Hände lagen auf ihren Oberarmen, und er schob sie von sich.
»Es hat keinen Zweck, dich mit mir zu streiten – ich werde zum General gehen.«
Seine Entschlossenheit war deutlich in seinen Augen zu lesen, auch Flick entging das nicht. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken, sie leckte sich über die Lippen. »Er wird beim Frühstück sein.« Sie senkte den Kopf und stellte fest, wie zerknittert seine Kleidung war.
Auch er sah an sich hinunter, dann streckte er einen Fuß vor und schaute auf die Lehmspuren an seinen Stiefeln. Er fluchte und gab sie frei. »So kann ich nicht zu ihm gehen«, erklärte er.
Flick sah ihn mit unschuldigem Augenaufschlag an und hielt vorsorglich den Mund. Sie sagte auch dann nichts, als er sie wieder mit entschlossenem Blick betrachtete.
Nach einem Augenblick nickte er. »Ich werde nach Hause reiten und mich umziehen – dann komme ich zurück.« Er hielt ihren Blick gefangen. »Und dann können wir uns mit dem General unterhalten.«
Flick zog nur ein wenig die Augenbrauen hoch, doch sie sagte noch immer nichts.
Er zögerte, dann nickte er knapp und verließ das Zimmer.
Flick sah ihm nach. Sie ging zur Terrassentür und beobachtete, wie er über die Wiese eilte. Erst als er im Schatten der Bäume verschwunden war, wandte sie sich von der Tür ab, biss die Zähne zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und stieß einen verärgerten Schrei aus.
»Er ist unmöglich! Das ist unmöglich.« Nach einem Augenblick holte sie tief Luft. »Er hat den Verstand verloren.«
Mit diesen Worten machte sie sich daran, die Sache aufzuklären.
 
Zwei Stunden später zügelte Demon seine Braunen vor Hillgate End. Unter seinen erfahrenen Händen blieb der Zweispänner genau vor der Treppe stehen. Er reichte dem Stallknecht, der herbeigelaufen kam, die Zügel, dann stieg er aus, zog die Handschuhe von den Händen und ging zum Haus.
Er war perfekt mit einem blauen Rock und elfenbeinfarbener Hose gekleidet, dazu trug er eine elfenbeinfarbene Krawatte und ein Hemd, mit einer elegant blauschwarz gestreiften Weste. Seine Stiefel, ein anderes Paar, glänzten. Seine Erscheinung war genau so, wie sie seiner Meinung nach sein sollte, wenn man bedachte, was er vorhatte.
Jacobs öffnete die Tür, nachdem Demon angeklopft hatte. Demon antwortete mit einem Nicken seines Kopfes auf seine Begrüßung und ging direkt zur Bibliothek. Er war ein wenig überrascht, dass er es bis zur Tür schaffte, ohne von Flick aufgehalten zu werden, denn er hatte erwartet, dass sie noch einen Versuch machen würde, ihn von seinen Plänen abzuhalten, und dass sie verhindern wollte, dass er sich auf dem Altar des Anstands opferte.
Er öffnete die Tür der Bibliothek und trat ein; schnell ließ er die Blicke durch den Raum gleiten, auf der Suche nach dem Engel.
Sie war nicht da.
Der General saß wie immer an seinem Schreibtisch hinter einem riesigen Wälzer. Er blickte auf, als Demon das Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss, dann lächelte er ihn erfreut an.
Demon trat näher und sah, dass die Augen seines Gönners blitzten. Innerlich fluchte er.
Der General hob die Hand, noch ehe er etwas sagen konnte. »Ich weiß alles«, erklärte er.
Demon blieb wie angewurzelt stehen. »Flick.« Seine Stimme klang ausdruckslos, langsam ballte er die linke Hand zur Faust.
»Wie? Oh, ja – Felicity.« Der General lächelte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, dann deutete er mit der Hand auf den anderen Stuhl neben dem Schreibtisch. Obwohl Demon zu diesem Stuhl ging, konnte er sich nicht hinsetzen – stattdessen schlenderte er zum Fenster dahinter.
Der General lachte leise. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es war vielleicht eine verzwickte Lage, aber Felicity hat sich die Mühe gemacht und alles richtig gestellt.«
»Verstehe.« Demon beherrschte sich, sein Gesicht zeigte nichts von seinen Gefühlen, dann wandte er den Kopf. »Wie nett von ihr.« Selbst in seinen eigenen Ohren klang seine Stimme stahlhart. »Wie hat sie das denn geschafft?«
»Nun ja -« Falls der General seine Anspannung bemerkt hatte, so zeigte er es nicht. Er schob seinen Stuhl zurück, um ihn besser ansehen zu können. »Sie ist natürlich gleich zu mir gekommen und hat mir alles erklärt, was geschehen ist – dass sie das dringende Bedürfnis hatte, etwas frische Luft zu schnappen, noch spät gestern Abend, und dass sie dann die Zeit vergessen hat und schließlich auf deinem Land endete.« Der selbstgefällige Gesichtsausdruck des Generals verschwand ein wenig. »Ich muss dir schon sagen, mein Junge, ich bin absolut nicht einverstanden damit, dass sie allein losgeritten ist, aber sie hat mir versprochen, dass sie das nicht noch einmal machen wird.« Sein Lächeln kehrte zurück. »Ein Gutes hat der kleine Schreck also doch gehabt, nicht wahr?«
Demon antwortete nicht, doch der General lächelte und sprach schon weiter. »Glücklicherweise hast du sie diesmal entdeckt – sehr nett von dir, sie nach Hause zu begleiten.«
»Das war wohl das Mindeste, was ich tun konnte.« Ganz besonders, weil sie seinetwegen noch so spät ausgeritten war.
»Es war wirklich dumm von ihr, den alten Weg einzuschlagen – Hendricks hat ihn schon vor Jahren aufgegeben. Und was den Regen betrifft, ich kann dir gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, zu erfahren, dass sie bei dir war. Der Himmel allein weiß, dass sie ein vernünftiges Mädchen ist, aber sie ist trotzdem noch sehr jung und wäre allein sicher weitergeritten. Deine Entscheidung, an der Hütte anzuhalten und zu warten, bis der Regen vorüber war, war fraglos richtig. Was danach passiert ist, daran ist natürlich niemand schuld. Es ist wohl kaum überraschend, dass ihr beide eingeschlafen seid.«
Der General blickte auf und runzelte die Stirn – so ernst, wie er es sonst auch immer tat. »Und du brauchst nicht zu glauben, dass du mir versichern musst, dass nichts geschehen ist. Ich kenne dich – ich kenne dich schon seit der Zeit, als du noch ein Junge warst. Ich weiß, dass nichts Unschickliches passiert ist, und ich weiß, dass meine Felicity bei dir in guten Händen ist.«
Die unerwartete Eindringlichkeit im Blick des Generals raubte Demon die Worte, und mit einem zufriedenen Nicken lehnte sich der General wieder zurück. »Jawohl, und die Geschichte mit der Maus hat sie mir auch erzählt. Sie hat entsetzliche Angst vor diesen kleinen Geschöpfen – das war schon immer so. Aber es ist genau so gewesen, wie ich es erwartet habe – du warst vernünftig genug, sie deswegen nicht auszulachen, sondern du hast sie beruhigt. Und daran ist auch nichts Skandalöses.«
Der General blickte nachdenklich auf seinen Schreibtisch. »Wo waren wir doch gleich? Ah, ja, Dunstable. Dass er euch beiden heute Morgen begegnet ist, hat gar nichts zu sagen. Er ist ein alter Freund, und glücklicherweise plaudert er nicht. Flick hat darauf bestanden, mit ihm zu sprechen, nachdem sie mir alles erzählt hat, und er ist vor einer halben Stunde bei mir gewesen. Nur um mir zu versichern, dass er kein Wort sagen wird, mit dem er unserer Felicity schaden könnte.« Der General grinste und sah zu Demon auf. »Dunstable hat mir auch gesagt, ich solle mich in seinem Namen bei dir entschuldigen, dass er unerwünschte Schlüsse gezogen hat.«
Demon begegnete dem Blick des Generals. Flick hatte an alles gedacht, sie hatte all seine Argumente entschärft.
»Also«, schloss der General mit fester Stimme, »ich hoffe, dass du siehst, dass ich vollkommen davon überzeugt bin, dass es keinen Grund für dich gibt, dich zu opfern. Da du auf keinerlei Art Felicitys Ruf geschadet hast, gibt es auch absolut keinen Grund, dass du mich um ihre Hand bitten musst, nicht wahr?«
Demon hielt seinem eindringlichen Blick stand, doch er antwortete nicht. Der General lächelte.
»Es war alles vollkommen unschuldig – und jetzt wollen wir nicht mehr darüber reden, nicht wahr?« Er zog den Wälzer zu sich heran. »Erkläre mir einmal etwas. Ich habe mir gerade diese Nachkommen von Barbary Arab angesehen. Was hast du über dieses Fohlen Enderby gehört?«
 
Als wolle er sich entschuldigen, lud ihn der General zum Essen ein. Demon nahm die Einladung an – dann erklärte er, dass er Jacobs Bescheid sagen wolle, dass er zum Essen blieb, und überließ den General seinen Büchern.
Demon schloss die Tür der Bibliothek hinter sich und blieb im Flur stehen, um sich ein wenig zu fangen. Er begriff, was geschehen war, doch leider fühlte er es nicht. Er fühlte sich … benachteiligt.
Als hätte man ihm etwas genommen, das er sich schon seit langer Zeit gewünscht hatte, das für ihn von äußerster Bedeutung war – gerade in dem Augenblick, als er die Hand danach ausgestreckt hatte.
Mit gerunzelter Stirn machte er sich auf die Suche nach Jacobs.
Er entdeckte ihn in der Vorratskammer, und nachdem er ihm Bescheid gesagt hatte, ging Demon in die Eingangshalle zurück und machte sich dann daran, Flick zu suchen. Er fühlte sich wie ein hungriger Leopard, als er die Räume im Erdgeschoss durchstreifte. Sie musste irgendwo in der Nähe sein, dessen war er sicher, sie hielt sich irgendwo hier unten auf, für den Fall, dass ihm vielleicht noch ein Argument eingefallen war, das sie vielleicht übersehen hatte, und dass der General nach ihr geschickt hätte.
Er fand sie im Gartenzimmer.
Sie schnitt Blumen ab und stellte sie in eine Vase. Sie summte leise vor sich hin und legte den Kopf ein wenig schief, um ihre Arbeit zu betrachten. Demon sah ihr eine ganze Minute lang zu. Er bewunderte ihr frisches Morgenkleid, ihr Haar, das sie ordentlich gekämmt hatte und das wie ein goldener Hauch ihr Gesicht einrahmte.
Nachdem er sie lange genug betrachtet hatte, verließ er leise die Tür und ging auf sie zu.
 
Flick schnitt eine Kornblume ab und überlegte, an welche Stelle in dem Strauß sie diese am besten stecken sollte. Sie hielt sie hoch und zögerte …
Lange, schmale Finger nahmen ihr die Blume aus der Hand.
Sie keuchte auf, doch noch ehe sie sich umwenden konnte, wusste sie bereits, wer es war, der neben ihr stand. Sie kannte diese Berührung – kannte die Kraft, die er ausstrahlte. »Warst du schon beim General?«, fragte sie und überlegte, wie sie ihr wild schlagendes Herz beruhigen konnte.
»Hm.« Er hielt die Blume zuerst an die eine und dann an die andere Seite der Vase, ehe er sie hineinsteckte. Er betrachtete den Strauß, dann wandte er sich, offensichtlich zufrieden, zu ihr um. »Ja, ich habe mit ihm gesprochen.«
Mit seinem lässigen, ein wenig schläfrigen Gesichtsausdruck konnte er sie nicht hinters Licht führen, denn unter den halb geschlossenen Lidern blickten seine Augen aufmerksam und eindringlich. Sie hob das Kinn und griff nach der Gartenschere. »Ich habe dir doch gesagt, dass es gar nicht nötig ist, ein solches Drama zu veranstalten.«
Er verzog den Mund zu einem leichten Lächeln. »Das hast du gesagt.«
Flick unterdrückte eine unwillige Bemerkung, sie hatte in der Tat erwartet, dass er sich bei ihr bedanken würde, nachdem er erst einmal Zeit gehabt hatte, über die ganze Sache nachzudenken, und begriffen hatte, was sein Plan überhaupt bedeutete. Sie nahm an, dass er irgendwann einmal heiraten würde, doch er war erst einunddreißig, und ganz sicher wollte er nicht ausgerechnet sie heiraten.
Aber er sagte nichts. Er hatte sich an die Wand gelehnt und sah ihr mit der gleichen Lässigkeit zu, mit der sie die Blumen in die Vase steckte. Das Schweigen zwischen ihnen wurde immer schwerer, und ihr kam der Gedanke, dass er vielleicht glaubte, sie wüsste das Opfer nicht zu schätzen, das er hatte machen wollen. »Es ist ja nicht so, dass ich dir nicht dankbar wäre.« Sie vermied es, ihn anzusehen, und richtete stattdessen den Blick auf die Blumen.
Ihre Bemerkung rüttelte ihn ein wenig auf. Sie begriff, dass seine Aufmerksamkeit geweckt war.
»Dankbar?«
Sie schnitt weiter Blumen ab und steckte sie in die Vase. »Für dein freundliches Angebot, meinen Ruf zu retten. Ich weiß zu schätzen, dass es von deiner Seite aus ein sehr großes Opfer gewesen wäre – doch Gott sei Dank war das ja nicht nötig.«
Er betrachtete ihr Profil und zwang sich, dort zu bleiben, wo er stand, und sie nicht in seine Arme zu reißen und sie zu küssen, nur um sie zum Schweigen zu bringen. »Opfer? Eigentlich hatte ich die Tatsache, dich zu meiner Frau zu nehmen, noch gar nicht in diesem Licht betrachtet.«
»Nicht?« Überrascht wandte sie sich zu ihm um, dann lächelte sie und widmete sich wieder den Blumen. »Ich wage zu behaupten, dass du es aber ganz sicher so gesehen hättest, wenn du erst einmal Zeit gehabt hättest, dir die ganze Sache zu überlegen.«
Demon starrte sie einfach nur an. Er hatte sich noch nie in seinem Leben so … abgeschoben gefühlt.
»Glücklicherweise gab es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Das habe ich dir doch gesagt.«
Und glücklicherweise erfuhren weder er noch sie das, was er als Nächstes gesagt oder getan hätte, denn Jacobs erschien an der Tür, mit der Nachricht, dass das Essen im Speisezimmer angerichtet war.
Flick ging voraus, anders hatte Demon das auch gar nicht erwartet, er folgte ihr und bemühte sich, einen gewissen Abstand zwischen ihnen beiden einzuhalten – in seiner augenblicklichen Stimmung war es wahrscheinlich klug, ihr nicht zu nahe zu kommen.
Das Mittagessen war kein großer Erfolg.
Flick wurde immer ungeduldiger, je länger die Mahlzeit dauerte. Demon trug nichts zu der Unterhaltung bei, außer dass er die Fragen des Generals beantwortete. Er beobachtete Flick in grüblerischem Schweigen, als würde er etwas betrachten, das er selbst nicht verstand, das er aber dennoch ablehnte. Er überließ es ihr, mit ständig wachsender gespielter Fröhlichkeit zu plaudern, bis ihr der Kopf schmerzte.
Als das Mahl endlich zu Ende war und sie ihre Stühle zurückschoben, war Flick bereit, ihn beim nächsten Wort anzufahren – wenn er ihr die Möglichkeit dazu gab.
»Nun, mein Junge, lass es mich wissen, wenn du bei diesen Pferden irgendeine Schwäche entdeckst.« Der General schüttelte Demon die Hand, dann lächelte er Flick an. »Warum begleitest du Demon nicht in den Stall, meine Liebe. Es ist ein so wunderschöner Tag heute.« Mit seinem üblichen gutmütigen Lächeln deutete der General mit der Hand auf die offene Terrassentür. »Genießt das schöne Wetter, solange das noch möglich ist.«
Flick und Demon sahen einander an. Das Letzte, was Flick jetzt wollte, war, ihn zum Stall zu begleiten und freundlich zu sein – sie war wütend auf ihn, auf die Art, wie er sich benahm. Um Himmels willen, es war beinahe so, als hätte ihm jemand etwas genommen, das er hatte haben wollen. Er schmollte! Und das alles nur, weil die Dinge nicht so gelaufen waren, wie er das geplant hatte – weil sie seine großartige Geste ihr gegenüber verhindert hatte und er nicht die Rolle hatte spielen können, die er erwartet hatte. Die Rolle eines heldenhaften Opfers.
Sie holte tief Luft und presste die Lippen zusammen; herausfordernd, beinahe schon kampflustig, erwiderte sie seinen Blick.
Doch er zog nur eine Augenbraue hoch – eine noch größere Herausforderung, noch kriegerischer, dann trat er einen Schritt zurück und deutete mit der Hand zur Terrasse.
Flick konnte beinahe hören, wie der Fehdehandschuh zwischen ihnen auf den Tisch geworfen wurde.
Sie hob den Kopf, dann ging sie um den Tisch herum und vor ihm her durch die Tür, die Treppe hinunter und über die Wiese. Sie lief schnell in ihrem Zorn und hatte die Wiese schon beinahe halb überquert, als sie feststellte, dass er ihr nicht gefolgt war.
Abrupt blieb sie stehen und sah sich um. Er schlenderte langsam und lässig ein ganzes Stück hinter ihr her. Sie biss die Zähne zusammen und wartete auf ihn. Als er sie eingeholt hatte, drehte sie ihm den Rücken zu, hob die Nase ein Stück höher, um ihm ihren Zorn zu zeigen, passte ihre Schritte den seinen an und ging nur einen halben Meter vor ihm her.
Zwei Schritte später fühlte sie eine angenehme Wärme in ihrem Nacken, direkt über dem Ausschnitt ihres Kleides. Dieses eigenartige Gefühl glitt tiefer, breitete sich über ihre Schultern aus und dann an der Wirbelsäule entlang. An ihrer Taille hielt es inne, doch dann spürte sie, wie es tiefer glitt und noch tiefer …
Ihr stockte der Atem, und sie blieb stehen, um sich den Rock glatt zu streichen. In dem Augenblick, als Demon neben sie trat, straffte sie sich und ging an seiner Seite weiter. Dabei hoffte sie, dass man ihr nicht mehr ansah, dass sie errötet war.
Sie biss sich auf die Zunge, um nicht eine heftige Bemerkung zu machen, und es gelang ihr, zu schweigen. Er schlenderte ruhig neben ihr her und gab ihr keinen Grund, ihn wütend anzufahren.
Die Stallknechte sahen die beiden, als sie unter der Glyzinie durchgingen, und liefen los, um Demons Pferde zu holen.
Am Eingang des Stallhofes blieb Flick stehen, und jetzt war auch ihre Geduld zu Ende. »Ich verstehe nicht, warum du mir nicht dankbar bist«, zischte sie. Dabei sah sie ihn nicht an, sondern blickte zu den Stallburschen, die mit seinen Pferden beschäftigt waren.
»Verstehst du das nicht? Vielleicht ist ja genau das das Problem.«
»Es gibt überhaupt kein Problem.«
»Erlaube mir, dass ich da anderer Meinung bin.« Er hielt einen Augenblick inne, dann sprach er weiter. »Abgesehen von all dem anderen, starrst du schon die ganze Zeit wütend vor dich hin.«
Sie wirbelte zu ihm herum. »Du bist es, den ich wütend anstarre.«
»Das habe ich bemerkt.«
»Du bist einfach unmöglich
»Ich?«
Einen Augenblick lang riss er seine blauen Augen weit auf, und sie konnte sich wirklich vorstellen, dass er überrascht war. Doch dann sah er sie eindringlich an. »Sage mir«, murmelte er und sah zu, wie die Jungen den Pferden das Zaumzeug anlegten, »glaubst du wirklich, dass du irgendwann einmal Dillon heiraten wirst?«
»Dillon?« Mit offenem Mund starrte sie ihn an. »Ich soll Dillon heiraten? Du hast wirklich den Verstand verloren. Als würde ich einen solchen … einen solchen Niemand heiraten, einen unbedeutenden Jungen. Einen Mann ohne jegliche Substanz. Einen Trottel! Einen …«
»Schon gut – vergiss, dass ich dich überhaupt gefragt habe.«
»Zu deiner Information, ich habe nicht die Absicht, überhaupt einen Gentleman zu heiraten, solange ich das nicht will. Und ganz sicher werde ich nicht heiraten wegen irgendeiner unwichtigen gesellschaftlichen Regel.« Ihre Stimme brach, weil sie leise sprechen musste und nicht schreien konnte. Sie holte tief Luft, dann fuhr sie fort: »Und was dein Angebot betrifft – nun ja, du könntest genauso gut behaupten, dass ich wegen einer Maus heiraten muss!«
Ein Stallknecht kam mit den Braunen auf sie zu. Demon nickte, dann übernahm er die Zügel. Er kletterte auf den Wagen, setzte sich und sah auf sie hinunter.
»Ich kann nicht verstehen, warum du mir nicht dankbar bist«, meinte sie mit beißender Stimme. »Du weißt sehr wohl, dass du mich überhaupt nicht heiraten willst.«
Er schaute sie an. Sein Gesicht war ausdruckslos, als sei es aus Stein gemeißelt, seine Augen hart wie blaue Diamanten. Er hielt ihrem herausfordernden Blick stand, doch dann holte er tief Luft.
»Du hast überhaupt keine Ahnung«, murmelte er, und seine Stimme klang überdeutlich, »was ich will.«
Er schlug leicht mit den Zügeln, und die Braunen liefen los. In großem Bogen fuhr er aus dem Stallhof und dann den Weg entlang.